Das 15. Jahrhundert

Die kirchliche Entwicklung

Das seit 1378 bestehende "Große Abendländische Schisma" mit einem Papst, der in Rom residierte, und einem zweiten in Avignon, mit zwei Kurien, zwei Kardinalskollegien und zwei finanziell stark belasteten "Obödienzbereichen", hatte nicht nur in England und Frankreich zu landeskirchlichen Bestrebungen geführt, sondern wurde für ernsthafte Christen immer unerträglicher je länger es dauerte. Erste Versuche zur Beendigung des Schismas durch ein Konzil, das auf Initiative von Mitgliedern beider Kardinalskollegien in Pisa zusammentrat, endete 1409 mit einem noch größeren Desaster: das Konzil setzte die beiden in Rom und Avignon amtierenden Päpste ab und wählte einen neuen Papst mit der Folge, dass die beiden abgesetzten Päpste ihre Absetzung nicht als rechtmäßig ansahen, weiter amtierten und nun drei Päpste sich die Obödienzbereiche streitig machten. In der anschwellenden zeitgenössischen Literatur zum Schisma kristallisierte sich immer deutlicher neben dem Schisma ein anderer Themenbereich heraus, dessen Behandlung und Lösung Aufgabe eines Konzils sein musste: die "Reform der Kirche an Haupt und Gliedern". Immer mehr Theologen der aufstrebenden und zahlreicher werdenden Universitäten sahen, dass die Absetzung und Neueinsetzung von Personen nichts bewirkte, wenn nicht zugleich die kirchliche Hierarchie und deren Rechte neu definiert und ihre Pflichten verbindlich gemacht würden. Es ging um kirchliches Stellenbesetzungsrecht, um Ablasswesen, Predigt, Reliquienkult, Glaubensunterweisung in den Gemeinden, Abgaben an Papst und Kardinäle, Lebenswandel des Klerus. Seit dem 12. Jahrhundert war in Kleriker- und Laienkreisen die Forderung nach der "apostolischen Armut" aller Christen nicht erloschen: nach Armut und Verzicht auf Besitzstreben, wie man sie aus der Apostelgeschichte herauslas, und nach dem von allen richtigen Christen zu erfüllenden Gebot der Verkündigung. Bei Wyclif wie bei Jan Hus wurde die Bibel zum Hauptbezugspunkt. Die kirchliche Tradition wurde auf ihre Deckungsgleichheit mit den biblischen Geboten befragt und dort abgelehnt, wo sie als nicht der Bibel konform befunden wurde. Zur kirchlichen Tradition zählten Aussagen der Kirchenväter und Satzungen des Kirchenrechts; im Kirchenrecht waren alle Stellenbesetzungs-, Glaubenskontroll- und kirchlichen Rechtsverfahren, aber auch Sakramentenlehre, Sakramentenrecht und speziell das Eherecht verankert. Das heißt also, dass es bei der Forderung nach "Reform der Kirche an Haupt und Gliedern" um grundsätzliche Fragen kirchlicher Autorität und kirchlicher Struktur und um die verbindlichen Textgrundlagen für den christlichen Glauben ging.

Das seit dem Pisaner Konzil von 1409 verschärfte Schisma und die osmanisch-muslimische Bedrohung des Königreiches Ungarn führten dazu, dass der Luxemburger Sigismund, der jüngere Sohn Kaiser Karls IV., König von Ungarn (faktisch durch Heirat seit 1382, rechtlich seit 1387), Markgraf von Brandenburg und Kurfürst (rechtlich bis 1415, während er die faktische Verwaltung der Mark an die Hohenzollern gegeben hatte), nach dem Tod des Ruprecht von der Pfalz seit 1410 römisch-deutscher König (und als solcher seit 1411 allgemein akzeptiert) und wegen der Kinderlosigkeit seines älteren Bruders Wenzel Anwärter auf die Königswürde in Böhmen nach Wenzels Tod, sich intensiv für das Zustandekommen eines allgemein anerkannten neuen Konzils einsetzte. Nur eine geeinte Christenheit war nach seiner Überzeugung in der Lage, den vordringenden Osmanen in einer Art Kreuzzug wirkungsvoll entgegenzutreten. Der König gewann den Pisaner Papst Johann XXIII. (die römische Kirche zählt in der Zeit des Schismas die Avignonesischen und die Pisaner Päpste nicht als rechtmäßig), die von Sigismund ausgehende Einberufung eines Konzils nach Konstanz auch seinerseits durch eine Einberufungsbulle zu unterstützen. Das von 1414 bis 1418 in Konstanz tagende Konzil war aus der ganzen westlichen Christenheit gut beschickt. Es gliederte sich für Beratungen und Beschlüsse in Konzilsnationen entsprechend dem Vorbild der Universitäten (deutsche, französische, englische, spanische, italienische), was den Vorteil einer gleichmäßigeren Gewichtung der Interessen unabhängig von der Teilnehmerzahl der einzelnen "Nationen" bot und eine stärkere Berücksichtigung der strukturellen Unterschiede sicherte, die sich seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in der "ecclesia anglicana" und "gallicana" herausgebildet hatten. Hoch gestellte Laien nahmen während des gesamten Konzilsverlaufs an den Beratungen teil, doch waren nur die hoch gestellten geistlichen Amtsinhaber und die theologischen Doctores stimmberechtigt. Die komplexe Beratungsmaterie teilten die Konstanzer Konzilsväter in drei "causae" ein: die Beseitigung des Schismas und die Wiederherstellung der Kircheneinheit (causa unionis), die Kirchenreform (causa reformationis) und die Auseinandersetzung mit den Lehren des Jan Hus (causa fidei, Glaubensfrage).

Die Auseinandersetzung mit den Lehren des Jan Hus hatte für König Sigismund deswegen besondere Bedeutung, weil sie zu Unsicherheiten an der Prager Universität, in der Stadt Prag und in Böhmen geführt hatten und Sigismund als, wie er hoffte, zukünftiger König von Böhmen dort keine Unruhe dulden wollte. Als Schirmherr des Konstanzer Konzils und als römisch-deutscher König gewährte Sigismund Jan Hus einen Geleitsbrief, an den er sich aber nach der Verurteilung des Hus als Ketzer nicht mehr als gebunden betrachtete. Dies sollte gravierende Konsequenzen haben.

An der Prager Universität waren die Schriften des Oxforder Theologen Wyclif lebhaft rezipiert, abgeschrieben und diskutiert worden. Die Auseinandersetzung um die Anerkennung des auf dem Konzil von Pisa bestellten Papstes und die Maßnahmen des böhmischen Königs Wenzel zur Verstärkung der böhmischen Universitätsnation gegenüber der sächsischen, der bayerischen und der polnischen "natio" an der Prager Universität führten 1409 zum Auszug des Großteils der deutschen Magister und Scholaren aus Prag und zur Neugründung der Universität Leipzig. Aber auch innerhalb der in Prag verbleibenden "natio Bohemica" waren die Kontroversen groß. Wyclifs Armutsforderungen und seine Kritik an unwürdigen Inhabern kirchlicher Ämter stieß auf breite Zustimmung, weniger seine Abendmahlslehre und seine grundsätzlichen Überlegungen, wer und was Kirche sei. Jan Hus, Tscheche, Magister und zeitweise sogar Rektor der Universität, gewann nicht so sehr durch seine gelehrten Schriften als durch seine in tschechischer Sprache gehaltenen Predigten an der Prager Betlehemskapelle Anhang in breiten Kreisen der tschechischen Bevölkerung. Aus den Prager Scholaren wuchsen ihm Mitstreiter zu. Auf Wyclif fußend, jedoch weniger radikal als dieser, geriet er erst durch seine Schriften ab 1412 ins Kreuzfeuer der Kritik der Amtskirche. Vor allem seine Ablehnung des Ablasses und seine Berufung auf die Bibel als Quelle von Glauben und Kirche unter Ablehnung der Tradition (z. B. Interpretationen, theologische Systematik und Kirchenrecht), soweit sie nach seinem Verständnis nicht mit der Bibel im Einklang stand, machten die "causa Hus" als "causa fidei" zu einer Sache des Konzils.

Der zur Einberufung des Konzils mit Sigismund zusammenarbeitende Pisaner Papst Johannes XXIII. war von seiner Anerkennung durch die Konstanzer Konzilsväter ausgegangen und versuchte sich, als er erkannte, dass seine Erwartungen trügerisch waren, der Entscheidung des Konzils durch Flucht zu entziehen. Um seine Absetzung und die der beiden anderen Päpste verfügen zu können, dekretierte das Konzil, dass es für die in Konstanz anstehenden "causae" dem Papst übergeordnet sei (also eine auf die konkreten Fälle eingeschränkte Konzils "superiorität"). Das Konzil entschied danach auf Absetzung des Pisaner und Avignonesischen Papstes, während der Römische Papst zurücktrat. Da die Obödienzbereiche aller drei Päpste sich von ihnen lösten, war im Unterschied zu 1409 der Weg zur Kircheneinheit frei. Doch dachte keiner der Konzilsväter daran, auf einen Papst als Oberhaupt der Christenheit überhaupt zu verzichten; daher rückte nun die Frage in den Vordergrund, ob der neue Papst direkt oder erst nach Beratung der "causa reformationis" zu wählen sei. Unstrittig war, dass in Abweichung von der seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts bestehenden Verfahrensweise nicht die Kardinäle, sondern das Konzil den neuen Papst wählen solle. Während für viele schwierige Einzelprobleme Kompromisslösungen gefunden wurden, z. B. für die Verwendung der Mitglieder aller drei Kardinalskollegien und Kurien, und auch die "causa" Hus "gelöst" wurde, erwiesen sich die Diskussionen um die Reform als so kontrovers, dass eine schnelle Lösung nicht zu erwarten war. 1415 brach der Krieg zwischen England und Frankreich wieder aus. Aus Furcht vor dem schnellen Rückzug der Teilnehmer aus diesen beiden wichtigen Konzilsnationen aus Konstanz einigten sich die Konzilsteilnehmer auf das Vorziehen der Papstneuwahl. Der vom Konstanzer Konzil 1417 gewählte neue Papst Martin V. hatte kein Interesse an durchgreifenden Reformen. Er hielt am Anspruch auf Überordnung des Papstes fest und demonstrierte dies dadurch, dass er Konzilsentscheidungen als päpstliche Dekrete veröffentlichte; er beharrte auf dem päpstlichen Stellenbesetzungsrecht und den Reservationen sowie auf allen Abgaben, die er dringend für Restaurierungen in Rom und den Wiederaufbau der Verwaltung des Kirchenstaates brauchte. So kam es, wie viele befürchtet hatten: die "causa reformationis" wurde im wesentlichen vertagt. Der Papst schloss mit den einzelnen Konzilsnationen Konkordate, in denen er ihnen die Sonderrechte bestätigte und eine generelle Regelung von Stellenbesetzung und Abgaben auf ein zukünftiges Konzil verschob, für dessen Einberufung Fristen benannt wurden, das aber faktisch wegen des vom Papst geleisteten Widerstands gegen Konzilsansprüche ("Superiorität") erst 1431 in Basel zusammentrat.

Die vergleichsweise schnelle "Erledigung" der "causa" Hus erwies sich als Ausgangspunkt neuer Konflikte. Hus, der den Widerruf seiner Schriften verweigerte, wurde als Ketzer zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Das Urteil des kirchlichen, vom Konzil sanktionierten Inquisitionsprozesses musste von der weltlichen Gewalt, also vom römisch-deutschen König Sigismund bzw. in seinem Auftrag vollzogen werden. Während Hus auf die Geleitzusage vertraute, wollte Sigismund den Fortgang des Konzils nicht gefährden. Die Verbrennung des Hus wurde von dessen Anhängern dem König schwer angelastet. Die Empörung der Hus-Anhänger, die ihn nun als Märtyrer betrachteten, entlud sich in Aufständen in Prag, deren Aufregungen 1419 den Tod des böhmischen Königs Wenzel mitverursachten. Damit stellte sich in Böhmen die Frage der Königsnachfolge, denn die Nachfolge von Wenzels Bruder Sigismund lehnten die Hus-Anhänger ( "Hussiten") vehement ab.

Die nach Wenzels Tod ausbrechenden Hussitenkriege hatten religiöse und politische Ursachen. Sie offenbarten soziale und "nationale" Konflikte in Böhmen und machten die mangelnde Wehrstruktur des Reiches deutlich; Diskussionen um eine Reform der Reichsstruktur waren die Folge. In diesem Abschnitt sollen zunächst nur die religiös-kirchlichen Folgen interessieren. Noch während des Verfahrens gegen Hus in Konstanz wurde aus dem Kreis seiner Anhänger die Forderung nach dem "Laienkelch" erhoben, das heißt die Darreichung des Abendmahls in beiderlei Gestalt, Brot und Wein (Kelch), auch an die Laien, während die römische Kirche die Darreichung des Abendmahls nur in Gestalt des Brotes an die Laien praktizierte. Der "Laienkelch" ebnete nach den Vorstellungen der Amtskirche bei einer wichtigen sakramentalen Handlung den Unterschied zwischen Geistlichen und Laien ein und wurde daher von ihr abgelehnt. Sehr schnell entwickelte sich der "Laienkelch" zu einer zentralen, geradezu identitätsstiftenden Forderung der Hussiten. Daneben spielten, in den verschiedenen hussitischen Gruppen unterschiedlich stark ausgeprägt, andere Vorstellungen und Forderungen eine Rolle: die Forderung nach Sittenreinheit und Armut besonders (aber nicht nur) der Geistlichen, nach kirchlichen Mitentscheidungsrechten der Gemeinde, eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Ablehnung der kirchlichen Hierarchie, die Forderung nach freiem Predigtrecht, reservierte Haltung bis Ablehnung gegenüber Heiligen- und Reliquienkult und Ablasswesen. Nicht nur bei den Handwerkern, Tagelöhnern und einheimischen Kaufleuten der Städte Böhmens, auch bei vielen Bauern und Adligen fanden die hussitischen Forderungen Resonanz. Bei allen divergierenden Ansichten einigten sich die Vertreter der verschiedenen tschechischen Bevölkerungsgruppen 1419 auf die "Vier Prager Artikel", Predigtrecht auch für Laien, Beseitigung der weltlichen Herrschaft des Klerus, Beseitigung von Simonie (für den Klerus) und Beachtung der Armut (für alle) sowie den "Laienkelch"; nur die letzte dieser Forderungen wurde dauerhaft von allen hussitischen Gruppen aufrecht erhalten. Die Forderung nach dem Abendmahl in beiderlei Gestalt ( "sub utraque specie") bzw. nach dem "Laienkelch" ( lat. "calix" = Kelch) bildete die Grundlage für die Benennung der (gemäßigten) Hussiten als "Utraquisten" oder "Calixtiner". Sie, denen der größte Teil des tschechischen Adels angehörte, gewannen in der Bewegung politisch die Oberhand. Einzelne miltärische Führer wie Jan Ciska, viele vor allem in Südböhmen tätige Geistliche und ein beträchtlicher Teil der bäuerlichen Bevölkerung hingen revolutionäreren Gruppierungen des Hussitentums an, die egalitäre Vorstellungen für Eigentum und Gemeinwesen verfolgten und chiliastische (Endzeit) Erwartungen hegten.

Da Sigismund, die römische Kirche und die Böhmen benachbarten und daher von den Hussitenkriegen betroffenen Reichsfürsten keinen militärischen Erfolg gegen die bewaffneten Hussiten hatten, wurde die Hussitenfrage zur Hauptaufgabe eines neu zu berufenden Konzils, das nach langem Widerstreben Papst Martins V. 1431 in Basel zusammentrat und auch die Kirchenreform in Angriff nahm. Prägend für das Basler Konzil wurde sein Konflikt mit dem Papst, zunächst Martin V. und dann Eugen IV. (1431-1447), um die Frage der "Superiorität". Zweimal wurde das Konzil vom Papst suspendiert. Die Wiedereinberufung nach der ersten Auflösung verdankte das Konzil der Tatsache, dass es gegen den Willen des Papstes mit den Hussiten verhandelt hatte und 1433 mit deren utraquistischer Gruppierung zu einer Einigung gekommen war. Eugen IV. fürchtete, durch diesen Konzilserfolg von der Entwicklung abgehängt zu werden; gebilligt hat er die Vereinbarungen mit den Hussiten freilich nicht. 1436 brachen neue Konflikte zwischen Papst und Konzil um die Superioritätsfrage und um das geplante Unionskonzil mit der Ostkirche auf, das Eugen IV. durch die Einberufung nach Ferrara (dann nach Florenz verlegt) vom Basler Konzil trennte und unter seinen alleinigen Einfluss brachte. Dieser zweite Konflikt eskalierte bis zur Absetzung Eugens IV. durch das Basler Konzil und zur Wahl eines konziliaren Gegenpapstes gegen ihn, Felix V. (1440). Die Arbeitsleistung der Basler Konzilsväter in Reformfragen auch nach 1440 war beeindruckend, aber sie blieb für den weiteren Verlauf der Kirchengeschichte ohne große Wirkung, da Eugen IV. und dessen Nachfolger Nikolaus V. (bis 1455) sich mehr und mehr durchsetzten und weder die Vereinbarungen mit den Hussiten noch die Reformdekrete anerkannten. Eine französische Synode in Bourges schrieb die "gallikanischen Freiheiten", die seit 1409 vertretenen Sonderrechte der französischen Kirche in Fragen der kirchlichen Stellenbesetzung (Abbau der päpstlichen Reservatrechte), der jurisdiktionellen Rechte von Landessynoden Frankreichs und der Abgaben an Rom fest, und erreichte mit Unterstützung des Königs Karl VII. die Eintragung dieser Beschlüsse in die Rollen des Pariser Parlaments (oberster Gerichtshof des Königreiches), womit sie als "Pragmatische Sanktion von Bourges" 1438 für Frankreich verbindlich wurden. Während für Frankreich der Konflikt zwischen römischem Papst und Basler Konzil die Entwicklung zu einer Rom verbundenen, aber in Einzelfragen selbständigen "Landeskirche" stärkte, spiegeln die Lö sungen der kontroversen Kirchenfragen für Deutschland die Zersplitterung des Reiches. Zwischen den einzelnen territorialen Fürsten, auch den Reichsstädten, und den römischen Päpsten wurden Konkordate geschlossen, die bei allen Unterschieden ähnliche Tendenzen erkennen lassen wie die Pragmatische Sanktion von Bourges, nämlich den Abbau des päpstlichen Stellenbesetzungsrechts zugunsten von Besetzungsrechten der landesherrlichen Obrigkeit, die sich auch Visitationsrechte gegenüber den Klöstern und Gerichtsbarkeitsrechte gegenüber der Geistlichkeit sicherte. Während die landeskirchliche Entwicklung in Frankreich aber zugunsten des Königs wirkte, etablierten sich in den Territorien des Reiches die Anfänge des dann in der Reformationszeit ausgebauten "landesherrlichen Kirchenregiments".

Auf breiter Ebene blieb die Kirchenreform ungelöst. Als die letzten Basler Konzilsväter 1449 auseinandergingen, war der konziliare Aufschwung zu Ende, die Superiorität des römischen Papstes etabliert. Alle weiteren Konzilien der Kirchengeschichte waren wieder solche, die vom Papst einberufen wurden und seiner obersten Entscheidung unterstanden. Doch hatte die Diskussion um die Kirchenreform (und Kirchenstruktur) hohe Wellen geschlagen nicht nur in Theologenkreisen, sondern auch beim Kirchenvolk. Predigten und die Verbreitung religiöser Streitschriften in den Volkssprachen zunächst in Holzschnitt und Blocksatz, sowie religiöser Werke durch den sich durchsetzenden Buchdruck bewirkten, dass Reformforderungen, Kirchenkritik und Frömmigkeit aktuell blieben. Dies stellte den Nährboden, auf dem die reformatorischen Bewegungen des 16. Jahrhunderts gedeihen sollten. Der Autor des entsprechenden Kapitels im katholisch geprägten Handbuch der Kirchengeschichte (K. A. Fink, 1968), das unter dem Eindruck des 2. Vatikanischen Konzils (1962-1965) entstand, formuliert sein Fazit der konziliaren Epoche (III 2 S. 588) folgendermaßen: "Um die Mitte des 15. Jahrhunderts liegt, kirchengeschichtlich gesehen, der entscheidende Einschnitt zwischen Mittelalter und Neuzeit. Rom hat die Reform verhindert und dafür wenig später die Reformation erhalten".

Die vom Basler Konzil 1433 gefundene Einigung mit den Hussiten gewährte diesen als einzige Konzession den Laienkelch. Den radikalen Hussiten war dies zu wenig; sie wurden von der gemäßigten Gruppe militärisch vernichtet. Da die römischen Päpste die Einigung von 1433 nicht anerkannten, blieb die religiöse und politische Situation in Böhmen weiterhin brisant.

Das gegen den Willen der Basler Konzilsväter nach Ferrara-Florenz berufene Unionskonzil mit der byzantinischen Kirche blieb für die angestrebte Kirchenunion so wirkungslos wie das 2. Konzil von Lyon 1274. Die auf beiden Konzilien beschlossene Kirchenunion, bei der Rom alle Vorrangansprüche durchzusetzen wusste, wurde von den Gläubigen der Ostkirche nicht akzeptiert. Kulturhistorisch war die wichtigste Folge des Konzils von Ferrara-Florenz, dass viele griechische Gelehrte Kontakte nach Italien knüpften, wohin sie nach dem Fall Konstantinopels (1453) und nach den osmanischen Eroberungen, die dem Byzantinischen Reich das Ende bereiteten, flohen. Gelehrte Kreise im Westen profitierten nicht nur von ihren Griechisch-Kenntnissen, sondern auch von ihrer Vermittlung griechischen naturwissenschaftlichen und philosophischen Wissens (Neuplatonismus). Dies gab dem Humanismus starken Antrieb.

Westeuropa

Dass von Irland und Schottland bisher wenig die Rede war, liegt an der Konzentration der Darstellung auf die politische Geschichte größerer Reiche. Irland spielte mit der besonderen Form des dort entwickelten Mönchtums für Kontinentaleuropa zwischen dem 7. und 11. Jahrhundert eine wichtige Rolle (s. Kapitel 7. Jahrhundert). Die Ansiedlungen der rasch assimilierten Wikinger veränderten seit dem 9. Jahrhundert seine kirchliche und politische Struktur. Politische Geschlossenheit gewann es nicht und wurde seit dem 12. Jahrhundert ausgehend von seiner Ostküste von den anglo-normannischen Königen nach und nach erobert. Auf der britischen Insel bewahrte das keltische Wales bis ins 12. Jahrhundert seine Eigenständigkeit. Die endgültige Unterstellung der Walliser unter die Herrschaft der englischen Könige ist erst im frü hen 14. Jahrhundert erfolgt. Das mittelalterliche Schottland erfuhr kirchliche und politische Einwirkungen von Irland (frühes Mönchtum), England und Norwegen. Ein Königtum ist dort seit dem 11. Jahrhundert bezeugt und hielt sich das ganze restliche Mittelalter hindurch trotz intensiver Oberherrschaftsversuche besonders seit König Eduard I. von England (1272-1307). Seit dem Tod des schottischen Königs David II. (1329-1371), der nach turbulenten Herrschaftsanfängen als Unmündiger seit 1356 eine immer mehr erstarkende Königsposition hatte aufbauen können, stand Schottland unter den schwachen Königen aus dem Haus Stuart. Adelsfehden waren an der Tagesordnung.

Nachdem der englische König Heinrich IV. Lancaster (1399-1413) sich in der Nachfolge des Plantagenet Richard II. etabliert hatte, konnte sein Sohn Heinrich V. (1413-1422) auf der Grundlage einer gesicherten Nachfolge den Krieg mit Frankreich wieder aufnehmen. Die erste große Feldschlacht 1415 bei Azincourt in der Normandie war wiederum ein englischer Sieg. Englische Besatzungen wurden erneut in die meisten Festungen und Städte Frankreichs gelegt. Die Geisteskrankheit des Valois Karl VI. verhinderte, dass der kranke König den ausufernden Intrigen an seinem Hof hätte entgegentreten können. 1419 fiel der Herzog Johann von Burgund einem Mordanschlag zum Opfer, für den der burgundische Hof den Thronfolger, den späteren Karl VII., verantwortlich machte. Dies hatte eine gravierende Folge: der neue Burgunderherzog Philipp der Gute stellte sich im englisch-französischen Krieg auf die englische Seite. Hinzu kam, dass Heinrich V., der mit einer Tochter Karls VI. von Frankreich verheiratet wurde, für beider kleinen Sohn auch die Königswürde in Frankreich beanspruchte. Sowohl Karl VI. von Frankreich als auch Heinrich V. von England starben 1422. Die Regenten für das Kind Heinrich VI. von England verfochten dessen Nachfolgeanspruch in Frankreich gegen die Ansprüche Karls VII., dessen Aktionsradius auf einen kleinen Gebietsstreifen an der Loire und um Bourges eingeengt war. Die Wende im Krieg brachte das Auftreten der jungen Jeanne d'Arc, die 1429 Karl VII. überzeugen konnte, ihr mit einer kleinen Entsatztruppe freie Hand zu lassen, um den Belagerungsring, den die englischen Truppen um Orléans gelegt hatten, aufzubrechen. Die Stadt Orléans am Nordufer der Loire lag (und liegt) an der Verbindungsstraße von Bourges, dem noch gehaltenen Machtzentrum Karls VII., nach Paris. Jeanne, die im Auftrag Gottes für ihren König zu handeln glaubte, war erfolgreich. Da es ihr überdies gelang, zwei Monate später Karl VII. durch englisch besetztes Gebiet hindurch zur Krönung nach Reims zu geleiten, war von da an dessen Anspruch und Vorrang gesichert. 1430 geriet Jeanne in burgundische Gefangenschaft und wurde an die Engländer ausgeliefert, die ihr im englisch besetzten Rouen den kirchenrechtlichen Prozess mit der Beschuldigung machen ließen, sie stünde im Bund mit höllischen Kräften. Sie wurde für schuldig befunden und 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Karl VII., der sie ihrem Schicksal überlassen hatte, konnte seine Position weiter ausbauen. 1435 beendete der Burgunderherzog Philipp der Gute das burgundisch-englische Bündnis und einigte sich mit Karl VII. von Frankreich, der ihm entscheidende Konzessionen machte. Die letzte große Feldschlacht des Krieges brachte 1452 in der Nähe von Bordeaux den Engländern eine Niederlage. Ein Friedensvertrag wurde nie geschlossen, aber faktisch war mit der Räumung von Bordeaux 1453 der Hundertjährige Krieg zu Ende. Die Niederlage verschärfte die Adelskonflikte, die bereits vorher am englischen Hof bestanden und die sich auf die Rivalität zwischen den Häusern Lancaster (zu dem Heinrich VI. gehörte) und York zuspitzte. Die Häupter beider Häuser waren Nachkommen des Plantagenet Eduard III. und machten sich gegenseitig die Thronfolgerechte streitig.

Trotz der militärischen Siege von 1346, 1356 und 1415 war der Hundertjährige Krieg für die englischen Könige ein Misserfolg: die Thronfolgeansprüche in Frankreich konnten nicht durchgesetzt werden und der Kontinetalbesitz ging, mit Ausnahme von Calais und den Kanalinseln (Jersey, Guernesey etc.), endgültig verloren. Das schwache Königtum Heinrichs VI. mündete nach Ende des Hundertjährigen Krieges in die sogenannten Rosenkriege der Häuser Lancaster (rote Rose im Wappen) und York (weiße Rose) mit ihren Gewalttaten, Thronstürzen, Usurpatoren und der Dezimierung des Hochadels. Shakespeares Königsdramen Heinrich VI. und Richard III., auf Chroniken der Tudor-Zeit basierend, spiegeln diese gewalttäige Epoche. Ein entfernter Verwandter der Lancaster, Heinrich Tudor, beendete die Rosenkriege 1485 durch einen militärischen Sieg und gewann das Königtum. Heinrich VII. begründete die Königsherrschaft des Hauses Tudor, vollzog die Abkehr von den kontinentalen Ansprüchen und im Inneren einen Wechsel in Richtung auf eine engere Zusammenarbeit mit dem House of Commons und damit mit den wohlhabenden, am Handel interessierten Kreisen des Bürgertums. Die königliche Förderung der "merchant adventurers", der risiko- und kampfbereiten Kaufleute, die sich unter Ignorierung der Hanseprivilegien nach und nach den Handelsraum von Nord- und Ostsee eroberten, und der ersten Seefahrten ins nördliche Amerika eröffneten dem englischen Seehandel neue Dimensionen.

Frankreich ging trotz aller Kriegsnöte und Besatzungszeiten letztlich gestärkt aus dem Hundertjährigen Krieg hervor. Der englische König, übermächtiger Vasall der französischen Könige auf dem Kontinent, mit seinen Baronen verlor alle Kontinentallehen. Die Valois konnten ihren Anspruch auf das französische Königtum wahren. Die Nöte des Krieges führten zur Einführung neuer, von der Zustimmung der Generalstände unabhängiger Steuern, der Herdsteuer (taille) und der Salzsteuer (gabelle). Neben dem nach der Vertreibung der Engländer fest in Paris residierenden Königshof etablierten sich in der wirtschaftlich aufstrebenden Seine-Metropole als zentrale Institutionen des Königreiches der oberste Gerichtshof, das Parlament von Paris, und die dorthin in unregelmäßigen Abständen einberufenen Generalstände. Karl VII. (1422-1461) sicherte sich in der Pragmatischen Sanktion von Bourges 1438 ein Mitspracherecht bei der Besetzung eines beträchtlichen Teils der Bistümer Frankreichs und vollzog in der Schlussphase des Hundertjährigen Krieges durch königliche "Ordonnanz" (Anordnung) eine grundlegende Heeresreform. Die adligen Lehnsheere hatten sich in den großen Feldschlachten den englischen Heeren, vor allem den trainierten Langbogenschützen, als unterlegen erwiesen. Die versuchte Umstellung auf Söldnerheere Ende des 14. Jahrhunderts war nicht nur kostenintensiv, sondern erwies sich als große Gefahr in Zeiten des Waffenstillstandes, in denen sie sich marodierend verselbständigten. Die Einrichtung der sogenannten "Ordonnanzkompanien" seit etwa 1440 stellte die Verteidigung Frankreichs auf eine neue Grundlage: es wurde ein stehendes, in mehreren Städten des Königsreiches kaserniertes und geschultes Heer von Bürger- und Bauernsöhnen geschaffen, deren Familien als Gegenleistung Steuervergünstigungen erhielten. Mit diesen Truppen gelang der Sieg über die Engländer, das Herstellen der inneren Sicherheit und die Stärkung des Königtums. Zwar blieb auch in Frankreich, wie in England, der Hochadel, die "Prinzen von Geblüt", mit ihren Ansprüchen ein Problem, das durch die Schaffung sogenannter Apanagefürstentümer für sie nicht immer zu kanalisieren war. Aber auch hier schuf die Zusammenarbeit besonders Karls VII. mit finanzkräftigen Männern seiner Hauptstadt Paris ein Gegengewicht.

Nicht nur im Hundertjährigen Krieg, sondern im politischen Geschehen Gesamteuropas spielten im 15. Jahrhundert die Herzöge von Burgund, eine herausragende Rolle. Der Aufstieg des Fürstenhauses und die Hausmachtbildung nahm ihren Anfang mit Philipp "dem Kühnen" (le Hardi), einem jüngeren Bruder Karls V. von Frankreich, der als Apanage das Herzogtum Burgund (Zentrum Dijon) erhielt. Durch seine Ehe mit der Erbtochter des Grafen von Flandern und Artois, die zugleich Ansprüche auf ihr Muttererbe, die Freigrafschaft Burgund (Franche Comté, Zentrum Besancon) hatte, fügte er einen wirtschaftlich einträglichen, zweipoligen Länderkomplex zusammen, die "Niederen Lande" im Norden, die "Oberen Lande" im Süden. Philipps Sohn und Nachfolger im Gesamterbe, Johann "Ohne Furcht" (sans Peur) war das Haupt einer der rivalisierenden Parteien am Hof Karls VI. von Frankreich und fiel 1419 einem Mordanschlag zum Opfer, den man dem Thronfolger, dem späteren Karl VII. anlastete, doch hinterließ er einen erwachsenen Sohn, Philipp "den Guten". Dieser stellte sich im Hundertjährigen Krieg zunächst auf die Seite der Engländer, um die Thronfolge Karls VII. zu verhindern und nutzte 1434 die Einigung mit diesem zu weiteren Zugewinnen, vor allem der Picardie. Gleichzeitig erweiterte er die burgundischen Länder teils durch Erbschaften und Kauf, teils durch militärischen Einsatz um die zuvor (seit Ludwig dem Bayern 1345) wittelsbachischen Länder am Niederrhein, Holland, Seeland, Friesland, Brabant, Hennegau, sowie um Limburg und Luxemburg. Immer deutlicher wurde das Ziel, eine Landbrücke zwischen den nördlichen und den südlichen Ländern herzustellen, das auch Philipps Nachfolger verfolgte. Philipp der Gute resignierte 1465 zugunsten seines Sohnes Karls "des Kühnen" (le Téméraire) und starb 1467. Karl eroberte das Herzogtum Geldern und Teile des Elsass und führte Kriege gegen die Schweizer Eidgenossenschaft und den Herzog von Lothringen.

Der Gewinn zahlreicher Teriitorien und die Zweipoligkeit der burgundischen Herrschaftsbildung warfen eine Menge von Problemen auf. Die nach und nach erworbenen Grafschaften und Fürstentümer waren teils Lehen des französischen Königs (Herzogtum Burgund, Grafschaften Flandern, Artois und Picardie) teils Reichslehen (Freigrafschaft Burgund, Holland, Seeland, Friesland, Brabant, Limburg, Hennegau, Luxemburg, Geldern). Die Nachfolge der Burgunderherzöge in den Reichslehen beruhte auf weiblicher Erbfolge oder Eroberung und war nie vom Reichsoberhaupt anerkannt worden. Jedes Territorium hatte seine eigene historische und rechtliche Tradition, viele eigene Ständevertretungen mit tradierten Mitspracherechten. Hinzu kamen die sprachlichen Unterschiede, die sich nicht mit den "staatsrechtlichen" Zugehörigkeiten deckten. Freigrafschaft Burgund, Herzogtum Burgund, Artois und Picardie waren französischer Sprache, die Bevölkerung der anderen nördlichen Territorien war niederdeutscher Zunge. Die Burgunderherzöge, ein Seitenzweig des französischen Königshauses der Valois, übertrugen auf ihre heterogenen Territorien Zentralisierungsansätze nach dem Vorbild des Königreichs Frankreich, schufen sich feste Residenzen, Brüssel im Norden, Dijon im Süden, eine Hofhaltung, die den Adel aus allen Territorien anzog, zentrale Ständevertretungen (Generalstände) für die "Niederen Lande" und die "Oberen Lande", einen obersten Gerichtshof für alle burgundischen Territorien (Parlament) in Mecheln/Flandern. Die Hofhaltung der Burgunderherzöge wurde prägend in Mode und Mäzenatentum (frühe flämische Malerschule) und schuf mit der Einrichtung des Ordens vom Goldenen Vließ einen (verliehenen) Eliteorden für den Hochadel aller Territorien. Karl der Kühne bemühte sich, die lehnrechtlichen Probleme auszuräumen, indem er mit dem Kaiser Friedrich III. den Plan der Schaffung eines burgundischen Königtums verhandelte, das er dann als Gesamtlehen vom Reich nehmen wollte. Der Plan scheiterte nicht zuletzt am Widerstand der Reichsfürsten. Im Verlauf der Verhandlungen aber war die Verheiratung von Karls (Erb)Tochter Maria mit Friedrichs III. Sohn Maximilian vereinbart worden.

Nach dem unerwarteten Schlachtentod Karls im Jahr 1477 schloss der Habsburger Maximilian die Ehe mit Maria von Burgund. Bei der Beanspruchung des gesamten burgundischen Erbes stieß er auf den Widerstand des französischen Königs Ludwig XI. (1461-1483) und der Generalstände der "Niederen Lande", die einen Einflussverlust im großen Habsburger-Gebiet befürchteten. Mit den Generalständen einigte sich Maximilian auf die Bewahrung ihrer Rechte. Mit den französischen Königen, erst Ludwig XI., dann Karl VIII. (1483-1498), führte Maximilian langwierige Kriege, die erst 1493 mit einem Vertrag endeten, mit dem er die einst französischen Lehen der Burgunderherzöge, Flandern und den größten Teil des Artois sich und seinen Nachkommen wahrte, aber das französische Herzogtum Burgund (nicht die Freigrafschaft!) und die Picardie an Frankreich zurückgab. Der burgundische Besitz in den "Niederen Landen" blieb also - nicht zuletzt auch im Interesse der Generalstände - zusammen und in der Hand der Habsburger. Welche Bedeutung der Zuerwerb der burgundischen Länder für die Stellung der Habsburger im Reich haben sollte, wird gleich noch zu erörtern sein.

Auf der iberischen Halbinsel ist das 15. Jahrhundert die Zeit der Verfestigung der Königsherrschaft in den Reichen Kastilien, Aragon und Portugal unter Wahrung der Rechte der Cortes. Im Inneren der Reiche nahm die Katholizität aggressivere Züge gegen die jüdische Bevölkerung an. Im Vorgehen gegen das letzte maurisch-muslimische Gebiet, das Reich von Granada übernahm Kastilien die militärische Führung. Kastilien und Portugal rivalisierten miteinander in der Atlantik-Seefahrt, während Aragon, dessen Königen auch die Balearen und Sizilien unterstanden, in seinen Seehandelsinteressen auf das Mittelmeer ausgerichtet war. Während das portugiesische Königshaus mit der Förderung des Prinzen Heinrich "des Seefahrers" (1394-1460) Erkundungsunternehmungen an der westafrikanischen Küste und die Eroberung von Madeira und den Azoren unterstützte, sicherten sich die kastilischen Könige die Herrschaft über die Kanarischen Inseln. Die Eheschließung zwischen der kastilischen Thronerbin Isabella und dem aragonesischen Thronfolger Ferdinand 1469 führte nach der Thronbesteigung Isabellas in Kastilien 1474, Ferdinands in Aragon 1479 zwar streng genommen noch nicht zu einer Vereinigung der beiden spanischen Reiche, da die Cortes getrennt blieben, bereiteten diese aber vor. Isabella unterstützte die Plände des Genuesen Christoph Columbus, die 1492 zur unerwarteten Entdeckung Amerikas führten und sehr schnell zur Errichtung des spanischen Kolonialreiches in Amerika genutzt wurden. Im gleichen Jahr 1492 eroberten die kastilischen Truppen Isabellas das letzte maurische Reich von Granada. Die Seefahrt- und Handelsrivalität zwischen den beiden christlichen Königreichen Kastilien/Aragon und Portugal schlichtete der Papst Alexander VI. (Borgia) 1494 im Vertrag von Tordesillas, in dem er eine Demarkationslinie festlegte derart, dass Portugal die Eroberung und Kolonisierung Brasiliens, den spanischen Königreichen das übrige Mittel- und Südamerika verblieb.

Aragon war, seit es sich 1282 den Besitz von Sizilien hatte sichern können, in die politisch-militärischen Auseinandersetzungen in Italien involviert. Weder die Aragonesen Siziliens noch die Anjou-Könige im Königreich Neapel hatten ihre Ansprüche auf das gesamte Staufer-Erbe in Süditalien/Sizilien aufgegeben. Die Vertreibung des letzten Anjou-Königs, René I., aus Neapel 1442 nahmen die Aragonesen zum Anlass, ihre Ansprüche auf das Königreich Neapel zu realisieren. Damit waren sie auf dem italienischen Festland präsent. Nachdem die Päpste sich seit Mitte des 15. Jahrhunderts gegen die konziliare Bewegung durchgesetzt hatten, entwickelten sie den Kirchenstaat, der bis in die östliche Poebene reichte, zum vorherrschenden Territorium Mittelitaliens. Die Renaissance-Päpste der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts setzten alle politischen und militärischen Mittel zum Ausbau ihrer weltlichen Stellung im Kirchenstaat ein. Neben den mächtigen Stadtherrschaften, die nur dem Namen nach Republiken, tatsächlich aber Fürstentü mer waren, vor allem Florenz (Medici), Mailand (Sforza) und Venedig (Doge aus dem Patriziat) entwickelten auch die Schweizer Eidgenossen (Tessin) und der französische König Karl VIII. Ambitionen auf Eroberungen in Norditalien. Der Habsburger Maximilian, noch zu Lebzeiten seines Vaters Friedrich III. 1486 zum römisch-deutschen König gewählt, war an der Entwicklung in Norditalien sowohl als Erbe der habsburgischen Länder Tirol, Österreich, Kärnten, Steiermark, Krain als auch im Wissen um die mittelalterlichen Ansprüche der römisch-deutschen Könige und Kaiser interessiert. Das letzte Viertel des 15. Jahrhunderts ist für Mittel- und Norditalien eine kriegerische Zeit mit ständig wechselnden Bündnissen. In einem dieser Bündnisse, der Liga von Venedig, verbündeten sich 1495 der König Ferdinand von Aragon und Maximilian gegen Karl VIII. von Frankreich. Politisch war dieses Bündnis nur von kurzfristiger Bedeutung; da es aber durch eine Doppelhochzeit zwischen zwei Kindern Ferdinands von Aragon und Isabellas von Kastilien und zwei Kindern Maximilians und Marias von Burgund verankert wurde, schuf diese dynastische Verbindung die Anwartschaft der Enkel Maximilians auf das habsburgische, burgundische, aragonesische und kastilische Gesamterbe (mitsamt den Kolonien in Amerika). Kaiser Karl V., der Enkel Maximilians, Marias, Ferdinands und Isabellas, konnte sagen, dass in seinem Reich die Sonne nicht untergehe.

Das Reich und Italien

Ein Königtum, dessen Vorrang gegenüber den Reichsfürsten überwiegend repräsentativ und dessen Kombination mit der Kaiserwürde nur noch nominell war, auf der einen Seite und die zunehmende "Verdichtung" (P. Moraw) fürstlicher Territorialherrschaft auf der anderen Seite charakterisieren die politische Situation in Deutschland. Eine Folge dieser Situation ist die Konzentration mediävistischer Forschung zum deutschen Spätmittelalter auf landesgeschichtliche Fragen. Zentrale Perspektiven sind in den Forschungen zu Reichstagen und Reichsreformen des 15. Jahrhunderts präsent.

Während das Haus der Luxemburger mit Heinrich VII. (1308/09) und kontinuierlicher seit Karl IV. ab 1346 (einzige Unterbrechung: Ruprecht von der Pfalz 1400-1410) bis zum Tod Sigismunds (1437) die römisch-deutschen Könige gestellt hatte, eröffnete die Wahl von Sigismunds Schwiegersohn Albrecht (II.) 1438 die bis ins 18. Jahrhundert ununterbrochene Folge der Habsburger-Könige. Albrecht II. und seine Nachfolger beanspruchten auch Sigismunds Erbe, die Königreiche Böhmen und Ungarn, in denen jedoch der jeweilige Adel wichtige Mitspracherechte hatte. In beiden mitteleuropäischen Königreichen setzten sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einheimische Adlige als Könige durch, Georg Podiebrad in Böhmen, Matthias Corvinus aus der Familie Hunyadi in Ungarn. Nach beider Tod wurde zunächst in Böhmen 1471, in Ungarn 1490 ein Spross des polnisch-litauischen Königshauses der Jagiellonen, Wladislaw, zum König erhoben, dessen Sohn, Ludwig II. ihm 1516 nachfolgte. Ludwig II., mit einer Habsburgerin verheiratet und kinderlos, fiel 1526 gegen die Türken. Damit war die Nachfolge der Habsburger in Böhmen und Ungarn gesichert.

Der Luxemburger Sigismund und der Habsburger Friedrich III. (1440-1493), der Nachfolger Albrechts II. waren von römischen Päpsten 1433 und 1452 zu Kaisern gekrönt worden. Friedrichs III. Sohn Maximilian nahm den Kaisertitel "erwählter Römischer Kaiser" mit Billigung des Papstes 1508 an. Sein Enkel Karl V., gewählt 1519, nannte sich nach seiner Königskrönung 1520 "erwählter Römischer Kaiser" und war der letzte, der noch einmal von einem Papst (1530 in Bologna) gekrönt wurde. All seine Nachfolger nannten sich vom Zeitpunkt ihrer Königswahl an "erwählte römische Kaiser". Seit dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts setzte sich zunehmend als neue Bezeichnung des Reiches, in offiziellen Dokumenten seit 1486 in Gebrauch, die Benennung als "Heiliges Römisches Reich deutscher Nation" durch, wobei der Zusatz "deutscher Nation" einschränkend gemeint war (Italien ausklammern), aber der Begriff "Nation" nicht ethnische oder sprachliche Einheitlichkeit, sondern historisches Zusammengehören meinte.

Die Lage der erworbenen und nach und nach geerbten Habsburger-Territorien an den Rändern des Reiches, burgundische Länder im Westen, die Reste der habsburgischen Erbländer im Elsass und Breisgau (die Besitzungen südlich des Oberrheins waren im 14. Jahrhundert an die Schweizer Eidgenossenschaft verloren gegangen), Tirol, Österreich, Kärnten, Steiermark, Krain im Süden und Südosten, schließlich Böhmen mit Schlesien und Ungarn seit 1527, machten diese Dynastie zu "geborenen" Verteidigern des Reiches nach außen, gegen die französischen Könige und gegen die osmanischen Türken. Ihre Königswahl empfahl sich für die Kurfürsten, die sich damit bequem der Verteidigungsaufgabe entledigten und zugleich ein Erstarken der Königsgewalt durch deren militärische Verstrickungen verhinderten. Da die finanziellen Ressourcen ihrer Territorien den Habsburgern für ihre militärischen Unternehmungen nie reichten und die lehnrechtliche Heeresfolge längst obsolet geworden war, mussten die Habsburger die Reichsstände immer wieder um "Reichshilfe" angehen, so dass ihre Abhängigkeit von den Ständen stets präsent blieb.

So verfestigte sich als einziges zentrales Reichsorgan im 15. Jahrhundert der Reichstag, die Vertretung der Reichsstände (Kurfürsten, Reichsfürsten, Reichsstädte, in drei Kurien oder Kollegien organisiert). Seine Einberufung erfolgte unregelmäßig, nach Notwendigkeit, an unterschiedlichen Orten (jedoch stets Städte wegen der Beherbergungs- und Versorgungsmöglichkeiten). Die Fürsten partizipierten nach Möglichkeit persönlich, die Städte durch Boten. Zum Gesandtenkongress wurde erst der "Immerwährende Reichstag" in Regensburg seit 1653. Den Mammutanteil der "Reichstagsakten" machen Gesuche, Vorschläge, Ladungen, bi- und multilaterale Vereinbarungen, den geringsten Teil machen die Beschlüsse, die "Reichsabschiede" aus. Die Vielfalt der Interessen verhinderte oft Beschlüsse (die im übrigen in den Territorien von den Landständen noch gebilligt werden mussten), dennoch war der politische Wert der Verhandlungen groß.

Die militärischen Katastrophen der Hussitenkriege machten die Notwendigkeit einer Heeresreform des Reiches deutlich, die nicht ohne Steuern zu erreichen war. Pläne zur Reichsreform schossen ins Kraut, scheiterten aber an den divergierenden Interessen von König und Fürsten und an den fehlenden Finanz- und Verwaltungsinstitutionen des Reichs. Zustande kamen schließlich 1495 zwei wichtige Reformgesetze: der "Ewige Landfrieden", mit dem die Fehde als Rechtsmittel definitiv verboten wurde, und die Errichtung des Reichskammergerichts als oberster Gerichtsinstanz des Reiches, das für Rechtsstreitigkeiten der Reichsstände untereinander und für die Verurteilung der Landfriedensbrecher zuständig sein sollte. Gelöst vom König, mit festem Sitz (zunächst in Frankfurt, ab 1527 in Speyer, ab 1693 in Wetzlar), war damit neben dem Reichstag ein zweites zentrales Reichsorgan geschaffen. Von der Schweizer Eidgenossenschaft wurde das Reichskammergericht als juristisch übergeordnetes Organ ebenso abgelehnt wie der "Gemeine Pfennig", eine allgemeine Steuer, die zur Besoldung der obersten Richter geplant war aber ohnehin an den praktischen Problemen ihrer Eintreibung bald scheiterte. Ein Versuch Maximilians zur militärischen Durchsetzung dieser Reformgesetze missglückte 1499; die Folge war eine Verselbständigung der Eidgenossenschaft gegenüber dem Reich als Rechtsverband, wenn auch ihre definitive Verselbständigung erst im Westfälischen Frieden von 1648 vollzogen wurde.

Das Scheitern des "Gemeinen Pfennigs" führte zu Besoldungsproblemen für die Beisitzer des Reichskammergerichts, die von den Reichsständen benannt wurden, während die Ernennung des Präsidenten beim König lag. Da die Besoldung aus Reichseinkünften nicht funktionierte, übernahmen die ernennenden Reichsstände die Besoldung ihrer jeweiligen Beisitzer, die damit ihren Interessen ausgeliefert waren. Dies sollte fatale Folgen für die Arbeit des Reichskammergerichts im konfessionellen Zeitalter(16. Jahrhundert) haben. Da die Hälfte der Beisitzer gelehrte Juristen sein sollten, das heißt im römischen Recht geschulte Männer, wurde das römische Recht in seiner seit dem 11. Jahrhundert durch die Lombarda (in Italien tradiertes Recht) und Königsgesetze fortentwickelten Form die Grundlage für die Entscheidungen des Reichskammergerichts und setzte damit seinen Siegeszug fort, der durch die Beschäftigung gelehrter Juristen in den landesherrlichen Räten und Kanzleien längst begonnen hatte.

Eine Reichshoheit über Italien bestand nicht mehr, und Maximilians Eingreifen in die militärischen Auseinandersetzungen Norditaliens war hauptsächlich durch landesherrlich-territoriale Interessen hervorgerufen. Von den größeren Territorien, Mailand, Florenz, der Dogenrepublik Venedig mit ihrem umfänglichen Besitz auf der terra ferma, dem norditalienischen Festland, und im östlichen Mittelmerraum, dem Kirchenstaat und der aragonesischen Herrschaft in Süditalien/Sizilien, war im vorigen Abschnitt dieses Kapitels die Rede. Die durchweg auf Expansion ausgerichteten Kriege dieser "Staaten" führten zu wechselnden Bündnissen. Diese Erfahrungen von "Staatsräson" bilden den Hintergrund der politischen Lehren, die der Florentiner Niccolo Macchiavelli (1469-1527) in seinem Werk "Il Principe" festhielt. Zum Selbstverständnis und zur Außendarstellung dieser italienischen Fürsten gehörte die Repräsentation, die sie durch Bau- und Kunstwerke realisierten. Sie alle, vor allem die Florentiner Medici und die Päpste förderten Künste und bildende Künstler und wurden zu Mäzenaten der Renaissance.

Im Vergleich der Entwicklung des Reiches mit der der westlichen Königreiche wird der "deutsche Sonderweg" deutlich; der Vergleich mit dem Königreich Frankreich ist deswegen besonders erhellend, weil beide, das mittelalterliche Frankreich und das Reich, aus denselben karolingischen Wurzeln entstanden. Während Frankreich aber ein aus den Wirren des Hundertjährigen Krieges gestärkt hervorgehendes, erbliches Königtum aufzuweisen hat mit Einwirkungsmöglichkeiten des Königs auf die Kirche Frankreichs, relativ verlässlichen Steuerressourcen, dem stehenden Heer der Ordonnanzkompanien, entwickeln sich in Deutschland regelmäßige Einnahmen, Kirchenhoheit und Verwaltungsorgane nur auf der Ebene der Territorien, während die Befugnisse der Reichsspitze eher repräsentativ sind. Die Gründe für diese unterschiedliche Entwicklung sind vielfältig. Das west- wie das ostfränkische Reich kannten in spätkarolingischer Zeit starke Fürsten, wobei die stärksten im Osten die in den Stammesgebieten verankerten Adelsverbände hinter sich hatten. Erst mit dem Erwerb der Königsherrschaft in Italien und mit dem Kaisertum wuchsen die Könige seit Otto I. klar über ihr Stammesgebiet und über die anderen Fürsten hinaus, die sich jedoch über den Wahlvorgang (der in Frankreich zugunsten der Erblichkeit abgebaut wurde) ihre Einwirkung auf das Königtum sicherten. Die Herrschaft in Italien bedingte "Italienzüge", kriegerische Unternehmungen mit längeren Abwesenheiten, das Kaisertum machte Kontakt mit den Päpsten nötig und führte immer wieder zu Konflikten mit ihnen. Lange Abwesenheiten der Könige aus Deutschland begünstigten die Verselbständigung der Fürsten. Auch der Vergleich der dynastischen Eheschließungen macht deutlich, dass die kapetingischen Könige Frankreichs vor allem auf Stärkung ihrer Innenposition bedacht waren (und wohl auch sein mussten); sie heirateten vorwiegend (möglichst mitgift- und erbanspruchsreiche) französische Fürstentöchter. Dagegen richteten sich die Heiratsverbindungen der Könige in Deutschland, wenn die Dynastie sicher etabliert war, auf prestigeträchtige Auswärtsverbindungen (Otto I., Otto II., Heinrich III., Heinrich V., Friedrich I., Heinrich VI., Philipp von Schwaben, Friedrich II.). Freilich darf man nicht vergessen, dass die Festigung der Königsstellung in Frankreich ein Vorgang der "longue durée", vor allem vom 12. bis 15. Jahrhundert ist, und die militärischen und finanziellen Instrumente dazu erst in den Nöten des Hundertjährigen Krieges ausgebildet wurden. In Deutschland hat eine solch existenzielle Bedrohung des Königreiches, wie sie Frankreich im Hundertjährigen Krieg erfuhr, nach dem Ende der Ungarn- und Normannengefahr (10. Jahrhundert) gefehlt: der Druck war nicht vorhanden, der Fürsten und König zu einschneidenden Wandlungen hätte veranlassen können.

Nord-, Ost- und Südosteuropa

Die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts ist für die skandinavische Geschichte durch die Union aller drei Kö nigreiche unter Erich (seit 1397) und seinem Nachfolger Christoph (1440/1442-1448) geprägt. Unter einem König bestanden freilich die gesonderten Adelsvertretungen der drei Reiche fort. König Christophs Nachfolger Christian (I.) wurde 1460 von den Ständen der Herzogtümer Schleswig und Holstein auch zu ihrem Herzog gewählt. Die damit begonnene Verbindung des Königreiches Dänemark mit diesen beiden Herzogtümern sollte bis 1863 andauern. Die Union der drei Reiche wurde aber durch einen schwedischen Aufstand seit 1464 in Frage gestellt.

Im Ostseeraum ging die Bedeutung der Hanse zurück. Die Konkurrenz der holländischen und englischen Kaufleute unterwanderte die Hanseprivilegien; die Hansekontore verloren an Bedeutung. Parallel dazu vollzog sich der Niedergang des Ordensstattes im Preußenland, dessen Herrschaft in Preußen und Livland durch die florierende polnisch-litauische Union (seit 1386) begrenzt wurde und der mit der Christianisierung der Litauer im Zuge dieser Union seine Missionsaufgabe eingebüßt hatte. Der Versuch des Ordenshochmeisters, militärisch gegen Jagiello von Polen-Litauen vorzugehen, scheiterte 1410. Viele kämpfende Ordensbrüder gerieten in polnisch-litauische Gefangenschaft, aus der sie in den folgenden Jahren zu hohen Kosten ausgelöst werden mussten. Im Friedensvertrag von 1411 blieb das Ordensland zwar ungeschmälert, aber die wirtschaftlichen Einbußen waren so groß, dass die ständischen Spannungen im Ordensland wuchsen und sich schließlich seit 1454 in einem Krieg der Stände gegen die Ordensherren entluden, in den sich der Herrscher von Polen-Litauen auf der Seite der Stände einschaltete und der erst 1466 durch einen für den Orden sehr ungünstigen Friedensschluss zwischen dem Orden und Polen-Litauen beendet wurde. Der Ordensstaat verlor nicht nur wichtige Gebiete an Polen, vor allem das Land westlich des Unterlaufs der Weichsel (mit der Marienburg), sondern musste auch eine Treue- (nicht Lehns-)bindung zum polnischen König eingehen. Die Versuche der Folgezeit, die wirtschaftlichen Probleme des Ordenslandes durch Reichshilfen zu lindern, blieben erfolglos. Auch die Bestellung von Hochmeistern aus mächtigen Fürstenhäusern brachte nicht den erhofften Aufschwung. Einer dieser fürstlichen Hochmeister, Albrecht aus der Hohenzollernlinie von Ansbach-Bayreuth, kam bei seinen Reichstagsbesuchen seit 1520 in Kontakt zu den Reformatoren, führte 1525 das lutherische Bekenntnis im bisherigen Ordensland ein, verwandelte dieses in ein weltliches, erbliches Herzogtum, das er, um diese "Säkularisation" abzusichern, vom polnischen König als Lehen nahm.

Die Interessen der polnisch-litauischen Jagiellonenkönige des 15. Jahrhunderts waren eher nach Norden (Ordensland) und Süden (Böhmen, Ungarn) gerichtet als nach Osten; dies gipfelt in der jagiellonischen Sekundogenitur Wladislaws als König von Böhmen (seit 1471) und Ungarn (seit 1490). Die Universität der Hauptstadt Krakau hatte enge Beziehungen zu Prag, Paris und Italien. Die militärischen Erfolge gegen den Ordensstaat waren vor allem dem polnischen Kleinadel (szlachta) zu verdanken, der seit 1454 Landtage abhielt und sich seit 1468 als gesonderte Gruppe (sejm) im polnischen Reichstag konstituierte.

Für Russland setzt sich im 15. Jahrhundert die Lösung von der Oberherrschaft der Tataren fort, die vor allem von den Großfürsten von Moskau betrieben wurde. Ivan III. (1462-1505) kündigte dem Chanat der Goldenen Horde nicht nur endgültig die Tributzahlungen, er etablierte zugleich auch die Moskauer Oberherrschaft über Tver, Smolensk, Pleskov, Rjasan und 1478 über die Republik Novgorod. Das dortige Hansekontor wurde auf sein Betreiben geschlossen. Zugleich begann Ivan sich nach Westen zu orientieren. Aus Italien holte er sich die Baumeister und Ausstatter für den von ihm begonnenen Bau des Kreml. Aus Italien holte er sich auch seine Gattin Zoe, eine Nichte des letzten byzantinischen Kaisers, die wie viele andere Byzantiner nach dem Fall Konstantinopels nach Italien geflohen war. Er beanspruchte fortan, unter seiner Herrschaft das unter osmanische Herrschaft gefallene Byzantinische Reich fortzusetzen, sah Moskau als das dritte Rom (Rom,-Konstantinopel-Moskau) an und führte den Titel Zar (< Caesar, Kaiser). Da der Patriarch von Konstantinopel sich auf dem Konzil von Ferrara/Florenz den Ansprüchen der römischen Papstkirche gebeugt hatte - was vom Volk Konstantinopels abgelehnt worden war - , beansprucht nun der Metropolit von Moskau der Hüter der Orthodoxie zu sein.

Die osmanischen Türken bestimmen im 15. Jahrhundert die Geschichte der Balkanvölker und der Reste des Byzantinischen Reiches. Serbien, Bulgarien, die Walachei und Nordgriechenland standen schon Ende des 14. Jahrhunderts unter osmanischer Herrschaft. Das Byzantinische Reich war auf das Gebiet um Konstantinopel, eine kleine Enklave um Trapezunt an der Südküste des Schwarzen Meeres und das Despotat von Mistra auf der Peloponnes zusammengeschmolzen. Der Fall Konstantinopels wurde Anfang des 15. Jahrhunderts dadurch hinausgezögert, dass den osmanischen Herrschern Kleinasien durch die Angriffe des Mongolen Timur Lenk (Tamerlan) vorübergehend wieder verloren ging. Timur, der 1405 starb, hatte zwar keinen starken Nachfolger; dennoch dauerte es bis etwa 1420, ehe die türkisch-osmanische Herrschaft in Kleinasien wiederhergestellt war. Gegen die 1422 wiedereinsetzenden Angriffe auf Konstantinopel versuchte der byzantinische Kaiser Hilfe von Westen zu gewinnen, der die Wiederherstellung der Glaubenseinheit als Vorausleistung forderte. Auch die extreme Kompromissbereitschaft der Byzantiner auf dem Unionskonzil von Ferrara/Florenz 1438/39 bewirkte politisch-militärisch nichts; das Volk der Hauptstadt widersetzte sich vielmehr der beschlossenen Kirchenunion - zum Schaden des Ansehens von Patriarch und Kaiser. Der neue Sultan Mehmed II. (1451-1481) machte gleich zu Anfang seiner Herrschaft die Eroberung Konstantinopels zu seinem vorrangigen Ziel. Waffentechniker aus Italien hatten seine Artillerie so verbessert, dass es den Osmanen 1453 gelang, die Mauern Konstantinopels zu brechen. Der letzte Kaiser fiel beim Verteidigungsversuch. Der Sultan gab die Stadt zur Plünderung frei. Die kaiserliche Hauptkirche Hagia Sophia wurde in eine Moschee umgewandelt. Der Patriarch bedurfte fortan für seine Ernennung der Zustimmung des Sultans. Mehmed machte die Stadt, die ihren alten Namen einbüßte und nun Istambul hieß, zu seiner Residenz. Bis 1460 wurde der byzantinische Peloponnes erobert, bis 1468 Epiros, bis 1461 Trapezunt. Viele Byzantiner flohen vor der osmanischen Herrschaft nach Italien.

Epochengrenze

Im Einleitungskapitel wurden bereits die traditionellen Abgrenzungskriterien für die Zeitenwende vom Mittelalter zur Neuzeit genannt; sie seien hier vervollständigt und der Zusammenhang zwischen ihnen erläutert. Die Suche nach einem Seeweg nach Indien, die die Flottenexpeditionen der iberischen Königreiche in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts leitete und (für Portugal) die Afrikaumsegelung durch Vasco da Gama und (für Kastilien) die Erkundung der Westroute und - ungeahnt - die Entdeckung Amerikas zur Folge hatte, bezog ihren Antrieb aus dem Wunsch, den Handelsweg nach Indien und China, der jahrhundertelang über die "Seidenstraße" gelaufen aber durch den Verfall des Byzantinischen Reiches immer risikoreicher geworden war, zu ersetzen. Möglich wurden diese weiteren Seefahrten im Auftrag der iberischen Königreiche erst durch technische, vor allem nautische Neuerungen, für deren Erfindung eine genauere Naturbeobachtung und ein besserer Wissensstand den Weg geebnet hatte, wie sie auf der iberischen Halbinsel und in den Städten Italiens seit dem 12. Jahrhundert gepflegt wurden. Wissensvermittlung war immer weniger Sache kirchlicher Institutionen und Amtspersonen, denen gegenüber die nicht-theologischen Fächer der seit dem 13. Jahrhundert florierenden Universitäten und die städtischen Schulen sich verselbständigten. Die Verbreitung des Papiers, des Holzschnitts und Blockdrucks und schließlich die Erfindung des Buchdrucks förderten eine breitere Wissensvermittlung. Bindekraft und Ansehen der Kirche ließen seit dem Ende des 13. Jahrhunderts deutlich nach. Die Verweltlichung der Benediktiner, die Querelen und Aufspaltungen der Franziskaner, das Gewinnstreben der Zisterzienser verspielten den Respekt vor der monastischen Lebensweise. Die Fiskalisierung der Kurie während des "Avignonesischen Exils", gepaart mit dem definitiven Ausbau der päpstlichen Vorrangstellung, sowie der Unwille der römischen Päpste gegenüber den konziliaren Reformansätzen führten dazu, dass fromme Laienbewegungen entstanden, für die die Amtskirche sich nur wenig interessierte. Der Papst als Territorialherr des Mittelitalien umfassenden Kirchenstaates wurde einer der zahlreichen miteinander konkurrierenden Renaissance-Fürsten Italiens.

Das Ende des Byzantinischen Reiches wirkte tiefer als der Sturz des letzten weströmischen Kaisers 476 während der "Völkerwanderung". Hatten die Germanenreiche, die sich im 5. und 6. Jahrhundert auf dem Boden des Imperium Romanum etablierten, viele römisch-lateinische Traditionen geschont oder übernommen, war das im Osmanenreich anders. Die osmanische Vorherrschaft in Kleinasien und auf dem Balkan beendete den hohen intellektuellen und künstlerischen Rang des byzantinischen Griechentums. Mit dem Fall Konstantinopels stürzte ein Reich, das sich bis zum Schluss in der Tradition des Imperium Romanum der Antike gesehen hatte. Die Orthodoxie blieb zwar weiterhin ein wichtiges Identifikationselement der slavischen und griechischen Völker unter osmanischer Vorherrschaft, aber die Kontrolle des osmanischen Sultans über die Amtsträger der orthodoxen Kirche in ihrem Herrschaftsbereich verhinderte für diese die Übernahme einer Führungsrolle.

Bei der Einnahme Konstantinopels hatte die bessere osmanische Artillerie eine entscheidende Rolle. Feuerwaffen verbreiteten sich seit Beginn des 15. Jahrhunderts immer mehr, zunächst für die Artillerie dann auch als Handfeuerwaffen. Ihre Bedeutung wuchs von den Hussitenkriegen über die Schlussphase des Hundertjährigen Krieges bis zu den Italienkriegen an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert.

Die Pestepidemien des 14. Jahrhunderts hatten tiefgreifende Verunsicherungen sowie soziale und wirtschaftliche Wandlungen zur Folge. Reichtum in Form von Kapitalvermögen konzentrierte sich in den Städten, denen gegenüber das Eigentum und die Rechte an Grund und Boden an Gewicht verloren. Der wachsenden Bedeutung der Städte und des städtischen Bürgertums trugen auch die Fürsten und Könige Rechnung.

Hatten sich in den besonders weit entwickelten Städten Nord- und Mittelitaliens des 12. Jahrhunderts Organe (Volksversammlung, Rat) und Ämter (Konsuln für die Gerichtsbarkeit, für innere und äußere Angelegenheiten) einer von den Vollbürgern gewählten Mitverwaltung ausgebildet, so ist festzustellen, dass diese seit dem 14. Jahrhundert durch einzelne Stadtherren (signori) entmachtet wurden. Die kommunalen Ansätze mündeten in Italien in die fürstliche Signorie, in Deutschland in die Vorherrschaft des sich abgrenzenden Patriziats. Politisch entscheidend waren in ganz Europa am Ende des Mittelalters nach wie vor die Könige und Fürsten. Der Adel wahrte seine Mitsprachemöglichkeiten in den iberischen Reichen, in Frankreich, England, Deutschland, Skandivien, Polen, Böhmen und Ungarn durch seine Ständevertretungen.


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