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Merken   Drucken   30.09.2012, 17:51 Schriftgröße: AAA

Neckermann-Insolvenz: Arbeitnehmer klagen an

Mit Neckermann geht wieder ein deutsches Traditionsunternehmen verloren. Weil die Belegschaft zu unflexibel war? Keineswegs. Eine Klarstellung aus Arbeitnehmersicht.
© Bild: 2012 FTD.de/Dieter Fehrenz, Neckermann.de
Kommentar Mit Neckermann geht wieder ein deutsches Traditionsunternehmen verloren. Weil die Belegschaft zu unflexibel war? Keineswegs. Eine Klarstellung aus Arbeitnehmersicht. von Wolfgang Thurner
Wolfgang Thurner ist Gewerkschaftssekretär von Verdi und Mitglied des Aufsichtsrats der Neckermann.de GmbH.
Die vorläufigen Insolvenzverwalter haben am 27. September 2012 das Ende des traditionsreichen Versandhandelsunternehmens Neckermann zum 30. September verkündet - das bittere Aus für eine Marke, mit der die meisten Bundesbürger im Laufe ihres Lebens zu tun hatten: in der Werbung, beim Stöbern im Katalog, als Kunden.
Während der vorläufigen Insolvenz wurde deutlich, was Verdi vorher bereits vermutet hatte: Der Karren befand sich in tiefem Morast. Neckermann hat über einen langen Zeitraum nicht kostenbewusst gewirtschaftet. Kein Fehler der Beschäftigten, sondern Missmanagement. Als potenzielle Investoren Neckermann für eine mögliche Übernahme auf Herz und Nieren geprüft haben, waren die krassen Fehler nicht mehr zu verbergen. Erforderliche Investitionen wurden nicht getätigt. Zu teuer, zu komplex, zu alt sei die Informationstechnologie, mit der Neckermann arbeitet. So das einhellige Urteil derer, die sich für das Unternehmen interessierten. Vergleicht man diese Bewertung der Übernahmeprofis mit dem im Frühjahr präsentierten Vorhaben der Geschäftsführung, einen "profitablen Kern" von Neckermann freilegen zu wollen, muss man dem alten Management eine gehörige Portion Realitätsferne bescheinigen.
Wolfgang Thurner ist Gewerkschaftssekretär von Verdi und Mitglied ...   Wolfgang Thurner ist Gewerkschaftssekretär von Verdi und Mitglied des Aufsichtsrats der Neckermann.de GmbH
Dies zeigte sich auch in der Weigerung der Geschäftsführung, den ursprünglich geplanten Abbau von 1500 Beschäftigten sozial abzufedern. Es lässt sich kaum klären, ob das Management im Wissen um die tatsächliche Geschäftssituation Abfindungen vermeiden wollte oder ob der Eigentümer, der amerikanische Finanzinvestor Sun Capital Partners, die Geduld verloren hatte. Jedenfalls hat sich selten zuvor ein Arbeitgeber so hartnäckig geweigert, den Beschäftigten in ihrer dramatischen Lage finanziell durch Abfindungen entgegenzukommen. Aus Sicht von Verdi war damit eine neue Qualität in der Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite im Handel erreicht.
"There is no guarantee ...", erwiderte Paul Daccus, Manager bei Sun, Anfang Mai 2012 in einer Gesprächsrunde Arbeitnehmervertretern auf die Frage, ob Neckermann die Zahlung der Gehälter bis zum Ende der Kündigungsfrist verbindlich zusichern könne, wenn die Arbeitnehmervertreter im Gegenzug eine Massenentlassung ohne Abfindungen akzeptieren würden.
Die Positionen standen sich von Anfang an diametral gegenüber. Die Geschäftsführung wollte durch eine Restrukturierung eine Fokussierung des Unternehmens auf den Onlinehandel mit Technik und Möbeln erreichen. Nur rund 500 Arbeitsplätze sollten in Frankfurt erhalten bleiben. Die Restrukturierung wollte der Eigentümer mit 25 Mio. Euro zusätzlichem Kapital unterstützen. Für eine soziale Abfederung war hingegen kein Cent vorhanden.
Verdi und Betriebsräte stemmten sich gegen diese Kahlschlagpläne. Notwendige Bedingung waren dabei Abfindungen und die Errichtung einer Transfergesellschaft. Die Arbeitnehmervertreter legten ferner ein eigenes Fortführungskonzept vor. Es sah den forcierten Umbau von Neckermann zu einem Onlinehändler mit Printunterstützung vor. Das Textilsortiment sollte erhalten bleiben, weil damit höhere Margen erzielt werden können als im ausschließlichen Verkauf durch Vertriebspartner. Den Erhalt der Logistiksparte wollten die Arbeitnehmervertreter mit der Hereinnahme von Drittgeschäft durch andere Unternehmen ermöglichen. Summa summarum waren hierfür 50 bis 60 Mio. Euro zu investieren. Das Fortführungskonzept wurde abgelehnt, weil der Eigentümer seine kurzfristigen Renditeerwartungen über die mittelfristigen Ziele des Arbeitnehmervorschlages stellte.
In den Verhandlungen zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat über einen Sozialplan beharrte die Arbeitgeberseite auf ihrer Null-Cent-Linie. Nachdem sich kein Kompromiss abzeichnete, schwenkte Verdi auf die tarifpolitische Schiene ein und forderte den Abschluss eines Sozialtarifvertrags. Er beinhaltete Abfindungszahlungen und die Schaffung einer Transfergesellschaft. Ein Sozialtarifvertrag hat im Unterschied zu einem Sozialplan den Vorteil, dass er mit Arbeitskampfmaßnahmen durchsetzbar ist. Fünf Streiktage und eine Urabstimmung über einen unbefristeten Streik folgten. Am 17. Juli 2012 lag nach harten Verhandlungen ein bescheidenes Ergebnis vor. Dieses sah unter anderem die Gewährung von Abfindungen in Höhe von maximal 2,5 Monatsgehältern für den Verlust des Arbeitsplatzes vor. Das errechnete Finanzvolumen lag bei ca. 9 Mio. Euro und sollte dem Cashflow entnommen werden. Doch der Eigentümer glaubte selbst nicht mehr an die Story vom profitablen Kern. Am 18. Juli versagte Sun seine Zustimmung. Die weitere Finanzierung von Neckermann wurde gestoppt, und es musste der Gang zum Insolvenzgericht angetreten werden.
Neben hausgemachten Problemen bei Neckermann zeigt sich vor allem der Umgang eines Finanzinvestors mit dem Traditionsunternehmen: Was keine kurzfristige Rendite bringt, wird abgestoßen, ohne Rücksicht auf die Beschäftigten. Hier noch in verschärfter Form, weil der gesunde Menschenverstand, die Suche nach einem sozialverträglichen Kompromiss zwischen den Kontrahenten seitens der Arbeitgeberseite, schlicht negiert wurde. Gewerkschaften und Betriebsräte bemühen sich längst auch eigene Fortführungskonzepte zu entwickeln. Es geht nicht darum, gewerkschaftliche Ideologie durchzusetzen, sondern bestimmte Standards zu sichern. Tarifliche Bezahlung für Beschäftigte und kein Dumpingwettbewerb der Gehälter. Und finanzieller Verzicht von Beschäftigten muss mit Gegenleistung wie Arbeitsplatzsicherheit verbunden sein. Hier zeigt sich wieder einmal: Die angestellten Manager dürfen ungestraft lange unternehmerische Fehler machen (und kassieren dabei nicht wenig Salär). Wenn es dann schiefgeht, trifft es existenziell nur die Beschäftigten.
  • Aus der FTD vom 01.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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Kommentare
  • 01.10.2012 16:18:15 Uhr   Gast: Gewerkschaften..

    Ver.di hat wieder einmal ein Unternehmen platt gemacht. Lieber streiken als Arbeitsplätze sichern!

  • 01.10.2012 15:02:42 Uhr   Neckerfrau: Neckermann Insolvenz
  • 01.10.2012 09:20:15 Uhr   seppvomberg: @Gast
  • 01.10.2012 08:52:10 Uhr   Neckermann Freund: Neckermann Insolvenz
  • 30.09.2012 23:32:23 Uhr   Gast: Gewerkschaften
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