Berlins Gesicht der Zukunft

Teil 12

Wo Berlin die Stadt der Zukunft plant

Jugendliche spielen auf dem Rasen Fußball, Passanten flanieren vor Neubauwohnungen Foto: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
Jugendliche spielen auf dem Rasen Fußball, Passanten flanieren vor Neubauwohnungen

Der Flughafen Tempelhof hat als Airport ausgedient. Nach den Plänen des Senats sollen auf dem riesigen Areal tausende Wohnungen, Arbeitsplätze und ein Park entstehen. Bis wann, ist aber offen

von Ulrich Paul

Berlin - Kinder lassen auf einer Wiese ihre Drachen steigen, daneben spielen Jugendliche Fußball und Inline-Skater rollen neben Fahrradfahrern über die ehemaligen Start- und Landebahnen. Auf den Computersimulationen des Berliner Senats wird der ehemalige Flughafen Tempelhof als ein neues attraktives Stadtviertel präsentiert. Schöne Wohnungen mit Balkonen und Terrassen sind darauf zu sehen, Familien flanieren über promenadenartige Wege oder entspannen sich unter großen Sonnenschirmen im Café. In den Hangars des denkmalgeschützten Airportgebäudes befinden sich Büros hinter großen Glasfassaden, die nachts weithin sichtbar leuchten. Aber ob diese Zukunftsvisionen jemals Wirklichkeit werden, ist offen. Seit der Schließung des Flughafens am 30. Oktober 2008 gibt es zwar viele Ideen, aber noch kein ausgereiftes Konzept. Nur eins ist klar: „Die Entwicklung Tempelhofs ist eine der größten Herausforderungen für die Stadtplanung“ – so beschreibt der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit (SPD) die Aufgabe.

Mit dem Ende des Flugbetriebes in Tempelhof steht den Berlinern mitten in der Stadt ein Areal zur Verfügung, das fast doppelt so groß ist wie der Tiergarten. Das Gebäude mit der beigefarbenen Muschelkalkfassade gilt noch immer als eines der größten der Welt und das ehemalige Flugfeld hat solche Ausmaße, dass darauf 375 Fußballplätze untergebracht werden könnten. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) bezeichnet den ehemaligen Flughafen denn auch als „ein Juwel“. Das Areal biete „eine einzigartige Chance für die Zukunft Berlins“, sagt sie.

Vor der Schließung des Airports hat die Senatorin noch schnell einen Plan für die Nachnutzung des Flughafens erarbeiten lassen. Detailliert ist er noch nicht, aber er beschreibt immerhin, was in Tempelhof möglich sein soll. Das ehemalige Airportgebäude soll unter dem Namen „Tempelhof Forum THF“ zu einer neuen „Adresse für die Kultur-, Medien- und Kreativwirtschaft“ entwickelt werden. Bis zu 5 000 Arbeitsplätze könnten alleine in dem riesigen Gebäudekomplex eingerichtet werden. Sieben Hangars gehören dazu, der größte davon könnte ohne Probleme ein ganzes Fußballfeld aufnehmen. Auf der Freifläche soll eine „Parklandschaft Tempelhof“ entstehen. An den Rändern des Tempelhofer Feldes wollen die Planer drei Stadtquartiere mit bis zu 5 000 Wohnungen und weitere Gewerbeflächen für 5 000 Arbeitsplätze errichten.

Um die Planung in Tempelhof voranzutreiben, will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine Internationale Bauausstellung veranstalten. Zugleich will sich Berlin um die Ausrichtung der Internationalen Gartenbauausstellung im Jahr 2017 bewerben. Die Neubaupläne stoßen jedoch auf Skepsis bei Fachleuten aus der Immobilienbranche. So bezweifelt der Vorsitzende des Rings Deutscher Makler, Thomas Wernicke, dass sich das frühere Flugfeld zum Wohnungsbau eignet. „Der Standort zwischen den Verkehrsachsen des Columbiadamms, des Tempelhofer Damms und der Stadtautobahn ist für Familien mit Kindern, die in Ruhe im Grünen leben wollen, nicht attraktiv“, meint er.

Erster Wettbewerb entschieden

Senatsbaudirektorin Regula Lüscher verteidigt die Planung. Nach dem ersten Ideenwettbewerb für das am Columbiadamm geplante Columbia-Quartier, sagte sie, das Areal sei sehr wohl „ein geeigneter Standort zum Wohnen“. Die Ergebnisse des Wettbewerbs zeigten, dass hier „ökologisch-nachhaltig und zugleich schön gebaut werden“ kann. Gleich drei Architekturbüros und Landschaftsplaner wurden bei dem Wettbewerb als Sieger gekürt. Darunter das Büro Graft Architekten aus Berlin, das durch den Entwurf einer Villa für Hollywood-Star Brad Pitt bekannt wurde. Der Entwurf des Büros sieht vor, das neue Stadtquartier auf dem Flughafen durch große Häuserblöcke mit dem Wohnviertel an der Lilienthalstraße auf Kreuzberger Seite zu verbinden. Diese Idee soll zusammen mit den beiden anderen prämierten Vorschlägen Grundlage für die Überarbeitung des Gesamtplans für Tempelhof sein. Bei vielen Anwohnern kommen die Baupläne allerdings nicht gut an. Die Flughafenfläche solle „als grüne Lunge erhalten und nicht bebaut werden“, forderten Bürger bei einer Versammlung zur Gestaltung des Columbia-Quartiers. Es gebe schließlich schon genug Büro- und Wohnungsleerstand in Berlin.

Während die Pläne für die neuen Stadtquartiere noch heiß diskutiert werden, ist die Nutzung des alten Flughafengebäudes und der Freiflächen davor sehr viel konkreter. Die landeseigene Berliner Immobilienmanagementgesellschaft (BIM) verwaltet den Flughafen Tempelhof und vermietet die Flächen für Konzerte, Festivals und Sportveranstaltungen.

Einer der Hauptmieter wird die Modemesse Bread & Butter. Sie kehrt zum Sommer aus Barcelona nach Berlin zurück und wird alle Hangars, die Haupthalle und das Vorfeld in Tempelhof für zweimal einen Monat im Jahr nutzen – über einen Zeitraum von 10 Jahren. Der Regierende Bürgermeister fädelte den Abschluss des Mietvertrags ein. Was nach der Bekanntgabe der Pläne im Januar dieses Jahres auf den ersten Blick wie ein großer Erfolg aussah, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen jedoch als Problem. Denn wegen des langfristigen Mietvertrags mit der Bread & Butter ist eine dauerhafte ganzjährige Nutzung der Hangars durch andere Interessenten nicht mehr möglich. Die Filmstudios Babelsberg erklärten denn auch ihr Konzept für einen „Filmhafen Tempelhof“ für gescheitert. Die Filmstudios wollten mehrere Hangars für Dreharbeiten nutzen. Auch die Pläne für einen Themenpark zur Luft- und Raumfahrt, die der Luftfahrtverband Berlin-Brandenburg Aerospace Allianz e.V. mit dem Technikmuseum entwickelt hatte, scheinen kaum mehr eine Chance zu haben. Besser sieht es für das AlliiertenMuseum aus, das seinen Sitz von Dahlem nach Tempelhof verlegen will. Dem Museum sollen attraktive Flächen zur Verfügung gestellt werden. Auf Betreiben des Regierenden Bürgermeisters wurde extra ein Sonderkündigungsrecht für den Hangar 7 im Mietvertrag mit der Modemesse verankert. Diesen Hangar würde das Museum gerne nutzen, weil der U-Bahnhof Paradestraße nicht weit entfernt ist.

Die Opposition kritisiert Wowereit für den Mietvertrag mit der Bread & Butter. Hauptvorwurf ist mangelnde Transparenz. Weil der Senat die Vertragsdetails nicht offen lege, lasse sich nicht überprüfen, ob das Geschäft vorteilhaft für Berlin ist, wie Wowereit behauptet, bemängeln CDU, Grüne und FDP. Nur inoffiziell wurde bekannt, dass die Modemesse jährlich 1,65 Millionen Euro Miete bezahlt. Um den Flughafen messetauglich zu machen, müssen vom Land Berlin jedoch noch fünf Millionen Euro investiert werden – unter anderem für neue Toiletten und eine bessere Belüftung und Beheizung der Hangars.
Trotz aller Kritik: Seitdem der Mietvertrag mit der Modemesse Bread & Butter bekannt wurde, interessieren sich immer mehr Veranstalter für den stillgelegten Airport. Täglich gibt es nach Angaben von BIM-Geschäftsführer Sven Lemiss bis zu 30 Anfragen. Nach der ersten Bread & Butter Anfang Juli findet vom 9. bis 11. Juli das Musikfeuerwerk Pyromusikale statt. Am 7. und 8. August steigt das Berlin-Festival, ein Open-Air-Konzert, zu dem sich unter anderem Peter Doherty und Jarvis Cocker angekündigt haben.

Öffnung des Geländes gefordert

Der Veranstalter des Berlin-Marathons, der SCC-Running, lädt vom 17. bis 19. September zur Messe Berlin Vital in den alten Flughafen. Hier holen die Läufer ihre Startnummern ab. Danach öffnet die Kunstmesse Preview Berlin vom 24. bis 27. September ihre Türen. Die Messe präsentiert parallel zum Art Forum Werke junger Künstler. Danach geht es wieder sportlich weiter: Vom 30. September bis 4. Oktober steht in drei Hangars sowie auf dem Flugvorfeld ein Reit- und Springturnier an. Während der Veranstaltungstage erwarten die Organisatoren 40 000 Besucher. Sportlich geht es auch im Herbst zu. Am 15. November lädt der SCC-Running zum Marathon-Staffel-Lauf. Bei dem Rennen wird die Marathon-Distanz von 42,195 Kilometern von Staffeln mit je fünf Läufern zurückgelegt.

Eine generelle Öffnung der Flugfeldes lässt indes noch immer auf sich warten. Zwar durften die Berliner am 12. Mai bei einem Tag der offenen Tür zum Gedenken an das Ende der Blockade vor 60 Jahren für ein paar Stunden auf das Areal, doch mehr ist bislang nicht vorgesehen. Die Initiative „Tempelhof für alle“ will dies nicht hinnehmen. Sie fordert „die umgehende Öffnung des Geländes“, wie sie versprochen wurde.

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Die Dächer sollten als Tribüne dienen

Die Schließung: Grundlage für die Einstellung des Flugbetriebs in Tempelhof bildete ein Beschluss der Bundesregierung und der Länder Berlin und Brandenburg aus dem Jahr 1996 zur Flughafenplanung in der Hauptstadtregion. Danach soll der gesamte Flugverkehr von den drei alten Flughäfen in Tegel, Tempelhof und Schönefeld auf einen einzigen neuen Airport konzentriert werden: auf den Flughafen Berlin Brandenburg International. Dieser soll bis zum Jahr 2011 am Standort Schönefeld gebaut werden.

Die Verantwortlichen: Der Bund sowie die Länder Berlin und Brandenburg entschieden 1996, dass der Flughafen Tempelhof geschlossen wird, sobald das Baurecht für den neuen Großflughafen in Schönefeld vorliegt. Für den Airport in Tegel legten die Beteiligten fest, dass dieser nach der Inbetriebnahme des neuen Großflughafens dichtgemacht wird. Das Bundesverwaltungsgericht gab 2006 grünes Licht für den Bau des neuen Flughafens. Allerdings unter der Bedingung, dass die Flughäfen Tegel und Tempelhof geschlossen werden. Danach setzte der Senat die Schließung des Tempelhofer Airports zum 30. Oktober 2008 durch.

Der Volksentscheid: Die Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof (ICAT) versuchte, die Schließung des Flughafens Tempelhof durch einen Volksentscheid zu stoppen. Doch scheiterte sie damit. Bei der Abstimmung im April vergangenen Jahres votierten zwar rund 530 000 Berliner für eine Fortsetzung des Flugbetriebs in Tempelhof, doch waren dies nicht genug. Für einen erfolgreichen Volksentscheid wären rund 610 000 Stimmen nötig gewesen – 25 Prozent der Wahlberechtigten.

Die Luftfahrtgeschichte: Mit der Schließung des Flugbetriebs ging in Tempelhof eine lange Geschichte der Luftfahrt zu Ende. 1909 hob dort auf einem Feld der Amerikaner Orville Wright erstmals in Deutschland mit einem motorbetriebenen Flugzeug ab und leitete damit das Zeitalter des Motorflugs ein. Am 8. Oktober 1923 wurde der Flughafen Tempelhof eröffnet und immer weiter ausgebaut. Unter den Nazis begannen 1936 die Arbeiten für einen komplett neuen Flughafen. Er sollte Platz schaffen für sechs Millionen Passagiere jährlich. Die Front der sieben Hangars erreichte eine Länge von 1 230 Metern. Die Dächer der Hangars wurden treppenartig gebaut, um als Zuschauertribüne für Flugveranstaltungen zu dienen. Bis zu 80 000 Menschen sollten auf den Tribünen Platz finden. Der Airport wurde jedoch nicht nur zum Fliegen genutzt. Zwangsarbeiter mussten während des Zweiten Weltkrieges in einem Tunnel Kampfbomber montieren.

Die Luftbrücke: Während der Blockade der drei Westsektoren Berlins vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949 diente der Flughafen Tempelhof als wichtigster Landeplatz der Luftbrücke der West-Alliierten. Amerikanische und britische Flugzeuge versorgten die zwei Millionen Einwohner elf Monate lang über den Luftweg mit Lebensmitteln, Medikamenten und Brennstoff.

Berliner Zeitung, 02.06.2009