Arbeitsrecht und Sozialrecht
 
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  Siebtes Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (15.04.2008)
 

 
Eingliederungsgutschein und Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I für Arbeitlose ab 50 Jahre auf maximal 24 Monate; Integrationsbemühungen für ältere ALG II-Empfänger in den Arbeitsmarkt nach Auslaufen der „58er-Regelung“; Anhebung der Hinzuverdienstgrenze für Bezieher einer vollen Alters- oder Erwerbsminderungsrente auf 400,- Euro.  

Am 25.01.2008 hat der Bundestag in zweiter und dritter Lesung das „Siebte Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch“ verabschiedet. Das Parlament hatte das Gesetz am 14.12.2007 in erster Lesung beraten und an den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.

Nachdem der Bundesrat dem Gesetz am 15.02.2008 seine Zustimmung erteilt hat, kann dieses nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt zu weiten Teilen rückwirkend zum 01.01.2008 in Kraft treten. 

Hintergrund

In der Nacht vom 12. zum 13.11.2007 einigte sich der Koalitionsausschuss nach langem Streit zwischen Union und SPD auf eine Anhebung des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitslose ab 50 Jahren und damit einem Ausbau der sozialen Sicherung älterer Arbeitnehmer, weil diese trotz eines deutlichen Anstiegs der Erwerbstätigenquote der älteren Arbeitnehmer nach wie vor besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Damit wurde ein wichtiges Element des „Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt“ vom 24.12.2003, welches zu der heute geltenden kurzen Bezugszeit für das ALG I führte, modifiziert. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde dann in das am 16.11.2007 vom Bundestag in zweiter und dritter Lesung verabschiedete, derzeit aber noch nicht in Kraft getretene „Sechste Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch“ aufgenommen (§ 434r Abs. 1 SGB III), für die Umsetzung allerdings ein gesondertes Bundesgesetz in Aussicht gestellt. Diese erfolgt mit dem nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf.

Gleichzeitig verständigten sich die Koalitionspartner auch auf verstärkte Bemühungen bei der Integration älterer Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt. Dazu wurde die Einführung eines speziellen Eingliederungsgutscheins vereinbart. Auch dieser wird mit dem nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf ausgestaltet und umgesetzt.

Eine weitere Sonderregelung für ältere Arbeitslose über den erleichterten Bezug von Arbeitslosengeld II (§ 65 Abs. 4 SGB II) läuft zum 31.12.2007 aus. Bislang können erwerbsfähige Hilfebedürftige, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und ALG II beziehen, dieses auch dann weiter beziehen, wenn sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen wollen. Künftig sollen sich diese aktiv und mit Unterstützung der Leistungsträger auch über das 58. Lebensjahr hinaus um ihre Eingliederung in Arbeit bemühen. Gleichzeitig soll künftig einheitlich für alle Hilfebedürftigen festgelegt werden, dass diese erst ab vollendetem 63. Lebensjahr eine Altersrente mit Abschlägen in Anspruch nehmen müssen.

Inhalt des Gesetzes

Im Einzelnen trifft der Gesetzentwurf folgende Neuregelungen:

1. Anhebung des ALG I für ältere Arbeitslose

Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose beträgt künftig gemäß § 127 Abs. 2 SGB III:

nach Versicherungspflichtverhältnissen mit einer Dauer von insgesamt mindestes … Monaten

und nach Vollendung des … Lebensjahres

… Monate

30

50.

15

36

55.

18

48

58.

24

Der verlängerte Bezug von ALG I knüpft an ebenfalls verlängerte Versicherungszeiten an. Demgemäß wird auch die erweiterte Rahmenfrist um 2 Jahre auf nunmehr 5 Jahre verlängert (§ 127 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III). Angepasst wird auch die Regelung des § 127 Abs. 4 SGB III: Danach verlängert sich die Dauer eines neu erworbenen Anspruchs auf Arbeitslosengeld um die Restdauer des bisherigen erloschenen Anspruchs, wenn nach der Entstehung des neuen Anspruchs noch nicht 5 (bislang 4) Jahre verstrichen sind.

Nach der Übergangsregelung des § 434r SGB III wird die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosen, die vor dem 01.01.2008 das 50 bzw. 58. Lebensjahr vollendet haben pauschal auf 15 bzw. 24 Monate erhöht, wenn deren Höchstanspruchsdauer nach § 127 Abs. 2 SGB III in der bis zum 31.12.2007 gültigen Fassung Ende des Jahres 2007 noch nicht erschöpft ist.

2. Spezieller Eingliederungszuschuss für ältere Arbeitslose

Zur gleichzeitigen Aktivierung und Verbesserung der Integrationschancen älterer Arbeitsloser führt § 223 SGB III als zusätzliches Förderinstrument einen Eingliederungsgutschein ein: Voraussetzung für den Erhalt eines Eingliederungsgutscheins ist ein mindestens zwölfmonatiger Anspruch auf Arbeitslosengeld. Ist ein älterer Arbeitsloser bereits seit mindestens 12 Monaten arbeitslos, besteht ein Rechtsanspruch auf den Eingliederungsgutschein, im Übrigen handelt es sich dabei um eine Ermessensleistung.

Auf der Basis des Eingliederungsgutscheins erhalten Arbeitgeber bei der Einstellung eines älteren Arbeitslosen einen Eingliederungszuschuss, wenn dieser eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt, die Arbeitszeit mindestens 15 Wochenstunden beträgt und das Arbeitsverhältnis mindestens für die Dauer eines Jahres begründet wird.

Der Eingliederungszuschuss wird für die Dauer von 12 Monaten geleistet und beträgt zwischen 30 und 50 % des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts iSd § 220 SGB III. Hat ein älterer Arbeitsloser Anspruch auf einen Eingliederungsgutschein, beläuft sich der Eingliederungszuschuss stets auf 50 %.

Zur Verhinderung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme dieser Leistung ist eine Förderung gemäß § 223 Abs. 5 SGB III ausgeschlossen, wenn entweder zu vermuten ist, dass der Arbeitgeber die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses veranlasst hat, um einen Eingliederungszuschuss zu erhalten oder aber die Einstellung bei einem früheren Arbeitgeber erfolgt, bei dem der Arbeitnehmer während der letzten 2 Jahre vor Förderungsbeginn mehr als drei Monate versicherungspflichtig beschäftigt war.

Flankiert wird die Regelung des § 223 SGB III durch eine Ergänzung der Vorschriften über die Eingliederungsvereinbarung: Gemäß § 35 Abs. 4 S. 2 SGB III soll bei den Arbeitslosen, die einen Eingliederungsgutschein nach § 223 SGB III erhalten, die Ausgabe des Eingliederungsgutscheins mit einem Arbeitsangebot oder einer Vereinbarung über die notwendigen Eigenbemühungen zur Einlösung des Eingliederungsgutscheins verbunden werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass das neue Instrument des Eingliederungsgutscheins auch tatsächlich von den älteren Arbeitslosen in Anspruch genommen wird und im Sinne des Grundsatzes „Fördern und Fordern“ die berufliche Eingliederung konkret unterstützt.

3. Auslaufen der „58er-Regelung“ für ALG II-Bezieher

Nach Auslaufen der sog. „58er-Regelung“ für ALG II-Bezieher (§ 65 Abs. 4 SGB II) sollen sich künftig auch wieder erwerbsfähige Hilfebedürftige über das 58. Lebensjahr hinaus aktiv um ihre Eingliederung in Arbeit bemühen. Demgemäß bestimmt der neue § 3 Abs. 2a SGB II, dass diese unverzüglich in eine Arbeit oder in eine Arbeitsgelegenheit zu vermitteln sind. Damit haben die Leistungsträger künftig auch mit diesen Hilfebedürftigen für die Dauer von jeweils 6 Monaten eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen und dabei aller 6 Monate zu prüfen, ob eine Eingliederung in Arbeit oder in eine Arbeitsgelegenheit möglich ist.

Jedoch werden ältere ALG II-Empfänger auch künftig nicht in vollem Umfang von der Arbeitslosenstatistik erfasst: Haben erwerbsfähige Hilfebedürftige nach Vollendung des 58. Lebensjahres mindestens für die Dauer von 12 Monaten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezogen, ohne dass ihnen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten worden ist, gelten diese nach Ablauf dieses Zeitraums für die Dauer des jeweiligen Leistungsbezugs nicht als arbeitslos, § 53a Abs. 2 SGB II.

Gleichzeitig wird dabei auch das Prinzip der Nachrangigkeit von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Hinblick auf den Bezug einer Altersrente präzisiert: Grundsätzlich sind Hilfebedürftige gemäß § 12a S. 1 SGB II verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Jedoch sind sie gemäß § 12a S. 2 SGB II bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres nicht verpflichtet, eine Altersrente vorzeitig in Anspruch zu nehmen. § 13 Abs. 2 SGB II enthält diesbezüglich eine Ermächtigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, in eng begrenzten Ausnahmefällen per Rechtsverordnung festzulegen, unter welchen Voraussetzungen und für welche Dauer Hilfebedürftige auch nach Vollendung des 63. Lebensjahres ausnahmsweise nicht verpflichtet sind, eine Altersrente vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

4. Weitere Änderungen

Darüber hinaus trifft das Gesetz zwei weitere wesentliche Änderungen:

Die Hinzuverdienstgrenze für Bezieher einer Altersrente als Vollrente oder einer Rente wegen voller Erwerbsminderung wird von 350,- auf die Geringfügigkeitsgrenze von 400,- Euro angehoben (§§ 34 Abs. 3 Nr. 1, 96 Abs. 2 Nr. 2 SGB II). Damit greift der Gesetzgeber eine Forderung des Bundesrates (zuletzt BR-Drs. 746/07(B)) auf und erwartet davon insbesondere Verwaltungsvereinfachungen für die Rentenversicherungsträger.

Entsprechend der zum 01.01.2008 erfolgenden Anhebung des Bedarfssatzes für Berufsfachschüler von 192,- auf 212,- Euro (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG) wird auch die in § 235b Abs. 1 S. 1 SGB III geregelte Höhe der maximal förderfähigen Vergütung einer Einstiegsqualifizierung entsprechend angepasst.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 23.01.2007

Mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 23.01.2007 wurde das Gesetz in folgenden wesentlichen Punkten ergänzt:

  • Die Übergangsregelung des § 434r Abs. 1 SGB III für Arbeitslose, deren Anspruch auf ALG I zum 31.12.2007 noch nicht aufgebraucht war, wird in den Abs. 3 und 4 um eine weitere Übergangsregelung zur Entgeltsicherung für Ältere (§ 421j SGB III) und zum Gründungszuschuss (§ 57 SGB III) erweitert.
  • Eine weitere Übergangsregelung in § 65 Abs. 4 S. 4 SGB II stellt sicher, dass Personen, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und die bereits vor dem 01.01.2008 unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 Abs. 1 SGB III ALG I bezogen haben und erstmals nach dem 31.12.2007 hilfebedürftig werden, ebenfalls unter erleichterten Voraussetzungen ALG II erhalten und damit von der bisherigen sog. „58er-Regelung“ profitieren können.
  • § 319c SGB VI räumt Arbeitslosen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld nach der bisher gültigen Regelung zum 31.12.2007 erschöpft war und die inzwischen eine Altersrente beziehen, deren Bezugsdauer sich nunmehr aber nach § 434r Abs. 1 SGB III erhöht hat, die Möglichkeit ein, von der Altersrente wieder in den Arbeitslosengeldbezug zu wechseln. Besteht der Anspruch auf ALG I fort, entfällt – auch rückwirkend – der Rentenanspruch. Nach Ende des Arbeitslosengeldbezugs wird die Rente von Amts wegen wieder geleistet.

Dr. René Weißflog, WHK

    Materialien:

    Siebtes Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 08.04.2008, BGBl. Nr. 14 vom 11.04.2008, S. 681 ff.


    Zweite und Dritte Lesung des Bundestages am 25.01.2008, Pl.Pr. 16/140, S. 14739B - 14760B

    Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 23.01.2008, BT-Drs. 16/7866

    Erste Lesung des Bundestages am 14.12.2007, Pl.Pr. 16/134, S. 14142D - 14157D

    Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 11.12.2007, BT-Drs. 16/7460


    Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 21.01.2008:

    Tagesordnung und Liste der geladenen Sachverständigen und Verbände

    Stellungnahmen





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