Hospital in Warwick
Hospital in Warwick/England.
Früheste Bausubstanz aus dem 14. Jahrhundert.

Strukturelle Wandlungen in Wirtschaft und Gesellschaft des Spätmittelalters

Hauptentwicklungslinien, Kontinuität, Krisen und Einbrüche

Wie schon im einleitenden Absatz zum 14. Jahrhundert ausgeführt wurde, wird dieses von vielen Forschern als eine Krisenzeit angesehen. Gegenüber den wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen sind aber auch die Kontinuitäten nicht zu übersehen. Zur Kontinuität ist zu zählen die weiterhin bestehende politische Präponderanz des hohen Adels. Diese beruhte auf dem traditionellen Ansehen, der Auffassung von der Höherstellung des Adels durch göttlichen Willen, auf dem Grundbesitz als Grundlage seines Reichtums, auf seiner militärischen Führungsrolle. Obwohl Einbußen an all diesen Adelseigenschaften eingetreten waren, - der von Gott gewollte, traditionelle Vorrang durch Teile der vorreformatorischen Bewegungen in Frage gestellt wurde ( "als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?"); der Grundbesitz als Basis des Reichtums durch Kapitalvermögen zurückgedrängt wurde; die Adelstruppen durch Soldheere verdrängt wurden und im Hundertjährigen Krieg in den professionellen Langbogenschützen ihre Meister fanden -, beschädigten diese Einbußen weder das Selbstbewußtsein des Adels noch dessen Rolle an Fürstenhöfen. Die Könige teilten die adlige Lebensweise, und diese gemeinsame besondere Lebensweise zementierte das Standesbewußtsein. Zu dieser Lebensweise gehörte es, Handarbeit und Rechenhaftigkeit anderen zu überlassen, Reiten und Waffen führen als allein angemessene Betätigungen zu betreiben, höfische Repräsentation und ritualisiertes Zeremoniell nach außen zu repräsentieren. Über ein ritualisiertes Zeremoniell war einem Fürsten die Aufnahme in den Adelsstand bei Einzelpersonen möglich, die stets die Anpassung an die adlige Lebensweise durch die aufgenommene Person voraussetzte. Im Rahmen des ritualisierten Zeremoniells spielte die Kirche eine wichtige Rolle, deren führende Amtsträ ger nach wie vor in ihrer überwiegenden Mehrheit dem Adel entstammten. Hinsichtlich der Stellung des Adels brachten erst die "bürgerlichen" Revolutionen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts Veränderungen; dies gilt auch für die Rolle der führenden kirchlichen Amtsträger in den katholisch gebliebenen Ländern Europas. Zu den Kontinuitäten ist bis zum 18. Jahrhundert auch die Rolle des Christentums zu zählen, wenn auch die Kritik an der Amtskirche seit dem Ende des 14. Jahrhunderts immer massiver wurde und die eine lateinische Kirche sich seit der Reformationszeit im 16. Jahrhundert aufspaltete. An der angenommenen Basis des Christentums für alle Arten von Abhängigkeitsverhältnissen begann erst die Aufklä rung seit dem 18. Jahrhundert zu rütteln.

Auch in der Stellung der Frauen gab es keine grundsätzlichen Veränderungen. Bei den Adelslehen hatte sich die Erbberechtigung von Witwen und Töchtern beim Fehlen von Söhnen faktisch durchgesetzt; im Reich wurde sie jedoch nie rechtlich verankert und in der Goldenen Bulle von 1356 für die Kurfürstentü mer implizit ausgeschlossen. Die Rechtsspiegel des 13. Jahrhunderts (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel) zeigen das eingeschränkte Erbrecht von Töchtern unter gesetzten Bedingungen. Die Königinnen des Spätmittelalters sind in den Quellen der Zeit eher weniger präsent als ihre Vorgängerinnen im Hochmittelalter. Neue Aktionsmöglichkeiten eröffneten sich Frauen in den Städten, wo sie als "Hausfrauen" in Kaufmanns- und Handwerksmeisterbetrieben im Hintergrund sicher immer eine wichtige Rolle gespielt hatten, nun aber nicht nur als erbberechtigte Witwen und Töchter jungen Aufsteigern Einstiegsmöglichkeiten boten, sondern selbst auch kaufmännisch und handwerklich tätig wurden. Einige hochspezialisierte Textilhandwerke wurden nur von Frauen ausgeübt, so die Seidenstickerei. Meisterinnen solcher Zünfte hatten (z. B. in Köln) Bürgerrecht. Für kirchliche Einrichtungen hatten Frauen als Stifterinnen, Schenkerinnen und Intervenientinnen für Schenkungen schon immer eine große Rolle gespielt. Die weiblichen Zweige der Orden des späteren Mittelalters, Zisterzienserinnen, Prämonstratenserinnen, Franziskanerinnen, Dominikanerinnen, haben jedoch neben deren männlichen Zweigen nie größere Bedeutung erlangt. Die kontinuierliche, das Armutsideal erstrebende Frömmigkeitsbewegung wurde seit dem 12. Jahrhundert in erheblichem Maße von Frauen getragen und gestützt und mündete in den niederrheinischen Gebieten in das sich seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entwickelnde Beginentum, eine neue der Ehelosigkeit und Frömmigkeit verpflichtete, noch wenig erforschte Lebensform von Frauen, die in höherem Maß als in den gängigen Ordensgemeinschaften ihre individuelle Lebensführung bewahrten.

Trotz der oben angesprochenen grundlegenden Kontinuitäten gab es jedoch seit dem 14. Jahrhundert einschneidende Veränderungen, die für die Zeitgenossen zunächst kaum sichtbar waren, weil sie sich schrittweise vollzogen. Die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Vorgängen sind teilweise bis heute umstritten. Diese Veränderungen sollen im folgenden beschrieben und soweit möglich die Frage nach den kausalen Abhängigkeiten gestellt werden.

Bevölkerungsentwicklung und Pestepidemien

Für die Bevölkerungsentwicklung im Mittelalter haben wir keine Quellen, die genaue und flächendeckende Aussagen erlaubten, sondern sind auf Mutmaßungen oder Rückschlüsse aus punktuellen Angaben angewiesen. Ortsnamen lassen auf Besiedlung und Neusiedlungen schließen. Die archäologische Stadttopographie ermöglicht Schätzungen der städtischen Bevölkerungszahlen. Aus sporadisch seit dem 13. Jahrhundert erhaltenen Steuerlisten können Rückschlüsse zumindest auf die steuerpflichtigen Haushalte gezogen werden. Für den ländlichen Bereich, der die Heimat des weitaus überwiegenden Teils der Bevölkerung war, bieten erst die seit dem 14. Jahrhundert hier und da überlieferten Kirchenbücher (z. B. Taufregister) Anhaltspunkte; aber eine breitere Überlieferung von Kirchenbüchern setzt erst im 16. Jahrhundert ein. Über einige Grundtatsachen besteht in der Forschung Konsens: stärkere Bevölkerungsdichte in Westeuropa als in Osteuropa, in Südeuropa als in Nordeuropa, allmähliches Bevölkerungswachstum seit dem 10. Jahrhundert, das seit dem 12. Jahrhundert relativ sprunghaft ansteigt, gravierende Bevölkerungseinbrüche im 14. Jahrhundert, die ihren Höhepunkt in den Pestepidemien finden. Die Gesamtbevölkerung Europas wird für den Anfang des 14. Jahrhunderts auf etwa 75 Millionen geschätzt: im Vergleich zu den Zahlen der Gegenwart macht dies deutlich, wieviel Land insgesamt noch unbesiedelt war - unbeschadet der unterschiedlichen Verteilung der Siedlungsdichte.

Der allmähliche Bevölkerungsanstieg seit dem 10. Jahrhundert ist auf das Nachlassen äußerer Gefahren (Normannen, Ungarn) zurückzuführen. Insgesamt wuchs die Bevölkerung trotz hoher Geburtenrate nur langsam. Zwar können kirchliche Gebote, die den Geschlechtsverkehr für heilige Tage und Teile des Kirchenjahres untersagten und auch für bestimmte Lebensphasen der Frau einschränkten, im Sinne einer Beschränkung der Kinderzahl gewirkt haben - wenn sie denn (überliefert sind sie in Bußbüchern und in kanonistischen Sammlungen) beachtet wurden. Aus rationalen Gründen bestand in den Familien kaum ein Anlass zur Beschränkung der Kinderzahl, wusste man doch um die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeitsrate, den Wert der Kinderarbeit für die Familie und die Bedeutung der Kinder für die Altersversorgung der Eltern.

Die für die gesamte Bevölkerung hohe Sterblichkeitsrate - man schätzt die durchschnittliche Lebenserwartung auf etwa 35 Jahre - erklärt sich durch Hunger, Unterversorgung, Genuss verdorbener, schlecht gelagerter und durch Pilzbefall giftig gewordener Lebensmittel (z. B. Mutterkornbefall des Getreides als Ursache des sogenannten Antoniusfiebers), durch Infektionskrankheiten, gegen die man keine Heilmittel wusste (Magen/Darmerkrankungen, Erkrankungen der Atemwege, Tuberkulose, Lepra), durch unzureichend behandelte Verletzungen. Dabei wirkten oft mehrere Ursachen zusammen (z. B. Unterversorgung + Infektionen). Jede Schwangerschaft und Geburt stellte nicht nur in sich ein Risiko dar, sondern konnte Kindbettfieber zur Folge haben. Jede Kriegshandlung und jeder räuberische Überfall war mit Menschenverlusten verbunden. Hunger und Unterversorgung kamen zustande durch Schlechtwetterperioden, durch Missernten, Viehseuchen, nur kleinflächigen Austausch von Agrarprodukten. Eine durch Witterungsunbilden verursachte Missernte führte nicht nur dazu, dass im laufenden Jahr weniger Brotgetreide zur Verfü gung stand, es fehlte auch das Futtergetreide (für Pferde und Geflügel im Winter) und das Saatgut, so dass eine solche Missernte Konsequenzen über mehrere Jahre hatte. Die Bodenverbesserung nur mit Viehdünger, Leguminosen und seit dem 12. Jahrhundert Kalk/Mergel ermöglichte ohnehin keine großen Erträge. Beträchtliche Teile der Ernte gingen außerdem bei der Lagerung durch Insektenbefall und Mäusefraß verloren.

Besonders aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts sind uns Mißernten, Hungerkatastrophen und um sich greifende Infektionskrankheiten für weite Teile Europas überliefert. Den eigentlichen Einbruch in der Bevölkerungsentwicklung führten jedoch die Pestepidemien herbei. Der Begriff "pestis" wird in den mittelalterlichen Quellen unspezifisch verwandt und meint häufig nur eine epidemisch auftretende Krankheit. Das überlieferte Krankheitsbild der Epidemiewellen ab 1347 läßt aber eindeutig auf die aus Asien (über den Schwarzmeeraum) eingeschleppte Beulen- und Lungenpest schließen, die durch Rattenflöhe und (die Lungenpest) durch Direktinfektion auf den Menschen übertragen wird, für die man kein Heilmittel kannte und die nur wenige Erkrankte überlebten. Besonders heftige Infektionswellen sind für die Jahre 1347-1351, 1361/62, 1371 und 1385 bezeugt. Alle Teile Europas, auch alle Inseln waren betroffen. Besonders hoch war die Infektionsgefahr und Sterblichkeit in den Städten, worauf zurückzukommen ist. Insgesamt wird der Bevölkerungsrückgang für ganz Europa, vergleicht man Beginn und Ende des 14. Jahrhunderts, auf ca. 50% geschätzt. Dass dies soziale und wirtschaftliche Konsequenzen haben musste, liegt auf der Hand. Mit dem Ende des 14. Jahrhunderts waren die Pestepidemien nicht zu Ende. Auch im 15. Jahrhundert gab es Pestzeiten, z. B. in den Jahren 1457/58; aber die langdauernden, ganz Europa heimsuchenden Epidemien waren vorbei.

Ebenso wichtig wie die sozialen und wirtschaftlichen Folgen sind die Auswirkungen der Pesterfahrungen auf Mentalitäts- und Frömmigkeitsgeschichte. Krankheit wurde im Mittelalter als Strafe Gottes für begangene Sünden angesehen. Es galt also nicht nur Sünden zu vermeiden, sondern, da alle sich als Sünder verstanden, massiv Reue zu beweisen. Flagellanten- (= Selbstgeißler)gruppen zogen durch die Lande, um ihre Bußübungen durch eigene körperliche Peinigung zu demonstrieren. Die Juden als vorgebliche "Feinde Gottes" wurden verfolgt. Die Haltung zum Tod, der in einem Maß wie nie zuvor Alt und Jung, Hoch und Niedrig hinwegraffte, änderte sich. Im früheren Mittelalter war der Tod als Übergang zum eigentlichen Leben verstanden worden. Davon legt die Bezeichnung des Todestages als "dies nativitatis" (Tag der Geburt) in manchen Nekrologien (= von geistlichen Institutionen angelegte Verzeichnisse der Sterbetage solcher Personen, für die man jährlich an ihrem Todestag betete) Zeugnis ab, wie auch die Tatsache, dass wir von vielen prominenten Personen im früheren Mittelalter zwar das Sterbedatum, nicht aber das Geburtsdatum kennen. Angesichts des Massensterbens erschien der Tod stärker als zuvor als permanente Bedrohung. In der Kunst fand das Totentanzmotiv Verbreitung. Da Sündenfreiheit, Reue und Buße offensichtlich keine Verschonung vom Massensterben bewirkten, setzte ein Verfall sittlicher Normen auf breiter Ebene ein - sicher auch gefördert durch die Verweltlichung der Amtskirche in der Zeit des avignonesischen Papsttums. Angesichts der erfahrenen täglichen Bedrohtheit allen Lebens strebten die, die noch lebten oder überlebten, ihre Lebenszeit so angenehm wie möglich zu verbringen. Die nicht zuletzt auch durch die Bevölkerungseinbrüche bei wenigen angehäuften Vermögen wurden mit vollen Händen ausgegeben. Die Nachfrage nach Luxusprodukten stieg. Die Satzungen einiger Städte gegen Luxus in Kleidung und Lebensführung sprechen für sich. Von der Leichtlebigkeit, dem Luxus und der Ignorierung kirchlicher Normen in der Lebenspraxis legen die Novellen von Boccaccios Decamerone, dessen Rahmenerzählung die Pest zum Hintergrund hat, beredtes Zeugnis ab.

Dass generell die Städte von der Pest stärker betroffen waren als die ländlichen Gebiete ist durch die hohe Infektionsgefahr infolge des engen Zusammenlebens bedingt, vor allem aber durch die schlechten hygienischen Verhältnisse mittelalterlicher Städte. Die technischen Kenntnisse der Römer über den Bau von Be- und Entwässerungsanlagen waren verloren gegangen. Die Mehrzahl der mittelalterlichen Städte hatten Bevölkerungszahlen, die deutlich unter 10.000 lagen. Die Wasserversorgung erfolgte in diesen "Normalstädten" aber auch in den mittelalterlichen "Großstädten" (z. B. Köln, Nürnberg, Prag im Spätmittelalter, Konstantinopel, Paris, London, Palermo, Smolensk) über Brunnen oder Zisternen, wenn vorhanden auch über Flüsse oder Bäche, wobei die letzten auch zum Waschen genutzt wurden. Irgendeine Form der Vorreinigung des Trinkwassers gab es nicht außer dem Kochen. Berechtigterweise wurde unter solchen Umständen der Genuss von Wasser für gefährlicher gehalten als der von (gegorenem) Bier oder Wein. Eine Entwässerungskanalisation existierte ebenso wenig wie eine Abfallentsorgung. Soweit Gärten für die Entsorgung nicht ausreichten, wurden der Abfall und die Abwässer einfach auf die Straßen entsorgt, auf denen die Abfallberge durch Haustiere (auch Schweine) abgetragen wurden und zugleich nahrhaften Lebensraum für Mäuse und Ratten boten und immer wieder Teile der Straßen unpassierbar machten.

Seit dem 12. Jahrhundert unterhielten nicht nur kirchliche Orden Hospitäler, sondern solche wurden auch in Städten von Laien durch Stiftungen, allerdings durchweg in Anlehnung an kirchliche Institutionen begründet. Im frühen und hohen Mittelalter hatten Hospitäler zu den Baukomplexen benediktinischer Klö ster gehört (wie auch Gärten mit Heilkräutern), die nicht nur der Pflege erkrankter Ordensbrüder dienten, sondern auch der Kranken- und Armenversorgung durchziehender Pilger. Die Kreuzzüge eröffneten ganz neue Dimensionen der Kranken- und Pilgerversorgung. Die Ritterorden der Johanniter und der Deutschen Ordensritter sind aus Hospitalorden hervorgegangen. Schon vorher hatten Kaufleute aus Amalfi, also Laien, ein Hospital im Heiligen Land gestiftet. Solche Laienstiftungen nehmen im 12. Jahrhundert zu (in Deutschland zum Beispiel in Köln und Koblenz). Sie werden an Stifte angebunden, um die kirchliche Versorgung der Betreuten zu gewährleisten und weil Armen- und Krankenfürsorge als karitatives Werk verstanden wurde. Träger solcher Institutionen waren "fraternitates", Bruderschaften von Laien, die sich mit ihren Grundstücksübereignungen und Spenden zugleich auch ein Recht auf Alters- und Krankenversorgung sicherten. Seit dem 14. Jahrhundert häufen sich die Beispiele solcher städtischer Hospitäler, die von adligen Laien gestiftet wurden und deren Bausubstanz teilweise bis heute erhalten ist, ja sogar heute noch den Zwecken der Armen- und Krankenversorgung dient. Aus dem 14. Jahrhundert stammt ein beträchtlicher Teil der Bausubstanz des von Lord Leycester gegründeten Alten Hospitals in Warwick/England (Leitbild dieses Kapitels), und Nicolas Rolin, der Kanzler der Herzöge von Burgund, gründete 1443 das Hôtel-Dieu in Beaune/Frankreich, den wohl sehenswertesten Hospitalbau des späten Mittelalters.

Siedlungsrückgang, Wüstungen und wirtschaftliche Folgen für Land und Stadt

Die in ganz Europa seit der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts nachweisbare Aufgabe von Siedlungen, die sogenannten Wüstungen, hatten sicher mehrere Ursachen: den allgemeinen Bevölkerungsrückgang, den wirtschaftlich bedingten Abzug ländlicher Bevölkerung in die Städte, die von den Pestepidemien stärker heimgesucht worden waren und in denen Arbeitskräfte gesucht wurden, den sich nach anfänglichen Schwankungen durchsetzenden Preisverfall für Getreideprodukte, für die ein Teil der städtischen Abnehmerschaft weggebrochen war, in Frankreich die Verheerungen durch den Hundertjährigen Krieg. Der Wü stungsvorgang ist archäologisch nachweisbar und wird durch das Verschwinden alter Ortsnamen dokumentiert. Gleichzeitig kam der in ganz Europa seit dem 11. Jahrhundert bezeugte Neusiedlungsvorgang zum Stillstand; unter anderm wurde auch die Ostsiedlung, der organisierte Abzug von bäuerlichen Siedlern vornehmlich aus relativ dicht besiedelten Reichsgebieten (Niederrhein, Franken, Sachsen) nach Ostmitteleuropa, nicht über die Mitte des 14. Jahrhunderts fortgesetzt.

Aufgegeben wurden im ländlichen Bereich die schlechten und klimatisch exponierten Böden, bei dörflichen Siedlungen die Außenweiler. Auch der Umfang der Dörfer schrumpfte in einigen Regionen. Der Bevölkerungsrückgang im ländlichen Bereich durch die Pest und durch den Abzug in die Städte hatte auch Veränderungen der Bodennutzung zur Folge. An die Stelle des arbeits- und damit personalintensiven Getreideanbaus trat mancherorts, zumal die Getreidepreise sanken, die Viehhaltung, in England z. B. die Schafhaltung. Abzug ländlicher Bevölkerung in Städte war freilich nur da möglich, wo es eine genügende Zahl von aufnahmebereiten Städten gab; und der Abzug setzte, wenn er nicht gegen geltendes Gewohnheitsrecht und fluchtartig erfolgte, eine Einigung des Abziehenden mit dem adligen und freien Grundherrn voraus. Ein fluchtartiger Abzug bedeutete die entschädigungslose Aufgabe allen Eigenbesitzes. Insofern ist verständlich, dass das Verhalten der ländlichen Bevölkerung je nach den örtlichen Gegebenheiten unterschiedlich ausfiel. Überdies lag es im Interesse der Grundherrn, zumindest einen Teil der bäuerlichen Bevölkerung im ländlichen Bereich zu halten, da sie von ihren Bodenzinsen lebten. Infolgedessen kann man erhebliche Unterschiede zwischen den Regionen feststellen. Im städtereichen Westen des Reiches, in dem die Abzugsmöglichkeiten groß waren, haben die Grundbesitzer vielerorts die wirtschaftlichen und rechtlichen Bedingungen ihrer Bauern verbessert, um sie auf den Böden zu halten. In den Siedlungsgebieten östlich von Elbe und Saale hingegen, in denen die Neusiedler seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert weitgehend Freiheit und Eigentumsrechte besaßen, wurde die Zunahme von Bodenverkaufsversuchen von wirtschaftlich potenteren Bauern und adligen Herren zur preisgünstigen Vergrößerung ihres Landbesitzes genutzt. Auch wuchs hier die Zahl der Bauern, die in den kleineren Städten keine Arbeit fanden und sich deswegen zu schlechten Bedingungen bei den grundbesitzenden Herren verdingten. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts bahnte sich hier der Weg in die Gutsherrschaft an.

Für den Westen und Süden Deutschlands kommt seit dem 13. Jahrhundert eine neue Quellengattung hinzu, die Einblick in Lebensbedingungen und Rechte der bäuerlichen Bevölkerung gewährt: die Weistü mer. Unter Weistümern versteht man rechtsverbindliche Findung, Festsetzung und schriftliche Fixierung von Gewohnheitsrecht durch ein von der ländlichen Gemeinschaft autorisiertes Gremium.

In Frankreich entlud sich die Verzweiflung der durch Kriegslasten, Adelsforderungen und Pest besonders stark heimgesuchten bäuerlichen Bevölkerung im ersten großen Bauernaufstand des Mittelalters, der sogenannten "Jacquerie" von 1348. Schnell und blutig wurden die ungeordneten und schlecht bewaffneten Bauernhaufen vom Feudaladel besiegt. Die Unruhen in England von 1381 wurden ebenfalls von den Bauern (besonders von Essex und Kent) getragen, hatten zugleich aber Ursachen in der königlichen Steuergesetzgebung, die die Kosten des Hundertjährigen Krieges aufzufangen versuchte. Mit Wat Tyler hatte sie einen Anführer in London, mit John Ball einen Prediger, der sich auf Wyclifs Forderungen nach Armut der kirchlichen Amtsträger berief. Durch den entschiedenen Widerstand erst des Lord Mayor von London und dann auch des jungen Königs Richards II. wurde die Revolte niedergeschlagen. In deutschland kam es erst im 15. jahrhundert zu regionalen Bauernunruhen, vor allem im Südwesten.

Die Auswirkungen der Landflucht und der Wüstungen auf den Adel, dessen Reichtum nach wie vor auf den Erträgen und Abgaben aus seinem Grundbesitz beruhte, war ebenfalls unterschiedlich. Viele Adlige passten sich der wirtschaftlichen Krise nicht schnell genug an und erhielten ihren Lebensstil und ihr Repräsentationsverhalten aufrecht, ohne noch dafür die Mittel zu haben. Die Folge waren Verschuldungen, die bis zum Verlust ihres Besitzes an ihre Kreditgeber führen konnten. Fürsten mit wirtschaftlichen Fähigkeiten (wie z. B. Kaiser Karl IV.) hingegen konnten von dieser Entwicklung profitieren. In manchen Fürstentümern führte die Verschuldung des Fürsten auch dazu, dass die Landstände (vornehmlich Niederadel und Städte) sich zur Übernahme der fürstlichen Schulden bereit fanden - freilich nur gegen das Zugeständnis von Mitsprache- und Entscheidungsrechten bei allen fürstlichen Finanzangelegenheiten. Im Vergleich mit diesen, die Verfassung der Territorien und das Gefüge des Fürstenstandes verändernden Folgen der "Krise des 14. Jahrhunderts", haben die räuberischen Überfälle kleinerer Adliger ( "Raubritter") auf reiche Kaufmannszüge geringere Bedeutung.

Eine ganz wichtige Konsequenz aus Bevölkerungsverschiebung, Landflucht und wirtschaftlichen Folgen der Pestepidemien ist die steigende Bedeutung der Städte - wirtschaftlich und politisch. Es mag erstaunen, dass die Städte vielen ländlichen Bewohnern als erstrebenswerter Lebensraum galten, mussten diese doch wahrnehmen, dass die städtische Bevölkerung noch stärker von den Pestwellen betroffen war als die ländliche. Aber die Städte boten andererseits nicht nur Rudimente einer Krankenversorgung, sondern vor allem Arbeitsplätze mit deutlich steigenden Löhnen und gerade wegen des starken städtischen Bevölkerungsrückgangs ungeahnte Einheiratsmöglichkeiten in reiche städtische Familien und wirtschaftliche Aufstiegsmöglichkeiten. Die Dezimierung durch die Pestepidemien hatte eine Konzentration von Barvermö gen in weniger Händen zur Folge. Lebenshunger und Luxusbedürfnis der reichen Überlebenden steigerten die Nachfrage nach Luxusprodukten (Schmuckwaren, teurer Hausrat, Sattelzeug, Wagen, aufwendige Kleidung, aufwendige Schuhe), trieben die Preise für solche hochwertigen Handwerks- und Handelsprodukte in die Höhe und veranlassten die herstellenden Handwerksbetriebe zur Einstellung von mehr Arbeitskräften für relativ gute Löhne. Die Folgen waren vielfältig und sollen nacheinander durchgegangen werden: am frühesten kam es in England zu einer Arbeitsgesetzgebung; vielerorts wurden Aufsteigerkarrieren möglich; in Deutschland führte die steigende Zahl abhängiger Arbeitskräfte in den höher gewerteten, an Zunftordnungen gebundenen Handwerken zu inneren Problemen, und schließlich geriet das politische Gefüge der Stadt durch die Ansprüche reich gewordener Zunftmeister ins Wanken.

In England verabschiedete das Parlament als Reaktion auf die Lohn- und Preisentwicklung 1351 mit dem Statute of Labourers erstmals eine Art Arbeitsgesetzgebung.

Das Paradebeispiel einer Aufsteigerkarriere bietet der aus dem Dorf Graben stammende Weber Hans Fugger, der das bäuerliche Einkommen der Familie durch Weberei im Auftrag von Webermeistern (sogenanntes Verlagswesen) so weit aufgebessert hatte, dass er sich mit einem nicht unbeträchtlichen Vermögen 1367 in Augsburg niederlassen konnte. Durch zwei aufeinanderfolgende Ehen jeweils mit Töchtern von Augsburger Webermeistern sicherte er sich den Einstieg in die Weberzunft und wurde 1386 Zunftmeister. Als solcher spielte er fortan eine immer größere politische Rolle, begann als Kaufmann tätig zu werden und wurde in den Zwölferausschuss der Stadt Augsburg (Gremium, das etwa dem Rat entspricht) aufgenommen. Seine Söhne erlernten zwar noch ein Handwerk, waren aber dann ausschließlich als Kaufleute und zunehmend auch als Bankiers tätig. Im 15. Jahrhundert bauten die Fugger ein ganz Europa überspannendes Handelsnetz auf und wurden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Hauptkreditgeber einflussreicher Fürsten. Den Augsburger Fuggern sind die Medici in Florenz an die Seite zu stellen, deren Aufstieg sich aus ähnlich bescheidenen Anfängen etwa gleichzeitig vollzog. Auch sie machten ihr Vermögen aus Handels- und Bankgeschäften und waren nicht nur in den entscheidenden politischen Gremien ihrer Heimatstadt Florenz vertreten, sondern majorisierten die rivalisierenden Parteiungen so geschickt, dass zwei Vertreter der Familie im 15. Jahrhundert, Cosimo (1389-1454) und Lorenzo (1449-1492), praktisch zu Stadtherren wurden. Ihren Reichtum investierten sie zu einem nicht unerheblichen Teil in die Förderung von Künstlern und gelehrten Humanisten und gaben damit der italienischen Renaissance die entscheidenden Anstöße.

Um die durch die wirtschaftlichen Bedingungen in den Handwerksbetrieben entstehenden Probleme zu verstehen, muss man sich die spätmittelalterliche Handwerksorganisation in Erinnerung rufen. Auf allen Ebenen gemeinsamen Wirtschaftens oder gemeinsamer rechtlicher Interessen von Gruppen treffen wir im Alltag mittelalterlichen Lebens auf korporative Zusammenschlüsse, die die Regeln ihres Handelns gewohnheitsrechtlich entwickeln: die Bauern einer frühmittelalterlichen Grundherrschaft bilden eine Gemeinschaft, deren Mitglieder sich für die Alltagsarbeiten absprechen, sich gelegentlich Schutz und Hilfe gewähren und, wie einige frühmittelalterliche Polyptycha zeigen, gegenüber dem Grundherrn hinsichtlich der Besitz- und Abgabenverhältnisse rechtsfähige Auskünfte erteilen; die reisenden, ihre Waren begleitenden Kaufleute bilden (seit dem 11. Jahrhundert explizit bezeugt) Gilden und Fahrgemeinschaften (compania, Hanse); die Scholaren eines Herkunftsgebietes an den seit dem 12. Jahrhundert entstehenden Universitäten bilden "Nationen"; die rechtsfähigen Einwohner einer Stadt bilden seit dem 12. Jahrhundert eine "universitas"; diejenigen, die ein städtisches Handwerk als verantwortliche Leiter eines Betriebes ausüben, bilden eine Zunft. Bei all diesen Korporationen sind Schutz und gegenseitige Hilfe Motive des Zusammenschlusses und Pflicht der Korporationsgenossen. Angewendet auf die Zunft bedeutet dies: sie kontrolliert und gewährleistet Qualität und Preis der Ware, Arbeitszeiten, Ausbildung sowie die Versorgung der ihr zugehörigen Meisterfamilien in Notfällen. Wirtschaftliches Ziel einer städtischen Zunft ist die Versorgung der städtischen Bevölkerung mit den von ihren Betrieben produzierten und in Qualität und Preis gewährleisteten Gütern und die Sicherung der gleichmäßigen Existenzfähigkeit aller zugehörigen Meisterhaushalte. Deswegen beschränkt sie die Anzahl der Meisterbetriebe und achtet auf gleichmäßige Verteilung der zu verarbeitenden Rohstoffe. Die korporative Schutz- und Hilfepflicht ist vorchristlich, konnte aber christlich interpretiert werden - und wurde dies im Hoch- und Spätmittelalter. Es gab Zunftheilige, deren Jahrestage durch feierliche (gemeinschaftsverstärkende) Prozessionen geehrt wurden. Die für Gilden und Zünfte überlieferten (ebenfalls gemeinschaftsverstärkenden) rituellen Gastmähler konnten durch Zuordnung zu christlichen Festen religiös gedeutet werden. Auch die beschränkenden Zunftregeln - beschränkte Anzahl der Meisterbetriebe, durch Zuweisung der Rohstoffe beschränkte Produktion, durch Preiskontrolle beschränkte Expansionsmöglichkeiten - konnten christlich interpretiert werden: nicht ungebremster Profit, sondern gesicherter Lebensunterhalt für alle Zunftangehörigen war die Devise.

Die christlich interpretierten Rituale der Zunft und ihr Charakter als Korporation von Rechtsgenossen sperrten die Zünfte für Nichtchristen, und das hieß im europäischen Mittelalter: für Juden. Ihnen standen nur das niedere, nicht zünftische Handwerk (z. B. Flickschuster aber nicht Schuhmacher, Flickschneider aber nicht Schneider) und die weniger angesehene, nicht in Gilden organisierte Kaufmannschaft (Krämer) offen. Auch für Geldverkehr, -verleih und -wechsel spielten sie eine Rolle, wurden aber aus diesen Geschäften seit dem 13. Jahrhundert zunehmend durch christliche Bankiers verdrängt. In England und Frankreich beschränkten königliche Gesetze den Zugang von Juden zum Darlehensgeschäft.

Bei der gängigen Zunftpolitik, die Anzahl der Meisterbetriebe zu beschränken, führte die steigende Nachfrage nach hochwertigen Handwerksprodukten zum Anwachsen der Zahl von Lehrlingen und Gesellen in den Handwerksbetrieben. Lehrlinge und Gesellen zählten zum Haushalt des Meisters, in dem sie beköstigt und untergebracht wurden. Durch diese Lebensumstände verblieben sie in einer Art Kindschaftsstatus (der "Junggeselle" ist unverheiratet), aus dem sie sich nur durch den Aufstieg zum Meister befreien konnten. Da aber die Zahl der Meisterbetriebe beschränkt war, konnten auch nur wenige Gesellen aufsteigen. Voraussetzungen für den Aufstieg waren nicht nur eine erfolgreiche Lehr- und Gesellenzeit, die Anfertigung eines kostspieligen Meisterstücks, sondern auch die Übernahme eines Meisterbetriebs durch Erbe oder Einheirat mit Meisterwitwen oder Meistertöchtern. Die große Zahl von Lehrlingen und Gesellen schafften diesen Aufstieg nicht und bildeten ein Unruhepontential, dessen Unzufriedenheit sich im 15. Jahrhundert wiederholt in Aufständen entlud.

Die mächtigen alten Kaufherrenfamilien stellten in den Städten das Patriziat, dessen politischer Vorrang historisch gewachsen und dann eifersüchtig bewahrt worden war. Angehörige dieser Familien stellten die Ratsmitglieder. Manche Handwerksmeister gelangten durch die wirtschaftlichen Entwicklungen des 14. Jahrhunderts zu ähnlichem Reichtum wie sie, ohne aber an ihren politischen Privilegien teilzuhaben. "Zunftunruhen" (genauer: Unruhen zur Vermehrung der Rechte der Zunftmeister) waren die Folge.

Die wirtschaftlichen Wandlungen waren aber nicht nur der Nährboden für Unruhen in den Städten, sondern auch für deren wachsenden Reichtum und damit insgesamt auch für die steigende politische Bedeutung der Städte. In der obersten Ständevertretung des Reiches nahmen die Reichsstädte seit der Zeit Ludwigs "des Bayern" immer selbstverständlicher ihren Platz auf den Reichstagen neben den Kurfürsten und den Reichsfürsten ein, zumal sie für den König/Kaiser mit ihren Reichssteuern (wenn für deren Erhebung auch nur unzureichende Regulative existierten) die einzige zusätzliche Finanzquelle außer dem Hausmachtgut waren. Auf der Ebene der Territorien genossen die Städte aus ähnlichen Gründen neben dem Adel durchweg "Landstandschaft", das heißt wurden zu den territorialen Ständetagen, den sogenannten Landtagen, entboten.

Juden

Im Spätmittelalter verschlechterte sich in West- und Mitteleuropa die Stellung der Juden. Die kirchlichen Abgrenzungsbemühungen, nachweisbar in den Papstbullen seit dem 12. Jahrhundert und mit einem ersten Höhepunkt im 4. Laterankonzil von 1215, und eigennützige Wirtschaftsinteressen weltlicher Herrscher wirkten zusammen. Die französischen und englischen Könige des ausgehenden 12. Jahrhunderts, Philipp II. Augustus und Richard Löwenherz, gingen nicht nur nicht wirksam gegen Judenverfolgungen vor, sondern benutzten diese zur Auffüllung ihres Kronschatzes. In England wurde den Juden durch Statut König Eduards I. 1275 das Geschäft der Darlehensvergabe untersagt und 1290 ihre Ausweisung aus dem Königreich dekretiert; tatsächlich spielten Juden in England bis zum 17. Jahrhundert keine Rolle mehr. In Frankreich verfügte König Ludwig IX. ( "der Heilige") Beschränkungen des jüdischen Darlehensgeschäftes. Die von Philipp IV. 1306 verhängte Ausweisung der Juden wurde zwar von Ludwig X. 1315 wieder aufgehoben, aber Schutzlosigkeit und Unsicherheiten blieben und verhinderten Anwachsen und Bedeutung der Judengemeinden Frankreichs. Bei den zahlreichen regionalen Judenverfolgungen spielten seit dem 13. Jahrhundert die Vorwürfe des Ritualmordes (angebliche rituelle Tötung von Christen, besonders Kindern, durch Juden) und der Hostienschändung eine wichtige Rolle. Auf der iberischen Halbinsel pflegten die hier zahlreich vertretenen (sephardischen) Juden zunächst ein gutes Verhältnis zu den christlichen Königen. Erst seit dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts begann sich diese Situation grundlegend zu ändern.

Die vom Staufer Friedrich II. formulierte sogenannte Kammerknechtschaft der Juden im Reich stellte Unterordnung und Abgabenpflicht der Juden in den Vordergrund; zu wirksamer Ausübung des Schutzes wären die Könige und Kaiser des 13. und 14. Jahrhunderts im Reich, selbst wenn sie es gewollt hätten, gar nicht fähig gewesen. So ist es nicht verwunderlich, dass fortan faktisch Judenschutz und Judengesetzgebung Sache der territorialen Fürsten wurde. Den Kurfürsten gestand der Kaiser in der Goldenen Bulle von 1356 den Judenschutz sogar explizit zu.

In der Städtelandschaft Norditaliens drängten die von christlichen Kaufleuten beherrschten Stadtregimenter die wirtschaftliche Bedeutung der Juden zurück. Schon seit dem 13. Jahrhundert ist das Darlehensgeschäft dort in der Hand christlicher Familien. In Deutschland wurden die Pestepidemien zu einem Einschnitt in der Geschichte der Juden. In den städtischen Lebensräumen, in denen sie bislang überwiegend nachzuweisen sind, praktizierten die Juden das Zusammensiedeln in Straßenzügen ( "Judengassen"), Vorstädten (zuerst 1084 in Speyer belegt) oder Stadtteilen ( "Ghettos" - der Begriff stammt aus den italienischen Städten). Dies vereinfachte soziale Kontakte und war auch bei den christlichen Gewerbetreibenden durchaus üblich ( "Webergasse", "Gerbergasse" usw.). Außerdem gewährte diese Praxis einen gewissen Nachbarschaftsschutz. Die Ummauerung jüdischer Vorstädte oder Stadtteile (wiederum in Deutschland zuerst 1084 für Speyer belegt) hatte ebenfalls eine Schutzfunktion. Innerhalb dieser geschützten jüdischen Stadtteile bestanden eigene Brunnen. Die ausgeprägten rituellen Reinigungsvorschriften der mosaischen Religion führten zu besserer Hygiene als bei den Christen, so dass regional Judengemeinden weniger und vor allem später von der Pestepidemie betroffen waren als ihre christlichen Mitbürger. Dies waren wohl die Voraussetzungen für den Vorwurf der "Brunnenvergiftung", der vor allem während der Pestepidemien gegen die Juden erhoben wurde. Jedenfalls sind umfangreiche Judenpogrome seit den Pestepidemien in den meisten Territorien des Reiches bezeugt, an denen die Fürsten sich überwiegend schadlos hielten. Sozialgeschichtlich hatten sie zwei wichtige Konsequenzen: die zunehmende Aussiedlung von Juden in den vorstädtischen und ländlichen Bereich und den großen Exodus von Juden des Reiches nach Ostmitteleuropa, wo ihnen König Kasimir von Polen (1333-1370) und vor allem die jagiellonischen Herrscher der polnisch-litauischen Union seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bessere Lebens-, Rechts- und Schutzbedingungen boten. Die Sprache ihrer Heimatgebiete, in Lautung und Sprachstand des 14. Jahrhunderts und angereichert mit hebräischem Wortschatz, das Jiddische, bewahrten sie in ihren neuen Siedlungsbereichen.


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Das 6. Jahrhundert
Das 7. Jahrhundert
Das 8. Jahrhundert
Das 9. Jahrhundert
Gesellschaftliche Strukturen
Das 10. Jahrhundert
Das 11. Jahrhundert
Das 12. Jahrhundert
Gesellschaftliche StrukturenII
Die Kreuzzüge
Das 13. Jahrhundert
Das 14. Jahrhundert
Das 15. Jahrhundert

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