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Nr. 46/2000 - 8. November 2000
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Who the Fuck is Jürgen?

»Big Brother« II ist intriganter, spontaner und gemütlicher. von elke wittich

Wenn es eine wirklich verachtenswerte Spezies gibt, dann ganz sicher die, die andauernd lamentiert, früher sei alles viel besser gewesen. Die sich partout nicht darauf einstellen will, dass Fortschritt meistens auch Innovation bedeutet, und völlig unflexibel darauf beharrt, dass das, an das man sich nun einmal gewöhnt hat, sich auf keinen Fall verändern darf. Bei »Big Brother« ist es seit Beginn der zweiten Staffel genauso: Leute, die sich noch vor einem halben Jahr stundenlang darüber unterhalten wollten, ob es nun besser sei, Manu oder Jürgen aus dem Container zu voten, weigern sich heute, »BB« II überhaupt anzuschalten. Weil Manu und Jürgen halt nicht mehr dabei sind.

»BB« II hat jedoch für den vorurteilslosen Betrachter nur Vorteile. Der erste: Die sich selber so völlig ernst nehmenden und daher noch nicht einmal als unfreiwillige Comicfiguren taugenden Moderatoren Percy Hoven und Sophie Rosentreter sind nicht mehr dabei. Der zweite: Seit Stefanies Rauswurf sind auch keine Kölner mehr vertreten. Die waren maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Container in der ersten Staffel zumeist unter einer gnadenlosen rheinischen Frohsinnsterror-Dikatur stand. Besonders unerträglich wurde diese, nachdem Feinblechner Jürgen und Dachdeckerin Sabrina den totalen Spaßkrieg ausriefen, um dann den Zuschauer mit dem, was Kölner unter Humor verstehen, zu bombardieren: zotige Witzchen, flache Scherze und hysterisches Gekreische.

Wie dagegen wirklicher Spaß aussehen kann, zeigten die englischen Big Brothers am besten, die, durchdrungen von britischem Sportsgeist, bis zur Hälfte ihres Wochenbudgets für hochprozentige Getränke ausgaben, ohne vorher stundenlang um Brotbelag und Saftvorräte zu debattieren.

Und auch sonst passierte bei den deutschen Ureinwohnern nicht viel: Während die Bewohner der ersten Staffel anfangs kaum etwas anderes taten, als zu duschen, einander zu verstehen und die Zuschauerquoten nach unten zu treiben, ging es bei der zweiten Generation immerhin gleich zur Sache. Unermüdlich wurde intrigiert, übel gelästert, gestritten und geknuddelt, ganz wie im richtigen Leben, nur eben mit der dazu gehörenden medial induzierten Verkrampfung. Kalkül, wie die Liebhaber des angeblichen Originals gleich lautstark vermuteten, steckte auf keinen Fall dahinter - bis heute kann sich niemand, der in den Container zieht, sicher sein, welche Ausschnitte die Regie aus seinem 24-Stunden-»BB«-Leben zeigt und wie er daraufhin beim Publikum ankommt.

»Das letzte, was ich von der Außenwelt mitbekommen habe, waren die Pfiffe gegen mich«, berichtete beispielsweise Publikumsliebling Christian, der »Nominator«, der während seines Aufenthalts im Haus davon auszugehen hatte, dass er zur absoluten Hassfigur geworden sein musste. Stefanie dagegen, von Bild als Intellektuelle eingeführt, mag anfangs gedacht haben, dass sie als »starke Frau« ganz sicher gut ankommen würde. Dass sie auf keinen Fall nur eine Rolle gespielt hat, beweist ihre strikte Weigerung, sich draußen anders zu präsentieren, auch wenn sie sich mit ihren dünkelhaften Statements selbst alle Chancen auf Plattenverträge etc. nimmt.

Was hat dagegen die erste Staffel neben viel Langeweile überhaupt ausgemacht? In erster Linie Zlatko, dann noch ein oder zwei verdeckte Blowjobs, einige Hühnerstalldachlästereien und der dauerfröhliche Jürgen, der sich mit öffentlichem Tochtergrüßen hervortat. Beleidigt, weil er nicht gewonnen hatte, verschwand er für mehrere Monate in der Versenkung, um nun, wo es fast schon zu spät ist, wieder mit einem Liedchen aufzutauchen. Jetzt jedoch gibt es schon andere Stars, den gemütlichen und musikalisch ungleich beleibteren Harry etwa, die über weitaus mehr Humor verfügenden Christians I und II, den viel besser aussehenden Walter, den wesentlich spontaneren Karim sowie den charmanten Frank, der sich, nach und nach auftauend, als besserer Entertainer erweist, sowie die definitiv intelligentere Alida und die schlagfertigere Hanka.

Und eigentlich ist in der ersten Staffel ja bis auf die niedergeschlagene KAM (Kerstin, Alex, Manu)-Verschwörung, viel Bodybuilding und bis auf den Sieg eines äußerst drögen, geradezu minuscharismatischen Ostlers nichts weiter passiert. Bei »BB« II dagegen ist bereits zur Halbzeit mehr geschehen als in hundert Tagen »BB« I. Eine indianische Hochzeit, mehrere Nervenzusammenbrüche, eine zurückgekehrte abgewählte Kandidatin, eine sich langsam entwickelnde Liebe, eine Platzwunde, eine neue Proll-Ikone namens Christian, die unbeliebteste Narkoseärztin der Republik, eine eilends in den Hühnerstall montierte Kamera und ein Schwangerschaftstest können sich nicht irren.



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