STRASSBURG, 30.06.06 (rsn) -
Der Radsport-Supergau vollzog sich am Freitag um kurz nach halb Zehn in einem Elsässer Dörfchen namens
Plobsheim unweit von Straßburg. Im noblen Golfresort Klempferhof, einer grünen
Erholungsoase, sollte das Tour-Team von T-Mobile in stilvollem Rahmen den
Medien präsentiert werden.
Doch der Bus mit Jan Ullrich und Co. machte
noch auf der Fahrt dorthin Kehrt und es folgte einer der schwärzesten
Tage der Tour de France-Geschichte.
In der idyllischen Atmosphäre, die an die Kulisse einer Rosamunde-Pilcher Verfilmung erinnert,
gab es unter den rund 100 Journalisten von Anfang an nur ein Thema. Der Dopingverdacht
gegen Jan Ullrich lag nicht nur sprichwörtlich auf dem Tisch, das Titelbild der Equipe mit
dem Konterfei des Verdächtigten T-Mobile-Stars erinnerte auch den letzten Optimisten daran,
dass hier keine heile Radsportwelt herrscht, sondern das Thema "Dopage" über dem größten Radrennen der Welt hängt.
Die Stimmung an diesem sonnigen Morgen dennoch betont gut bei den beiden Vertretern des
T-Mobile-Teams. Keine trübselige Miene, keine besorgten Blicke. Smart und mit einem
Lächeln bitten Christian Frommert, Kommunikationschef von T-Mobile, und Teamsprecher Luc Eisenga die Journalisten
zur Präsentation. Doch zu dieser kommt es erst gar nicht. Normalerweise würden wir Ihnen hier gerne
die Fahrer präsentieren. Wir haben neue Erkenntnisse, wenige Minuten alt, so Frommert, der gefasst und alles
andere als überrascht wirkt.
Schon seit Tagen hatte der T-Mobile-Mann
deutlich eine Distanz zu Ullrich spüren lassen.
Man habe vor wenigen Minuten ein Fax der ASO erhalten, das neue Erkenntnisse,
klare Hinweise der spanischen Ermittlungsbehörden beinhalte,
sagte er nun. Die versammelten Medienverteter erfahren im
nächsten Satz, dass das T-Mobile-Team die Fahrer Jan Ullrich, Oscar Sevilla sowie den sportlichen Leiter
Rudy Pevenage suspendiert und von der Tour zurückgezogen hat.
Um 9:41 Uhr läuft die erste
Eilmeldung über
den Ticker der DPA.
Teampräsentation ohne Fahrer
Fotos: Roth
"Aufgrund der Dokumente,
die uns die Tour de France-Organisation
übermittelt haben,
sehen wir keine Möglichkeit,
mit den drei Personen weiter
zusammenzuarbeiten.
Wir haben jetzt begründete Zweifel an deren Unschuldsbekundungen,
mit der Affäre nichts zu tun zu haben. Selbstverständlich werden
Ullrich, Sevilla und Pevenage die Möglichkeit haben, ihre Unschuld zu
beweisen", sagte T-Mobile-Sprecher Christian Frommert
bei der Teampräsentaion ohne Fahrer.
"Wir haben Informationen
bekommen, die keinen Zweifel daran lassen,
dass sie in die Affäre
verwickelt sind",
sagte Teamsprecher Luuc Eisenga,
der vor wenigen Tagen in den ARD-Tagesthemen die Frage, ob Jan Ullrich gedopt sei,
mit einem klaren Nein beantwortet hatte.
Die Entscheidung über
Ullrichs Ausschluss sei gemeinsam
getroffen worden von der sportlichen Leitung
und der Führung des Sponsors,
sagte Teamchef Olaf Ludwig.
"Wir haben mehrmals mit den
Fahrern gesprochen und ihre Unschuldsbeteuerungen sogar in
schriftlicher Form vorliegen. Es gibt klare Richtlinien, die mit den
Fahrern vereinbart sind und die keinen Interpretationsspielraum
lassen. Dies war auch Jan Ullrich, Oscar Sevilla und Rudy Pevenage
bekannt", so Ludwig.
Ullrich erfuhr telefonisch von der
Entscheidung, als er
mit dem Rest der Mannschaft
auf den Weg zur
Teamvorstellung
war. Der Teambus kehrte sofort
um und brachte Ullrich und Co.
zurück ins Teamhotel
in Blaesheim,
das von TV-Teams und Reportern umlagert ist.
T-Mobile nominierte
den Erfurter
Stephan Schreck
und den Italiener
Lorenzo Bernucci
für die Tour,
Die werden aber nicht zum Einsatz kommen,
da für die ausgeschlossenen Profis
kein Fahrer nachrücken darf.
Von "Ersatz"
hätte man ohnehin kaum sprechen können
nach dem vermutlichen
Karriereaus des
Topstars der Mannschaft.
"Das ist einer
der schwierigsten Momente
für unsere Mannschaft",
sagte Eisenga.
Ullrich verschwindet
derweil
ins Teamhotel, das mehr und mehr
von Reportern und Kamerateams umlagert wird (s.Story).
Pevenage stürmt
an ihnen vorbei und braust im Privatauto
davon.
Am Nachmittag kommt ein Teamsprecher
zu der Meute und
kündigte ein Statement
Ullrichs an. Fragen werde
er keine beantworten.
Ullrich trat dann mit
versteinertem Gesicht
vor die Presse.
In seiner
kurzen Ansprache ging
er nicht darauf ein,
wie oder ob es mit seiner Karriere
nun weitergehen wird.
"Das ist das schlimmste,
was mir in meiner Karriere
passiert ist", so
der suspendierte T-Mobile-Star.
Er sei "geschockt",
sagte er. "Ich fühle mich als Opfer",
so Ullrich. Er wolle
sich ein paar Tage Auszeit nehmen und
dann "meine Unschuld beweisen".
"Jetzt bin ich am Boden, aber ich werde weiterhin kämpfen",
kündigte der gebürtige Rostocker an, der seit Jahren in
Scherzingen/Schweiz lebt.
"Das ganze Team ist natürlich deprimiert", meinte der (ehemalige) T-
Mobile-Kapitän. Er habe sich aber gegen einen Rückzug seiner
Mannschaft von der 93. Tour de France ausgesprochen. "Die sollen für
mich mitfahren."
Auch Basso, Mancebo und Astana-Würth
Ein paar Kilometer weiter
und ein paar Minuten zuvor
war der andere große Tour de France-Favorit
aus dem Hotel geflüchtet
und hatte sich auf den Weg Richtung Heimat gemacht.
Auch Ivan Basso ist in
die Fuentes-Affäre verwickelt,
auch er wurde von seinem CSC-Team suspendiert
(s.Story),
genauso wie der Spanier
Francisco Mancebo, der
schon das Handtuch geworfen hat
und aufhören will (S.Story).
Insgesamt neun
Fahrer wurden auf Druck der Tour
von ihren Teams suspendiert.
Das Astana-Würth-Team,
das sich gerade erst am Donnerstag
vor dem obersten Sportgericht
sein Tourstartrecht erkämpft hatte,
wurde ganz von der Tour de France ausgeschlossen.
Sind bei den anderen Teams nur ein oder zwei Fahrer in die spanische Dopingaffäre verwickelt, so sind
es bei dem Team, dessen Chef Manolo Saiz nach der Polizeirazzia verhaftet worden war,
insgesamt mindestens neun,
fünf davon stehen im Tourkader:
Dabei handelt es sich um den Portugiesen Sergio Paulinho, den Australier Allan Davis sowie die Spanier Isidro Nozal,
Alberto Contador und Joseba Beloki.
Damit hätte Astana nur noch mit vier Fahrern bei der Tour antreten
können. Nach dem Reglement muss eine Mannschaft aber mit mindestens sechs Fahrern
starten.
Der ebenfalls in die Affäre verwickelte Deutsche Jörg Jaksche hatte seinen Tourstart abgesagt und war am
Donnerstag "wegen Magenproblemen" abgereist.
Tourchef Christian Prudhomme sagte am Mittag: "Bei Astana deutet viel auf ein organisiertes Dopingsystem hin.
Wir bedauern, dass diese offiziellen Informationen nicht schon gestern vorlagen vor der Entscheidung
des Sportgerichtshof (TAS)."
Bitter ist das besonders für
Tourmitfavoriten Alexandre Vinokourov:
Der Tourdritte von 2003 steht selbst
gar nicht unter Dopingverdacht,
muss aber nun auch heimfahren (s.Story).