"Wo, bitte schön, ist die Europäische Union?" Mit dieser klaren Frage ist die Einleitung des "World Report 2007" überschrieben, den die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) am Donnerstag in Washington vorgestellt hat. Denn außer der EU, so die klare Aussage des diesjährigen Berichts über die weltweite Menschenrechtssituation, gebe es derzeit keine große Staatsmacht, keine Organisation, die die Menschenrechte glaubwürdig vertreten könne.
Die USA gelte dank Guantánamo und der offiziellen Akzeptanz von Folter bei Verhören nicht länger als starke Stimme, heißt es in dem Bericht. China könne man kaum als führenden Verfechter von Menschenrechten bezeichnen und in Russland habe Präsident Wladimir Putin die Menschenrechte inzwischen mit dem Hinweis, sie seien "künstliche Standards", ganz abgelehnt.
"Diese Lücke kann und muss die EU auffüllen", sagt deshalb Wolfgang Büttner vom deutschen HRW-Büro in Berlin. Seine Organisation werde sich deshalb in Zukunft verstärkt auf die EU konzentrieren, was sich unter anderem an den neuen Büros in Brüssel, Genf und Berlin zeige.
Bisher allerdings ist die Menschenrechtsorganisation wenig zufrieden über den Einsatz, den die europäischen Staaten im Hinblick auf die Verteidigung der Menschenrechte zeigen. Obwohl auf deren Prinzipien gegründet, sei die EU mehr daran interessiert, den größtmöglichen Kompromiss unter ihren verschiedenen Mitgliedsstaaten zu finden, als ernsthaft, effizient und schnell Sanktionen oder andere Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte einzuleiten.
"Europa bleibt hier weit hinter seinen Möglichkeiten zurück", sagte Kenneth Roth, Geschäftsführer von HRW in Washington. Stattdessen verzettelten sich die einzelnen Mitgliedsstaaten auf der Suche nach absurden, kleinlichen Kompromissen, bemängelt der Bericht weiter.
Beispiele finden sich genug: So habe die EU genau die Sanktionen abgeschwächt, die sie vorher selbst gegen Usbekistan verhängt hatte nach dem Massaker in Andijan im Mai 2005. Auch auf den Putsch in Nepal reagierte die EU nach Einschätzung von HRW viel zu schwach. "Während die ablehnenden Regierungen sich zusammen getan haben, um effektive Maßnahmen des Uno-Menschenrechtsausschusses zu verhindern, blockierte sich die EU selbst mit ihrem Mikromanagement und ihrem Zwang zum Konsens."
Die Menschenrechtsorganisation fordert die EU deshalb dazu auf, das System der rotierenden sechsmonatigen Präsidentschaft zu ändern. Diese Rotation untergrabe jeden Versuch, Sachkenntnis zu erhalten und aufzubauen. "Die EU hätte wesentlich mehr Einfluss, wenn jedes Jahr dieselben Regierungen in den einzelnen Krisengebieten präsent wären. So könnte man bessere Vermittlungsergebnisse erzielen", heißt es in dem Bericht.
Auch Deutschland spielt in der Bewertung von HRW keine glanzvolle Rolle: Mit seiner neuen Ostpolitik unterlaufe die Bundesrepublik die strenge Menschenrechtspolitik der EU in Zentralasien, kritisiert der Bericht. So habe Deutschland zum Beispiel das EU-weite Einreiseverbot für usbekische Politiker unterlaufen, als es den ehemaligen Innenminister und einer der Verantwortlichen für das Andijan-Massaker, Zokir Alatow, für eine medizinische Behandlung habe einreisen lassen. Usbekistan, so merkt der Bericht an, verfüge über riesige Gasvorkommen und Luftwaffenstützpunkte, die die deutschen Truppen in Afghanistan benutze.
Auch was die Umsetzung von Menschenrechten innerhalb der EU-Länder angeht, ist der Bericht kritisch. Obwohl Europa "die größte Gemeinschaft demokratischer Staaten" sei, würden die Rechte von Migranten und Asylsuchenden ignoriert oder beschränkt. Die Menschenrechtsorganisation bemängelt vor allem die Regelung, Asylbewerber in so genannte sichere Drittländer abzuschieben. Weil man sich nicht auf eine einheitliche Liste habe einigen können, verfahre jedes Land anders - und schiebe Asylbewerber in so "sichere" Länder wie Lybien, Senegal, Mauretanien oder die Ukraine ab.
Im Zuge der Terrorismusbekämpfung habe sich auch der Umgang mit Tatverdächtigen drastisch verschlechtert. Entweder würden - wie zum Beispiel in England - vermeintliche Täter auch in Länder abgeschoben, in denen sie nicht vor Folter geschützt sind. Oder sie können - wie etwa in England, den Niederlanden oder Frankreich - bis zu 28 Tage ohne Haftbefehl in Haft genommen werden.
"Wir setzen trotz allem auf die EU und jetzt besonders auf Deutschland", sagt der deutsche HRW-Repräsentant Büttner. Man hoffe, dass Deutschland durch die EU-Ratspräsidentschaft eine Führungsrolle übernehme. "Es gibt gute Ansätze: etwa Merkels Äußerungen zum Tod der russischen Journalistin Anna Politkowskaja oder ihre Forderung, das US-Gefangenenlager Guantánamo zu schließen."
Denn letzten Endes, auch das macht der Bericht deutlich, sei die Durchsetzung von Menschenrechten und eine Führungsrolle der EU schlicht eine Frage des politischen Willens. Mehr nicht.
ftd.de, 11.01.2007
© 2007 Financial Times Deutschland, © Illustration: dpa
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