Handschrift mit Sammlung der Bonifatiusbriefe 9. Jh.

Handschrift mit Sammlung der Bonifatiusbriefe, Karolingische Minuskel
des 9. Jh., Badische Landesbibliothek Karlsruhe, Rastatt 22 f. 52v,
wiedergegeben mit Genehmigung der BLB, alle Rechte bei BLB Karlsruhe.
Der Auszug enthält den Schluß von Karl Martells Schutzbrief für Bonifatius
und den Textbeginn der unter Karlmann und Bonifatius 742 tagenden
Synode. Nachträgliche Einträge im Zwischenraum zwischen beiden
Dokumenten und am rechten Rand. Früheste Zählung nach
Inkarnationsjahren (=Jahren nach Christi Geburt) im Frankenreich.

Das 8. Jahrhundert

Die arabische Expansion war im 7. Jahrhundert der einschneidendste Vorgang für den südlichen und östlichen Mittelmeerraum. Für das byzantinische Reich blieb die Gefahr arabisch-islamischer Eroberungen auch im 8. Jahrhundert permanent, doch stabilisierte sich die Grenze, nachdem es 718 gelungen war, einen Seeangriff der Araber auf Konstantinopel abzuwehren. Das Ausgreifen berberischer und arabischer Eroberer auf die iberische Halbinsel Anfang des 8. Jahrhunderts schuf für das westliche Europa eine neue Situation.

Die iberische Halbinsel

Innerwestgotische Rivalitäten um die Königsnachfolge veranlaßten 711 eine der konkurrierenden Parteien, aus Mauretanien muslimische Hilfe herbeizurufen. Der Berberführer Tarik überquerte mit einem kleinen Heer von Berbern und wenigen Arabern die Meerenge und schlug ein Lager auf dem dann nach ihm benannten Felsen auf (Gibraltar<Dschabal Tarik). Verrat innerhalb des westgotischen Heeres erleichterte Tarik im Sommer 711 den Sieg in der Nähe des Flusses Guadalete, der dem westgotischen Königtum ein Ende setzte. Schnell wurde die westgotische Hauptstadt Toledo mit dem dort verwahrten Königsschatz erobert. Der Metropolit und der westgotische Adel flohen nach Norden. Die starken städtischen Judengemeinden, die in der späten Westgotenzeit zunehmend Bedrückungen ausgesetzt gewesen waren, von den muslimischen Eroberern aber Toleranz garantiert bekamen, erleichterten den Eroberern die Inbesitznahme einzelner Städte. In vielen Fällen kapitulierten jedoch auch die christlichen Bischöfe und Grafen, denen von den Muslimen Wahrung des Rechtszustandes, des Eigentums und der Religionsfreiheit gewährt wurden; verpflichtet wurden sie nur zur Kopfsteuer, zu Naturallieferungen und zur Treue gegenüber den neuen Herren. Die schnelle Ausdehnung muslimischer Herrschaft vollzog sich in einer Kombination von Bündnis und Eroberung. Sie war im übrigen nie einheitlich, sondern mehrere regionale muslimische Befehlshaber handelten weitgehend selbständig unter einer lockeren Oberhoheit, die erst im Jahr 756 mit der Etablierung des Emirats in Cordoba durch den Omajadensproß Abdarrahman ein anerkanntes Zentrum erhielt. Der bergige Norden der Halbinsel, mit Galizien, dem Baskenland und den Gebieten am Südhang der Pyrenäen wurde der Rückzugsbereich des westgotischen Adels und der Christen, die die muslimische Herrschaft nicht akzeptierten. Diese Bergregionen sind das ganze Mittelalter hindurch nie voll von den Muslimen kontrolliert worden. Mit ihren Klöstern, Kirchen und Bistümern bildeten sie Bastionen des Christentums und wurden zum Ausgangsraum der sogenannten Reconquista, der seit dem 10. Jahrhundert intensiver einsetzenden Rückeroberung der Halbinsel durch christliche Herrscher. Ungeachtet der nördlich des Ebro schwächer ausgeprägten muslimischen Herrschaft setzten seit 720 muslimische Eroberungsversuche im westgotischen Septimanien, dem Kü stenstreifen zwischen Pyrenäen und Rhônemündung, ein. Narbonne wurde vorübergehend besetzt, Carcassonne und Nîmes wurden eingenommen. Vorstöße über das zum Frankenreich gehörige Aquitanien nach Bordeaux und weiter in Richtung Poitiers und Tours wurden 732 vom fränkischen Hausmeier Karl (Martell) ebenso abgewehrt wie Einfälle in die Provence im Jahr 738. Erst Karls Sohn Pippin brachte 759 das muslimisch beherrschte Septimanien unter fränkische Herrschaft. In Septimanien hatten westgotischer Adel und westgotisches Christentum eine ähnliche Bedeutung gewahrt wie im Norden der iberischen Halbinsel. Von Septimanien aus wirkten sie, vermittelt durch einflußreiche Personen, zum Beispiel zur Zeit Karls des Großen Theodulf (später Bischof von Orléans) und Benedikt von Aniane zur Zeit Ludwigs des Frommen auf das Frankenreich ein.

Während die Eroberer arabischer Herkunft sich vornehmlich in den Städten Andalusiens etablierten und von dort aus als Grundbesitzer die großen agrarischen Latifundien der Baetica kontrollierten, siedelten die ärmeren, Viehhaltung treibenden aus Mauretanien stammenden Berber (daher "Mauren") im Bergland. Die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts war durch zahlreiche innermuslimische Rivalitäten gekennzeichnet. Die islamische Herrenschicht war klein und entwickelte keinerlei missionarischen Eifer, denn Muslime unterlagen nicht der Kopfsteuer. Dennoch setzte vor allem unter der abhängigen bäuerlichen Bevölkerung des Südens eine schnelle Islamisierung ein. Aber auch hier brachen christliche Kirche und Kirchenorganisation nicht zusammen, wenn auch zunehmend christliche Kirchen zu Moscheen umgebaut wurden (frühestes Beispiel: Cordoba seit 785).

Im arabischen Herrschaftsraum südlich des Mittelmeers vollzog sich Mitte des 8. Jahrhunderts ein blutiger Wechsel im Kalifat. Die Omajaden wurden durch die Abbassiden verdrängt, die ihre Residenz nach Bagdad verlegten. Weil der Angehörige des besiegten Omajadengeschlechts Abdarrahman auf die iberische Halbinsel fliehen konnte und sich trotz erheblicher Widerstände im Norden der Halbinsel als Emir in Cordoba durchsetzte, ging das omajadische Emirat in Spanien eigenständige Wege gegenüber dem abbassidisch beherrschten übrigen islamischen Herrschaftsbereich.

Das Frankenreich

Der Tod Pippins des Mittleren, des mächtigsten Mannes im Frankenreich unter den Merowingerkönigen des ausgehenden 7. und beginnenden 8. Jahrhunderts, im Jahr 714 löste einen Kampf unter seinen Familienangehörigen aus, der schnell zu Bestrebungen neustrischer Adliger, sich von der austrischen Vorherrschaft zu lösen, führte und den adligen Eigenständigkeitstendenzen in den Randgebieten des Frankenreiches zugute kam. Gegen Absichten von Pippins Witwe Plectrud, ihren Enkeln (da die Söhne vor Pippin gestorben waren) die Nachfolge in der vorrangigen Stellung im Frankenreich zu sichern, und gegen alle Sonderungstendenzen der Neustrier gewann Pippins Sohn aus einer anderen Verbindung, Karl (dem erst Quellen späterer Zeit den Beinamen Martell = der Hammer beilegten) durch mehrere militä rische Siege bis 721/723 die Oberhand. Bis zu seinem Tod 741 lenkte er als Hausmeier die Geschicke des gesamten Frankenreiches. Die opponierenden Familienmitglieder wurden ausgeschaltet, der neustrische Adel zugunsten verbündeter Adelsgeschlechter des austrischen Raumes zurückgedrängt, kirchliche Positionen wie Bistümer und Abteien zur Versorgung von Anhängern genutzt. Für die Einsetzung des merowingischen Königs blieb der Hausmeier entscheidend, und als König Theuderich IV. 737 starb, besetzte Karl das Königtum nicht neu, sondern regierte das Land als Hausmeier und ohne König bis zu seinem Tod. Verselbständigungstendenzen in den Randgebieten trat er entgegen. Zwischen 717 und 740 erloschen die Herzogspositionen in Thüringen, Friesland und im Elsaß. Kriegszüge führte Karl nach Alamannien und nach Bayern, ohne hier jedoch die Herzogshäuser zu beseitigen. Der Herzog Eudo von Aquitanien, der zunächst im Bunde mit opponierenden Neustriern gestanden hatte und später in Konflikte zwischen rivalisierenden muslimischen Herren südlich seines Herrschaftsbereiches involviert war, rief den Hausmeier gegen den Arabereinfall von 732 zu Hilfe. Karls Sieg über die Araber zwischen Tours und Poitiers und die in den folgenden Jahren erfolgreich von ihm betriebene Araberabwehr im Rhônetal leiteten ein intensiveres Ausgreifen der karolingischen Herrschaft auf das südliche Frankenreich ein.

Bei all dem setzte Karl die Unterstützung fort, die sein Vater Pippin der missionierenden und organisatorischen Tätigkeit angelsächsischer Kirchenmänner hatte zuteil werden lassen. Er stützte die Friesenmission Willibrords durch die Grundausstattung des Klosters (später Bischofssitzes) von Utrecht und nahm Winfrid-Bonifatius 723 in seinen Schutz. Da die Reformanliegen des Bonifatius aber darauf zielten, nur würdige Amtsträger an der Spitze von Abteien und Bistümern zu dulden, bedrohten sie die Stellung mancher mit kirchlichen Positionen ausgestatteter Gefolgsleute und Freunde des Hausmeiers. So verhielt Karl sich zögernd und Bonifatius erschloß sich andere Tätigkeitsfelder, z. B. Kirchenreform und Kirchenorganisation in Bayern. Eine Frucht der durch die Angelsachsen geknüpften engeren Bande zwischen den Karolingern und den römischen Päpsten war eine Gesandtschaft des Papstes Gregor III. im Jahr 739 an Karl Martell, zu einem Zeitpunkt, als die Bedrohung des Besitzes der römischen Kirche durch den Langobardenkönig Liutprand zunahm. Karl aber unterhielt gute Beziehungen zu Liutprand und verabschiedete die päpstliche Gesandtschaft ehrenvoll aber ohne aktive Hilfeleistung.

Die räumlichen Schwerpunkte von Karl Martells Herrschaft lagen im austrischen Herkunftsgebiet der Karolinger und im Seine-Oise-Raum, in dem Karl die Nutzung zumindest einiger merowingischer Pfalzbezirke an sich brachte. In der merowingischen Königsabtei St. Denis wurde sein Sohn Pippin erzogen und er selbst 741 bestattet. Vor seinem Tod hat er Herrschafts- und Güterteilungspläne entworfen und mindestens einmal revidiert. Die endgültige Verfügung sah die Beteiligung aller drei ehelichen Söhne, Karlmann und Pippin (aus 1. Ehe) und Grifo (aus 2. Ehe) vor. Grifo wurde nach Karls Tod schnell von den beiden älteren Halbbrüdern ausgeschaltet, blieb aber als Rebell mit offenbar nicht geringem Anhang bis zu seinem Tod 753 eine Gefahr. Karlmann und Pippin der Jüngere verfügten als Hausmeier über zwei gesonderte Teilbereiche, erhoben aber 743 noch einmal einen Gesamtkönig aus der Merowingerfamilie. Karlmann, der vor allem durch Kriege in Alamannien und durch die Förderung des Bonifatius hervorgetreten war, beendete 747 seine Tätigkeit als Hausmeier und trat in ein Kloster nördlich von Rom ein. Er hinterließ Söhne, von denen er zumindest einen für seine Nachfolge vorgesehen hatte. Pippin der Jüngere jedoch unterstellte sich den Herrschaftsbereich des Bruders und sandte 749 eine Gesandtschaft nach Rom, die vom Papst Zacharias Unterstützung für den geplanten Herrscherwechsel im Frankenreich erhielt. Ende 751 wurde dieser vollzogen: Pippin wurde vom fränkischen Adel in Soissons in germanischer Form (durch Schildsetzung) zum König erhoben und der Merowinger seines Königtums beraubt und in ein Kloster eingewiesen. Neu war, daß Pippin außerdem durch Bischöfe zum König gesalbt wurde. Die Königssalbung nach alttestamentarischem Vorbild (Saul, David) wurde zwar im Westgotenreich (und vielleicht in Irland) praktiziert, war aber im Frankenreich neu und ist sicher aus dem Legitimationsdruck Pippins zu erklären: gegen die Ansprüche der Merowinger, Grifos und der Karlmann-Söhne. Mit der Salbung wurde das fränkische Königtum als göttlicher Auftrag interpretiert und das aus vorchristlicher Zeit stammende Königsheil der Merowinger ersetzt. Die Salbung war aber auch ein im liturgischen Zusammenhang von kirchlichen Amtsträgern zu vollziehender Vorgang, der die so sanktionierte Übertragung des Königtums in die Nähe sakramentaler Akte rückte, bei denen auch geweihtes Salböl verwendet wurde (Taufe, Priesterweihe, Krankensalbung). Dem mit der Salbung vermittelten christlichen Amtscharakter des Königtums trug Pippin dadurch Rechnung, daß er in späteren Jahren seinem Königstitel den Zusatz Dei gratia (von Gottes Gnaden) hinzufügen ließ. Als Papst Stephan II. 754 ins Frankenreich kam, wiederholte er die Salbung an Pippin und salbte auch dessen beide, damals noch im Kindesalter stehenden Söhne Karl und Karlmann, auf deren Unterstützung er zugleich den Adel verpflichtete. Erst damit war die neue Dynastie in der direkten Nachfolge Pippins (die Söhne des älteren Bruders wurden endgültig ausgeschaltet) etabliert.

Papst Stephan II. war ins Frankenreich gereist, um, nachdem Verhandlungen mit dem Langobardenkönig Aistulf gescheitert waren, den Frankenkönig um Hilfe gegen die langobardischen Eroberungszüge zu bitten, die das byzantinische Italien und die Besitzungen der römischen Kirche bedrohten. Die Verbannung der Heiligenbilder aus den Kirchen seit 726, der vom byzantinischen Kaiser Leo III. betriebene Ikonoklasmus (Bilderfeindlichkeit), hatte zu neuerlichen Konflikten zwischen Rom und Konstantinopel geführt, die dem Papst jede Hoffnung auf Hilfe vonseiten des Kaisers nahmen. Überdies hatte der von Byzanz betriebene Abwehrkampf gegen die Araber zu erhöhter Besteuerung des Grundbesitzes im byzantinischen Reich (also auch in den byzantinischen Teilen Italiens) geführt, der auch die Besitzungen der römischen Kirche traf. Ein deutliches Zeichen der Entfremdung war die auf einer Synode der Ostkirche (wahrscheinlich 754) verfügte Unterstellung der Bistümer des byzantinischen Süditalien und Siziliens, über die bislang Rom die Überordnung beanspruchte, unter den Patriarchen von Konstantinopel. Auf dem Hintergund des römisch-byzantinischen Gegensatzes, der langobardischen Expansion und der von den Angelsachsen geknüpften engeren Bindungen der fränkischen Kirche an Rom vollzog sich das Bündnis zwischen dem jungen karolingischen Königtum und den Päpsten. Zunächst hatte Pippin von diesem Bündnis für seine Königserhebung und die Sicherung seiner dynastischen Nachfolge profitiert. Nun forderte der Papst die fränkische Hilfe gegen die langobardischen Übergriffe ein. Das karolingisch-päpstliche Freundschaftsbündnis gegen die Langobarden gegenüber dem fränkischen Adel durchzusetzen, war keine leichte Aufgabe. Immerhin kam es schon während des Aufenthaltes Papst Stephans II. im Frankenreich zu einem Hilfsversprechen und sogar zu einer vorsorglichen Entscheidung darüber, was mit den bisher von den Langobarden widerrechtlich okkupierten byzantinischen Gebieten in Italien nach deren erhoffter Rückeroberung durch die Franken geschehen sollte: Pippin versprach 754 in der im Oisetal gelegenen Pfalz Quierzy dem Papst die Schenkung dieser rückzuerobernden Gebiete an die römische Kirche. Zwei fränkische Heerzüge endeten in den folgenden Jahren mit Niederlagen des Langobardenkönigs Aistulf, dem schließlich 756 die Eroberungen abgenommen wurden und wie in Quierzy versprochen nach und nach dem Papst unterstellt wurden. Der Kirchenstaat war entstanden. Byzantinische Rückerstattungsersuchen wurden von Pippin abschlägig beschieden. Im einzelnen blieben freilich viele offene Fragen. Der genaue Umfang des Kirchenstaates war strittig, die päpstlichen Herrschaftsbefugnisse grenzten sich erst nach und nach gegenüber Byzanz ab. Erst allmählich übernahmen Beauftragte des Papstes Münzprägungsrecht und Gerichtsbarkeit sowie die Hoheit über die Verkehrswege. Für die militärische Verteidigung blieb das neue Gebilde auf den Schutz des Frankenkönigs angewiesen, den die Päpste wie auch die gesalbten Königssöhne seit 755 als patricius Romanorum (Schutzherr der Rö mer) anredeten. Auffällig ist jedoch, daß die Männer, die seit Stephan II. zu Bischöfen Roms erhoben wurden, bis zum Ende des 10.Jahrhunderts durchweg der römischen bzw. italischen Kirche zuzurechnen sind, nicht mehr den bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts in Rom stark vertretenen ostkirchlichen Gemeinden (griechischen, syrischen) angehörten. Der "Liber pontificalis" (das Buch der Lebensbeschreibungen der Päpste), eine wichtige zeitgenössische Quelle, dessen Lebensbeschreibungen seit der Vita Gregors III. (gestorben 741) immer ausführlicher und politischer werden, legt davon beredtes Zeugnis ab. Die "Romanisierung" des Papsttums ist ein Begleitumstand seiner Lösung von Byzanz und seiner Orientierung auf die Frankenkönige.

Nachdem König Pippin durch seine Beauftragten die den Langobarden abgenommenen Gebiete den Päpsten unterstellt hatte und nachdem nach Aistulfs Tod 756 und kurzer Zwischenphase der neue Langobardenkönig Desiderius mit Hilfe der Franken bestimmt worden war, hat Pippin in Italien nicht mehr eingegriffen. Die Jahre zwischen 760 und 768 (seinem Todesjahr) waren vielmehr durch die Heerzüge gegen den Herzog Waifar von Aquitanien geprägt. Differenzen im aquitanischen Herzogshaus kamen Pippin zugute. Die aufreibenden Kämpfe endeten mit der Beseitigung der aquitanischen Herzogsherrschaft, was auch die endgültige Durchsetzung fränkischer Herrschaft über das westgotische Septimanien zwischen Pyrenäen und Rhônemündung zur Folge hatte. Aquitanisches Herzogsgut in diesem Raum wurde zu fränkischem Königsgut. Für die Entstehung des mittelalterlichen Frankreich war dieser Vorgang eine wichtige Voraussetzung, wie die französische Forschung (u.a. Pierre Riché) herausgearbeitet hat. Nach dem Erlöschen der Herzogsgewalt in Thüringen, Friesland und im Elsaß unter Karl Martell, in Alamannien unter Karlmann und in Aquitanien unter König Pippin blieb jetzt nur noch in Bayern eine herzogliche Zwischengewalt im Gesamtfrankenreich übrig. Herzog Tassilo von Bayern war über seine Mutter ein Neffe König Pippins.

König Pippin stand in Gesandtenaustausch mit dem Emirat von Cordoba wie mit dem byzantinischen Kaiserhof. Er verstand sich als Schutzherr des Papstes wie der Kirche überhaupt. Die von Bonifatius initiierte Synodalpraxis (Bonifatius wurde 754 beim Versuch der Friesenmissionierung getötet) wurde unter Pippins Königsherrschaft fortgesetzt. Eine fränkische Synode befaßte sich sogar mit der Bilderfrage. Zur Entschädigung der Kirchen für Kirchengüter, die ihnen in der 1. Hälfte des 8. Jahrhunderts genommen worden waren, wurde der Zehnt eingeführt. Über seine Nachfolge, die seit der Salbung der beiden Königssöhne durch den Papst 754 faktisch entschieden war, verfügte Pippin vor seinem Tod im Sinne einer Herrschaftsteilung zwischen diesen beiden, Karl und Karlmann. Der Herrschaftswechsel vollzog sich nach Pippins Tod problemlos, doch werden Differenzen zwischen den beiden Brüdern selbst in der schweigsam-tendenziösen Hofgeschichtsschreibung bald offenkundig. Nach dem plötzlichen und frühen Tod des jüngeren Karlmann, übernahm der ältere Bruder Karl mit Unterstützung mächtiger Adliger und Kirchenmänner aus Karlmanns Umfeld sofort die Herrschaft im Gesamtreich. Karlmanns Witwe floh mit ihren Söhnen ins Langobardenreich nach Italien.

Karl, den wir "den Großen" nennen, veränderte das Frankenreich grundlegend durch seine Eroberungen, die Art seiner Hofhaltung und die Berater, die er gewann, die organisatorischen Maßnahmen zur Verbesserung der Herrschaftsführung, die Fürsorge für die Kirche und durch die Annahme des (römischen) Kaisertums, das im Westen seit dem Sturz des Romulus Augustulus 476 erloschen war. Eroberungen und Annahme des Kaisertums gehören noch ins 8. Jahrhundert. Die anderen genannten Maßnahmen wurden im 8. Jahrhundert begonnen und im 9. Jahrhundert fortgesetzt. Dem Anfang des 9. Jahrhunderts dagegen gehören die Konsequenzen an, die aus der Kaiserwürde resultierten und die Regelung der Nachfolge; diese beiden Aspekte werden daher im folgenden Kapitel behandelt.

Die Aufnahme von Karlmanns Witwe und Söhnen am langobardischen Königshof wurde zum Anlaß für Karls Vorgehen gegen den Langobardenkönig Desiderius, und dies obwohl Karl auf Vermittlung seiner Mutter wohl 770 eine Tochter des Desiderius geheiratet hatte. Der 772 erhobene Papst Hadrian I. informierte Karl über langobardische Bestrebungen, für die Söhne Karlmanns die Königssalbung zu erlangen; dies hätte Karls Alleinherrschaft im Frankenreich gefährdet. Er löste seine Ehe mit der langobardischen Königstochter, schickte sie nach Italien zurück und begann 773 den Krieg gegen das Langobardenreich, der 774 mit der Einnahme Pavias, der Gefangensetzung des Langobardenkönigs Desiderius und der meisten seiner Familienangehörigen, der Klostereinweisung der Mitglieder der langobardischen Königsfamilie und der Unterstellung des Langobardenreiches unter Karls Herrschaft endete. Damit rückte der Herrschaftsbereich des Frankenkönigs an die Grenze des jungen Kirchenstaates. Für den Papst endete die langobardische Bedrohung, aber sein fränkischer Schutzherr stellte einen stärkeren Machtfaktor dar, als es je ein Langobardenkönig gewesen war. Dennoch blieb das persönliche Verhältnis zwischen Karl und Hadrian bis zu dessen Tod 795 ausgezeichnet. Die Eroberung des Langobardenreiches trug Karl nicht nur einen zusätzlichen Königstitel ein (K. Dei gratia rex Francorum et Langobardorum atque patricius Romanorum); auch das langobardische Königsgut wurde von ihm vereinnahmt. Der langobardische Adel, der zu Desiderius gehalten hatte oder dessen Widerstreben gegen die fränkische Herrschaft sich 776 in einem Aufstand entlud, wurde von Güterkonfiskationen betroffen, die die wirtschaftliche Grundlage für die allmähliche Einschleusung fränkischer und alamannischer Adliger und Amtsträger schufen. Eine intensivere fränkische Herrschaftsausübung in Italien setzte allerdings erst nach dem Aufstand von 776 ein und vor allem nachdem 781 einer der Söhne Karls, Pippin, zum König gekrönt und gesalbt und mit Beratern (er war noch ein Kind) als "Unterkönig" nach Italien geschickt wurde. Die von den Langobardenkönigen geförderten Klöster wurden dem Schutz des Frankenkönigs unterstellt, der auch auf die Besetzung der norditalienischen Bistümer zunehmend Einfluß nahm. Da eine der Töchter des abgesetzten Langobardenkönigs Desiderius mit dem langobardischen Herzog von Benevent, eine andere mit dem Bayernherzog Tassilo verheiratet war, entstanden auch Spannungen zwischen Karl und diesen beiden Herzögen. Die karolingischen Kapitularien, von denen noch zu reden sein wird, hatten auch Gültigkeit für das regnum Langobardorum, für das aber auch gesonderte Kapitularien erlassen wurden. Die eigenständige Tradition des langobardischen Rechts dagegen wurde im langobardischen Herzogtum Benevent bis ins 9. Jahrhundert durch Edikte der Herzöge weitergeführt.

Auf lange Sicht war die Eroberung des Langobardenreiches die Voraussetzung für die Kaiserkrönung Karls. Die Ottonen erneuerten im 10. Jahrhundert die Verbindung zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich nördlich der Alpen und dem regnum Italien und machten diese wiederum zur Grundlage ihres Kaisertums. Das ganze Mittelalter hindurch sollte es bei dieser in der Karolingerzeit grundgelegten Kombination bleiben.

Als der Langobardenfeldzug 773 begann, hatten die Kriege Karls gegen die Sachsen bereits eingesetzt (772). Der Sachsenstamm siedelte, südlich an das friesische, schon von Karl Martell zumindest teilweise fränkischer Herrschaft unterworfene Stammesgebiet angrenzend, im Raum zwischen Niedrrhein und Elbe. Das dem sächsischen Stammesgebiet im Süden benachbarte Mainfranken und Thüringen war seit der missionierenden und kirchenorganisatorischen Arbeit des Bonifatius und seiner Gefährten ein fester Bestandteil fränkischer Herrschaft. Kleinere Konflikte zwischen Franken und Sachsen gab es seit der Zeit Karl Martells. Unter Karl d. Gr. wurde schnell (etwa seit 775) aus den anfänglichen defensiven Strafexpeditionen ein Angriffskrieg der Franken, der auf Unterwerfung und Christianisierung der Sachsen zielte. Die Sachsenkriege sollten bis 804 dauern. Die im Vergleich zum Langobardenkrieg ungewöhnlich lange Dauer der Sachsenkriege hat vielerlei Ursachen. Das Land war nicht wie Norditalien durch Römerstraßen erschlossen, die ein schnelles Vorrücken der Heere gestattet hätten. Die unbefestigten Straßen waren bei schlechter Witterung kaum zu benutzen; fränkische Heerzüge fanden daher, auch wegen der leichteren Versorgungsmöglichkeiten der Zug- und Reittiere und der besseren Requisitionsgelegenheiten, nur in den Spätfrühlings- und Sommermonaten statt. Wenn die Franken sich im Herbst und Winter aus dem Land zurückzogen, flammte der sächsische Widerstand erneut auf. Für das unbekannte und teils unwegsame Gebiet waren die Franken auf Führer angewiesen. Wälder und Sumpfland boten den Sachsen zahlreiche Möglichkeiten zu Hinterhalten. Der Stamm war überdies landschaftlich untergliedert in Westfalen, Ostfalen, Engern und Nordalbingier und sozial und politisch in Edelinge, Frilinge und Lazzen, die alle mitsprache- und kampfberechtigt waren. Es gab nicht wie im Langobardenreich eine Hauptstadt, deren Eroberung die Entscheidung hätte bringen können, und an der Spitze der Sachsen stand nicht wie bei den Langobarden ein König, dessen Gefangensetzung den Konflikt hätte beenden können. Nur zwischen 777 und 785 gab es mit dem westfälischen Edeling Widukind einen anerkannten Führer. Seine Unterwerfung und Taufe 785 bezeichnete aber durchaus nicht das Ende der Auseinandersetzungen, da die anderen Teilstämme, besonders die Nordalbingier sich weiterhin widersetzten. Die Kombination von Eroberung und Zwangsmissionierung, für die Franken eine Notwendigkeit nicht nur aus ihrem christlichen Verständnis des Königtums sondern auch aus Gründen der Integration der Sachsen, heizte den Widerstand an. Rückhalt fanden die am germanischen Götterglauben festhaltenden Sachsen bei den verwandten und ebenfalls noch nicht christlichen Dänen; das gilt vor allem für deren Grenznachbarn, die Nordalbingier.

Wie der Langobardenkrieg mehrte auch der Sachsenkrieg das Königsgut. Erstmals tagte 777 eine Reichsversammlung im westfälischen Paderborn, wo Karl eine Pfalz errichten ließ. Seit 782 setzte die Errichtung von Grafschaften ein, die teils fränkischen, teils sächsischen Adligen anvertraut wurden. Die Anfang der 80iger Jahre mit radikalen Strafmaßnahmen betriebene Zwangschristianisierung stieß früh bei einigen Theologen im Umfeld Karls (Alcuin) auf Kritik und wurde in den 90iger Jahren gemildert. Die Sachsen behielten ihr eigenes Recht, das schriftlich festgehalten wurde. Der Aufbau einer Kirchenorganisation zog sich über Jahrzehnte hin. Wahrscheinlich schon 777 wurde das Land in Missionsbezirke unterteilt. Noch zu Lebzeiten Karls wurden Bischöfe für Bremen, Münster, Osnabrück, Minden und Paderborn bestellt. Erst unter Karls Nachfolger Ludwig wurden für Ostfalen die Bistü mer Verden, Hildesheim und Halberstadt eingerichtet. Nicht nur die Kölner Kirchenprovinz, der Bremen, Münster, Osnabrück und Minden zugeordnet wurden, und die Mainzer Kirchenprovinz, der Paderborn und die ostfälischen Bistümer unterstellt wurden, sondern auch die Bistümer Reims und Châlons und die Klöster Fulda, Hersfeld und Corbie beteiligten sich an der Mission. Die hervorragendsten karolingischen Klöster in Sachsen wurden Werden/Ruhr (um 800) und Corvey/Weser, Nova Corbia also Neu-Corbie (815/822). Die fränkische Eroberung des Langobardenreiches und Sachsens bewirkte die Unterstellung des gesamten, von germanischen Stämmen besiedelten Raumes Kontinentaleuropas (außer Skandinavien) unter die Herrschaft Karls. Jenseits von Elbe und Saale, der Ostgrenze Sachsens, siedelten slavische Stämme. Die Westslaven übernahmen den Namen Karls als Bezeichnung für "Kö nig".

Das noch von Karls Vater Pippin eroberte Aquitanien erhielt 781 mit Karls Sohn Ludwig einen Unterkönig, der ebenso wie Karls Sohn Pippin für das ehemalige Langobardenreich/Italien mit Beratern fortan in Aquitanien residierte und durch seine Präsenz dort die Karolingerherrschaft festigte. Der ältere Bruder Pippins und Ludwigs, Karl, blieb am Hof des Vaters und war offenbar für die Nachfolge im fränkisch-sächsischen Kerngebiet vorgesehen. 778 unternahm Karl d. Gr. von Aquitanien aus einen Heerzug ins nördliche Spanien, mit dem er in inner-muslimische Konflikte einzugreifen suchte. Die Unternehmung wurde zu einem Fehlschlag. In Erinnerung blieb vor allem die Niederlage eines Heeresteils unter Roland beim Rückzug über die Pyrenäen. Roland und seine Männer wurden von (christlichen) Basken, nicht wie das altfranzösische Rolandslied im Kreuzzugszeitalter (1. Hälfte 12. Jahrhundert) erzählte von Sarazenen getötet. Trotz des Fehlschlags verstärkten sich jedoch unter dem Unterkönig Ludwig von Aquitanien die Bindungen des christlich gebliebenen Landes nördlich des Ebro zum Frankenreich.

Das letzte Herzogtum unter lockerer fränkischer Oberherrschaft, Bayern, verlor sein dort seit dem 7. Jahrhundert bezeugtes Herzogshaus (Agilolfinger), wie schon unter Karls Großvater und Vater die Herzogsgeschlechter in Friesland, Thüringen, Elsaß, Alamannien und Aquitanien ausgeschaltet worden waren. Herzog Tassilo, ein Vetter Karls, wurde 788 des unerlaubten Verlassens des Heeres zu Zeiten König Pippins (!) und der Verbindung zu den heidnischen Avaren beschuldigt, von einem Adelsgericht zum Tod verurteilt, von Karl zum Verlust von Herzogsamt und Gütern und zum Klostereintritt "begnadigt". Auch Tassilos Familie verlor Besitz und Freiheit. Als letztes Herzogtum wurde Bayern unter engere fränkische Herrschaft gezogen. Der Herzogsbesitz mehrte das karolingische Königsgut. Regensburg wurde die karolingische Hauptpfalz in Bayern. Die in den Jahren 791 bis 796 geführten fränkischen Heerzüge gegen die östlichen Nachbarn der Bayern, die Avaren, rieben dieses Reitervolk bis auf geringe Reste auf; bayerische Siedlung und Herrschaftsansprüche der bayerischen Ostmarken wurden in der Folgezeit in die slavischen Siedlungsgebiete an Drau und Raab vorangetrieben.

Parallel zur Herrschaftserweiterung erfolgten der Ausbau der inneren Herrschaftsorganisation und die Maßnahmen zur Besserung der Situation der Kirche. Herrschaft ging vom König und seinem "Haus" aus. Die Mitglieder der engeren Familie, die Adligen und Geistlichen, die sich längere Zeit in der Umgebung des Königs aufhielten, konstituierten den "Hof" und waren ein Teil der Herrschaftsübung. Der Hof wanderte mit dem König und variierte auch in der personellen Zusammensetzung. Über Ämter ist erst im 9. Jahrhundert genaueres bekannt. Schon unter Karl aber bildeten die ihn umgebenden Geistlichen die "Hofkapelle", benannt nach einer wichtigen, von ihnen beaufsichtigten Reliquie, der cappa, dem Mantel des Hl. Martin. Die Verwahrung der Reliquien, pastorale und liturgische Funktionen gegenüber dem "Hof", die Beratung des Königs sowie die Anfertigung der von ihm ausgehenden Schriftstücke oblagen diesen Hofgeistlichen. Die größeren Pfalzen (vor allem Aachen) waren mit kirchlichen Räumen ausgestattet, in denen dann auch die Reliquien aufbewahrt werden konnten. Aufgrund ihrer Ausbildung wurden diese Geistlichen auch zum Unterricht der Königskinder, anderer junger Adliger aber auch des Königs selbst herangezogen. Sie bildeten zusammen mit der Königsfamilie und ausgesuchten Adligen die Hofgesellschaft, die sich regelmäßig zu Geselligkeit und geistreichem Gespräch traf. Karl zog interessante Männer in diesen Kreis, den Angelsachsen Alcuin, den Langobarden Paulus diaconus, die Franken Angilbert und Einhard, den Westgoten Theodulf um nur einige zu nennen. Von diesem Kreis gingen die Bemühungen zur Verbesserung der Bildung vor allem der Geistlichen aus und zu kirchenreformatorischen Maßnahmen. Auch an zumindest ganz rudimentären Religionskenntnissen der Laien war Karl interessiert, wie an der germanischen Volkssprache. Lateinische Prosatexte vor allem des 2. und 3. nachchristlichen Jahrhunderts wurden gelesen und als Vorbilder genutzt. Einhard konstruierte seine Biographie Karls, die Vita Karoli, nach dem Vorbild der Kaiserbiographien Suetons (Ende 1./1. Hälfte 2. Jahrhundert). Kunstvolle höfische Gedichte wurden verfertigt. In erster Linie aber galt die Sorge verläßlichen Texten für die kirchliche Praxis: Bibel, Liturgie, Kirchenrecht. Vor allem aus Rom wurden dafür Vorlagen angefordert. Die Verbreitung solcher Texte vollzog sich durch Abschreiben, das auch eine wichtige Unterrichtspraxis war. Die Männer im Umfeld Karls kamen aus unterschiedlichen Teilen der westlichen Christenheit und damit auch aus unterschiedlichen Schriftprovinzen. Doch sollte das Latein, das sie schrieben, einheitlich und allen von ihnen verständlich sein. Vulgarismen der romanischen Volkssprache in Grammatik und Lautung wurden daher ausgemerzt. Auch die benutzte Schrift mußte von allen gut lesbar sein. In Absetzung von der schwer lesbaren Merovingica und unter Aufnahme von Stilelementen vor allem der angelsächsischen und irischen Schrift entstand die karolingische Minuskel, eine sorgfältige Schrift im Vierliniensystem. Die Männer des Hofkreises übernahmen alle kirchliche Leitungsfunktionen, Alcuin z. B. das Kloster St. Martin von Tours, Theodulf das Bistum Orléans. Besonders das Kloster St. Martin von Tours mit seiner Schreibschule (Scriptorium) trug zur Verbreitung der Texte und der Schrift bei, so daß im Laufe des 9. Jahrhunderts in den kirchlichen Zentren des ganzen Frankenreiches eine Schrift- und Buchkultur entstand.Zwar kann man durchaus noch einzelne Scriptorien unterscheiden und die Bibliotheksbestände der Klöster waren unterschiedlich in Umfang und Zusammensetzung, aber der kulturelle Schub und die Tendenz zur Vereinheitlichung sind unverkennbar. Die meisten literarischen Texte der römischen Antike sind uns durch karolingerzeitliche Handschriften überliefert. Durch die Absetzung von den romanischen Volkssprachen entstand als lebende Gelehrtensprache das Mittellatein, das seinen Vorrang im mittleren und westlichen Europa bis zur umfänglicher einsetzenden Verschriftlichung der Volkssprachen seit dem 11./12. Jahrhundert wahrte.

Besserung des Bildungsstandes der Geistlichen war ein vorrangiges Ziel, aber auch Aufbau einer gegliederten Kirchenorganisation. Zum Ende von Karls Herrschaftszeit war das "Metropolitansystem", die Unterordnung mehrerer Bistümer unter einen Erzbischof in Disziplin und Weiherecht, abgeschlossen, wie auch die Durchsetzung einer entsprechenden Disziplinar- und Weihegewalt der Bischöfe über die Priester ihres Bistums angestrebt wurde. 794 tagte in Frankfurt eine große Synode, die auch dogmatische Streitfragen entschied: die Adoptianismusfrage, einen in der spanischen Kirche entstandenen Streit um das Verständnis der drei göttlichen Personen zueinander, und die die byzantinische Kirche aufwühlende Bilderfrage. Für das klösterliche Leben sollte, so schon die Synodalentscheidungen seit der Zeit des Bonifatius, die Benediktregel Norm sein. All dies wurde nicht nur auf häufig parallel zu den Reichsversammlungen veranstalteten Synoden immer wieder eingeschärft, sondern auch den kirchlichen Amtsträgern durch regelmäßig entsandte Königsboten (missi) zur Auflage gemacht.

Die missi, jeweils zwei mit konkreten Aufträgen vom König in fest umrissene, größere Missatsbezirke entsandte Männer, sollten überhaupt die Kontrolle auf regionaler Ebene gewährleisten, sowohl über die kirchlichen Einrichtungen als auch über die Tätigkeit der Grafen. Grafen kennen wir schon aus dem Merowingerreich. An der Absicht der Karolinger, Grafschaften als Bezirke, in denen hoheitliche Rechte (Gerichtsbarkeit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Heeresaufgebot) von Beauftragten des Königs geübt wurden, im gesamten Karolingerreich als regionale Herrschaftsbereiche einzurichten, kann bei Durchsicht der Kapitularien kein Zweifel sein. Die Frage ist nur, wie weit dies gelang. Daß die Integration neu eroberter Gebiete (wie Italien und Sachsen) durch ihre Strukturierung in Grafschaften erstrebt wurde, ist offenkundig. Räumlich lehnten sich die Grafschaften an bestehende Untereinheiten an, die spätrömischen civitates im romanischen Gallien, die Gaue (pagi) in den stärker von Germanen besiedelten Teilen Galliens, die langobardischen Gastaldate in Italien, die Gografschaften in Sachsen. Von der Grafengewalt ausgenommen waren die mit Immunität ausgestatteten Besitzungen von bevorrechteten Bistümern und Klöstern, die für die Übung der Gerichtsbarkeit über die dort ansässigen Laien einen Vogt (advocatus) bestellen konnten. Wenn Grafengewalt auch vom König verliehen wurde, war ihre Voraussetzung doch ein ausreichender Grundbesitz des Grafen im Amtsbezirk. Was lag daher näher, als die Grafen aus dem grundbesitzenden Adel der Grafschaft zu bestellen? So tendierte das Amt sehr früh zur Erblichkeit, und die mit ihm verbundenen hoheitlichen Funktionen konnten sogar zum Ausbau der vorhandenen Adelsstellung genutzt werden. Um Mißbräuchen zu steuern, die bei einem auf Personen und ihren Treuebindungen beruhenden Herrschaftssystem nicht ausbleiben konnten, erließ der Herrscher zusammen mit seinen Großen auf den Reichsversammlungen die Kapitularien, entsandte die missi, entbot den Adel zu Reichsversammlungen und zum Besuch des Hofes. Die Kirchenorganisation in Bistümer und Kirchenprovinzen bot ein zusätzliches Strukturelement Die hohen kirchlichen Amtsträger mit ihren Kenntnissen der Schriftlichkeit und des Lateins waren willkommene und notwendige Helfer nicht nur im Umfeld des Königs und auf den Reichsversammlungen, sondern auch als Gesandte und Verhandlungsführer.

Es waren die Ereignisse in Rom, die den Hintergrund zur Kaisererhebung Karls lieferten. Der Nachfolger des 795 verstorbenen Papstes Hadrian I., Leo III., brachte in Rom eine Adelsgruppierung gegen sich auf, die ihn zu stürzen versuchte. Er konnte entkommen und floh unter fränkische Herrschaft. Im Sommer 799 reiste er, aber auch seine römischen Widersacher, die ihn als abgesetzt betrachteten, zu Karl nach Paderborn. Karl behandelte ihn als rechtmäßigen Papst und sandte ihn mit einer hochrangigen Untersuchungskommission nach Rom zurück. Ein gerichtliches Untersuchungsverfahren gegen den Papst wagten die Beauftragten nicht. Ende November 800 kam Karl selbst nach Rom und wurde von Leo III. mit eindeutig kaiserlichem Protokoll empfangen. Die Übertragung des Kaisertums an Karl wurde in den folgenden Wochen in Rom diskutiert Der Papst beendete die Erörterungen um Verstöße während seiner Amtsführung durch einen am 23. Dezember geleisteten Reinigungseid. Für den 25. Dezember war die Königskrönung von Karls ältestem, gleichnamigen Sohn vorgesehen. Papst Leo III. nutzte die Weihnachtsmesse in der Peterskirche, um außer dem Königssohn vor allem Karl selbst zu krönen, ihn mit der Proskynese (Kaiserverehrung nach byzantinischem Hofzeremoniell) zu ehren und damit das Signal für eine mit traditioneller, einstudierter Formel deklamierte Kaiserakklamation durch die in der Kirche anwesenden Personen (Römer) zu geben. In römischer Form, freilich mit dem für römisch-byzantinische Verhältnisse ungewöhnlichen Mitwirken des Papstes war damit eine Rangerhöhung Karls vollzogen, die seiner durch die Eroberungen ausgebauten Stellung und seinem Machtverständnis entsprach und der er durch seine Herrschertiteländerung Rechnung trug. Für Byzanz mochten die Vorgänge die Befürchtungen einer westlichen Usurpation des Kaisertums hervorrufen, zumal in Konstantinopel die Kaiserinmutter Irene 797 ihren Sohn Konstantin VI. gestürzt hatte und an seiner Stelle als Kaiser herrschte, was auch nach byzantinischem Verständnis ein rechtliches Novum war.

Die angelsächsischen Reiche

Der Beitrag von Angelsachsen zu Mission und Kirchenorganisation des Frankenreiches (u. a. Willibrord, Bonifatius) und zur engeren Rombindung der fränkischen Kirche ist hoch zu veranschlagen, ebenso wie die Bedeutung angelsächsischer Gelehrsamkeit (Alcuin) für die Hofkultur Karls d. Gr. sowie für Schrift- und Sprachreform im Frankenreich. In der Person des Beda hat das nördlichste der angelsächsischen Königreiche, Northumbria, den universellsten Gelehrten des Jahrhunderts hervorgebracht. Er vermittelte das im 6. Jahrhundert von Cassiodor und Boethius (Italien) und im 7. von Isidor (Spanien) tradierte Wissen der römischen Spätantike dem angelsächsischen und fränkischen Raum, verfaßte zahlreiche Kommentare zu verschiedenen Partien der Bibel und in der Folge vielfach abgeschriebene Lehrbücher in Grammatik, Rhetorik, Astronomie, Metrik und Chronologie. Sein 725 verfaßtes Werk "De ratione temporum" trug entscheidend zur Verbreitung der Zeitrechnung nach Inkarnationsjahren (Jahreszählung nach Christi Geburt) bei, die im Frankenreich seit den den 40iger Jahren in Synodaltexten allmählich rezipiert wurde, seit der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts dann auch in historiographischen Werken, den sog. Annalen (s. dazu Frankenreich, 9. Jh.). Das eindrucksvollste Werk Bedas ist seine bis 731 reichende "Historia ecclesiastica gentis Anglorum", ein zuverlässiges und kluges Werk zur angelsächsischen Kirchen- und Reichsgeschichte. Daß Beda ein solch vielseitiges und fruchtbares Werk verfassen konnte, ohne sein Kloster Jarrow und die von ihm dort geleitete Klosterschule zu größeren Reisen zu verlassen, spricht für Umfang und Qualität der dort vorhandenen Bibliotheksbestände und für die geistige Aufgeschlossenheit der Kommunität.

Nicht nur der Austausch an Gelehrten und Handschriften zwischen den angelsächsischen Reichen und dem Frankenreich war intensiv; zahlreiche angelsächsische Rompilger durchquerten das Frankenreich und es bestand ein reger Handel über den Kanal, dessen Ausgangspunkt im Frankenreich vor allem Quentovic an der Kanalküste und das friesische Dorestad waren. Politisch errang der König Offa von Mercia (757-796) die Vorrangstellung des "bretwalda" über die anderen angelsächsischen Königreiche. Sogar eine Heiratsverbindung zwischen seinen Kindern und dem ältesten Sohn und einer Tochter Karls d. Gr. wurde verhandelt, jedoch scheiterten diese Pläne.

Die das 9. Jahrhundert behrrschende Normannengefahr kündigte sich 793 mit dem normannischen Überfall auf das renommierte Kloster Lindisfarne im nördlichen Northumbria, seiner Plünderung und der Tötung bzw. Vertreibung der Mönche an.

Das byzantinische Reich

Trotz der erfolgreichen Abwehr des arabischen Seeangriffs auf Konstantinopel im Jahr 718 blieb vor allem in Kleinasien der Kampf gegen die muslimischen Eroberer eine Hauptaufgabe des byzantinischen Reiches. Im Inneren des byzantinischen Reiches aber auch für die westliche Christenheit war jedoch das aufwühlendste Problem der Bilderstreit. Kult und Verehrung von Christus- und Heiligenbildern spielten für die östliche Christenheit eine große Rolle. Dem standen viele ostkirchliche Theologen reserviert gegenüber; dem stand aber auch das alttestamentarische Gebot ( "Du sollst dir kein Bildnis machen") entgegen. Nicht ohne Einfluß blieb auch die Bilderablehnung im Islam. Kaiser Leon III. (717-741) ließ 726 das Christusbild vom Bronzetor des Kaiserpalastes entfernen und verkündete durch Edikt 730 den Befehl zur Vernichtung aller Kultbilder. Da der Patriarch von Konstantinopel dies nicht billigte, setzte der Kaiser ihn ab und benannte einen willfährigeren. Die Empörung in den westlichen Kirchen des Reiches, Griechenland, Sizilien, Italien, vor allem vonseiten des Papstes war heftig; im übrigen byzantinischen Reich war die Reaktion uneinheitlich. Der Bilderstreit verursachte einen tiefen Graben zwischen Rom und Konstantinopel, zumal im Zuge der Auseinandersetzung die byzantinischen Kaiser Leo III. und sein Sohn und Nachfolger Konstantin V. dem Papst die kirchliche Oberhoheit über Kalabrien und Sizilien entzogen. Dies bildet eine Voraussetzung für die Abwendung Roms vom byzantinischen Reich, für die Orientierung der Päpste auf das Frankenreich und für das Schwinden des ostkirchlichen Elementes im Klerus Roms. Die Konstituierung des Kirchenstaates durch König Pippin, die Lö sung der bis dahin von Byzanz beanspruchten Gebiete Mittelitaliens und des Küstenraumes von Ravenna bis Ancona aus dem byzantinischen Reich und ihre (zumindest teilweise) Unterstellung unter die weltliche Hoheit des Papstes, minderten die Stellung des Ostreiches in Italien, zumal die Strategen Siziliens mehrfach eigene Wege gingen und für die zu Byzanz gehörende Lagunenstadt Venedig schon seit langobardischer Zeit Verbindungen und Verträge mit den Herren Norditaliens größere Bedeutung gewannen.

Neben den Araberkämpfen führten die byzantinischen Truppen zwischen 755 und 775 aufreibende Kämpfe gegen die über die Donau bis nach Thrakien vordringenden Bulgaren. Nach dem Tod Kaiser Konstantins V. (775) übernahm sein Sohn Leon IV. die Kaiserwürde, starb jedoch schon 780, so daß seine Witwe, die aus Athen und damit aus dem westlichen Teil des Reiches stammende Kaiserin Irene die Regentschaft für ihren Sohn Konstantin VI. führte. Sie begünstigte die Bilderfreunde und berief nach Überwindung vielfältiger Widerstände besonders vonseiten des Heeres 787 ein Konzil nach Nikaea ein, zu dem auch Papst Hadrian I. einen Beauftragten entsandte; dieses stellte die Bilderverehrung im byzantinischen Reich wieder her und beseitigte so den Konflikt mit Rom. Die in Rom angefertigte lateinische Übersetzung der griechischen Konzilsakten übersandte Hadrian an Karl den Großen. Im Frankenreich stießen die Formulierungen von Nikaea auf Widerspruch, den die Westkirche auf der Frankfurter Synode von 794 fixierte. Schon in Frankfurt handelte Karl wie ein Kaiser als Schützer der westlichen Christenheit. Eine seit 781 bestehende Verlobung der ältesten Tochter Karls mit dem jungen Kaiser Konstantin VI. wurde gelöst, ob im Zusammenhang mit diesen Mißhelligkeiten ist unklar. Der heranwachsende, junge Kaiser versuchte sich 790 vom Einfluß der Mutter zu lösen und verbannte sie vom Hof, holte sie aber schon 792 wieder zurück. Bilderfeindliche Kräfte im Heer gewannen zunehmenden Einfluß auf ihn. Eine Eheaffaire des jungen Kaisers wurde für die Mutter der letzte Anstoß, ihn zu stürzen. 797 ließ sie ihn blenden, eine Verletzung, an der er wenig später starb. Nicht mehr als Regentin, sondern als Kaiser übernahm sie die Herrschaft, ein rechtlich bedenklicher Vorgang ohne Vorbild in der oströmisch-byzantinischen Geschichte.


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Das 4. Jahrhundert
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