STRASSBURG, 01.07.06 (dpa) -
Jan Ullrich und Rudy Pevenage brüten mit
Anwalts-Hilfe über Verteidigungsstrategien, T-Mobile wartet auf
weitere Unterlagen der spanischen Polizei und die Öffentlichkeit ist
geschockt: Der wahrscheinlich größte Doping-Skandal der Radsport-
Historie hält die Sportwelt in Atem. «Das Doping hat die Tour de
France geköpft. Dem Radsport droht ein langsamer Tod», schrieb das
spanische Blatt «Marca». Die italienische Zeitung «La Repubblica»
verglich die Tour, die am Samstag mit dem Prolog begann, mit einem
«60 Kilometer schnellen Leichenzug».
Nachdem sich Ullrich in die Opfer-Rolle geflüchtet hatte und in
die Schweiz zurückkehrte, warteten am Samstag im sonnigen Straßburg
auch viele deutsche Fans mit Pro-Ullrich-Spruchbändern auf den Start
der Rumpf-Tour, zu der nur noch 176 Profis antraten.
Über Pevenage kursierten am Samstag von der Guardia Civil
dokumentierte SMS-Texte mit der Schlüssel-Figur der Affäre, dem
Gynäkologen Eufemiano Fuentes. Datum der codierten Handy-
Kommunikation zwischen dem Ullrich-Betreuer und Fuentes: Einen Tag
vor dem Zeitfahren des Giro d'Italia, das der T-Mobile-Kapitän
überraschend gewann. «Ich kann dazu erst etwas sagen, wenn ich die
Polizei-Unterlagen vorliegen habe und dann gegebenenfalls einen
Anwalt eingeschaltet habe. Ich habe mir nichts zu Schulden kommen
lassen», sagte der nach Gent/Belgien zurückgekehrte Pevenage der dpa.
Ullrich hatte vor seiner Abreise zu seinem Wohnort am Vortag
erneut seine Unschuld beteuert. «Ich bin in einem absoluten
Schockzustand», sagte er, «das ist das Schlimmste, was mir bisher in
meiner Karriere passiert ist.» Er sehe sich als Opfer und werde
versuchen, seine Unschuld mit Hilfe eines Anwalts zu beweisen. «Ich
kann nur sagen, dass ich nach wie vor nichts mit der Sache zu tun
habe.»
Team-Verantwortliche hatten ihm «als eine Option»
(Kommunikationsleiter Christian Frommert) nahe gelegt, seine Unschuld
mit einer DNA-Analyse zu beweisen. Darauf hat Ullrich bisher nicht,
beziehungsweise ausweichend reagiert. Die «L'Équipe» veröffentlichte
am Samstag eine von der Polizei sichergestellte Liste, in der vier
Mal ein Zusammenhang zwischen dem Codenamen «Jan» mit manipulierten
Blutkonserven und Wachstumshormonen hergestellt wurde.
Die Berufskollegen von Ullrich wirkten wenige Stunden vor dem
Tourstart noch schwer getroffen. «Das ist schockierend. Aber damit
der Radsport nach dem Skandal von 1998 jetzt wirklich eine Lehre
daraus zieht, müssten sich vielleicht mal alle an einen Tisch setzen:
Fahrer, Teamchefs, Organisatoren und Journalisten, um zu ergründen,
wie es weiter gehen soll», regte Routinier Georg Totschnig vom Team
Gerolsteiner an. Im Vorjahr gewann der Österreicher seine erste Tour-
Etappe. Sein Teamchef Hans-Michael Holczer sprach von der «vielleicht
letzten Chance des Radsports, daraus wirklich zu lernen».
«Abartig diese Blutpanscherei», meinte der Berliner Jens Voigt,
dessen Kapitän Ivan Basso (Italien) unter schweren Verdachts-Momenten
auch nach Hause geschickt worden war. Tour-Debütant Markus Fothen hat
mit den neun ausgeschlossenen Fahrern «kein Mitleid, auch, wenn ich
vor keinem Fahrer so viel Respekt wie vor Ullrich hatte». Selbst «als
Insider im Profimetier» sei der 24-Jährige vom Team Gerolsteiner von
den Ausmaßen der Affäre, dem «organisierten Verbrecher-Kartell»
schockiert gewesen.
T-Mobile-Manager Olaf Ludwig, der auf «weitere Unterlagen aus
Spanien» wartet, fürchtet nicht um die Existenz seines Rennstalls.
Sponsor T-Mobile, der pro Saison bisher geschätzte 11 Millionen Euro
dafür locker machte, hatte sich nach dem Ende der vergangenen Saison
auf eine Verlängerung des Engagements bis mindestens 2008 festgelegt.
«Ich schließe einen vorzeitigen Rückzug aus. T-Mobile steht weiter
zum Team und zum Radsport», sagte der Ex-Profi, der positive
Anzeichen dafür sieht, dass der Profiradsport doch noch
Überlebenschancen hat: «Zum ersten Mal haben alle Beteiligten,
Teamchefs, Sponsoren und Organisatoren eine klare Linie im Anti-
Doping-Kampf bezogen.»