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Deutschland, deine Denkerinnen
von Wolfram Eilenberger

Das höchst angesehene US-Magazin Foreign Policy hat die 100 weltweit einflussreichsten Denker des Jahres 2010 gekürt. Unter ihnen befindet sich nicht ein einziger Deutscher. Nicht ganz. Denn auch wenn es für deutsche Männer nicht reichen wollte, haben es wenigstens Angela Merkel und Renate Künast geschafft.

Ich habe die Liste jetzt zweimal sorgfältig durchgeklickt. Und der Befund steht fest: Kein Peter Sloterdijk. Kein Jürgen Habermas. Und auch kein Thilo Sarrazin. Tatsächlich befindet sich unter den 100 global einflussreichsten Denkern des Jahres 2010 nicht ein einziger Deutscher! So jedenfalls hat es das höchst angesehene US-Magazin Foreign Policy in seiner nun erschienenen Liste „The 100 Top Global Thinkers of 2010“ bestimmt. Das Land der Dichter und Denker im Zentrum Europas, es geht global gesehen leer aus.

Kann das wirklich wahr sein? Nein, kann es nicht. Jedenfalls nicht ganz. Denn auch wenn es für deutsche Männer nicht reichen wollte, haben es wenigstens zwei einheimische Denkerinnen unter die Erwählten geschafft. Zunächst Angela Merkel – auf Platz 10 nebenbei bestplatzierte Frau des Planeten – sowie, und hier, liebe Leser, dürfen Sie gerne dreimal raten: Cornelia Funke? Nein. Alice Schwarzer? Nein. Ulla Berkéwicz? (Wer?). Nein, nein, und nochmals nein. Von allein kommen Sie da nie drauf, ich schwöre es Ihnen! Es ist Renate Künast. Und zwar auf Platz 32, direkt hinter dem britischen Premierminister David Cameron!

Die Begründung der Jury für diese eigenwillig anmutende Positionierung liest sich in Auszügen wie folgt: „Renate Künast presides over Gemany´s Green parliamentary coalition at a time when the party there is polling higher than ever… (Renate Künast ist die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und dies zu einem Zeitpunkt, da die Umfragewerte für diese Partei so hoch wie noch nie sind“). Ferner sei Künasts politisches Handeln von der Überzeugung geleitet „… that the environment ist the electoral issue of the future“ (… dass Wahlen in Zukunft von Umweltthemen bestimmt werden).

Nun. Gönnern wir uns einen Moment und denken selbst nach: Völlig von der Hand zu weisen ist diese Begründung nicht. Rein intellektuell gesehen mag es sich zwar weder bei Merkel noch Künast um eine würdige Nachfolgerin von Hannah Arendt handeln, aber um eine adäquate Einschätzung eigentlich denkerisches Stärken ist es den Schöpfern der Liste, wie bereits ein erster flüchtiger Blick erhellt, ohnehin nie gegangen. (Den Spitzenplatz teilen sich die mildtätigen US-Milliardäre Warren Buffet und Bill Gates.) Vielmehr bleibt das Ranking symptomatisch zu lesen, das heißt, als aussagekräftiger Indikator global herrschender Themen, Einschätzungen und Vorurteile. Die Tatsache, dass Deutschland sich durch zwei durchsetzungsfähige Politikerinnen von eher herber Anmutung vertreten sieht, sagte demgemäß Entscheidendes darüber aus, wie die Bundesrepublik global gesehen wird und vor allem in Zukunft gesehen werden will.

Unsere Heimat erschiene nach dieser Lesart zunächst als Land, in dem eine von den wahrhaft progressiven Kräften des Globus allgemein als erstrebenswert erachtete Konvergenz der Geschlechterrollen bereits ungemein weit fortgeschritten scheint. Eine Diagnose, die gemäß Liste übrigens für unseren gesamten Kontinent hält, denn tatsächlich ist das alte Europa fast ausschließlich durch Frauen vertreten (den würdigen Abschluss dieses Trends bildet die finnische Premierministerin Tarja Halonen auf Platz 99.) Das Europa der Zukunft, es ist mithin der Kontinent der Frauen!

Zum zweiten scheint der erhoffte Beitrag Deutschlands für das globale Wohlergehen insbesondere in einer Mischung aus wertkonservativer Haushaltspflege und einer einfallsreichen Entwicklung konsequent ökologisch ausgerichteter Zukunftstechnologien gesehen zu werden. Mit anderen Worten: Am schwarz-grünen Wesen soll der Globus genesen! Zentrum der weltweiten Heilsbewegung ist und bleibt dabei Berlin!

Aber sehen Sie, das war sie jetzt wieder: So eine typisch deutsche denkerische Überspitzung – und eine sehr männliche dazu. Wenn alles nach Plan läuft, braucht die in Zukunft kein Mensch mehr. Wir hoffen das Beste.

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Wolfram Eilenberger
Wolfram Eilenberger ist Cicero-Korrespondent. Zuletzt erschien sein Buch „Finnen von Sinnen“ (Blanvalet-Verlag).


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