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Klimawandel oder Monsunzeit? Egal. Hauptsache Weltuntergang!

Von Sebastian Gronbach

In den 80er-Jahren las ich in allen Zeitungen und hörte aus allen Mündern, dass es nur zwei mögliche Zukunftszenarien gebe: Entweder würde der saure Regen innerhalb von zehn Jahren sämtliche Wälder und damit unseren Sauerstoff vernichten oder der atomare Overkill würde uns kurz vorher zerstäuben. In jedem Fall gebe es einen apokalyptischen "Day after". Die Lust am Risiko bescherte dem SPIEGEL viele glänzende Millionen und den GRÜNEN den Einzug in den Bundestag.
Die Warnungen wurden gehört, auf das Wesentliche reduziert und weil sich im Kapitalismus immer die besten Ideen durchsetzen, erfand die Industrie bald geeignete Mittel um Motoren sauberer zu machen und der Westen gewann planmäßig, dank der Reagen'schen Star-Wars-Trumpfkarte, das Wettrüsten.

So leben wir noch heute.

Aber die Lust am Risiko lebt auch weiter und findet todsicher immer neue Betätigungsfelder. Früher hieß das Mantram "Erst stirbt der Baum, dann stirbt der Mensch"; aber weil dieser Wald einfach nicht totzukriegen ist (dank des Kapitalismus, der ja völlig bescheuert wäre dasjenige zu opfern, womit man so schön Geld verdienen kann: nämlich das Leben seiner Konsumenten), muss ein neues Mantram her und ist auch schnell gefunden: "Erst stirbt der Eisbär, dann der Mensch". Klingt auch viel panischer. Der SPIEGEL wäre dumm, würde er dieses putzige Tierchen nicht weiterhin als verkaufsförderndes Maskottchen einsetzen.

Richtig gut leben lässt es sich mit Nachrichten darüber, dass wir bald gar nicht mehr richtig gut leben werden.
In diesem Sinne ist die Klimakatastrophe die beste Nachricht seit langer Zeit. Hundertmal besser als der saure Regen. Was ist schon ein kaputter Baum gegen einen röchelnden Eisbären?
Aber noch viel besser lassen sich Kinder verkaufen, denen das Wasser bis zum Hals steht. Tiere sind schon toll, aber Kinder sind noch toller. Am tollsten sind Kinder, die ganz weit weg sind und uns deswegen besonders nahe kommen - ach da wünscht man sich doch, dass es ganz schnell Juli wird, damit Al Gore sein "Band-Earth" Konzert machen kann. Danach wird alles ganz schnell besser, was man ja an Afrika sieht, wo es seit Geldofs "Band Aid"-Party nicht mehr Hunger noch Durst gibt. Was Bob kann, kann Al schon lange.
Klasse, Al! So schaffst Du es vielleicht doch noch ins Weiße Haus und musst Dich nicht länger als Versager fühlen. Ich wünsche es Dir ganz doll!

Zurück zum SPIEGEL. Während draußen die toten Bäume dank des frühen Frühlings bereits wieder grün werden, die längst ausgestorbenen Vögel ihr munteres Liedchen pfeifen und die asbestverseuchten Kinder immer noch kerngesund sind, hat der SPIEGEL etwas entdeckt: "Sintflut in Jakarta!" - "Das passt doch prima zur
Veröffentlichung des UN-Klima-Berichtes", denkt man sich im Hause SPIEGEL, wo man längst so denkt wie im Hause Springer. Alles andere wäre auch sehr unkapitalistisch und somit richtig dämlich. Also lässt man auf seiner Internetseite den UN-Bericht auf den Wellen der Flut in unsere PCs spülen und freut sich über dieses Coup.

Haben Sie noch die Bilder von der "Sinflut in Jakarta" bei Spiegel-Online vor Augen? Sooooo groß waren die Bilder und sooooooo fett die Verbindung zur Klimakatastrophe. Seit dem 11. September gab es nicht mehr
sooooo große Bilder bei Spiegel-Online.
Wie damals in den 80ern brauchte man gar nicht zu lesen, was da steht; man wusste sofort - das kann nur instinktiver Journalismus -: Die Welt geht unter und "zuerst versinkt Jakarta, dann versinken wir!"

Ein Freund von mir macht - wie bei info3 angekündigt ein Jahr lang eine Reise durch Asien. Er fliegt und wandert von Land zu Land und er schreibt an seine Freunde regelmäßig wundervolle e-Mails. Gerade kommt seine Mail aus Jakarta. Manuel Tysarzik erzählt Folgendes:

"Nachdem ich die Flut in Jakarta überlebt habe, setzte ich mich in den nächsten Flieger auf die Insel Batam nahe Singapur. Was in den Medien als so schlimm dargestellt wurde, dass mir massig viele Leute abrieten, meinen Flieger zu nehmen, entpuppte sich als relativ normal. Es ist schon richtig, dass das Wasser an einigen Stellen eine Höhe von vier Metern hatte; aber das traf eher nur für Unterführungen zu. Hinter dem Kameramann, der die braunen Fluten so erschreckend wie möglich einfing, spielten die Kinder fröhlich im Wasser. Einige verdienten sich etwas Taschengeld, indem sie Leute in ihren Holzkarren (in denen sie normalerweise Müll sammeln) durch das Wasser kutschierten. Tatsächlich waren nur ein paar Straßen und Gebiete betroffen, was aber hier üblich ist. Es ist nun mal Monsunzeit."

Monsunzeit??? Bitte??? Die Welt geht unter und Du redest von der "Monsunzeit"!?

Wo bleibt da unsere herrliche Panikmache? Auch Intellektuelle und 68er haben ein Recht auf ihren Panik-Kick - nicht nur BILD-Leser.
SPIEGEL-Leser und BILD-Leser unterscheiden sich vor allem in einem: SPIEGEL-Leser meinen immer noch, sie wüssten mehr, wären anders und klickten sich zur Wahrheit. In Wirklichkeit ist es die gleiche Gier wie ein paar Etagen weiter unten: Befriedigung von archaischen Ängsten und bodennaher Sensationsgier auf Studienrats-Niveau und mit alternativen Themen, die längst die Themen der Massen sind.

Vereint sind sie im Vermächtnis der 68er Propheten: "Angst, Angst, Angst" schnattern sie aufgeregt und halten dabei ein Plakat hoch, auf dem sie in Michael Moore'schem Duktus Präsident Bush vorwerfen, er schüre Angst gegenüber der muslimischen Welt.
Also ehrlich, was ist auch schon ein islamistisches Terrorkommando mitten in London oder Madrid, wenn gleichzeitig eine Südseeinsel überschwemmt werden könnte - oder halb Holland mit seinen Coffeeshops.
U-Bahn Station gegen halbe Südseeinsel, liberaler Coffeeshop gegen kapitalistisches WTC. Klar, dass man sich da für Holland und die Südseeinsel entscheidet.

Wo bleibt eigentlich die Al Kaida-Umweltgruppe? Spiegel-Online würde sicher darüber berichten. Mit sooooo großen Bildern, wie man sie früher nur in der BILD gefunden hat. Und der SPIEGEL-Leser würde sich immer weiter klicken, und immer betroffener und betroffener werden und er wäre mit dem BILD-Leser im deutschen Ruf vereint: "Die Welt geht unter".
BILD-Leser und SPIEGEL-Leser sind Mitglieder im gleichen Panik-Club. Der Unterschied besteht darin, dass der BILD-Leser ahnt, dass alles halb so wild ist; er kennt ja seine BILD und seine Panik endet spätestens bei der Sportschau. Für den BILD Leser ist die Panik Teil der Unterhaltung; das hat der SPIEGEL-Leser noch nicht so ganz verstanden. Der SPIEGEL-Leser glaubt noch ganz fest an den Weltuntergang und er glaubt auch noch, dass er damit zu einer Avantgarde gehört. Die aber ist längst woanders. Raten Sie mal wo.

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