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Oliver Stone glaubt an das Ende des amerikanischen Zeitalters.
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19.10.2010
Oliver Stone: "Geld ist eine Hure"
Interview mit Oliver Stone


Gordon Gekko, Sinnbild des gierigen Börsenmaklers im Film „Wall Street“, ziert ab Donnerstag wieder die Kinoleinwände. Der dreifache Oscar-Gewinner Oliver Stone präsentiert mit „Wall Street 2“ seine neueste Interpretation der Exzesse an der New Yorker Börse. Im Gespräch mit Cicero Online rät er nur hartgesottenen Spekulanten, sich auf Aktien einzulassen und verrät, warum Obama noch keinen Stoff für einen Spielfilm bietet.


Trotz des anrüchigen Themas seines neuesten Werkes hat sich Amerika-Erklärer Oliver Stone seinen Sinn für Poesie erhalten. Gehetzt betritt er nach einstündiger Verspätung die Suite im Berliner Hotel De Rome, dem Gebäude der ehemaligen Staatsbank der DDR, blickt vom Stuhl aus dem Fenster mit den Worten: „Hier sind wir an einem nebligen Oktobertag, der Abend nähert sich und Wim Wenders Engel von Berlin sind um uns herum.“ Nach bedächtigen Sekunden des Schweigens beginnt das Interview mit einem wild gestikulierenden Oliver Stone, der jeden Teil seiner Mimik einsetzt, um seinen Gesprächspartner zu überzeugen.

Hatten Sie denn keine Angst, die Fortsetzung von Wall Street der Öffentlichkeit zu präsentieren, wenn die ganze Aufregung über die Finanzkrise längst vorüber ist?
Mein Film handelt doch nicht nur über die Lehman-Pleite und ihre Folgen. Die bilden eigentlich einen Rahmen für sechs Menschen, die in der Arena von New York ihre Geschäfte erledigen, sich lieben und betrügen.

Die New Yorker Börse kennen Sie aus ihrer Kindheit. Ihr Vater war Börsenmakler. Was für die Wall Street-Filme Nützliches lernten Sie von ihm?
Er arbeitete an der Wall Street in den 50ern. Wo die Börsenmakler bis in die 60er aufrichtig glaubten, ein bescheidener und regulierter Kapitalismus funktioniert. Mein Vater beschwerte sich öfters darüber, dass es keine guten Filme über das Finanzgeschäft gibt. Sicher motivierte mich das, Ende der 80er überhaupt den ersten Wall Street-Film zu drehen. In dieser Zeit eines Gordon Gekkos veränderte sich der Wertpapierhandel radikal.

Mit Gordon Gekko brachten Sie den Prototypen des amoralischen Bankers auf die Leinwand. Inwiefern ähnelte er ihrem Vater?
Gordon Gekko ist das Gegenteil meines Vaters. Er ist ein gewissenloses, erfolgreiches Schwein. Im Film verlässt er ohne Geld oder Einfluss das Gefängnis. Trotzdem entkommt Gekko der scheinbar trostlosen Situation. Erst schreibt er das Buch „Ist Gier gut?“. Dann besorgt er sich illegal Geld, investiert es in Finanzanlagen, obwohl fast alle anderen Investoren panisch sind und verdient wieder ein Vermögen.

Warum gefallen den Menschen Typen wie Gekko?
Amerikaner, wahrscheinlich sogar die meisten Menschen, lieben den Gewinner. Dessen Charakter ist doch belanglos. Mir gefallen die guten Jungs in den Wall Street-Filmen besser, die einst Charlie Sheen oder jetzt Shia LaBoeuf verkörpert. Mein Geschmack wird wohl nicht bevorzugt.

Warum lassen Sie dann den betrügerischen Gekko gegen Ende von „Wall Street 2“ Reue zeigen? Immerhin hatte er seine Tochter um Millionen von Dollar beraubt und gab ihr erst das Geld wieder, als er damit Hunderte Millionen Dollar verdient hatte.
Sie nennen das Reue zeigen, für mich ist das nur ein weiterer Gekko-Deal. Die zehn Prozent seines Gewinns, die er zurückbezahlen will, sollen seine Tochter besänftigen und ihm Zugang zu seinem Enkel geben. Ein guter Handel, oder? Ich habe solche gierigen Finanzhaie auf der ganzen Welt getroffen. Wer wirklich Schotter machen möchte, muss rund um die Uhr daran denken. Vielleicht nehmen die auch am Benefizkram teil. In Wirklichkeit sind die nur von Geld besessen. Sie wollen nur gewinnen. Diese Leute zweifeln nicht wie Präsident Nixon an sich, sie ähneln in ihrer Überzeugung mehr George Bush Jr., sind aber geschickter.

Von was sind eigentlich Sie besessen?
Ich versuche eine Kunstform zu erfinden, welche meine Lebensrealität wiederspiegelt. Deswegen plagen mich viele Zweifel.

Würden Sie sich selbst einen Gewinner nennen?
Nein, ich habe auch sehr viel verloren. Man lernt von den Niederlagen wahrscheinlich mehr als von den Erfolgen. Aber man braucht sie, um sich eine Weile wohl zu fühlen.

Haben wir aus der Finanzkrise genug Lehren gezogen, damit sich eine solche nicht wiederholt?
Ach, wir hätten die fast insolventen Banken abstürzen lassen sollen. Zwei bis drei Jahre lang wären ihnen andere gefolgt, aber profitiert hätten davon die seriösen Banken. Warum müssen wir eigentlich alte Säcke unterstützen, nur weil sie zu groß sind, um sie bankrott gehen zu lassen? Junge Menschen besitzen Banken, die gerade an Bedeutung gewinnen. Der Ausspruch „zu groß, um fallen gelassen zu werden“ kann für große militärische Operationen gelten wie in Afghanistan, Irak oder Vietnam. Aber niemand denkt dabei an Banken. In Vietnam und Irak scheiterten wir und in Afghanistan werden wir versagen.

Klingt pessimistisch. Wie sieht die Zukunft des amerikanischen Empires aus?
Sein Zeitalter ist vorbei. Es ähnelt dem Ende des römischen Imperiums. Wir bauen Mauern, um die Barbaren draußen zu halten. Auf diese Weise ändert man nie etwas. Wir leben in Gefahr.

Männer sind doch immer die Hauptcharaktere ihrer Filme. Inspirieren Sie gerade die Männer, die zerstörerisch sind oder alles tun würden, um ihre Ziele zu erreichen?
Das ist nicht wahr! Es gibt tausend Frauen, die betrügen oder töten. In meinem Film „Zwischen Himmel und Hölle“ fährt eine Vietnamesin in die USA, wo sie lernen muss, sich anzupassen. Ich habe nur mehr Männer auf die Leinwand gebracht, weil ihre Geschichten in meinem Leben eine sichtbarere Rolle gespielt haben. Liebend gerne würde ich wieder eine Geschichte über eine Frau drehen. Ich bin keinesfalls gegen Frauen. Für mich ist dramatische Spannung wichtig.

Wäre Präsident Obama ein dramatauglicher Charakter?
Weniger. Meine Geschichten handeln über Dramen, nicht über aktuelle Nachrichten. Für mich ist Obamas Geschichte noch nicht abgeschlossen. Ich verfolge ja auch nicht jeden Präsidenten wie Bush. Der reizte mich, weil es so unglaublich ist, was dieser Typ wegen seiner Ignoranz tat. Er ging über Leichen, brach Verträge, missachtete die Vereinten Nationen und Europas Willen. Bist du dämlich oder nicht, wer ohne Zweifel lebt, kann Menschen vernichten.

Mr. Stone, Sie sind selber Investor…
Ja.

Ist es die Gier, die sie motiviert, mehr Geld zu verdienen?
Nein, es ist die Angst.

Vor was?
Ich muss mich um drei Kinder, eine Mutter und drei Ehefrauen kümmern. Ich habe alle Hände voll zu tun. Wenn du im Finanzgeschäft arbeitest, muss man die ganze Zeit ans Geld denken. Wer denkt, er schafft es dort wegen seiner großen Seele, begeht Selbstmord. Menschen wie Gekko denken ununterbrochen an Geld. Sie schlafen mit ihm. Geld ist eine Hure, die niemals schläft. Ständig muss man ein Auge auf sie richten und es lieben, sonst verlässt sie dich am Morgen. Denk daran.

Vielen Dank für den Tipp und das Gespräch.

Das Interview führte Daniel Schrödel

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Oliver Stone
Oliver Stone ist US-amerikanischer Filmregisseuer. Er gewann dreimal den Oscar.


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