"Die iranische Atomfrage hat eine neue, entscheidende Phase erreicht", sagte Außenminister Jang Jiechi gestern vor der UN-Vollversammlung in New York. Die beteiligten Parteien sollten so schnell wie möglich an den Verhandlungstisch zurückkehren. Die um eine Lösung des Atomstreits bemühten fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats - neben
China die USA, Russland, Frankreich sowie Großbritannien - sowie Deutschland hatten zuvor über den Stand des Konflikts beraten.
Wenige Stunden vor Jang hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dem
Iran eine "rote Linie" aufgezeigt, deren Überschreiten eine Militäraktion zur Folge haben könnte. Netanjahu illustrierte die Grenze mit der Zeichnung einer Bombe, die kurz vor der Fertigstellung steht. "Rote Linien führen nicht zum Krieg. Sie verhindern Kriege", betonte er. Netanjahu deutete an, dass noch bis zum Sommer 2013 Zeit sei, dem Iran von seinem Atomprogramm abzubringen. Bis dann werde die Islamische Republik genug angereichertes Uran zum Bau einer Bombe besitzen. Damit ließ der israelische Regierungschef durchblicken, dass mit einem möglichen Angriff auf die iranischen Atomanlagen nicht vor der Präsidentenwahl in den USA Anfang November zu rechnen sei.
Nach seiner Ansprache traf Netanjahu für 75 Minuten mit US-Außenministerin Hillary Clinton zusammen. Die Verbündeten sind sich uneins über ihr weiteres Vorgehen gegen den Iran. In Israel gab es enttäuschte Reaktionen darauf, dass Präsident Barack Obama bei seinem Auftritt vor der UN-Vollversammlung der Islamischen Republik kein klares Ultimatum im Atomstreit gesetzt hatte. Der im November um seine Wiederwahl kämpfende US-Präsident hatte allerdings deutlich gemacht, dass die Zeit für die Diplomatie nicht unbegrenzt sei.
Israel fühlt sich durch das iranische Atomprogramm bedroht und schließt eine Militäraktion nicht aus. Ein Angriff auf den Iran ist aber auch in Israel umstritten: Einer Umfrage für die Zeitung "Haaretz" zufolge fürchten 50 Prozent der Israelis für den Fall einer Konfrontation um das Überleben ihres Landes.
Die iranische Vertretung bei den UN wies die Äußerungen Netanjahus als "unbegründete und absurde Anschuldigungen" gegen ein Gründungsmitglied der Weltorganisation zurück. Die Islamische Republik behalte sich das Recht auf Selbstverteidigung vor.