Die Finanzkrise hat die Märkte fest im Griff, weltweit sind die Leitindizes abgestürzt: Derweil debattieren die europäischen Zeitungskommentatoren über kommende Großmächte, Weltfrieden - und den Kapitalismus an sich.
"In den vergangenen Wochen gab es staatliche Eingriffe in das Wirtschaftssystem, die bis vor kurzem undenkbar waren. Die Behauptung, wir stünden vor einem weltweiten Scheitern des Kapitalismus, ist jedoch in jeder Hinsicht ein Trugschluss. Der Kapitalismus ist kein Dschungel von Einzelinteressen und der Staat nicht allein dazu da, die Interessen der Großkonzerne zu schützen. Dies glauben bestimmte Teile der Linken. Kein halbwegs vernünftiger Liberaler vertrete die Ansicht, der Staat solle sich aus der Wirtschaft ganz heraushalten. Die Krise zeigt, worin die Aufgaben des Staates liegen: Er muss die Spielregeln festlegen und für deren Einhaltung sorgen. Wenn man aus der Krise die richtigen Lehren zieht, geht der Kapitalismus gestärkt daraus hervor."
"Die politischen Führungskräfte verstärken zweifellos ihre Initiativen, um das Bankensystem zu sichern und um Vertrauen wiederherzustellen. Doch einige dieser Politiker haben heute ein schweres Problem der Glaubwürdigkeit. Seit Jahren haben sie in Washington oder London erklärt, dass die Märkte sich selbst regulieren können - während sie heute in der Not genau das Gegenteil dessen tun, was sie damals behauptet haben. Die Politik muss zu ihrem zentralen Anliegen zurückkehren: Wozu dient der Reichtum der Nationen? Soll er das Los der Völker verbessern, oder sollen damit winzige Aristokratien bereichert werden, die früher zum Geburtsadel und heute zum Geldadel gehören? Die Antwort ist wohl klar."
"Anders als Premierminister Gordon Brown, der Bankanteile in Höhe von rund 50 Mrd. Pfund in Staatsbesitz nehmen will, scheint ausgerechnet der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück, der unangefochtene Chef des deutschen Krisenmanagements, fest an die Selbstheilungskraft des Marktes zu glauben. Einem gesamteuropäischen Rettungsplan, wie ihn vor allem Frankreich und Italien wünschten, hatte Steinbrück schon Anfang des Monats eine Absage erteilt. Der Hinweis Steinbrücks, es wäre kaum verkraftbar, wenn deutsche Steuerzahler für Kapriolen von Banken einstehen müssten, die sich zuvor in steuerbegünstigten europäischen Regionen vor den deutschen Abgaben gedrückt hätten, wird links wie rechts gut verstanden."
"Die Panik hat die Finanzmärkte in Beschlag genommen. Diese haben in den vergangenen Tagen auf alle Versuche der Beruhigung mit neuen Verlusten geantwortet. Die Versuche reichten von der Zustimmung des amerikanischen Kongresses zum Rettungsplan bis zur konzertierten globalen Senkung der Zinssätze. Nun gibt es zwei Gründe für die Panik in diesen Tagen. Einer wurde in den USA durch eine Politik hervorgerufen, die die Bürger dazu bewegen will, die Kosten dieses äußerst unpopulären Rettungsplans zu akzeptieren. Der andere Grund besteht darin, dass die Währungs- und Finanzhüter, darunter die amerikanischen, keinen klaren und kohärenten Interventionsplan zu haben scheinen. Ein solcher Plan liegt jedoch in deren Verantwortung. Er ist notwendig, um die Märkte zu beruhigen und um Europa sowie Asien die Bewältigung dieser Krise zu erleichtern."
"Bei dem kürzlichen Sondergipfel in Paris haben die 'Großen Vier' Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien eine Zusammenarbeit zur Stabilisierung des Finanzsystems vereinbart. Doch diese Vereinbarung erwies sich unverzüglich als hohl. In Deutschland hat Bundeskanzlerin Angela Merkel alle privaten Spareinlagen garantiert und die Immobilienbank Hypo Real Estate gerettet. Und (der britische Premier) Gordon Brown hat zur Stützung des Bankensystems 50 Milliarden Pfund angeboten. Die EU-Finanzminister haben sich auf gemeinsame Prinzipien geeinigt, doch diese werden leicht durch Wahlkampfstrategien einzelner Regierungen unterwandert, und besonders auch durch den Markt, was in einem liberalen Wirtschafts- und Regierungssystem auch in Ordnung ist, wobei Raum bleibt für grenzüberschreitende Koordinierung."
"Wenn die Finanzkrise vorbei ist, dann wird der Kapitalismus nicht zusammengebrochen sein. Wahrscheinlich stehen wir dann aber vor dem Ende des 'amerikanischen Jahrhunderts'. Die USA werden noch für eine gewisse Zeit die führende Militärmacht des Planeten sein, doch das 'Spiel' wird dann multipolar geführt, und das Gefälle zu den anderen großen Mächten wird dazu tendieren, geringer zu werden. Wird aber eine derartige Welt dann auch 'friedlicher' und 'freier' sein? Wohl nicht. Es wird sich wohl vielmehr um eine Welt handeln, die noch gefährlicher sein wird als die uns bekannte. Und in dieser neuen Welt werden sich die Aussichten auf Freiheit (für Millionen Menschen) im übrigen noch rarer machen als dies schon der Fall ist."
"Katastrophen, Konflikte und Börsenkräche haben schon immer kollektive Ängste geschürt. Man kann angesichts dieser Krise nur hoffen, dass unsere politischen Führer die Vernunft haben werden, zu verstehen, dass die Lösung nicht in nationalem Improvisieren liegt, sondern in der Beschleunigung des Aufbaus einer europäischen Einigung mit starker Konzentration auf die Wirtschaft. Schließlich war die wirtschaftliche Einigung Grundlage der ursprünglichen europäischen Gemeinschaft. Angesichts der zunehmenden Angst ist dies eine Option, die man erneut ernsthaft in Betracht ziehen muss. Eine historische Krise erfordert historische Antworten."
FTD.de, 10.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland
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