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Nr. 46/2000 - 8. November 2000
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Bayerische Streiche

Alles »Dumme-Jungen-Streiche«, ließ der Weidener Oberbürger-meister Hans Schröpf über seinen Pressesprecher nach mehreren antisemitischen Anschlägen wissen. »Da wird nichts nachkommen.« Erwartungsgemäß ist in der Oberpfälzer Provinz doch etwas »nachgekommen«. Unbekannte warfen letzte Woche Pflastersteine auf das Geschäftshaus der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Gabriele Brenner. Dabei wurde das Glas einer Vitrine zerstört. Das Haus war bereits vor einigen Wochen Ziel eines Angriffes. Brenner kritisierte mehrmals die schlechte Behandlung von Juden und Jüdinnen, etwa beim Sozialamt, was ihr vom CSU-Mann Schröpf den Vorwurf »nicht nachvollziehbarer Ausfälle« einbrachte. Nun fühlt sich die jüdische Gemeindevorsitzende »total verlassen«. Niemand stehe hinter ihr. Ihr Ehemann Leonhard denkt darüber nach, die Stadt zu verlassen. Und Bürgermeister Schrötz findet den neuerlichen Anschlag »ärgerlich«.

Berliner Nazi-Style

Neue Plakate hat das Land. Sie zeigen die biologische Repräsentation dessen, was hier als nicht-deutsch gilt: die Körper von colored people. Zu sehen ist ein gestylter schwarzer Typ mit Nazi-T-Shirt, auf dem in Frakturschrift steht: »Ich bin stolz ein Deutscher zu sein«. Stolz ist auch die Werbeagentur Scholz & Friends, die die taz-Kampagne »Z« entworfen hat und für Daimler und Schering arbeitet. Sie freut sich über ihre Montage des Körpers der Anderen mit der Kultur des Eigenen. So muss sie aussehen, die deutsche Leitkultur unter den Verhältnissen von Berlin-Mitte und Pop: United Colors of German Pride. Auftraggeber ist die Initiative »Deutsche gegen rechte Gewalt«, die von Journalisten bei Viva, ZDF, »Herzblatt« und »Liebe Sünde« getragen wird. Schirmherrin ist die grüne Ausländerbeauftragte Marieluise Beck. Aus aktuellem Anlass empfehlen wir, die Kampagne an den Künast-Slogan vom Verfassungspatriotismus anzupassen und den Models neue T-Shirts überzuziehen. Zum Beispiel mit der Aufschrift: »Politisches Asyl wird gewährt. Das Weitere regelt ein Bundesgesetz.«

Vaterländische Gesellen

Von Beginn an war die neue Vorsitzende über alle Zweifel erhaben. »Ich möchte damit aber keine nationalistischen Wähler ansprechen«, hatte Gabi Zimmer auf dem PDS-Parteitag in Cottbus den Verdacht von sich gewiesen, ihr Liebesbekenntnis zu Deutschland sei Ausdruck eines Rechtsrucks der demokratischen Sozialisten. Durchaus angesprochen aber fühlte sich in der vorigen Woche die FAZ: »Es scheint weit mehr als national-soziales Wahlkalkül zu sein, was die Vorsitzende bewegt. Sie möchte eine Linke sein, die den anti-deutschen Affekt ablegt, die dem eigenen Land nicht mit grundsätzlichem Vorbehalt begegnet, sondern es mag - über die Verfassung hinaus.« Das wollen auch der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Roland Claus, und PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. Zimmer selbst, deren nationales Gesellenstück den ehedem vaterlandslosen Gesellen neben der Option auf Bündnisse mit der SPD neue Wählerschichten im völkischen Milieu erschließen könnte, hielt ebenfalls an ihren Aussagen fest: Die Linke habe ein »verkrampftes« Verhältnis zu Deutschland.

Klein ist die Welt

Die Hoffnung war von kurzer Dauer. Hatte Hans-Joachim Klein noch in den ersten Tagen des Prozesses wegen des Wiener Opec-Überfalls 1975 alle Aussagen gegen andere Beschuldigte zurückgenommen, so entschloss er sich nun doch dazu, den eigenen Bauch zu retten. »Weil ich es nicht über mich brachte, zum Verräter zu werden«, habe er vorab falsche Angaben über die mutmaßlichen Ex-Mitglieder der Revolutionären Zellen, Sonja Suder und Rudolf Schindler, gemacht, ließ er letzte Woche im Landgericht Frankfurt wissen. Was so nicht stimmt. Schließlich sitzt Schindler nur wegen Kleins Plaudereien nach seiner Verhaftung 1998 auf der Anklagebank, und auch die in Frankreich lebende Suder wurde deshalb festgenommen. Den neuen Einlassungen zufolge will der 52jährige die beiden bei einem Treffen im Frankfurter Stadtwald gesehen haben, auf dem er selbst für die Aktion angeheuert worden war. Zudem sollen sie in Wien an der Vorbereitung des Anschlages beteiligt gewesen sein. Möglicherweise kann »Klein-Klein« nun dank der Kronzeugenregelung auf eine mildere Strafe hoffen, obwohl bei dem Überfall drei Menschen erschossen wurden. In Frankreich scheint man jedoch wenig überzeugt von Kleins Aussagen: Bislang weigern sich die Behörden, Suder nach Deutschland auszuliefern.

Schwindel um die Etiketten

Ganz bitterlich beklagte sich Walter Hohlefelder, Vorstand des Energiekonzerns Eon, in einem Brief an das Kanzleramt über Umweltminister Jürgen Trittin. Der halte sich nicht mehr an den Konsens-Vertrag über die Nutzung der Atomenergie. Der Hintergrund: ein Streit um den »Nachweis einer schadlosen Verwertung« des radioaktiven Mülls. Die Atomstromer sind empört, weil Trittin diesen Nachweis fordert. Schließlich ist in Sachen Atom Etikettenschwindel, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte: dass ein Unternehmen, wenn es mit hochgefährlichen Stoffen hantiert, den Behörden erklären muss, wie das Zeug gefahrlos entsorgt wird. Doch im neuesten Streit fand sich schnell eine Lösung, die dem Stil der Branche und des Ministers entspricht. Trittin lobt den »plausiblen Plan« der AKW-Betreiber, das Plutonium zuerst durch die so genannte Wiederaufarbeitung aus den Uran-Brennstäben zu extrahieren und es danach für neue Brennstäbe wieder mit Uran zu mischen. Der Einsatz der so entstehenden MOX-Brennelemente sorgt für noch länger strahlende Spaltprodukte. Wenn Trittin dieses Vorgehen akzeptiert, ist eine wesentliche Voraussetzung für neue Castor-Transporte erfüllt. AKW-GegnerInnen fordern nun eine »schadlose Verwertung« des Umweltministers.



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