» Ypsilantis Vordenker und Bodyguard «

von Jens Tartler

Lange Zeit war Hermann Scheer in der SPD der Exot, der sich nur für Solarenergie interessiert. Jetzt wird er im parteiinternen Streit zum Kämpfer für Andrea Ypsilanti. Sie will Scheer zum Superminister machen.

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Eigentlich hätte er am Dienstag in Wiesbaden sein müssen. Seine Vertraute Andrea Ypsilanti ebnet in der hessischen Landeshauptstadt einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei den Weg, und Hermann Scheer ist in Washington. Aber die wichtigste Konferenz für erneuerbare Energien kann man ja nicht so einfach absagen. "Ich rede heute Abend direkt nach Bush", sagt Scheer am Mobiltelefon und lacht stolz.

Ein unterentwickeltes Selbstbewusstsein kann man Scheer nicht attestieren. Nur richtete sich sein Ehrgeiz bisher auf die Sachpolitik und weniger auf den Machterwerb. So wurde er Präsident der Vereinigung Eurosolar, Chairman des Weltrats für Erneuerbare Energien und bekam den Alternativen Nobelpreis. In der SPD-Bundestagsfraktion und im Vorstand der Sozialdemokraten galt er immer ein bisschen als versponnener Öko - gerade zu der Zeit, als Gerhard Schröder regierte.

Jetzt ist alles anders. Der Klimawandel ist für viele das Menschheitsthema schlechthin. Aber Scheer reicht es nicht, von einem Kongress zum nächsten zu tingeln. Er will nicht nur Vorträge halten, sondern regieren. Und dazu scheinen ihm die Bedingungen in Hessen besser als anderswo.

Scheers Energiekonzept für den Wahlkampf

Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti und ihr Schattenminister Hermann Scheer vor einer Fotovoltaikanlage
 Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti und ihr Schattenminister Hermann Scheer vor einer Fotovoltaikanlage

"Ich hätte schon mehrmals Minister werden können, das erste Mal vor zwanzig Jahren in Nordrhein-Westfalen. Johannes Rau hat es mir angeboten", erzählt der heute 63-Jährige. "Aber niemand wollte so weit gehen wie Andrea Ypsilanti." Die hessische SPD-Chefin bat Scheer, für ihren Wahlkampf ein Energiekonzept zu entwerfen. "Dann hat sie es eins zu eins übernommen", erzählt Scheer fast etwas ungläubig. Die Atomkraftwerke Biblis A und B will er bis 2013 abschalten, auf den Neubau des Kohlekraftwerks bei Hanau verzichten. Stattdessen sollen Kreise und Kommunen die Stromproduktion übernehmen und Windräder, Blockheizkraftwerke und Solaranlagen bauen. Um die Sache "gleich richtig" zu machen, versprach Ypsilanti Scheer ein Superministerium für Wirtschaft und Umwelt.

So haben sich die beiden Sozialdemokraten aneinander gekettet Ypsilanti braucht Scheers Sachverstand und seine Kampfkraft, die er in jahrelangen Auseinandesetzungen mit den großen Energiekonzernen gewonnen hat. Und Scheer braucht Ypsilanti, um seine Vision in die Realität umzusetzen. Leider läuft die Regierungsbildung nicht ganz so glatt wie ihre Absprache unter vier Augen.

Umso gereizter reagiert Scheer deshalb auf Genossen wie Parteivize Peer Steinbrück, die den Hessen "Wortbruch" vorwerfen, weil Ypsilanti sich jetzt doch von der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen lassen will. "Das ist doch pharisäerhaft", giftet Scheer. "Alle diejenigen, die auf keinen Fall eine Minderheitsregierung wollen, sollen zumutbare Alternativen vorweisen. Damit habe ich auch Steinbrück konfrontiert." Daraufhin habe der Finanzminister eine Große Koalition vorgeschlagen. "Das ist ja nun völlig ausgeschlossen, schon gar unter Roland Koch. Wenn Steinbrück sich so intensiv um Hessen kümmert, warum ist ihm das dann nicht aufgegangen?" Eine Große Koalition wäre aus Scheers Sicht "potenzierter Wortbruch", weil die SPD-Wähler als Allerletztes eine Fortsetzung des "Systems Koch" wollten.

Scheer plädiert für Öffnung nach links

Für Scheer ist völlig klar: "Es gibt in Hessen eine Mehrheit gegen CDU und FDP." Es sei undemokratisch, die Linkspartei grundsätzlich zu marginalisieren: "Man kann nicht einen Teil der Wählerschaft ausschließen."

Und was für Hessen richtig ist, muss auch für andere Länder gelten, meint Scheer. Wenn die SPD nicht immer nur als Juniorpartner der Union regieren wolle, müsse sie sich nach links öffnen. "Deshalb ist es richtig, dass Kurt Beck diese Entwicklung angeschoben hat." Es sei auch falsch, den Kommunikationsstil des Parteichefs zu kritisieren: "Er hatte das ja so nicht geplant." Andere Genossen beurteilen Becks halböffentlichen Kursschwenk weniger gnädig.

Setzt sich die neue SPD-Linie von Beck und Ypsilanti durch, könnte Scheer bald in einem Ministerbüro sitzen. Angst vor dem Wechsel hat er nicht: "Warum sollte ich? Kein deutsches Gesetz zu erneuerbaren Energien ist ohne meine Initiative entstanden. Und so unterschiedlich sind Legislative und Exekutive nun auch wieder nicht."

Wer in Washington nach Bush redet, kann auch nach Alois Rhiel Minister in Wiesbaden werden.

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Aus der FTD vom 05.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: dpa

 

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