Das Handy würde mehr werden als ein Gerät zum Telefonieren, träumten die Mobilfunkbetreiber einst. Es würde zur Schaltzentrale unseres Lebens - mit Musik, Internet, E-Mail und Navigation. Und sie selbst würden im Kassenhäuschen sitzen. Dafür gaben sie Hunderte Milliarden Euros aus.
Heute ist klar: Es waren Illusionen. Die Netzbetreiber sitzen nicht mehr an den Schalthebeln der multimedialen Handywelt. Ihnen droht vielmehr der Abstieg zu bloßen Betreibern eines Datenkanals - ohne jedes Merkmal zur Differenzierung im Wettbewerb. "Dass die Mobilfunker zu bloßen Lieferanten von Bits verkommen, ist keine theoretische Gefahr mehr. Es ist vielmehr ein sehr wahrscheinliches Szenario", behauptet Roman Friedrich, Telekom-Experte des Unternehmensberaters Booz Allen Hamilton.
Auf dem Spielfeld der mobilen Inhalte, Dienste und Anwendungen stehen die Netzbetreiber längst im Abseits. Ihre Versuche, mit Portalen wie T-Zones oder Vodafone Live das Rad abermals neu zu erfinden sind ebenso gescheitert wie das Schmalspurinternet iMode bei E-Plus. "Die Netzbetreiber hatten immer eine vertikale Wertschöpfung als Ziel - jeder Dienst und jede Anwendung sollte immer von ihnen selbst kommen, nie von anderen", analysiert Friedrich.
Es war der untaugliche Versuch, mit den eigenen Produkten gegen die Kreativität der gesamten Internetwelt zu bestehen. Er konnte vorübergehend nur gelingen, weil den Kunden jede erdenkliche Hürde in den Weg gelegt worden ist, alternative Angebote zu nutzen. "Jede Kooperation mit externen Partnern als horizontale Wertschöpfung wäre dabei in der Praxis überlegen", sagt Friedrich. Die Netzbetreiber hätten es jedoch versäumt, ausreichend Brücken zu erfolgreichen Diensteanbietern zu bauen, um diese an sich zu binden.
Schuld, behaupten Beobachter, seien kulturelle Missverständnisse im Topmanagement. Die Mobilfunker waren lange Zeit zu sehr auf die Netztechnik fixiert. "Die Aufmerksamkeit des Managements galt überwiegend den technischen Aspekten von Neuerungen", sagt Arndt Rautenberg, einst Strategiechef der Telekom, heute Partner der Strategieberatung OC&C.; "Die Frage, ob der Nutzer damit etwas anfangen kann, blieb zuweilen unbeantwortet."
Stundenlang können sich Mobilfunkmanager die Köpfe heiß reden über Signalstärken, Gebäudeinnenversorgung und Gesprächsabbruchquoten. Aber E-Mails mobil zu machen, die Navigation auf das Handy zu bringen und das Internet zugänglich zu machen, das ist anderen gelungen. Die Mobilfunker dagegen verzettelten sich beim SMS-Nachfolger MMS und beim Walkie-Talkie-Imitat Push-to-talk - beide Angebote sind kapitale Flops.
Für Innovationen sind inzwischen andere zuständig. Nokia schafft mit Ovi mobile Internetangebote, Apple holt Musik und Videos aufs Handy und Google arbeitet gar an einem kompletten Betriebssystem für Mobiltelefone. Vom Wachstum dieser Datendienste profitieren die Netzbetreiber am wenigsten. Vielmehr wandert ein Teil des Umsatzes, etwa Werbeeinnahmen, zu Firmen wie Yahoo oder Google. "Der rapide Preisverfall bei der Sprachtelefonie wird bisher nicht durch Datendienste kompensiert", sagt Berater Rautenberg. Besserung unwahrscheinlich.
So ist der Weg für die Netzbetreiber wie T-Mobile oder Orange fast schon vorgezeichnet: der Abstieg zu Datenpipelines. Die "Welt" bezeichnete sie jüngst nur noch als "Steigbügelhalter". Und selbst in dieser Rolle dürfen sich die Unternehmen ihrer Zukunft nicht sicher sein: "Die Konsolidierung ist unausweichlich."
In den Vereinigten Staaten mit 300 Millionen Einwohnern existieren vier Netzbetreiber, in Westeuropa mit 280 Millionen Menschen hingegen etwa 60. Das kann sich in nicht rechnen", sagt Joachim Grendel, Telekom-Fachmann von Boston Consulting.
Öffentlich weisen die Netzbetreiber solche Perspektiven als Horrorgeschichten zurück. Intern hat das Zähneklappern aber schon begonnen. Nicht zufällig ist jüngst T-Mobile einen entwürdigenden Pakt mit Apple eingegangen: Von den erzielten Gesprächs- und Datenumsätzen müssen die Deutschen bis zu 30 Prozent an die Amerikaner abtreten - ein Novum in der Branche. Und zugleich der Einstieg in den Abstieg.
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Aus der FTD vom 28.11.2007
© 2007 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD.de
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