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  Artikel: Interview mit Prof. Dr. Pfeiffer (KFN)
Interview mit Prof. Dr. Pfeiffer (KFN)
[ 13 . September . 2005 ]
INTERVIEWFRAGEN: PETER C. KRELL, FOTOS: RIAN HELLER


GF: Herr Professor Pfeiffer, Sie sind Kriminologieexperte. Könnten Sie uns erklären wonach die Kriminologie fragt? Ich nehme an, nach den Ursachen des verbrecherischen Verhaltens...

Prof. Dr. Pfeiffer: Wir fragen als Kriminologen, wie Menschen Opfer werden, wie sie Täter werden und was für eine Biographie Vorraussetzung dafür ist, dass jemand ins Abseits rutscht. Dazu gehört auch sehr oft das Schulversagen, denn das ist oft der Einstieg in eine kriminelle Karriere. Also interessieren wir uns neuerdings auch für die Frage, ob beispielsweise stundenlanges Computerspielen und Fernsehen dafür von Bedeutung ist, wie am Ende des Jahres die Schulnoten ausfallen.

GF: In dem Zusammenhang steht auch ihre Forschung. Denn die Studie, die jetzt gerade fertig geworden ist, beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern der Computerspielekonsum zu schlechteren Schulnoten führen kann.

Prof. Dr. Pfeiffer: Wir haben gerade dazu bundesweit 23.000 Kinder und Jugendliche befragt, wieviel Zeit sie täglich mit Computerspielen und Fernsehen verbringen und natürlich auch, welches die Inhalte sind, die sie dabei bevorzugen. Was sich deutlich zeigt, ist ein extremer Unterschied zwischen Jungen und Mädchen. Jungen sind zu zwei Dritteln mit Spielen zu Gange, die eigentlich erst ab 18 freigegeben sind und als indizierte Spiele qualifiziert werden. Bei Mädchen ist das nur zu 14% der Fall und auch hier nur dann, wenn sie einen Bruder haben, der das Zeug in die Familie reingeführt hat. Das sind die Ergebnisse aus ersten Teilbefragungen.
Das Gesamtergebnis wird erst im Herbst vorliegen, aber schon jetzt ist dieser geschlechtsspezifische Unterschied deutlich erkennbar. Klar ist auch, dass die Jungen an den Schulen leistungsmäßig auf dem Abstieg sind, während die Mädchen deutlich die Führung übernommen haben.
Die Frage, die wir jetzt untersuchen ist: hängt das mit der sehr spezifischen Computerspielnutzung zusammen, die für die Jungen typisch ist.


GF: Wie kam es zu diesem Projekt? Dieses Projekt wurde ja auch mit einem relativ großen Fördervolumen gefördert...

Prof. Dr. Pfeiffer: Ausgangspunkt der Untersuchung ist die seit Jahren bekannte Tatsache, dass die Jungen in den Schulen immer mehr einbrechen. Als Beispiel: Vor 15 Jahren hatten wir noch etwa fifty-fifty bei denen, die die Schule einfach ohne Zeugnis abgebrochen haben. Heute sind das fast zwei Drittel Jungen gegen ein Drittel Mädchen; oder nehmen Sie das Gegenteil: dass Kinder wechseln dürfen von der Hauptschule zur Realschule oder von der Realschule zum Gymnasium. Hier haben wir heute eine Dominanz der Mädchen von 62% zu 38%. Früher war das 50:50. Daher stellt sich heute die Frage, was hat sich im Leben der Jungen so dramatisch verändert, dass sie auf einmal in den Schulleistungen so viel schlechter geworden sind? Eine der zentralen Faktoren ist die Playstation im Kinderzimmer. Vor 15 Jahren hatten wir das kaum. Neuerdings haben in der Altersgruppe von 12-16 fast zwei Drittel der Jungen so ein Gerät im Zimmer, so dass das Spielen von Computer- und Videospielen für viele zum dominierenden Freizeitinhalt geworden ist. Da liegt die Frage nahe: ist das der Faktor, der den Unterschied ausmacht? Pro Tag kommen Jungen auf 1 1/2 Stunden mehr Computerspielen als Mädchen und vor allem auf solche Inhalte, die nach Auskunft der Neurobiologen, für das im Kurzzeitgedächnis gespeichert Schulwissen gefährlich sind.

GF: Könnten sie das ein bisschen genauer erklären?

Prof. Dr. Pfeiffer: Die Hirnforschung hat herausgefunden, dass stundenlanges Computerspielen von Spielen, die als Ego-Shooter beschrieben werden und als äußerst gewalthaltige Spiele dann ihre Käufer finden, deutliche Konzentrationsmängel auslöst und dass Kinder, wenn sie vorher etwas gelernt haben und dann so etwas spielen, anschließend größere Probleme haben, sich an das Gelernte zu erinnern; mehr als solche Kinder, die nach dem Lernen zum Fußballspielen gegangen sind. Das wird jetzt systematisch im Rahmen unseres Projekts untersucht durch Neurobiologen einerseits, aber auch durch gedächnispsychologischen Untersuchungen, die andererseits wir durchführen. Die bisher vorliegenden Erkenntnisse zeigen aber eins klar auf: die Vielspieler unter den Kindern und Jugendlichen haben schlechtere Noten als die Wenigspieler. Die Vielseher haben schlechtere Noten als die Wenigseher. Auf den ersten Blick scheint da ein Zusammenhang zu bestehen. Um die genaue Erklärung bemühen wir uns jetzt im Rahmen dieses von der Volkswagenförderung unterstützten Projektes.

GF: Könnten Sie uns erklären, wie man dabei methodologisch vorgegangen ist? Sie haben vorhin erwähnt, dass von Ihnen 23.000 Schüler und Schülerinnen befragt worden sind....

Prof. Dr. Pfeiffer: Wir haben eine Querschnittsbefragung durchgeführt, die gerade abgeschlossen ist und bei der wir schlicht den bivariaten Zusammenhang von Schulleistungen einerseits und Computerspielen/Fernsehen andererseits gemessen haben. Aber es gibt hier natürlich auch eine Fülle anderer Faktoren, die mit eine Rolle spielen. Daher wird ein direkter kausaler Zusammenhang erst nachgewiesen und überprüft werden können durch ein Projekt, das in Berlin laufen wird. Da sind unsere Partner 8 jährige Kinder, die beim Einstieg in das Projekt in der 3. Klasse sind, die wir dann, 4 Jahre lang begleiten. Jedes Jahr werden wir dann messen, wieviel Zeit diese Kinder mit Computerspielen und Fernsehen verbringen und welche Inhalte sie bevorzugen. Wir erfassen hierbei auch ihre Schulnoten sowie ihre sonstigen Freizeitaktivitäten. Die Hypothese, die wir überprüfen, hört sich etwas schockierend an, aber man kann's kurz und knapp wie folgt zusammenfassen: Zu viel Fernsehen und Computerspielen, macht Kinder dick, krank, dumm und traurig.
Dick und krank liegt auf der Hand, Bewegungsarmut statt Fußballspielen, stundenlang hinter den Kisten sitzen, ist nicht gut für die körperliche Fitness und fördert, dass man fettleibig wird und damit eher anfällig für Krankheiten. Den Zusammenhang mit den schlechten Noten vermuten wir zur Zeit nur. Aber dies werden wir im Zusammenhang mit Intelligenz- und Leistungstests differenziert überprüfen.
Das mit dem Traurig ist bereits teilweise belegt worden, durch Untersuchungen, die Allensbach bei einer Repräsentativbefragung von Kindern durchgeführt hat. Dies hängt auch wiederum mit der Reduktion von Freunden und sozialen Kontakten zusammen. Denn wer mehrere Stunden am Tag mit Fernsehen und Computerspielen verbringt, hat weniger soziale Kompetenz, weil er zu wenig übt. Er streitet sich mit zu wenig anderen Kindern und lernt dadurch auch das Versöhnen im geringeren Maße. Er ist einfach nicht fit wie die anderen für das Leben. Er ist fit dafür, mit dem schnellen Finger, gut kombinierend Computeraufgaben zu lösen. Aber das ist nicht das Leben.
Dann überprüfen wir auch die psychischen Aspekte und auch da zeigen die bisherigen Aspekte klar auf, dass Kinder die so einseitig abfahren auf einen Medienkonsum als Hauptinhalt ihrer Freizeit, sozial verarmen und von ihrer psychischen Befindlichkeit her weniger gut drauf und schlicht trauriger sind. Das sind erste Befunde, die wir jetzt schon haben. Aber im Längsschnitt ist es differenzierter. Wir können genauer überprüfen, welches die besonders anfälligen Kinder sind, welche Rolle die soziale Schicht dabei spielt, wie verantwortlich dabei ein kaputter Familien Hintergrund ist. Ob das stundenlange Fernsehen und Spielen von Computerspielen vielleicht die Folge davon ist, dass die Eltern in Scheidung leben oder sich ständig streiten, und man geradezu hinter diese Kisten flüchtet? Ist der wahre Grund der größeren Traurigkeit, der geringeren Lebensfreude von Kinder, die viel Zeit mit diesen Kisten verbringen, dass sie in den Familien unglücklicher sind? -- All das wird durch die Längsschnittsstudie in Berlin überprüft werden können. Wir sind also mitten in einem Forschungsprozess, mit Hypothesen, für die gegenwärtig schon sehr viel spricht aus der laufenden Querschnittsbefragung von Kindern und Jugendlichen.

GF: Eine ihrer Hypothesen lautet also, dass ein übermäßiger Konsum von Games wohlmöglich als Indikator für schlechtere Schulleistungen zu werten ist, insbesondere für die von männlichen Jugendlichen.

Prof. Dr. Pfeiffer: Richtig. Wir haben bisher den Hinweis, dass stundenlanges Computerspielen für gute Schulnoten nicht sonderlich förderlich ist, indirekt auch dadurch belegt, dass Kinder, die als 10 jährige besonders viel Computerspiele spielen, überproportional häufig in der Hauptschule landen und Kinder, die im Vergleich dazu nur einen halb so hohen Computerspiele- Konsum hatten, primär ins Gymnasium kommen. Vielspieler haben also eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie an den Leistungsanforderungen scheitern, die nun mal für die Gymnasien heutzutage gelten und dass sie dann in der Hauptschule landen. Und wenn wir uns den Alltag von männlichen Hauptschülern anschauen, dann kommen die im Durchschnitt auf 5 Stunden Computerspielen und Fernsehen am Tag. Deren Freizeit ist dann geradezu absurd. Die verkümmern tatsächlich in ihrer Lebensgestaltung. Sie sind arm dran. Sie sind daher weniger in Musikaktivitäten zu finden, weniger in Sport-, weniger in Jugendgruppen und haben sozial deutliche Nachteile gegenüber anderen.

GF: Sie haben vorhin auch schon mal angedeutet, dass es darüber neuronale Befunde zu geben scheint, die die Hirnaktivitäten messen. Gibt es hierbei signifikante Unterschiede in der Neuro-Aktivität zu verzeichnen, wenn man den Fernseh- und den Spiele-Konsum der Kinder von einander separiert betrachtet?

Prof. Dr. Pfeiffer: Speziell im Bezug auf Computerspiele kam letzte Woche eine ganz neue Erkenntnis von amerikanischen Wissenschaftlern, die bei ihren neurobiologischen Untersuchungen eine reduzierte Entwicklung des Frontalhirns festgestellt haben. Dies ist insbesondere bei Kindern der Fall, die massiv Computer spielen und die sehr viele Stunden pro Tag mit Gewaltspielen verbringen. Daraus erwachsen für diese Kinder Konzentrationsprobleme. Wir lassen uns gerade die Veröffentlichung kommen, wir haben sie noch nicht lesen können, sondern nur den Kurzbericht, der in der amerikanischen Presse zu finden war. Wir haben das kürzlich mit unseren neurobiologischen Partnern der Universität Magdeburg diskutiert. Die hatten davon auch schon gehört, und halten es für plausibel, dass derartige Effekte ausgelöst werden können. Aber wir wollen es selber kontrollieren und werden also abwarten, was unsere eigenen neurobiologischen Untersuchungen an Ergebnissen erbringen werden in diesem Forschungsteam, das wir hier gemeinsam gebildet haben.

GF: Stimmt es, dass man bei diesen Untersuchungen vorrangig Gewaltspiele im Visier hat?

Prof. Dr. Pfeiffer: Das ist richtig. In erster Linie geht es um Gewaltspiele, die sich zum einen, so sagen es die Neurobiologen, besonders destruktiv sich auswirken auf das im Kurzzeitgedächnis gespeicherte Wissen und zum anderen möglicherweise auch Langzeiteffekte in der Hirnentwicklung auslösen. Denn als gesicherte Erkenntnis gilt: das Hirn von Kindern und Jugendlichen entwickelt sich dann besonders gut, wenn sie in einer Atmosphäre von Angstfreiheit und Geborgenheit aufwachsen. Die Hypothese lautet daher: diese massiven Gewaltexzesse, die in den Spielen präsentiert werden, bewriken auf Dauer eine zu hohe seelische Belastung und verändern damit die Rahmbedingungen für eine günstigere Hirnentwicklung. Das ist etwas Neues, dass offenbar Umweltfaktoren eine Rolle spielen dafür, dass Kinder sich gut entwickeln. Was wir aber schon wissen ist, dass Kinder, die viel geprügelt werden, nicht etwa durch die Schläge auf den Kopf Hirnschäden haben, weil es mechanische Auswirkungen sind, die das auslösen. Nein, durch die Seelenschocks entfaltet sich das Hirn nicht so positiv, wie in einer Familie, deren Erziehungspraxis von Liebe und Geborgenheit geprägt ist. Daher lautet die Hypothese jetzt: Gewaltspiele haben möglicherweise ähnliche Effekte wie direkt beobachtete Gewalt des Vaters gegen die Mutter, gegen Geschwister oder gegen einen selber?

GF: Betrifft dies sowohl Gewaltvideos als auch Gewaltspiele?

Prof. Dr. Pfeiffer: Richtig. Unsere Hypothese, die wir überprüfen, heißt, dass Gewaltspiele hier eine besonders starke Wirkung entfalten und dass deshalb, weil Kinder durch die eigene, aktive Rolle des Spielens emotional noch viel stärker involviert sind und diese Ängste noch viel stärker durchleben, als wenn sie sich in der passiven Rolle des Zuschauers befinden, wie zum Beispiel bei einem Kinobesuch. Also heißt die Hypothese, dass das Spielen noch destruktiver in der Wucht ist, als das Betrachten von Filmen und auch das wird im Rahmen des Projektes gerade überprüft.
Wie? Ganz einfach: wir lassen 400 Menschen am Computer dasselbe lernen und schicken dann eine Hunderter Gruppe zu einem aktiven Gewaltexzess Computer spielen. Eine andere geht in einen brutalen Film. Die dritte in einen harmlosen Film und der Rest darf sich sportlich beschäftigen, wie er will zum Beispiel: Fußball spielen, Volleyball spielen oder sonst was. Danach messen wir die Erinnerungseffekte an das vorher Gelernte.
Die Hypothese ist klar, dass die Computerspiele-Gruppe, die Gewaltspiele gespielt hat, am wenigsten im Kopf behalten haben wird, am zweitwenigsten die, die den Gewaltfilm sehen, mittel gutes Ergebnis bei denen, die den normalen Film betrachten und das beste Ergebnis vermuten wir bei der Sportler-Gruppe.

GF: Zum Thema "Gewalt und Games" war in Bayern vor kurzem eine MBA Tagung geplant worden, diedann aber mangels Branchenbeteiligung kurzfristig abgesagt werden mußte. Glauben Sie, dass dies einen generellen Gestus in der Branche zur Gewaltfrage in Games reflektiert?

Prof. Dr. Pfeiffer: Das kann ich nicht beurteilen. Aber gerade heute wurden wir erschreckt durch eine Meldung der Presse, wonach in den U.S.A. eine Schadensersatzklage gegen den Hersteller eines Computerspiels läuft. Warum? Weil Jugendliche die sehr intensiv dieses Spiel gespielt haben, die Handlung des Spiels nachzeichnend, 3 Polizisten erschossen haben, und genau das nachgespielt haben, was sie vorher rollenmäßig im Spiel gelernt haben. Ich will nicht behaupten, dass Computerspielen generell solche Gewalttaten auslöst - auch Filme nicht. Aber es ist aus der Forschung schon bekannt, dass eine kleine Kerngruppe von ungefähr 5% männlicher Jugendlicher unter Umständen tatsächlich doch durch solche Filme und solche Spiele Handlungsmuster lernt, die destruktiv sind. Dies betrifft vor allem solche ohnehin hoch gefährdeten Jugendlichen, die schon auf Grund familiärer Rahmbedingungen in der Krise stecken, die nach Orientierung suchen, die sehr ungefestigt sind und dann tatsächlich durch das Spielen selber auf einen falschen Kurs kommen können.
Dafür spricht manches, und der Prozess in den U.S.A ist ein riesiger Schadensersatzprozess, der sicher all den sachverständigen Akteuren der Szene auf diesem Gebiet Gelegenheit bieten wird, ihr Fachwissen auszubreiten.

GF: Auch bei dem internationalen akademischen DIGRA Konferenz der Games Forscher in Vancouver, Canada, wurde dieser Fall interessiert diskutiert. Ebenso wie der Fall des koreanischen Lineage Spielers, der von seinem Freund und Mitspieler mit einem Küchenmesser erstochen wurde, da er ein virtuelles Spiele Item für ihn für 500 US Dollar auf Ebay verkauft hatte. Kann man Ihr Statement im Bezug auf die doch relativ kleine Gruppe der hochgefärdeten Jugendlichen auch so auslegen, dass Sie inzwischen im Bezug auf Games eine etwas moderatere Position beziehen, als sie es vor kurzem in unseren Vorgesprächen noch getan haben?

Prof. Dr. Pfeiffer: Nein, denn ich habe nie behauptet, dass Gewaltspiele und -filme aggressiv machen. Wir haben immer in unserem Institut die These vertreten, dass nur eine kleine Gruppe von Hochgefährdeten, wie zum Beispiel Robert Steinhäuser, der schon ohne das Computerspielen völlig von der Rolle war, von Nachahmungseffekten betroffen ist. Aber nicht die breite Masse. Die Mehrheit der Jugendlichen führt das Computerspielen nicht zu Nachahmungseffekten. Die werden durch das Computerspielen nur schlechte Schüler und das wiederum kann dann auslösen, dass sie aus ihrem Frust, ein schlechter Schüler zu sein, aggressiv werden - aber nicht durch direkte Nachahmung, sondern mehr durch das mißlungene Leben, in dem das Computerspielen eine zu gewichtige Rolle bekommen hat.

GF: Sie treten also doch nicht auf wie eine Art von Inquisitor, der Computerspiele verbieten will, sondern Sie warnen eigentlich nur und sagen: "Halt! Hier ist eine Gefahr, auf die aufmerksam gemacht werden muss." Aber wie denken Sie, kann man die Ergebnisse einer solchen Studie dann einsetzen, um damit in der Öffentlichkeit ggf. Aufklärung zu betreiben?

Prof. Dr. Pfeiffer: Gestützt auf die Erkenntnisse dieser Studie, entwickeln wir Schulprogramme und Unterrichtsprogramme für die verschiedenen Altersgruppen und Schultypen und Programme für Elternabende. Auf unterhaltsame Weise sollen die Kinder mit kleinen, eingestreuten Filmen, in denen Computeranimationen von beispielsweise kleinen Mickey Mouse Figuren oder ähnlichem eingebunden sind, fasziniert und spielerisch über die potentielle Gefährdung des im Kurzzeitgedächnis gespeicherten Schulwissens, wenn man sich solchen Gewalt-exzessen aussetzt, informiert werden.
Wir wollen sie auch über alle anderen Forschungserkenntnisse informieren, die wir gesammelt haben und die Eltern gleichermaßen. Gleichzeitig wollen wir ihnen aber klar machen, dass es unverzichtbar ist, souverän den Computer zu beherrschen. Dass die Fähigkeit, "Google" zu nutzen, zentral wichtig ist und alles andere wie zum Beispiel das Internet und was alles Tolles mit dem Computer verbunden ist, und dass es auch Spiele gibt, die richtig Spaß machen, die anturnend sind als nette, interessante Freizeitunterhaltung. Also, wir sind keine Bilderstürmer die behaupten: "Fernsehen und Computer sind des Teufels!" Das sind sie nicht. Es gibt wunderbare Filme, die zu sehen einen persönlich weiterbringen können, die Diskussionen auslösen, die einen unterhalten, die den Spaß im Leben erhöhen. Daher suchen wir eine realistische Perspektive zu der Frage: Was ist ein vernünftiger, sich gut ins Leben integrierender Konsum von Computerspielen und Fernsehen? Und wir hoffen, dass wir im Laufe der Zeit Unterrichtsinhalte entwickeln, die von den Kindern akzeptiert werden und dazu beitragen, dass das gleichgewichtig wird, dass Computerspielen durchaus einen Standort hat, aber nicht so dominierend wird, wie es gegenwärtig im Leben mancher Kinder stattfindet.

GF: Würden sie sich auch für eine qualitative Verbesserung der Spiele aussprechen?

Prof. Dr. Pfeiffer: Es gibt ja Spiele die sehr konstruktiv sind, die wie Schachspielen sind, wo man den Geist trainieren kann, wo man toll unterhalten wird und wo man soziale Verknüpfungen konstruktiv abarbeiten kann. "The Sims" als Beispiel. Solche Spiele, denke ich, wollen wir ja gerade im Hinblick auf die Forschung auch daraufhin untersuchen, ob sie nicht mit diesen Negativeffekten begleitet sind. Deswegen fragen wir die Kinder auch ganz genau, was sie spielen, und wir hoffen im Zuge unseres Forschungsprozesses klären zu können, ob es Spiele gibt, die eher förderlich oder zumindest harmlos sind und wo bestenfalls der Zeiteffekt dann das Problem ist, aber nicht der Inhalt. Da wage ich jetzt noch keine Prognose, aber wir sind offen für die Variante, dass es qualitativ hochwertige Spiele gibt, die die Entwicklung von Kindern in keiner Weise behindern, sondern in Teilen sogar eher fördern.

GF: Wenn ein Kind aufgrund des Konsums von Spielen dem Unterricht nicht mehr Folge leisten kann, weil es von den Spielen her eine ganz andere neuronale Stimulanz gewohnt ist, die ihm im Unterricht geboten wird, ließe sich auch fragen, ob nicht neue Lehrmittel her müssen, um diesen neuronalen Stimulanzien möglicherweise auch im Unterricht gerecht zu werden.

Prof. Dr. Pfeiffer: Ich stimme ihnen zu, dass es gegenwärtig für manche Lehrern äußerst schwierig ist, die Aufmerksamkeit der Kinder über längere Zeit zu bündeln, weil sie vom Fernsehen und Computerspielen so intensive Reize gewohnt sind, dass das, was der Lehrer macht, ihnen langweilig erscheint. Darauf muss sich die moderne Pädagogik einstellen: Sie kann nicht so tun, als ob es diese Computerwelt nicht gibt im Leben der Kinder, und von daher geht es uns darum, auch in diesem Projekt zu lernen und den Lehrern das weiterzuvermitteln, wie Unterricht gestaltet werden muss, damit er den Computer- und Fernsehgewohnheiten der Kinder ein bisschen eher entspricht, als dies jetzt der Fall ist. Wir sind nicht mehr in den 50er-Jahren, sondern eben in einer Zeit, in der man diese Art von Freizeitbeschäftigung einfach unterstellen muss. Nicht total kapitulierend, denn wir hoffen immer noch, da ein Gleichgewicht zu erzeugen. Die Ganztagsschule ist da die große Hoffnung, wenn die Kinder von 14-17 Uhr aktiv in sportliche Aktivitäten eingebunden sind, in einem Programm, das ich "Lust auf Leben wecken" nennen würde. In solch einem Programm könnten Kindern nachmittags direkt ins Theaterspielen, ins Musikmachen und in alle möglichen Sportarten eingebunden werden. Dann würde sich auch ihr Leben viel gleichgewichtiger gestalten, und dann könnte auch das abendliche Computerspielen nicht mehr dieses Übergewicht bekommen, was es gegenwärtig bei vielen Kindern hat, die um 2 Uhr nach Hause kommen. Niemand ist zu Hause. Die machen sich das Essen warm und setzen sich vor ihre Playstation. Dieses Leben würde ja schon vermieden werden, wenn der Staat endlich seine Verantwortung wahrnimmt und auf die moderne Zeit reagiert, indem er nachmittags die Kinder voll versorgt mit einem tollen, faszinierenden Angebot, was ihrer Bewegungsarmut entgegenwirkt, was ihnen soziale Kompetenz vermittelt, Spielfreude fördert und damit auch für das Wochenende andere Inhalte schafft, die die Kinder gerne unter der Woche fortführen. Denn, wenn die Kinder unter der Woche Fußball trainieren, dann wollen sie am Wochenende auch Tore schießen. Dann wird dieses Übergewicht des Computerspielens nicht mehr geben. Ich setze daher in erster Linie darauf, dass der Staat in erster Linie auf diese Moderne Kinder- und Jugendwelt reagiert, indem er Ganztagsschulen für alle, flächendeckend organisiert.

GF: Das ist natürlich eine Frage, die jetzt unseren Rahmen ein bißchen übersteigt. Ich glaube aber, wenn man Spiele jetzt so bewertet, wie Sie es tun, dass bald schon eine qualitative Neubewertung stattfinden muss und es dadurch möglich werden könnte, zwischen guten, schlechten und mittelguten Spielen zu differenzieren. Ein solch qualitativer Umdenkvorgang könnte mit sich bringen, dass man Aufklärung auch in dem Sinne betreibt, dass man Lehrangebote schafft, die in Richtung Spiele- Entwicklung - statt reinem Konsum - gehen und ein Verständnis für diese Games bei Kindern von der Macherseite her ermöglichen, so dass man bei Kindern und Jugendlichen ähnlich wie beim Theater und beim Film ein Verständnis fördert für dieses neue Medium.

Prof. Dr. Pfeiffer: Ich würde mir eine Interaktion zwischen den Computerspiele-Herstellern und Psychologen und Pädagogen wünschen, damit diese ihnen beibringen, was gefährlich ist, was weniger problematisch ist. Auch die Neurobiologen müssten ins Spiel geholt werden. Wir bräuchten eine ganz andere Kommunikation zwischen denen, die jetzt solche Forschungen durchführen - wie unser Team beispielsweise - und den anderen, die Computerspiele herstellen oder auch für ihre Verbreitung sorgen, sie in Zeitschriften bekannt machen, Werbung betreiben, etc.
Gestützt auf unsere Forschungsbefunde, müßten wir dann auch der anderen Seite klar machen, wie massiv sie die psychische und soziale Entwicklung von Kindern gefährdet, wenn sie diese brutalen Gewaltexzesse immer weiter treibt und damit auch dazu beiträgt, dass Kinder - zum Teil jedenfalls - in große Schwierigkeiten geraten.

GF: Beim antiken Drama war es ja damals so, dass man auch die Herstellung jener Dramen im Wettkampf betrieben hat. Ähnlich könnte es bei der Produktion von Computer- und Videospielen prinzipiell auch funktionieren.

Prof. Dr. Pfeiffer: Der Markt ist es ja im Grunde genommen der, der den Wettkampf bestimmt. Vielleicht könnten wir dies beeinflussen, indem wir Preise vergeben für besonders konstruktive, tolle Computerspiele, die dadurch dann Werbung bekommen, weil der Staat sie prämiert. Wir haben doch auch das "Spiel des Jahres" in der Spieleindustrie...

GF:...aber das sind doch meistens Marktpreise für Spiele, die sich besonders oft verkauft haben...

Prof. Dr. Pfeiffer: Nein, nein da wird Pädagogik gelobt. Das "Spiel des Jahres" ist ein Label, was Spiele bekommen, die von einer Jury als pädagogisch besonders wertvoll angesehen werden und gleichzeitig auch einen beachtlichen Markterfolg haben. Die Kombination von gut hergestellt, so dass es sich ordentlich verkauft und intelligent entwickelt, so dass es sozial nützlich ist. Das könnte ich mir auch für Computerspiele vorstellen. Wir haben bisher noch so zu sagen für "Mensch ärgere dich nicht" diese Jury, als ob das heute noch der Alltag der Kinder wäre. Da haben wir nicht umgeschaltet. Wir sollten auch eine kritische Bewertung von Computerspielen vornehmen und auf diese Weise erreichen, dass die Rückenwind erhalten, die wiederum Spiele kreieren, bei denen dann nur der Zeitfaktor das Problem ist.
Wir selber können aufgrund unserer bisher bekannten Forschungsergebnisse noch nicht einschätzen, ob es diesen Glücksfall gibt, dass Kinder einen sehr moderaten, zeitlich akzeptablen Umgang mit Computerspielen finden, die aus Sicht der Kinder sozial als Lernprogramme sinnvoll sind, die Intelligenz fördernd sind, die Strategiespiele sind, aber nicht auf der "Gewaltexzessseite" stehen. Es mag sein, dass wir am Ende des Forschungsprozesses solche Spiele identifiziert haben, die nicht in Konkurrenz zu Schulnoten stehen, sondern im Gegenteil dem Kind eine gute Balance ermöglichen. Da sind wir offen für Lernen durch Forschung und sehen, wo wir in 4, 5 Jahren stehen.

GF: Ich glaube, Sie hatten mal erwähnt, dass bei diesen Spielen eine reine Gewaltvermeidung nicht das Ziel sein kann, gerade weil männliche Jugendliche Gewalt bzw. Codierungen der Gewalt in Spielen fordern.

Prof. Dr. Pfeiffer: Ja, man wird davon ausgehen müssen, dass männliche Jugendliche nun mal sehr auf Gewalt fixiert sind. Also begehen wir eine Art von Gradwanderung, wenn wir herausfinden wollen, ob es Computerspiele gibt, die "ein bisschen" Gewalt beinhalten, ohne Angst auslösend zu sein und gleichzeitig emotionale Entwicklungen zu triggern, die dann wiederum gefährlich werden für das flüchtig gespeicherte Schulwissen. Das sind offene Fragen. Da wage ich hier keine Aussage. Wir wollen das im Zuge der Forschung mit erfassen. Die Neurobiologen werden das austesten und am Ende werden wir in der Lage zu sein, darauf eine Antwort zu geben.

GF: Gut, das würde aber auch ein völliges Verbot von Computerspielen ausschließen.

Prof. Dr. Pfeiffer: Klar, denn ein völliges Verbot von Computerspielen halte ich auch für markttechnisch gar nicht durchsetzbar. Durchsetzbar ist nur, dass wir Kinder zu einem moderaten Gebrauch von Computerspielen animieren und ihnen und den Eltern bewußt machen, welche destruktive Wucht gewalthaltige, als Ego-Shooter bezeichnete Computerspiele entfalten.

GF: Wie ausbaufähig ist dieser Forschungsansatz, den sie verfolgen? Läßt sich dieser Ansatz auch internationalisieren?

Prof.Dr.Pfeifer:Wirsind in engem Kontakt mit amerikanischen und englischen Wissenschaftlern.Da ist ohnehin eine internationale Kommunikation imGang und als ich unser Projekt neulich in Brüssel vorgestellt habe, merkte ich, dass da auf europäischer Ebene ein riesiges Interesse vorhanden ist. Es ist ohnehin klar, dass unsere Ergebnisse komplett auf englisch publiziert, zu Kenntnis genommen und miteinander kommuniziert werden.
Hier lernen wir auch von den Kollegen in anderen Ländern, insbesondere von den Amerikanern, die uns in Puncto neurobiologischer Forschung ein Stück voraus sind, wo wir jetzt freilich ein Element von Forschung planen, das dort noch nicht stattgefunden hat.

GF: Vielleicht läßt sich daran anschließend kurz fragen: wie kann man heute zur Entkriminalisierung der Jugend beitragen?

Prof. Dr. Pfeifer: Die sicherste Methode ist es, den Jugendlichen im Leben Chancen zu vermitteln. Und das fängt schon im Kindergarten an und nicht erst in der Schule. Denn die entscheidendsten Fehler werden bei uns im Kindergarten begangen, wo wir es zu lassen, dass zum Beispiel gerade türkische Kinder in einer Kindergartengruppe unter sich bleiben. Wir wissen aus Forschungsdaten, dass von solchen Kindern weniger als 10% anschließend das Gymnasium erreichen werden. Wenn wir aber auf eine gesunde Mischung achten, wenn wir denen intellektuell einen tollen Kindergarten bieten, wo sie gefördert und gefordert werden, wo sie musische Erziehung genießen, dann wissen wir dass auch die Kinder sozialer Randgruppen wie türkisch Kinder oder die Kinder von Auswanderern bis zu 40% dann das Gymnasium erreichen können. Also, Lebenschancen vermitteln ist die sicherste Kriminalprävention. Das Zweite wäre darauf hinzuwirken, dass die Eltern gewaltfrei erziehen; und das Dritte, darauf zu achten, dass der Medienkonsum in Balance bleibt, so dass er nicht ausufert in stundenlanges hinter den Kisten sitzen.
Denn sollte dies geschehen, ist der nächste Schritt, dass die Noten schlechter werden und man aus dem Frust über schlechte Noten die Schule schwänzt, sich mit andern Jugendlichen verbündet, verbotene Dinge tut, sich auf illegale Weise Anerkennung verschafft und nicht mehr auf legale Weise.

GF: Interessant in diesem Zusammenhang könnte ein staatlich anerkanntes Ausbildungsprofil für Spieleentwicklung sein, das gefährdeten Kindern und Jugendlichen zusätzliche Anreize zum schulischen Engagement bietet und eine Karriere beispielsweise als Game Designer oder Game Experte in Aussicht stellt. Gibt es hierzu ihrerseits schon Überlegungen?

Prof. Dr. Pfeiffer: Ich glaube, dass wir in den Schulen Medienexperten brauchen. Lehrer, die eine Sonderausbildung haben und Kompetent an die Nutzung dieser Medien heranzuführen. Leher, die auch ständig auf dem neuesten Stand bleiben, denn die Forschung macht ja riesengroße Schritte, die in den Schulen gar nicht mehr ankommen. Hier muss also dafür Sorge getragen werden, dass der Umgang mit den modernen Medien in den Schulen immer auf dem letzten Stand der Erkenntnisse basiert. Das muss ein Anliegen sein! Wir beginnen jetzt damit, unsere Erkenntnisse in die Schulen zu transferieren und dort Multiplikatoren auszubilden - also Lehrer und Lehrerinnen, die in der Lage sind, dann unsere Erkenntnisse in Elternabenden und speziellen Unterrichtseinheiten umzusetzen. Und das, was wir jetzt gerade probeweise in Oldenburg und im Landkreis Soltau/Fallingborstel testen, das wird hoffentlich später ein Programm für die Republik werden.




www.kfn.de/profdrpfeiffer.shtml

gepostet von Peter Krell
 
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