Blick ins Ausland

Hart, aber fair

von Pia Entenmann

In Amerika haben Charter-Schools gerade in Problemvierteln großen Erfolg. Der Staat zahlt für die Schule, private Anbieter betreiben sie. Sie können ihre Lehrer auswählen und den Unterricht frei gestalten.

Der Schriftzug auf den blauen Schul-T-Shirts zeugt von Selbstbewusstsein: "Kipp Class of 2014" steht in großen gelben Buchstaben auf dem Rücken von Sechstklässlern - eine Anspielung auf die typischen Aufdrucke, die Schüler in den Vereinigten Staaten eigentlich erst tragen, wenn alles geschafft ist: bei ihrer Abschlussfeier.

2014 werden die Sechstklässler die Kipp Infinity Highschool in Harlem verlassen. "Jeder soll es aufs College schaffen", sagt Schulleiter Joseph Negron stolz. Für ein Problemviertel wie Harlem ist das eine Traumquote, 80 Prozent der Schüler stammen aus einkommensschwachen Familien, 90 Prozent sind Einwanderer aus Südamerika oder Afrika.

Das Erfolgsgeheimnis? Er habe kaum staatliche Vorgaben, sagt Negron und zudem die Möglichkeit, neue Ideen umzusetzen, etwa den Samstagsunterricht, eine Sommerschule, eigene Lehrpläne. Auch seine Lehrer darf er selbst einstellen. Er wählt nur solche, die für ihre Schüler brennen, die versprechen, 24 Stunden erreichbar zu sein, falls es familiäre Probleme gibt, und die Hausbesuche machen.

80 Prozent des Budgets liefert der Staat

ZUM THEMA

Die Kipp Highschool ist eine Charter-Schule, eine öffentliche Schule, die privat betrieben wird. Gründen darf prinzipiell jeder, der ein Konzept erstellt. Die Schulbehörde erteilt eine Vollmacht, in der sich die Schulen zu Zielvereinbarungen für die folgenden Jahre verpflichten. Erfüllen die Betreiber ihre Versprechungen nicht, wird ihnen die Lizenz entzogen, die Schule muss schließen.

Der Staat zahlt den Charter-Schulen 80 Prozent ihres Budgets, der Rest muss über Spenden finanziert werden. Die Kipp-Foundation, die maßgeblich von Bill Gates gefördert wird, betreibt inzwischen 57 Schulen im ganzen Land. Und ein Millionär zieht offensichtlich den nächsten an. So spendete der Unternehmer und in den USA bekannte Wohltäter Eli Broad gerade 12 Mio. Euro für vier neue Kipp-Schulen in Los Angeles.

Hausaufgaben sind vertraglich festgelegt

Die Schüler müssen nichts bezahlen. Die öffentlichen Schulen in privater Hand dürfen nicht selektieren. Daher gilt auch bei der Aufnahme das Prinzip "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" oder das Los entscheidet.

Die Kipp-Bewerber wissen allerdings, dass von ihnen harte Arbeit erwartet wird, für ihren strengen Unterricht sind die Schulen bekannt. Die Eltern müssen vertraglich zusichern, Hausaufgaben zu kontrollieren und die Kinder pünktlich zur Schule zu bringen. "An meiner alten Schule habe ich mich wie auf einer Insel gefühlt, auf der ich der Einzige war, der etwas für die Kinder erreichen wollte. Hier arbeiten alle an demselben Ziel: Die Kinder sollen es aufs College schaffen", sagt Schulleiter Negron.

Die Schüler der Charter-Schule sind engagiert
 Die Schüler der Charter-Schule sind engagiert

Auch im Unterricht geht es ganz anders zu als bei seiner alten Schule in der Nachbarschaft. Negron öffnet eine Tür. Dort sitzen Siebtklässler brav auf ihren Stühlen, als die Lehrerin eine Frage stellt, fliegen fast alle Hände in die Luft. Das Charter-Konzept scheint aufzugehen.

Das ist nicht überall so: Weil im Grunde jeder Laie eine Charter-Schule gründen kann, scheitern die Bildungsstätten oft an ihrer Unprofessionalität. "Immer wieder müssen Schulen schließen, weil das Personal nicht gut ausgebildet ist", kritisiert Nancy Van Meter, stellvertretende Vorsitzende der American Federation of Teachers. Das größte Problem sei die Verwaltung der Finanzen, mit der manche Gründer schlicht überfordert seien. "Leidtragende sind die Schüler, die plötzlich ohne Unterricht dastehen".

Schlechtere Leistungen als Altersgenossen

Eine Studie des Bildungsministeriums zeigt zudem, dass die Charter-Schüler tendenziell etwas schlechtere Leistungen zeigen, als ihre Altersgenossen an herkömmlichen öffentlichen Schulen. In den USA sorgt das seit längerem für Kritik an dem 1992 eingeführten Modell. Erfolg haben vor allem Stiftungen und Träger, die mehrere Schulen führen, so wie Kipp.

So haben die Schüler aus Harlem bei Vergleichstests in Mathe und Englisch sehr gut abgeschnitten, erzählt Schulleiter Negron. Er hofft, dass die vor zwei Jahren gegründete Schule, ihre guten Leistungen halten kann. Die Sechstklässler sollen stolz auf sich sein, wenn sie in sechs Jahren mit ihren T-Shirts zur Zeugnisfeier kommen.

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FTD.de, 23.01.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: dpa

 

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