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Beginn von Maßnahmen zur Wiederansiedlung der Ostgroppe in den Feldberger Seen
Dr. Martin Krappe und Dr. Arno Waterstraat – Gesellschaft für Naturschutz und Landschaftsökologie (GNL) e. V., Kratzeburg und Dr. Rüdiger Bless, Meckenheim

Einleitung

Die Ostgroppe (Cottus poecilopus) ist ein kleiner zur Familie der Cottidae gehörender Grundfisch (Abbildung 1), der nah mit der in Deutschland weit verbreiteten Westgroppe (Cottus gobio) verwandt ist. Neben zeitweise ausgeprägter Territorialität und einem interessanten Brutpflegeverhalten sind die heimischen Groppen in ökologischer Hinsicht vor allem durch ihre Wärmeempfindlichkeit und Sauerstoffbedürftigkeit zu charakterisieren. Die Ostgroppe selbst kann wohl als die temperaturempfindlichste mitteleuropäische Süßwasserfischart bezeichnet werden. In das Gebiet der südbaltischen Tieflandebene wanderte sie zum Ende der letzten Eiszeit am Rande der Gletscher ein. Dort konnte sie nachfolgend aber nur in wenigen Seen als „Glazialrelikt" überleben. Bei diesen Seen handelt es sich um geschichtete, nährstoffarme Gewässer, die den Tieren während der Sommermonate ein Ausweichen in das kalte und sauerstoffreiche Tiefenwasser erlauben. Eine weitere, nur in wenigen Seen gegebene Voraussetzung ist das Vorhandensein steinig - geröllhaltiger Uferzonen, die eine Reproduktion der typischen Höhlenbrüter ermöglichen. Aus dem Gebiet der südbaltischen Tieflandebene sind historische Vorkommen nur aus dem Hancza-See (Abbildung 2) und dem Einzigsee (Polen), dem Großen Plöner See und dem Schöhsee (Schleswig Holstein) sowie aus den in Mecklenburg-Strelitz gelegenen Feldberger Seen (Breiter und Schmaler Luzin, Zansen) sicher belegt. In Deutschland gilt die Art seit den 70er Jahren als ausgestorben. Die vermutlich letzte der südbaltischen Seenpopulationen findet sich heute in dem nahe der litauischen Grenze gelegenen Hancza See. In nördlich und südlich angrenzenden Regionen (Skandinavien, Karpaten) kommt die Art hingegen noch in einer größeren Zahl von Fließgewässern vor.

Das Projekt REFUG (Voruntersuchungen)

Unter Förderung durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) wurde im Jahr 2001 ein Erprobungs- und Entwicklungsprojekt (E+E) gestartet, das den Schutz der gefährdeten glazialen Reliktfauna der Feldberger Seen durch einen ganzheitlichen Gewässerschutz zum Ziel hatte. Im Blickpunkt standen neben der Ostgroppe die Luzinmaräne (Coregonus lucinensis) und die Schwebgarnele (Mysis relicta). In einer auf zwei Jahre angelegten Voruntersuchung wurden durch die Gesellschaft für Naturschutz und Landschaftsökologie (GNL) Kratzeburg (Projektleitung), die Universität Wroclaw sowie das Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Berlin (IGB) Grundlagen für die Umsetzung effizienter Schutzmaßnahmen erarbeitet. Dazu gehörten eine umfassende Analyse des limnologischen Ist-Zustandes der Gewässer, einschließlich der Haupteintragspfade von Nährstoffen sowie vertiefte Untersuchungen zum Zustand der Populationen und zur Ökologie der Zielarten. Hinsichtlich der Ostgroppe wurden insbesondere die Fragen der Habitat- und Raumnutzung im polnischen Hancza-See untersucht. Parallel dazu erfolgten in den Feldberger Seen eine hochintensive Suche nach einer eventuell noch bestehenden Restpopulation und eine umfassende Habitatanalyse. Durch einen Taucher gemeldete Sichtungen von Ostgroppen im Breiten Luzin und im Zansen ließen sich im Rahmen der Untersuchungen nicht verifizieren.

Als Ursache für das Verschwinden der Art ist in erster Linie die Eutrophierung der ursprünglich oligotrophen Seen zu nennen. Sie führte zu Sauerstoffdefiziten im Tiefenwasser und verhinderte somit die Nutzung des Sommerlebensraumes. Daneben muss eine starke Schwächung der Population durch zeitweise hohen Aalbesatz vermutet werden. Auf Grund des ursprünglichen Fehlens eines oberirdischen Abflusses kam der Aal, in dessen Nahrungsspektrum die Ostgroppe gut passt, natürlicherseits nicht in den Feldberger Seen vor. Gegenwärtig können die Bedingungen im Schmalen Luzin durch die erfolgreiche Restauration in den 90er Jahren (Tiefenbelüftung mit kombinierter Calzitfällung) und die zurückgegangene Aalbewirtschaftung als wiederhergestellt betrachtet werden. Dieser Zustand wird aber nur durch eine weitere Reduzierung der Nährstoffeinträge und eine Beibehaltung der gegenwärtigen fischereilichen Bewirtschaftungsform langfristig bestehen bleiben. Breiter Luzin und Zansen weisen demgegenüber eine zu hohe Phosphorbelastung auf und erfüllen im Falle des Zansens auch auf Grund sehr hoher Aalbestände gegenwärtig nicht die Lebensansprüche der Groppe. Laichhabitate und Nahrungsorganismen (insbesondere Mysis relicta als „Tiefennahrung") stehen hingegen in allen drei Seen in ausreichender Menge zur Verfügung. Restbestände der Ostgroppe sind im Schmalen Luzin auf Grund einer völligen Ausstickung des Gewässers in den 80er Jahren sicher auszuschließen.

Die in der Vorstudie geforderten Maßnahmen setzen in erster Linie auf eine umfassende Sanierung des Einzugsgebietes der Seen. Darüber hinaus werden auch restaurative Maßnahmen in Erwägung gezogen. Neben der Ostgroppe können davon die anderen Glazialreliktarten ebenso wie eine Vielzahl weiterer anspruchsvoller Organismen (z. B. Armleuchteralgen) profitieren. Als Artenschutzmaßnahmen für die Ostgroppe wurde eine Bestandsstützung mit Besatzmaterial von Elterntieren der eventuell noch vorhandenen Populationen oder alternativ die Wiedereinbürgerung mit allochthonem Material empfohlen. Fischereiliches Management zur Reduzierung der Aalbestände sowie die Errichtung von Laichschongebieten sollten diese Maßnahmen unterstützen.

Stand der Umsetzung (REFUG- Hauptprojekt)

Dem Abschluss des REFUG-Vorprojektes im Dezember 2002 folgte ein mehrere Jahre andauerndes zähes Ringen um die Durchführung eines aus Mitteln des Bundes und des Landes Mecklenburg-Vorpommerns finanzierten Hauptprojektes, in dem das entwickelte Maßnahmenpaket zur Umsetzung gelangen sollte. Diese Bestrebungen haben sich nach zwischenzeitlich hoffnungsvollen Signalen aus dem BfN und dem Umweltministerium des Landes zu Beginn des Jahres 2006 zerschlagen. Innerhalb dieser Phase wurde durch die Beteiligten des sich „in der Schwebe" befindlichen Projektes jedoch weiter an der Gesamtkonzeption gearbeitet und mit einer Reihe von vorbereitenden Arbeiten begonnen. Mit groß angelegten Befischungsaktionen und Tauchereinsätzen wurde kontinuierlich nach Restbeständen der Ostgroppe in den Feldberger Seen gesucht. Diese blieben jedoch erfolglos, so dass mit hoher Sicherheit davon auszugehen ist, dass die Gewässer heute keine überlebensfähigen Groppenpopulationen mehr aufweisen. Weiterhin wurde die künstliche Reproduktion der Art erprobt und mit sechs Elterntieren aus dem Hancza-See erfolgreich durchgeführt. Damit stand im Frühjahr 2006 erstmals eine kleine Menge geeigneten Besatzmaterials zur Verfügung. Nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Bund und Land stellte sich akut die Frage nach dem Verbleib dieser ca. 100 Tiere, denn eine mittelfristige Hälterung der Nachzucht erforderte auf Grund ihrer territorialen Charakteristik eine Einzelhaltung der Individuen bei niedrigen Temperaturen. Dies würde einen erheblichen technischen Aufwand verlangen. Außerdem bestand nun ein zwingender Anlass, darüber nachzudenken, Teile des ursprünglichen Gesamtkonzeptes herauszulösen und über alternative Förderwege zu realisieren.

Entscheidungsfindung und Durchführung einer ersten Besatzmaßnahme

Um zu einer Lösung der aktuell mit der Ostgroppe zusammenhängenden Probleme zu gelangen, wurde am 2. Mai 2006 ein Expertengremium einberufen, das aus Vertretern der Umwelt- und Fischereibehörden des Landes, des BfN sowie ausgewiesenen Fischkundlern zusammengesetzt war. Im Ergebnis dieser Beratung wurde Einigkeit darüber erzielt, dass der baldigen Umsetzung aktiver Artenschutzmaßnahmen für die Ostgroppe eine hohe Priorität einzuräumen ist. Der Aufbau und die langfristige Sicherung eines überlebensfähigen Bestandes hat eine überregionale Bedeutung für den Fischartenschutz in Deutschland. Außerdem wird ein Beitrag zur Schaffung des günstigen Erhaltungsszustandes der Seen nach WRRL und FFH-Richtlinie sowie zur Reduzierung der Gesamtgefährdung der südbaltischen Seenpopulationen der Ostgroppe im EU-Maßstab geleistet. Durch mehrere Beratungsteilnehmer wurde ausdrücklich darauf verwiesen, dass das im Rahmen der Erstnachzucht produzierte Tiermaterial die Möglichkeit des Beginns einer künstlichen Wiederbesiedlung des Schmalen Luzins eröffnet. Diesem Vorschlag wurde nach ausführlicher Abwägung durch das Expertengremium zugestimmt. Insbesondere die Fragen der Bewertung unsicherer Groppennachweise aus den Feldberger Seen sowie der Herkunft des Besatzmaterials wurden im Vorfeld intensiv diskutiert. Obwohl der Bestand des Hancza- Sees auf Grund der räumlichen und ökologischen Nähe als Ausgangspopulation praktisch alternativlos erscheint, wurde von den anwesenden Wissenschaftlern die Durchführung genetischer Vergleichsuntersuchungen gefordert, wobei einem bereits parallel durchgeführtem Besatz jedoch mehrheitlich zugestimmt wurde. Weiterhin wurde eine Markierung des Besatzmaterials mit einer geeigneten Methode empfohlen. Genehmigungsrechtliche Bedenken wurden von den Anwesenden der zuständigen Behörden nicht hervorgebracht.

Nachdem alle erforderlichen Genehmigungen vorlagen, wurden am 18. Mai 2006 die ersten 73 Ostgroppen durch Mitarbeiter der GNL im Schmalen Luzin freigesetzt (Abbildung 3).Ein kleinerer Teil des zur Verfügung stehenden Besatzmaterials wurde zum Zweck der fortlaufenden Nachzucht zunächst zurückbehalten. Die zum Aussetzzeitpunkt etwa ein Jahr alten Tiere wiesen eine gegenüber den unter natürlichen Bedingungen vorzufindenden Verhältnissen gute Körpergröße (Æ Lt = 60,3 mm; Abbildung 4) und Korpulenz (Æ k = 1,104*10-5) auf. Im Vorfeld wurden sie mit Coded Wire Tags der Firma Northwest Marine Technology, einer seit vielen Jahren auch bei Kleinfischen bewährten Technik (Abbildung 5), markiert. Da im Schmalen Luzin bereits Anfang Mai eine stabile Temperaturschichtung ausgebildet war (17 °C an der Oberfläche), erwies es sich als notwendig, die an einen Temperaturbereich um 6 °C adaptierten Tiere durch Taucher in eine entsprechende Tiefe zu bringen. Die Freisetzung erfolgte in 20-22 m Tiefe im Bereich einer zuvor als besonders geeignet befundenen Gewässerhanglage. Es ist davon auszugehen, dass sich die Tiere bis zum Beginn des nächsten Frühjahres im Tiefenwasser aufhalten werden, wo sie vor Prädatoren weitestgehend geschützt sind.

Ausblick

Der durchgeführte Besatz mit Ostgroppen im Schmalen Luzin stellt im Rahmen der geplanten Wiederbesiedlung erst einen Anfang dar. Erfolge werden sich nur einstellen, wenn es zu einer kontinuierlich weiteren Bestockung kommt. Diese sollte jedoch andererseits auf einen absehbaren Zeitraum begrenzt sein. Vorgesehen ist zunächst der Aufbau einer zweiten Zuchtstation im Kleinmaßsstab, wodurch jährlich 250-500 Setzlinge erzeugt werden könnten. Von größter Bedeutung ist eine deutliche Verbreiterung der genetischen Ausgangsbasis. Dazu bedarf es der Einbeziehung weiterer Elterntiere aus dem Hancza- See. Eine durch die Entnahme von Tieren mögliche Schwächung dieses Bestandes ist nach derzeitigem Kentnisstand zwar nicht zu befürchten, könnte jedoch durch Besatz mit einem Teil der gezüchteten Nachkommen sicher ausgeschlossen werden. Neben den direkten Aufgaben der Besatzerzeugung sind wissenschaftliche Begleituntersuchungen wie die genetische Analyse der Besiedlungsgeschichte und Effizienzkontrollen auf populationsökologischer Basis erforderlich. Gegenwärtig werden verschiedene Varianten einer möglichen Finanzierung dieser aus dem REFUG- Projekt herausgelösten Teile geprüft. Perspektivisch wäre es wünschenswert, dass die hier offenliegenden Chancen einer deutsch - polnischen Zusammenarbeit verstärkt genutzt würden. Darüber hinaus bleibt zu hoffen, dass mittelfristig weitere Bausteine des REFUG- Konzeptes zur Umsetzung kommen.