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Twilight-Hauptdarsteller Robert Pattinson
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von Ariadne von Schirach
Der Erfolg von Stephenie Meyers „Twilight“-Saga beruht weniger auf schaurig-schönem Schrecken als auf einer hellsichtigen Neuauflage des Generationenkonflikts, meint Ariadne von Schirach: Es gehe um das Dilemma unreifer Erwachsener und ihrer Kinder ohne Kindheit.
Ein Junge liebt ein Mädchen. Der Junge ist ein Vampir, das Mädchen ein durchschnittlicher Teenager. Mit dieser Geschichte, erzählt in vier dicken Bänden, hat Stephenie Meyer, 34-jährige Mutter dreier Söhne und mormonischen Glaubens, mittlerweile über 70 Millionen Bücher verkauft. Sie hat ein gültiges und bewohnbares Paralleluniversum geschaffen, vergleichbar mit J. K. Rowlings „Harry Potter“ oder Tolkiens „Herr der Ringe“. Woher kommt dieser ungeheure Erfolg?
Twilight ist mehr als eine Liebesgeschichte. Die Saga funktioniert zugleich als Parabel einer nachgeholten glücklichen Kindheit. In der Erfüllung dieser verdrängten Sehnsucht liegt eine archetypische Wucht, weil das Schuldigwerden von Eltern an ihren Kindern nach wie vor ein Tabuthema ist. 1979 veröffentlichte die Psychoanalytikerin Alice Miller ihre Untersuchung „Das Drama des begabten Kindes“. Die Autorin beschreibt, wie aus ungeliebten Kindern lieblose Eltern werden – durch generationenübergreifende Kreisläufe von Machtmissbrauch und Vernachlässigung. Das Kind, auf die Welt gekommen mit dem Bedürfnis nach Anerkennung und Selbstentfaltung, merkt schnell, dass es die notwendige Zuneigung nur bekommt, wenn es die Anforderungen der Eltern erfüllt. Es passt sich deren Erwartungen an, was es davon abhält, ein eigenes Selbst zu entwickeln und sich unabhängig von seinen Leistungen oder Erfolgen als wertvoll zu erleben. Das führt oft dazu, dass Kinder gezwungen werden, vor der Zeit für die Eltern Verantwortung zu übernehmen; und das ermöglicht jenen, im bequemen infantilen Stadium zu verharren. Auf Kosten ihrer Kinder.
Es sind Kinder wie Bella Swan. Ihre Mutter hat sie im Stich gelassen, um mit ihrem jüngeren Liebhaber durchs Land zu tingeln. Bellas Vater, zu dem sie deshalb ziehen muss, geht schnell zur Routine über – die Tochter ist für ihn fortan Köchin und Putzfrau. Damit stehen Bellas Eltern stellvertretend für eine ganze Generation unreifer Erwachsener, die ihren Kindern verweigern, was diese am nötigsten brauchen: Geborgenheit. Bellas Mutter orientiert sich an ihrem eigenen Begehren, nicht an den Bedürfnissen ihrer Tochter. Bellas Vater ist emotional derart gestört, dass echte Kommunikation gar nicht möglich ist. Bei Problemen zieht er sich auf eine ebenso unsichere wie unbegründete Autorität zurück. Pubertierende Eltern – das Resultat sind traurige, vernachlässigte Kinder, die nie gelernt haben, ihre eigenen Wünsche ernst oder wichtig zu nehmen. Bella selbst zeigt typische Symptome: Sie wünscht nicht, hofft nicht, fordert nicht. Diese Passivität ist fast unerträglich, aber so wurde sie erzogen. Sie kennt nichts anderes.
Doch dann passiert das Wunder: Edward Cullen, wunderschöner Jüngling und unsterblicher Vampir, verliebt sich in Bella. Um Edwards Interesse zu erklären, beschreibt die Autorin Bellas Blut als besonders anziehend, was durchaus als Chiffre für die einmalige Essenz einer Person zu verstehen ist. Bella wird also ohne weiteres Verdienst geliebt, einfach, weil sie so ist, wie sie ist: eine Liebe, die ihre eigenen Eltern ihr nie entgegenbringen konnten.
Auf einmal darf Bella Kind sein, zum ersten Mal. Durch den Eintritt in die fremdartige Welt der übermenschlichen Wesen wird sie wieder klein und hilflos und muss vor allen Gefahren geschützt werden, inklusive Edwards und ihrer eigenen Libido. In den ersten Bänden gleicht Edward eher einer Art zweiter „Mutter“ denn der des romantischen Helden. Er behütet, er beschützt, er übernimmt Verantwortung. Und angesichts seiner bedingungslosen Liebe darf Bella ihr Selbst noch einmal neu formulieren, darf zu der werden, die sie sein könnte. Sie erlebt ein zweites Aufwachsen unter idealen Bedingungen. Am Ende der Saga ist sie bereit, selbstbewusster Teil der Erwachsenenwelt zu werden und ihre ganz eigenen Talente in die Gemeinschaft einzubringen. Die dafür notwendige Selbstbeherrschung ist die wichtigste Tugend der Cullen-Familie, die auf Menschenblut verzichtet; andere sind Großzügigkeit, Mitgefühl und Loyalität, Eigenschaften also, die gereifte Erwachsene besitzen, nicht aber Bellas emotional unterentwickelte Eltern. In der Twilight-Saga fungiert eine Vampirfamilie als Sinnbild verantwortungsbewusster Erwachsener.
Das ist eine recht ironische Wendung, denn der Vampir symbolisiert traditionell etwas anderes: Sexualität, Verführung und die Hybris der Unsterblichkeit. Zugleich steht er für die Struktur des Teufelskreises – wer gebissen wird, muss beißen. Gewalt gebiert Gewalt. Genau diesem Mechanismus fallen auch die von Alice Miller beschriebenen Eltern unbewusst zum Opfer, indem sie ihre eigene unglückliche Kindheit an ihren Kindern wiederholen. Oder nicht erwachsen werden. In Twilight gelingt es ausgerechnet den Vampiren, ihre eigene Natur zu beherrschen und menschlicher zu werden als die Menschen selbst. Der teuflische Kreis wird durchbrochen – wahre Liebe und eine gemeinsame Zukunft sind möglich. Dieser Traum ist so schön, dass Millionen Leser auf der ganzen Welt daran teilhaben wollen. |