Kapitell aus Autun/Frankreich
Die romanische Greifendarstellung an einem Kapitell im Kapitelsaal
der Kathedrale von Autun, 12. Jh., nimmt ein in der Völkerwanderungszeit
auf Fibeln, Schmuck und Waffen häufig bezeugtes Motiv auf.
- Mit Genehmigung des Conservateur de la Cathédrale d'Autun,
Service Départemental de l'Architecture et du Patrimoine -

Das 5. Jahrhundert

Die Reiche der Germanen auf dem Boden des Imperium bis ca. 470

Kurz nach dem Tod des Kaisers Theodosius (395), der mit den Westgoten den Foederatenvertrag von 382 geschlossen hatte, und auf dem Hintergrund innerer Unruhen und der nach dem Tod des Kaisers vorgenommenen Zweiteilung des Imperium verließen die Westgoten ihr Foederatengebiet in Moesien und nahmen ihre Raub- und Wanderzüge unter Führung des hochadligen Alarich, den die Quellen jetzt ziemlich einheitlich als rex bezeichnen, wieder auf. Die Beutesuche führte sie durch Thrakien und an den griechischen Küsten entlang schließlich nach Illyricum, das beide Reichsteile, der oströmische wie der weströmische, für sich beanspruchten. An der Grenze zwischen Illyricum und Italien kam die Westwanderung der Westgoten zunächst zum Stillstand, da der Heermeister (magister militum) des westlichen Reichsteils, Stilicho, der vandalischer Herkunft war, die Verteidigung Italiens organisierte. Einfälle ostgotischer Gruppen über die Donaugrenze nach Pannonien konnten in den folgenden Jahren zwar zurückgeschlagen werden, nicht aber der Ende 406 einsetzende Einfall verschiedener Gruppen, vor allem Vandalen, Sueben, Burgunder, Alanen über den mittleren Abschnitt der Rheingrenze. All diese Einfälle wurden durch die Westausdehnung hunnischer Herrschaft hervorgerufen. Stilicho fiel 408 einem Mordanschlag zum Opfer. Die innere Schwäche der weströmischen Herrschaft nutzte Alarich nun zum Weitermarsch nach Italien, zog mit seinen Westgoten, ohne sich lange mit der schwierigen Belagerung der nunmehrigen westlichen Kaiserresidenz Ravenna aufzuhalten, die durch ihren Adriazugang und die Lage im sumpfigen Po-Mündungsdelta geschützt war, gegen Rom, das 410 eingenommen und geplündert wurde, und von dort nach Süditalien (vielleicht mit der Absicht zum fruchtbaren Sizilien überzusetzen), wo er 411 starb. Nachfolger als König wurde Alarichs Schwager Ataulf, der Galla Placidia heiratete, die 410 bei der Plünderung Roms gefangen genommene Schwester der beiden Kaiser Honorius (Westreich) und Arcadius (Ostreich). Ataulf führte die Westgoten weiter bis in das Gebiet der Rhonemündung und starb schon 415. Sein von den Westgoten "gewählter" Nachfolger Wallia erreichte 418 eine Stabilisierung der Lage durch den Abschluß eines Foederatenvertrages mit den Verantwortlichen des Westreiches, durch den den Westgoten die Ansiedlung in den beiden civitates Bordeaux und Toulouse gestattet wurde. Rechtsbasis der Ansiedlung war offenbar das seit 398 im Ostreich geltende, aber wohl auch im Westen praktizierte hospitalitas-Gesetz, das dem hospes, dem einquartierten "Gast" die Nutzung eines Drittels des Hauses des Beherbergenden überließ. Dabei hat man sich die Ansiedlung so vorzustellen, daß auf Teilen des römischen Staatslandes und auf Teilen des adligen Grundbesitzes westgotische Freie und Adlige angesetzt wurden, die dort Anteile an den Baulichkeiten, am kultivierten Land und an Wald und Weideflächen erhielten und denen auf dem kultivierten Land auch Anteile an der Zahl der Arbeitskräfte, Sklaven und Kolonen, überlassen wurden. An der sozialen Schichtung und am rechtlichen Status der Landarbeiter hat dies wenig verändert. Anstatt wie bisher dem Schutz ihres gallorömischen Grundherrn zu unterstehen, unterstanden sie nun ihrem westgotischen Herrn. Geschlossene westgotische Siedlungsbereiche sind weder archäologisch, noch in den Aussagen schriftlicher Quellen, noch vom Ortsnamenmaterial her nachzuweisen. Die westgotischen Ansiedler stellten nur einen Bruchteil der Gesamtbevölkerung der beiden civitates. Aus Bauern waren im Verlauf der langen kriegerischen Wanderung "verreiterte" Krieger geworden, die nicht mehr gewohnt und bereit waren, mit Ackergeräten umzugehen und schon deswegen auf die ansässigen Arbeitskräfte angewiesen waren, deren Zahl sie durch versklavte Kriegsgefangene auffüllten. Ein Teil der westgotischen Freien hat dann freilich die ländliche Lebensweise readaptiert, sogar die Siedlung nach Süden bis über die Pyrenäen erweitert, aber der Adel hielt am Ideal der kriegerischen Lebensweise fest. Kriegswesen und Verteidigung des Foederatenlandes oblag den Westgoten unter dem von ihnen gewählten rex und den duces, die dieser einsetzte. Die Westgoten wahrten und praktizierten innerhalb ihres Verbandes ihr mündlich tradiertes Gewohnheitsrecht. Dagegen hatte für die Gallorömer des Foederatenbereiches das römische Recht Gültigkeit und zwar in der kodifizierten Form, die ihm der oströmische Kaiser Theodosius II. (408-450, Kodifizierung 438) gab. Bei Streitigkeiten zwischen beiden Bevölkerungsgruppen dürfte die Machtsituation entschieden haben. An spätrömischer Gerichtsbarkeit und Verwaltung, am Leben des gallorömischen Adels, an den wirtschaftlichen Tätigkeiten und am Landbau scheint sich nicht viel geändert zu haben. Was der Schriftlichkeit bedurfte, wie Besitztransaktionen Privater oder Willenserklärungen des Westgotenkönigs erfolgte durch des Schreibens kundige Gallorömer und zwar selbstverständlich in lateinischer Schrift und Sprache und nach lateinischen Mustern. Die Münzen des Römischen Reiches hatten weiter Gültigkeit entsprechend ihrem Edelmetallwert, und als die Westgotenkönige begannen, im eigenen Namen prägen zu lassen, imitierten ihre Münzen die römischen Vorbilder.

Im Verlauf des 5. Jahrhunderts drang nicht nur, wie schon erwähnt, die westgotische Ansiedlung bis über die Pyrenäen vor; vor allem vergrößerte der Westgotenkönig Eurich (466-484) das regnum Visigothorum durch Eroberungen in Südwestgallien bis etwa zur Grenze von Loire im Norden und Rhône im Osten, sowie auf der iberischen Halbinsel um deren größten Teil bis auf die Nordwestecke, in der sich die Sueben etablierten. Dies bedeutete eine weitere Verdünnung der westgotischen Herrenschicht gegenüber der erdrückenden Mehrheit der Galloromanen und Iberoromanen. Unter diesen Vorzeichen war nicht nur die Kontinuität römischen Verwaltungsbrauchs und Rechts, sondern auch römischer Kirchenorganisation gegeben. Neben arianischen Priestern (und wohl auch arianischen Bischöfen) der Westgoten bestanden römische, auf dem Boden der Entscheidungen des Konzils von Nikaea stehende Kirchen und Bistümer weiter.

Die Ende des Jahres 406 über die Rheingrenze nach Gallien vorgedrungenen Vandalen, Sueben, Burgunder hatten unterdessen ihren Weg fortgesetzt. Die zahlenmäßig schwachen Burgunder siedelten im Gebiet um Worms, wurden dort um 436 durch einen Hunneneinfall weitgehend aufgerieben und die Reste des Volkes schließlich als römische Foederaten im Raum um den Genfer See angesiedelt.

Die Sueben zogen durch Gallien und wurden als Foederaten in der Nordwestecke der iberischen Halbinsel seßhaft.

Die Teilstämmer der Vandalen (Silingen und Asdingen) zogen durch Gallien auf die iberische Halbinsel. Dort setzte sich seit 428 Geiserich als ihr König durch und leitete ihre Überfahrt nach Afrika im Jahr 429, wo sie sich schließlich als Eroberer im agrarisch wichtigen Umland von Karthago etablierten; erst im nachhinein wurden sie durch ein Foedus an Westrom gebunden. Als Eroberer enteigneten sie zahlreiche römische Grundbesitzer. Ihre Ansiedlung erfolgte nicht nach dem hospitalitas-Recht und hinterließ tiefe Wunden bei den Unterworfenen, ebenso wie ihr rigoroser Arianismus, der zur Verwüstung von Kirchen, zur Verwaisung von Bistümern und insgesamt zu einem Bedeutungsverlust der römisch-christlichen Kirche Nordafrikas führte. Der aufgrund eines entwickelten Bewässerungsystems erwirtschaftete Getreideüberschuß Nordafrikas stand für die Versorgung der Stadt Rom nun nicht mehr regelmäßig zur Verfügung. Piratenfahrten der Vandalen nach Sizilien, den Balearen, Sardinien und Korsika machten die Passage vom westlichen zum östlichen Mittelmeer unsicher und beeinträchtigten den Warenaustausch.

Das weströmische Reich bis 476

Die Teilung des Römischen Reiches nach dem Tod des Kaisers Theodosius I. im Jahr 395 wurde nur kurzfristig unter Theodosius II. in den Jahren 423/424 noch einmal rückgängig gemacht. Mit der Regentschaft der Galla Placidia ab 424, einer Tochter Theodosius' I., die in erster Ehe mit dem Westgotenkönig Ataulf, in zweiter Ehe aber mit einem vornehmen Römer verheiratet war, für ihren Sohn Valentinian III. und später mit dessen selbständiger Herrschaft wurde die Zweiteilung des Römischen Reiches wiederhergestellt, wobei aber in beiden Reichsteilen bis zum Tod Valentians III. 455 Mitglieder der theodosianischen Dynastie an der Spitze standen. Heermeister des Westreiches war unter Galla Placidia und Kaiser Valentinian III. Aetius. Mußte er sich auch mit dem Verlust von Nordafrika, Teilen der iberischen Halbinsel und Südwestgalliens für die römische Herrschaft abfinden, so versuchte er doch die Rheingrenze zu halten oder wiederherzustellen. Um 436 gelang mit Hilfe der Hunnen die Zerstörung der burgundischen Herrschaft im Raum um Worms. Reste des burgundischen Stammes wurden an der oberen Rhône und um den Genfer See angesiedelt und gingen ein Foederatenverhältnis zum weströmischen Reich ein. Während seit etwa 440 die Reste der römischen Verwaltung und wohl auch die Ansätze der Christianisierung im römischen Britannien im Zuge der Einwanderung von Angeln, Sachsen und Jüten aus dem Elbemündungsgebiet und dem Süden der dänischen Halbinsel zusammenbrachen und die letzten römischen Militärkontingente Britannien verließen, fand das Christentum durch die Mission des zeitlich freilich nicht eindeutig zuzuordnenden Patrick (2. Hälfte 5. Jh.) eine neue Heimstatt auf der irischen Insel. Hier sollte es sich kräftig und sehr eigenständig entwickeln, wurde doch die junge irische Christenheit durch die angelsäschsische Invasion und bald auch durch die fränkische Landnahme im nördlichen Gallien vom Zusammenhang mit der christlichen Oekumene abgeschnitten. Seit den vierziger Jahren des 5. Jahrhunderts baute bei den Hunnen Attila seine Führungsstellung aus, fiel mit einem Heer, das überwiegend aus unterworfenen Germanen und iranischen Völkerschaften bestand, 451 in Gallien, 452 in Italien ein, ohne sich dort jedoch dauerhaft zu etablieren. Sein unerwarteter Tod im Jahr 453 und die folgenden Führungskämpfe setzten die Germanengruppen wieder frei, die seit dem Ende des 4. Jahrhunderts von den Hunnen unterworfen worden waren, vor allem die Ostgoten, bei denen die Verselbständigung die Ausbildung des Königtums, die Auseinandersetzungen und Kontakte mit dem oströmischen Reich und schließlich den Beginn der Wander- und Eroberungsbewegung zur Folge hatten.

In Italien folgte der Ermordung des Heermeisters Aetius im Jahr 454 ein Jahr später die Ermordung des Kaisers Valentinian III. Damit zerriß das dynastische Band, das bisher die beiden römischen Reichsteile zusammengehalten hatte. Es schlossen sich zwei Jahrzehnte kurzer, wechselnder Kaiserherrschaften und kurzer, wechselnder Amtszeiten von Heermeistern an, geprägt durch Usurpationen, Unsicherheiten und wirtschaftliche Probleme. Auch Unterhalt und Besoldung des regulären Heeres wurden immer ungesicherter. Hinzu kamen die erfolgreichen Eroberungen des Westgotenkönigs Eurich (466-484) auf der iberischen Halbinsel und im Südwesten Galliens und die Piratenzüge der Vandalen. Unzufriedenheit wegen mangelnder Bezahlung führte dazu, daß Teile des überwiegend aus Germanen verschiedener Herkunft bestehenden, in Italien stehenden Heeres ihren germanischen (skirischen) Anführer Odoaker zum König ausriefen, der den Kaiserpalast von Ravenna einnahm und den Kaiser Romulus, den die Zeitgenossen spöttisch Augustulus (das Kaiserlein) nannten, 476 in Pension auf eines der kaiserlichen Landgüter schickte. Ganz unspektakulär endete damit das westliche römische Kaisertum. Odoaker sandte die kaiserlichen Insignien nach Konstantinopel, ohne eine offizielle Reaktion des oströmischen Hofes zu erreichen. Er betrachtete das westliche Imperium nicht als vergangen, sondern sah sich als dessen Sachwalter unter der Oberhoheit des Kaisers in Konstantinopel, allerdings ohne jede offizielle Legitimation. Auch gegenüber den Römern Italiens fungierte er als König (rex). Die Ansprüche seiner germanischen Truppen stellte er durch Landzuweisungen nach dem hospitalitas Gesetz zufrieden.

Die christliche Kirche und das oströmische Reich

Die arianische Lehre und Kirche hatte nach dem 2. oekumenischen Konzil von Konstantinopel 381 nur noch eine Heimstatt in den Germanenreichen, aber Anfang des 5. Jahrhunderts taten sich neue Meinungsverschiedenheiten um das Verständnis der Trinität auf. In den wieder aufflammenden christologischen Streitigkeiten zeichnet sich eine stärkere Gewichtung der göttlichen Natur Christi ab, so daß seiner menschlichen Wesenheit nur zeitweilige, untergeordnete oder jedenfalls von der göttlichen Wesenheit getrennte Bedeutung zugemessen wurde. Dabei waren die Streitfragen mannigfach abgestuft. Besondere Gegnerschaft entwickelten die Theologenschulen von Alexandria in Ägypten und Antiochia in Syrien. Zum offenen Streit kam es, als der aus Antiochia stammende Nestorios zum Patriarchen von Konstantinopel (428-431) erhoben wurde. Das Konzil von Ephesos, das dritte oekumenische, verdammte 431 seine Lehre. Kontrovers war, daß Nestorios die beiden Naturen in Christus als unverbunden ansah und Maria, die Mutter der menschlichen Natur Christi, nicht als Gottesgebärerin sondern als Christusgebärerin betrachtet sehen wollte. Trotz der Verurteilung hielt sich die nestorianische Lehre in der ostsyrischen Kirche und wurde 486 auf einer Synode in Seleukia als deren Glaubenssatz bekräftigt. Die nestorianische Kirche entwickelte ein lebendiges Mönchtum und überlebte in Persien auch unter schwierigen Umständen zunächst unter sassanidischer und später arabisch-muslimischer Herrschaft. Nestorianische Mission drang bis Turkestan, Indien und zu mongolischen Stämmen vor. Hauptgegener des Nestorios war der Patriarch Kyrill von Alexandria (gestorben 444), dessen Nachfolger Dioskoros und der Verfechter der alexandrinischen Lehre in Konstantinopel Eutyches, der die Lehre der alexrandrinischen Schule dahingehend überspitzte, daß er behauptete, die beiden Naturen in Christus seien nach der Fleischwerdung zu einer einzigen göttlichen Natur geworden. Gegen diese monophysitische Lehre machten Rom und Konstantinopel Front. Dennoch triumphierte sie auf der sogenannten "Räubersynode" von Ephesos 449. 451 wurde schließlich ein oekumenisches Konzil nach Chalkedon einberufen, das vierte, das in Ergänzung der Beschlüsse des ersten oekumenischen Konzils von Nikaea (325) und des zweiten von Konstantinopel (381) das gemeinsame christliche Glaubensbekenntnis von den zwei vollkommenen, untrennbaren und unvermengbaren Naturen in Christus formulierte. Eine Konsequenz dieser theologischen Streitigkeiten war die Abwertung der beiden konkurrierenden Theologenschulen, der (nestorianischen) in Antiochia und der (in der Überspitzung monophysitischen) in Alexandria und der von ihnen getragenen Patriarchate, so daß deutlicher als zuvor die Patriarchalsitze von Rom und Konstantinopel als Führer der christlichen Oekumene hervortraten.

Schon im Kanon 3 der Beschlüsse des 2. oekumenischen Konzils von Konstantinopel aus dem Jahr 381 war für den Patriarchen von Konstantinopel nach dem römischen Papst der zweithöchste Rang in der Kirche festgeschrieben worden. Kanon 28 der Beschlüsse des Konzils von Chalkedon aus dem Jahr 451 räumte dem Papst zwar den ersten Ehrenrang ein, stellte aber im übrigen die Patriarchate von Rom und Konstantinopel einander gleich. Sowohl die politisch-kriegerischen Entwicklungen als auch die trotz Chalkedon anhaltenden Glaubensstreitigkeiten verstärkten in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts Ansehen und Vorrang des römischen Papstes. Papst Leo I. (440-461), der schon für die Beschlüsse von Chalkedon eine wichtige Rolle gespielt hatte, vertrat 452 die Sicherheitsinteressen der Stadt Rom in einem Gespräch mit dem Hunnenführer Attila, dessen Kriegsscharen bedrohlich heranrückten. Ausweitung und Ausbau der Patrimonien der römischen Kirche wurden fortgesetzt. Als im Jahr 482 der oströmische Kaiser Zenon (474-491) den anhaltenden monophysitischen Tendenzen im Osten des Römischen Reiches entgegen kommen wollte, indem er mit dem kaiserlichen Erlaß des sogenannten Henotikon von den Beschlüssen von Chalkedon zugunsten der Monophysiten abrückte und dafür auch den Patriarchen von Konstantinopel gewann, führte das zur Kirchenspaltung zwischen Rom und Konstantinopel und zu dem 494 von Papst Gelasius I. (492-496) an den Nachfolger Zenons, den Kaiser Anastasios (491-518) gerichteten Brief, in dem Gelasius der "geheiligten Autorität der Priester" (auctoritas sacrata pontificum) die weltliche Gewalt (regalis potestas) gegenüberstellte und festhielt, daß die Priester vor Gott auch über die Herrscher Rechenschaft abzulegen hätten. Diese später so genannte Gelasianische Zweigewaltenlehre hatte an dieser Stelle nur die Funktion, die Sorge des Gelasius zu begründen und den Kaiser zur Beachtung der Konzilsbeschlüsse gegen den Monophysitismus zu bewegen. Aber sie brachte die grundsätzlichen Vorstellungen Roms und den Anspruch der kirchlichen Oberen zum Ausdruck.

An Tiefe und Gründlichkeit der theologischen Diskussion hatte Rom und der Westen freilich den Theologenschulen von Antiochia und Alexandria nichts an die Seite zu stellen. Der bedeutendste Kirchenvater der westlichen Kirche im 5. Jahrhundert, Augustinus (gestorben 430) stammte aus Nordafrika.

Der Westen des Römischen Reiches im letzten Viertel des 5. Jahrhunderts

Mit dem Sturz des Westkaisers Romulus Augustulus 476 und dem Übergang der Herrschaft in Italien an Odoaker bestand nur in Nordgallien noch ein Überrest römischer Herrschaft unter Aegidius und ab 464 seinem Sohn Syagrius. In den übrigen Teilen des weströmischen Reiches (Britannien war seit Mitte des 5. Jahrhunderts verloren gegangen) bestanden die Königreiche der Burgunder, Westgoten, Sueben, Vandalen und Odoakers. Die räumlich kleineren Königreiche der Sueben und Burgunder spielten keine große Rolle über den engeren regionalen Bereich hinaus. Das in Nordafrika gewaltsam etablierte Vandalenreich verlor nach dem Tod seines Königs Geiserich 477 an Bedeutung. In Nordgallien war der Rhein schon längst nicht mehr die Grenze gegen die "Barbaren". Verschiedene germanische Kleinstämme siedelten westlich des Niederrheins, u. a. Friesen und Franken. Der Frankenfürst Childerich, formell wohl noch in römischen Diensten, beherrschte faktisch selbständig ein größeres Gebiet im Raum um Tournai (heutiges südliches Belgien), wo er auch bestattet wurde. Sein Sohn Chlodwig folgte ihm ab 482 als König der Franken, besiegte 486 den römischen Statthalter des nördlichen Gallien Syagrius, festigte durch gewaltsame Ausschaltung von Kleinkönigen und Verwandten seine Königsstellung bei den Franken, führte erfolgreiche Kriege gegen die Alamannen und schließlich gegen die Westgoten. Das Geschlecht Childerichs und Chlodwigs wird als das der Merowinger bezeichnet; der fränkische Teilstamm, über den sie geboten, ist der der salischen Franken.

Im Unterschied zu den anderen Germanenreichen entstand das merowingische Frankenreich nicht durch Auswanderung und Neuansiedlung des Stammes, sondern durch Ausweitung des Siedlungs- und Herrschaftsraumes. Es entstand zudem zu einem Zeitpunkt, als das westliche Römische Kaisertum nicht mehr existierte. Foederatenverträge und hospitalitas-Verhältnisse erübrigten sich. Mehrheitlich fränkisch besiedelt wurde das Land zwischen Niederrhein und Somme. Der Raum zwischen Somme und Seine erfuhr eine starke fränkische Landnahme, doch blieb hier die Mehrheit der Bevölkerung romanisch. Das gleiche gilt für den Raum der Ardennen und für die Champagne. Nur locker wurde von den Franken das Gebiet zwischen Seine und Loire kontrolliert, während die erst spät (406) von den Westgoten eroberten Gebiete Südgalliens weiterhin Einflußbereich der gallorömischen Senatorenfamilien blieben, die den größten Teil des Bodens besaßen, die Geistlichkeit und speziell die Bischöfe und nach stärkerer Integration unter merowingische Herrschaft schließlich auch die Amtsträger stellten. Die fränkischen Könige und der fränkische Adel faßten auch im alamannischen Elsaß, in den Vogesen und im Moselraum stärker Fuß.

Die Eroberungs- und Landnahmesituation spiegelt sich in der Lage des merowingischen Königsgutes, das in der nördlichen und östlichen "Francia" gehäuft vorkommt, im Raum zwischen Reims, Soissons, Paris und Orléans (den Hauptresidenzen der Teilreiche des 6. Jahrhunderts), aber auch in der Streulage von Adelsgut als Ergebnis der Beteiligung an der Eroberung. In Einzelfällen ist nachweisbar und im ganzen ist anzunehmen, daß römischer Staats- bzw. Fiskalbesitz und römische Adelsvillen mit ihrer grundherrlichen Struktur von fränkischen Königen und fränkischem Adel übernommen wurden. Soweit die römische Verwaltung noch funktionierte, und das war auf der lokalen Ebene der civitas (Stadt mit Umland), nicht aber auf der Provinzebene der Fall, blieb sie bestehen. Die Kirchenorganisation an der Rheingrenze und in der Kampf- und Siedlungszone zwischen Niedrrhein und Somme erlitt Störungen und Einbrüche; im übrigen Gallien blieb sie jedoch erhalten. Die Romanen behielten im Süden, wie in den anderen Germanenreichen, ihr römisches Recht.

Entscheidend war, daß Chlodwig, wohl im Zusammenhang mit den Alamannenkriegen im Jahr 498 die Taufe durch den Bischof Remigius von Reims empfing und im Unterschied zu den westgotischen, vandalischen, suebischen, burgundischen und ostgotischen Königen katholischer und nicht arianischer Christ wurde. Da die Christianisierung, wie stets im frühen Mittelalter, von oben nach unten erfolgte, zog die Übernahme des römischen Christentums durch Chlodwig die Übernahme des römischen Christentums durch seinen Adel und dann das "Volk der Franken" nach sich. Es entfiel der Glaubensgegensatz gegenüber der romanischen Bevölkerung, der für die arianischen Germanenreiche so charakteristisch ist, und es entfiel auch jedes conubium(Heirats-)verbot zwischen den beiden Führungsschichten der Eroberer und Eroberten. Chlodwig und seine Nachfolger rückten in die Stellung als Schützer der christlichen Kirche(n) ein, wie sie die Römischen Kaiser eingenommen hatten. Die fränkischen Könige sprachen bei der Besetzung von Bistümern mit und hielten Landessynoden unter ihrer Obhut ab. Römisches Vorbild war Veranlassung für die schriftliche Aufzeichnung des bisher mündlich tradierten fränkischen (salischen) Rechtes (in lateinischer Sprache) noch in den letzten Jahren Chlodwigs.

Gleichzeitig zur Begründung und Ausweitung des Frankenreiches unter Chlodwig vollzog sich in Italien die Verdrängung Odoakers durch die Ostgoten unter ihrem König Theoderich. Nachdem nach dem Tod Attilas 453 die hunnische Oberherrschaft über zahlreiche Germanenstämme in den Nachfolgeauseinandersetzungen zerbrochen war, waren besonders die Ostgoten in sehr aktive, auch gegnerische Kontakte zum oströmischen Reich getreten. Ihre Führungsspitze wurde von Männern aus der Adels- bzw. Königssippe der Amaler gestellt. Als Geisel zur Absicherung eines geschlossenen Vertrages verbrachte der junge Amalerfürst Theoderich seine Jugend am Kaiserhof in Konstantinopel, bevor er 473 seinem Vater in der Königsstellung nachfolgte. Kenntnis von und Respekt für Hofzeremoniell und Staatsvorstellungen des oströmischen Reiches zeichneten ihn aus. Als Heerkönig für seine Ostgoten, zugleich aber auch im Auftrag des oströmischen Kaisers zog er 489 nach Italien gegen Odoaker, den Konstantinopel nie förmlich anerkannt hatte. In Schlachten und Eroberungen gelang den Ostgoten unter seiner Führung in den Jahren zwischen 490 und 493 die Unterwerfung Norditaliens und die Einnahme Ravennas. Nach der Ermordung Odoakers durch Theoderich und nach der Ausschaltung von Odoakers Sippenangehörigen und Gefolgsleuten rückten die Ostgoten in deren Landbesitz ein, ohne daß die römische Bevölkerung Norditaliens besonders beschwert werden mußte. Widerstand vonseiten der römischen Führungsschicht gab es auch deswegen kaum, weil der Glaubenskonflikt um das Henotikon die Verbindung zwischen dem römischen Italien und Konstantinopel belastete und andererseits der arianische Ostgotenkönig die römische Kirche Italiens in keiner Weise zwang oder drangsalierte. Theoderich übernahm die Römer, die die Verwaltung unter Odoaker geleitet hatten, sein Königstitel Flavius Theodericus rex stellte ihn in die römische Tradition und vonseiten des oströmischen Kaisers Anastasios erreichte er 497 durch Übersendung des Königsornats die Anerkennung seiner Herrschaft. Ravenna wurde Theoderichs Residenz, wie es die Residenz der weströmischen Kaiser und Odoakers gewesen war. Die zu seinem Palast gehörige Palastkirche (S. Apollinare Nuovo) zeigt in ihrem Mosaikfries u. a. Ansichten des Palastes und der Stadt. In Ravenna ließ Theoderich die Taufkirche für die Arianer errichten, und vor der Stadt steht sein Grabmal.

Bautätigkeit ist auch sonst für ihn bezeugt, Instandsetzung von Straßen und Brücken. Dies setzt Frieden und wirtschaftliche Stabilität voraus. Nach Jahrzehnten der Unsicherheit und der kriegerischen Auseinandersetzungen kehrte in Italien unter Theoderichs Herrschaft Ruhe und Prosperität ein. Durch Familienverbindungen mit anderen germanischen Königshäusern, denen der Westgoten, Vandalen, Franken Burgunder und Heruler suchte er einen Sippen- und damit Friedensverband zu etablieren und damit gleichzeitig seine Stellung gegenüber dem oströmischen Kaiser zu festigen. Des Frankenkönigs Chlodwig Waffengänge gegen die Alamannen, vor allem aber gegen die Westgoten, stellten dieses Bündnissystem in Frage.


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