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US-Botschafter Phil Murphy mit dem Außenminister Guido Westerwelle
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Wikileaks und die Krise der klassischen Diplomatie
von Christoph Seils

Die Wikileaks-Enthüllungen befördern nicht das Ende der klassischen Diplomatie. Schließlich gibt es diese schon längst nicht mehr. Doch viele Diplomaten tun sich schwer damit, ihre neuen Aufgaben zu akzeptieren und ein neues Selbstbild zu formulieren.

Die amerikanische Botschaft in Berlin ist eine Trutzburg. Terrorsicher und streng bewacht steht sie am Pariser Platz, gleich neben dem Brandenburger Tor. Macht und Mächtigkeit symbolisiert der Bau in der Mitte Berlins. Doch seit am Wochenende die geheimen Dossiers der Botschaft ans amerikanische Außenministerium öffentlich wurden, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als würden Schein und Sein der Diplomatie weit auseinanderklaffen.

Wichtiges haben die amerikanischen Diplomaten aus Berlin nicht nach Washington gekabelt. Merkel ist eine Teflon-Politikerin und Guido Westerwelle hat als Außenpolitiker wenig Substanz, all dies hätte das amerikanische Außenministerium auch bei oberflächlicher Lektüre der deutschen Tageszeitungen erfahren können. In anderen Weltgegenden sieht es nicht anders aus, der russische Präsident Putin sei ein Alphatier, haben die amerikanischen Diplomaten zum Beispiel berichtet und Kenia ein Sumpf der Korruption. Dafür bräuchten sie vermutlich noch nicht einmal die Zeitung zu lesen. Und was die Diplomaten hingegen über die Äußerungen von Diktatoren zum Beispiel im Nahen Osten kolportieren, wird nie offiziell bestätigt werden, es bleibt für die Öffentlichkeit also im Ungefähren.

Trotzdem ist die Aufregung groß, die Politiker und Journalisten debattieren über blamierte Regierungen, über die Folgen für die amerikanische Außenpolitik und über das vertrauliche Wort im Zeitalter des Internets. Dabei werfen die von Wikileaks veröffentlichten Geheimdokumente vor allem die Frage auf: wie steht es eigentlich um die Diplomatie auf der Welt und um das Selbstverständnis der Diplomaten?

Früher waren die Botschaften der Staaten in aller Welt wichtige Institutionen und unverzichtbar für die Außenpolitik. Die Diplomaten gehörten zur Elite eines Landes, ihr Geschäft war heikel, absolute Verschwiegenheit unabdingbar. Ein falsches Wort konnte zu politischer Eiszeit zwischen Staaten führen, eine fehlgeleitete Depesche Kriege auslösen. Gleichzeitig waren die Diplomaten wichtige Verbindungsglieder zwischen verfeindeten Staaten, im Kalten Krieg unterhielten sie unverzichtbare Verhandlungskanäle zwischen Ost und West. Staatsbesuche wurden von den Botschaften langfristig vorbereitet, Kompromisse im Vorfeld ausgelotet. Der Erfolg internationaler Konferenzen stand häufig schon fest, bevor die Kanzler, Präsidenten und Könige anreisten.

Die Diplomatie war eine Kunst für sich. Vor allem die Sprache der Diplomaten war eine eigene, sie blieb häufig im Vagen und ungefähren, Klartext hingegen war verpönt. Diplomaten waren, wenn sie ihr Handwerk verstanden, das geschmeidige Scharnier zwischen verschiedenen politischen Welten, weltanschaulichen Machtbereichen und unterschiedlichen Kulturen.

Die Welt der Diplomaten war zugleich hermetisch abgeriegelt, die Karrierewege waren klar vorherbestimmt. In den USA wurde der Auswärtige Dienst viele Jahrzehnte vor allem von den Nachkommen europäischer Einwanderer, die an der Ostküste lebten und einen starken Bezug zu ihrer alten Heimat hatten, dominiert. Das ist mittlerweile völlig anders. In Deutschland tummelten sich dort früher vor allem Adlige, doch weil nach dem Zweiten Weltkrieg der deutsche Adel desavouiert war, wurde er in der alten Bundesrepublik zu einer Hochburg der Juristen. Inzwischen sind diese im diplomatischen Chor in der Minderheit, stattdessen werden die unterschiedlichsten Qualifikationen gebraucht, Wirtschaftswissenschaftler und Militärexperten genauso wie PR-Strategen oder Kultur-Manager.

Im Zeitalter der Globalisierung und des Internets, der weltumspannenden Telefonleitungen und der permanenten Reisediplomatie haben sich die Bedeutung der Botschaften und die Aufgaben der Diplomaten grundlegend gewandelt. Die alten diplomatischen Tugenden und Qualifikationen sind in den Hintergrund getreten. Politiker jetten ständig um die Welt, die Staatsmänner treffen sich regelmäßig auf Konferenzen, telefonieren, wann immer es sein muss. Politische Kompromisse werden nicht mehr in diplomatischen Missionen vorbereitet, sondern bei nächtlichen Kamingesprächen gesucht. Auch in der jetzigen Situation wird Präsident Obama vermutlich selbst zum Telefon greifen, wenn es darum geht, im Gespräch mit Angela Merkel mögliche Verstimmungen in den deutsch-amerikanischen Beziehungen zu bereinigen. Auch beim saudischen König Abdullah wird er den persönlichen Kontakt suchen.

Die Rolle und die Aufgabe des Botschaftspersonals haben sich in der Folge grundlegend gewandelt. Es ist ganz überwiegend damit beschäftigt, das touristische Begleitprogramm für Staatsbesuche zu organisieren, den Kulturaustausch zu organisieren oder der heimischen Wirtschaft im Ausland unter die Arme greifen. Wenn dann noch Zeit bleibt, dann werden Zeitungsausschnitte archiviert. Darüber hinaus notieren sie eben, dies zeigen die Wikileaks-Papiere, Partygeschwätz und produzieren so weitere völlig überflüssige Aktenberge.

Auch der Botschafter selbst spielt eine völlig neue Rolle, er ist nicht mehr wortgewandter Türöffner, sondern Berater, nicht mehr politisch-kultureller Übersetzer sondern weltpolitischer Experten und Manager der internationalen Beziehungen. Der Botschafter muss deshalb auch nicht mehr nur ein absolut loyaler Beamter sein, sondern vor allem Zugang zur Macht haben. Er muss sich trauen, mit seinen vorgesetzten Ministern und Präsidenten offen zu sprechen und notfalls auch widersprechen. Nur geschieht dies meist im persönlichen Gespräch.

Kein Wunder also, dass die Regierungschefs in geostrategische Schlüsselländer gerne politische Vertraute entsenden, die nicht mehr unbedingt Elitebeamte mit einer langen diplomatischen Karriere sind. Stattdessen werden dorthin persönliche und politische Vertraute entsandt. Der amerikanische Botschafter in Deutschland, Philip Murphy zum Beispiel, war früher nicht nur Banker, sondern auch Finanzchef der Demokraten. Für den Obama-Wahlkampf sammelte er die Rekordspendensumme von 640 Millionen Dollar ein, ihm steht das Weiße Haus auch jetzt noch jederzeit offen. Dass sich von dem, was Murphy dort zum Beispiel mit Obama unter vier Augen bespricht, kein Wort in den jetzt öffentlich gewordenen Geheimberichten wiederfindet, ist daher natürlich kein Wunder.

Die Wikileaks-Enthüllung bedeutet also nicht das Ende der klassischen Diplomatie. Es gibt diese schließlich schon längst nicht mehr. Stattdessen wurde der Öffentlichkeit durch den Geheimnisverrat vor Augen geführt, wie schwer sich viele Diplomaten damit tun, ihre neuen Aufgaben zu akzeptieren und ein neues Selbstbild zu formulieren.

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Leserkommentare
Lesser (Hanstedt) 03.12.2010
Jedenfalls wird es die Kanzlerin mit Humor nehmen, als Teflonkanzlerin bezeichnet zu werden. Schließlich hat sie damit schon fast zum eisernen Kanzler aufgeschlossen !
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Christoph Seils
Christoph Seils ist Ressortleiter Online von Cicero.


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