Julius Raab: Baumeister der Republik und Techniker der Macht
Julis Raab

Beiträge

Aufzählung Der "Staatsvertragskanzler"
 

Lebensdaten

Aufzählung Geboren am 29. November 1891 in St. Pölten
Aufzählung 1914-1918 Sappeuroffizier im Ersten Weltkrieg
Aufzählung 1927-1934 Abgeordneter zum Nationalrat
Aufzählung 1928 Landesführer Niederösterreich der Heimwehr
Aufzählung 1938 Bundesminister für Handel und Verkehr
Aufzählung 1945 Staatssekretär für öffentliche Bauten
Aufzählung 1945-1964 Abgeordneter zum Nationalrat
Aufzählung 1945-1953 Klubobmann der ÖVP im Nationalrat
Aufzählung 1945-1959 Landesparteiobmann der ÖVP Niederösterreich
Aufzählung 1945-1964 Obmann des Wirtschaftsbundes
Aufzählung 1945-1953 Präsident der Bundeswirtschaftskammer
Aufzählung 1952-1961 Bundesparteiobmann der ÖVP
Aufzählung 1953-1961 Bundeskanzler
Aufzählung 1961-1964 Präsident der Bundeswirtschaftskammer
Aufzählung Gestorben am 8. Jänner 1964
 

Links

Aufzählung Biographie Encarta
Aufzählung Sozialpartnerschaft.at
 

Literatur

Aufzählung Peter Pelinka: Österreichs Kanzler. Von Leopold Figl bis Wolfgang Schüssel, Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2000
 

Von Walter Hämmerle

Vom Baumeister der Zweiten Republik, über den Kanzler des Staatsvertrages, kauzigen Virginiaraucher und beredten Schweiger bis zum ehrfurchtsvoll-spöttischen "Cäsar in Knöpferlschuhen" reichen die bildhaften Klischees über Julius Raab. Über keinen konservativen Politiker der Zweiten Republik gibt es so viele Veröffentlichungen, keiner fand seinen Weg so tief in das kollektive Bewusstsein seiner Landsleute. Zum Anlass seines morgigen 110. Geburtstages ein Rückblick auf Leben und Zeit von Julius Raab.

Markante Bilder und Anekdoten waren noch stets die besten Träger lebendiger Erinnerung. Auf diese Weise finden Schlaglichter großer Persönlichkeiten am leichtesten den Weg ins kollektive Gedächtnis ihrer Nachwelt. Es gehört dabei zu den erfreulicheren Seiten der menschlichen Natur, dass der Blick zurück stets ein milder, oberflächlicher ist. Die Gegenwart und ihre Repräsentanten haben es da in der Regel schwerer, die Öffentlichkeit ist eine andere geworden. Auch musste damals eine vielfach gespaltene Gesellschaft erst zusammengeführt, Gemeinschaft hergestellt werden. Heute überwiegt demgegenüber das Bedürfnis nach Unterschieden, der Vorrat an Gemeinsamem erscheint ausreichend und gilt deshalb schon als gesichert.

Im Fall von Julius Raab verschmelzen vor allem zwei Bilder zu einem:

Aufzählung Der Virginia rauchende Staatsvertragskanzler, führungs- und entscheidungsstark. Ruhe, Ordnung und Stabilität waren eben damals, im ersten Jahrzehnt nach 1945, die vorrangigsten Bedürfnisse der Österreicher.

Aufzählung "...der die Leut' dazu bringt zu tun, was er will": "Ich bin ein alter Politiker, ich hab immer geglaubt, ein großer Politiker ist nicht einer, der tut was die Leut' wollen, sondern einer, der die Leut' dazu bringt zu tun, was er will," so Raab 1961. In diesem Sinne war er tatsächlich ein großer Politiker. Wem sonst stünde es zu, die an ihn selbst gerichtete Bemerkung Nikita Chruschtschows beim zweiten Moskaubesuch 1958 "Sie sind ein Kapitalist" mit einem genüsslichen Zug an der Zigarre und einem "Nur ein kleiner Kapitalist, dafür sind Sie ein großer Kommunist" zu kontern?

Ein großer Politiker zu sein, hat zahlreiche Vorteile. Etwa eröffnet es die Chance, viel für sein Land, die Menschen und Interessen, die man vertritt, zu erreichen. Es birgt aber auch einige Risiken in sich. Zum Beispiel die Gefahr einsamer Entschlüsse und falscher Entscheidungen in wesentlichen Fragen. Dass es bei Raab nur bei der Gefahr blieb, war sicherlich nicht die geringste Leistung dieses Politikers.

Produkt einer anderen Zeit

Mit heutigen Augen betrachtet, war Raab als Mensch und Politiker das Produkt einer anderen Zeit. Nicht wenige Anekdoten über den Politiker handeln von seinem ausgeprägten Machtbewusstsein, seinem autoritären Führungs- und Entscheidungsstil. Julius Cäsar wird man von seinen Schulkameraden ja wohl doch nicht ganz ohne Grund gerufen.

Aus bürgerlichen Verhältnissen stammend, prägten Schule, Kirche, Gewerbe und Militär seine Vorstellungen von Disziplin und Autorität. Er verstand und lebte Autorität jedoch nicht als formale Hierarchie, vielmehr als wechselseitiges Verhältnis zwischen Vertrauen der und Obsorge für die von ihm Geführten. Früh Mitglied im CV, tritt er später der christlich-sozialen Partei bei, wird Gemeinderat und Bezirkssekretär in St. Pölten. 1927 entsandte Ignaz Seipel, Parteiobmann der Christlich-sozialen, Raab in die niederösterreichische Heimwehrbewegung, in der er zum eher gemäßigten Flügel dieser grundsätzlich anti-demokratischen Bewegung gehörte. Und obwohl er mit faschistischen Ideen nichts am Hut hatte, machte er doch beim "Korneuburger Eid" 1930 mit, jenem Bekenntnis zur Abschaffung der parlamentarischen Demokratie.

In den folgenden Jahren überwog das Bedürfnis nach Distanz zu Heimwehr und Politik, und Raab engagierte sich statt dessen für die Interessen der Klein- und Mittelunternehmen, was ihm 1938 für einige wenige Tage den Posten eines Handelsministers im letzten Kabinett Schuschnigg einbrachte. Haft und Konzentrationslager blieben ihm während der NS-Herrschaft erspart, um ein Aufenthaltsverbot für seinen Heimatbereich kam er allerdings nicht herum. Die Kriegsjahre verbrachte er als Bauleiter einer Wiener Baufirma. Zum Ende des Krieges stand er bereit: Als einer der Männer der ersten Stunde.

Kompromiss als Mittel zum Zweck

Es zählt das Ziel, der Weg dorthin gerät schnell in Vergessenheit. Raab hielt sich bis zum Schluss seiner politischen Karriere an diese Devise. Außenpolitisch hieß das große Ziel Staatsvertrag. An den Sowjets führte dabei kein Weg vorbei. Im Gegensatz zu vielen anderen Politikern weigerte sich Raab beharrlich, den russischen Bären sinnlos zu reizen und der weit verbreiteten Unzufriedenheit über die jahrelange Verzögerung des Staatsvertrages in Worten und Taten Ausdruck zu verleihen. Österreich war im übrigen auch gar nicht in der Position dazu, und Raab war sich dieses Umstandes voll bewusst, handelte auch dementsprechend. Die immerwährende Neutralität nach Schweizer Muster und auch noch einige andere Zugeständnisse an die sowjetische Besatzungsmacht führten schließlich zum großen Ziel. Am 15. Mai 1955 erhielt mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages Österreich seine Freiheit zurück. Der Staatsvertragskanzler war geboren.

Auch innenpolitisch war Raab ein Mann des Ausgleichs und überzeugter Vertreter des sozialpartnerschaftlichen Korporatismus, an dessen Aufbau er maßgeblich beteiligt war. Als Interessenvertreter, Parteiobmann und Kanzler befürwortete er die Zusammenarbeit mit den Sozialisten in Regierung und Sozialpartnerschaft. Diese waren ihm eben lieber am Regierungstisch als auf der Straße. Zahlreiche weit reichende sozialpolitische Gesetze und Maßnahmen wie etwa das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, die Arbeitszeitverkürzung oder der Familienlastenausgleich belegen, dass den Worten auch Taten folgten. Der Proporz - jenes System wechselseitiger parteipolitischer Neutralisierung, mit dessen Hilfe sich die Koalitionspartner zu kontrollieren suchten - war die Kehrseite dieser Zusammenarbeit.

Suche nach Neuem

Die Große Koalition hatte während der Kanzlerschaft Raabs ihre Blütezeit - spätestens mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages wohl auch ihre staatspolitische Rechtfertigung - bereits hinter sich. Beide Partner begannen, sich in ihrer gegenseitigen Umklammerung unwohl zu fühlen. So wurde erstmals Kritik am Bestehenden laut. Externe Beobachter sahen zuerst das größere Ganze: Sie hegten Zweifel an der grundsätzlichen Problemlösungskraft des bestehenden Systems der großen Koalition an sich. Kritisiert wurde vor allem der überbordende parteipolitische Proporz. Das Kosten-/Leistungsverhältnis des politischen Systems der Zweiten Republik stand erstmals am Pranger.

Die interne Kritik entsprang einer engeren Logik. Zugrunde lag ihr die Einsicht, dass Demokratie notwendigerweise auf Differenz beruht. Dies wurde nun auf die jeweils eigene Partei bezogen. Zumindest ein Schluss lag nahe: Ein solches Koalitionssystem lässt keinen Raum mehr übrig für die eigene politische Profilierung, den parteipolitischen Erfolg. So wuchs in beiden Parteien das Unbehagen am bestehenden Zustand, aneinander gekettet zu sein - und es mehrten sich die Versuche, diesen Zustand zu durchlöchern oder gleich ganz aufzubrechen.

Freiraum schaffen

Anfang der 50er Jahre war in weiten Teilen die Mangelwirtschaft der ersten Nachkriegsjahre überwunden, zentralistische Lenkungsmaßnahmen verloren ihre Berechtigung. Die Parameter wirtschaftspolitischen Denkens begannen sich grundlegend zu verschieben - eine Entwicklung, die für die strategische Positionierung der Parteien nicht ohne Folgen bleiben konnte. So erwuchs der ÖVP mit dem Verband der Unabhängigen ab 1949 ein Konkurrent um Wählerstimmen am rechten, wirtschaftsliberalen Rand. Die Volkspartei war zur Bewegung gezwungen und Raab öffnete die Partei nach rechts, um der neuen Konkurrenz begegnen zu können. Im Raab-Kamitz-Kurs fand die neue angebotsseitige, mit keynesianischen Elementen angereicherte makro-ökonomische Strategie ihren klarsten Ausdruck.

Der Kanzler Raab versuchte 1957 den strategischen Durchbruch seiner Partei. Anlass war die durch den Tod Theodor Körners notwendig gewordene Neuwahl des Bundespräsidenten. Raab schmiedete ein Wahlbündnis mit der 1956 ins Leben gerufenen FPÖ, der Nachfolgepartei des VdU: Gemeinsamer Kandidat wurde Wolfgang Denk. Der richtige Mann in der Hofburg, so das Kalkül, werde die Ausgrenzung der FPÖ beenden, die der Sozialdemokrat Körner 1953 dekretiert hatte. Am langfristigen strategischen Ziel Raabs, nämlich die Wählerschaft der neugegründeten FPÖ zu inhalieren, änderte dieser Schachzug nichts.

Das Manöver misslang, Denk unterlag Schärf und die Situation innerhalb der Koalition blieb, wie sie war - außer, dass der Stratege dahinter geschwächt war. Von nun an sollten es Landespolitiker der ÖVP wie Josef Krainer sen., Karl Gruber oder Josef Klaus sein, die forderten, die FPÖ langfristig in die eigenen Planungen miteinzubeziehen.

Am Ende ein Kontrapunkt

Ein würdevoller Abgang von der großen politischen Bühne blieb Raab verwehrt. Sein Verständnis von Politik und Führung fand sich mit den neuen Rahmenbedingungen nicht mehr zurecht. Nach außen fehlten zeitgemäße Antworten auf die neuen Probleme. Nach innen nagte die immer stärker werdende Kritik an der Unbeweglichkeit der Partei in der Zwangsjacke der großen Koalition an der Autorität des Staatsvertragskanzlers. Der Ruf nach neuen Männern wurde zunehmend lauter. Die Reformer unter Klaus wandten sich gegen die bisherige "Politik beim Weinglas und durch das Weinglas". Anstelle von Emotion, Opportunismus und Augenblickslösungen sollten nach deren Vorstellungen nun "neue Werte" wie Sachverstand, Systematik und dauerhafte Lösungen treten. Die Ära persönlich begründeter Autorität war fürs erste vorbei, an ihre Stelle trat der scheinbar neue Reiz der Technokratie. Die Konsolidierung der demokratischen Institutionen der Zweiten Republik rechtfertigte einen solchen Schritt durchaus.

Ein Schlaganfall im Jahre 1957 tat ein übriges. Im April 1961 trat Raab das Amt des Bundeskanzlers an Alfons Gorbach ab, klammerte sich jedoch noch an das Amt des Handelskammerpräsidenten. Bereits schwer krank stellte er sich nochmals in den Dienst seiner Partei und kandidierte 1963 gegen den Amtsinhaber, den Sozialdemokraten Adolf Schärf, für das Amt des Bundespräsidenten: Aussichtslos. Ein Jahr später, am 8. Jänner 1964 starb Julius Raab.

Seinem Wunsch gemäß sprach an seinem Grab nur ein einziger Redner: Leopold Figl, Freund und politischer Wegbegleiter über lange Jahre.

Verweis Österreichs Kanzler und Präsidenten