Jagdszene am Außenfries Andlau/Elsaß
Berittene Kämpfer am Außenfries des Klosters Andlau/Elsaß. Erkennbar sind Helm,
Rüstung und Sporen der Adelskrieger, als Waffen ihre Lanzen und bei dem auf
der rechten Bildseite das kurze, linksseitig am Gürtel getragene Schwert.

Gesellschaftliche Strukturen im frühen Mittelalter

Das soziale Erbe der Spätantike und die Sozialstruktur der Völkerwanderungsgermanen

Die Wirtschaft des spätrömischen Imperium im Westen war stärker als im Osten durch Krisen bestimmt. Die kaiserliche Steuerpolitik versuchte vergeblich die Landflucht einzudämmen. Die Agrarwirtschaft in Gallien, Italien und auf der iberischen Halbinsel war durch große Latifundien im Besitz einer relativ begrenzten Zahl angesehener Familien geprägt, von denen viele ihren Ursprung auf senatorische Geschlechter zurückführten (Senatorenadel) und die die führenden Amtsträger der Provinzialverwaltung wie der Kirche stellten. Abgeschichtet waren sie auch durch ihre Heiratspraxis. Da die Besteuerung des Grundbesitzes eine Hauptquelle des kaiserlichen Steueraufkommens war, hatte die personelle Verflechtung zwischen Latifundienbesitzern und Amtsträgern für dieses Steueraufkommen negative Auswirkungen. Auf den großen Latifundien arbeiteten Massen von Sklaven und von zwar persönlich freien, aber eigentumslosen Kolonen, die als Pächter das Land ihrer großgrundbesitzenden Herren bewirtschafteten und diesen gegenüber zu Abgaben verpflichtet waren. Die Landsklaven verfügten im Unterschied zu den Haussklaven immerhin über einen geringen, ihnen vom Herrn überlassenen Besitz, eine Wohnstatt und Vieh (peculium). Im Fall der förmlichen Freilassung durch den Herrn überließ dieser ihnen auch dieses peculium zum Eigenbesitz. Dies war Voraussetzung einer freien Subsistenz. Familienbildung war bei den Landsklaven nicht ungewöhnlich und wurde seit Verbreitung des Christentums von der Kirche geschützt. Dagegen nahm diese nicht grundsätzlich gegen den Sklavenstatus Stellung.

Gewerbliche Produktion, in aller Regel für einen engeren lokalen Markt, ist bis zum 6. Jahrhundert im Westen archäologisch bezeugt. Archäologische Funde und Schriftquellen belegen Nah- und Fernhandel. Gewürze, Stoffe, Öl, Wein, Metalle, Salz, Glaswaren wurden auch über große Distanzen transportiert. Orientalische Kaufleute, Ägypter, Syrer, Juden, sind durch die Werke Gregors von Tours für Gallien bezeugt. Der Liber Pontificalis, das Buch der Lebensbeschreibungen der Päpste, anfangs kurz gehaltene Texte, seit dem 8. Jahrhundert ausführlicher und nach dem Tod des jeweiligen Papstes verfasst, dokumentiert, dass bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts mehrere Päpste griechischer und syrischer Herkunft waren. Die bei Gregor von Tours im 6. Jahrhundert genannten Fernhändler haben offenbar auf eigene Rechnung und Initiative gearbeitet. Im 9. Jahrhundert sind uns Abhängigkeits- und Schutzverhältnisse von Kaufleuten überliefert: Ludwig der Fromme hat einzelne Kaufleute, auch Juden, in seinen Schutz genommen und ihnen Vergünstigungen an den Zollstellen seines Reiches eingeräumt; die Klöster mit großen Grundherrschaften, z. B. Prüm in der Eifel und S. Salvatore von Brescia in Italien, hatten eigene Kaufleute, die im Auftrag des Abtes oder der Äbtissin Handel trieben. Andererseits haben wir aber auch Zeugnisse für Kaufleute, die offenbar nicht gebunden waren. Ein Kapitular Karls des Großen benennt die Grenz-Passage-Orte für den Handel mit Slaven und Avaren, verbietet den Waffenhandel mit ihnen und verfügt Vorkehrungen und Strafbestimmungen; auch hier scheint es sich um unabhängige Kaufleute zu handeln. Die klösterlichen Güterverzeichnisse belegen die Beschickung städtischer Märkte, dasjenige von S. Salvatore/Brescia auch gewerbliche Produktion in Städten (verarbeitete Nahrungsmittel, Stoffe). Die alten Römerstädte in exponierten Grenzlagen sind zwar in den unruhigen Zeiten seit dem 4. Jahrhundert geschrumpft, haben sich auch gelegentlich geringfügig verlagert. Von ihrem "Untergang" jedoch kann man nicht ausgehen. Neue Handelsorte kamen in fränkischer Zeit hinzu. Die Not der Normanneneinfälle bewirkte im 9. Jahrhundert gelegentlich die Wiederinstandsetzung der teilweise verfallenen Ummauerung.

Schon im 5. und 6. Jahrhundert war im Westen des Imperium Landbesitz die hauptsächliche Grundlage von Reichtum. So blieb es auch im Frankenreich. Landnahme und Kriege führten im Norden und Osten des Frankenreiches zur Entstehung einer neuen Grundbesitzerschicht, während im Süden der gallorömische Senatorenadel seinen Besitzvorrang hielt. Für den fränkischen Adel und die fränkischen Könige ist die weite Besitzstreuung charakteristisch, die vor allem durch die Eroberungen in Merowinger- und Karolingerzeit zustandekam. Die von Adel, König und Freien beschenkten Bistümer und Klöster finanzierten den Unterhalt der Geistlichkeit, der geistlichen Gemeinschaften, der Kirchenbauten und der zahlreichen karitativen Aufgaben aus ihrem durch Schenkung erworbenen, ebenfalls weit gestreuten Grundbesitz. Am besten bezeugt sind uns diese großen Grundherrschaften für Klöster infolge ihrer besseren und kontinuierlicheren Archivierungspraxis. Nachrichten in Bistumsgeschichten (Reims) belegen, daß auch von bischöflichen Grundherrschaften wie von denen der Klöster Aufzeichnungen über Besitz und Einnahmen gemacht wurden. Diese enthalten Angaben über Lage, Umfang, Nutzung des Grundbesitzes sowie über Status, Pflichten und Abgaben der dort lebenden Menschen. Wir kommen darauf im Absatz über die Grundherrschaft in diesem Kapitel zurück. Hier ist zunächst die soziale Gliederung dieser bäuerlichen Bevölkerung von Interesse. Unterschieden wird zwischen Freien (ingenui), Kolonen (coloni), Halbfreien (liti) und Unfreien (servi). Der Status war erblich; bei Mischheiraten folgten die Kinder dem schlechteren Status. Die Gliederung ist im Grundsatz, jedoch ohne die Liten und ohne dass die Kolonen einen eigenen Rechtsstatus konstituiert hätten, aus der römischen Spätantike tradiert. Die Staffelung nach ingenui, liti und servi kennen wir auch aus einigen Stammesrechten (z. B. Lex salica). Die Urkunden dagegen sprechen bei der abhängig arbeitenden bäuerlichen Bevölkerung durchweg von mancipia (Neutrum Plural!). In der Geschichtswissenschaft hat es sich eingebürgert, für diese frühen Zeiten von "Freien" und "Unfreien" zu sprechen, wobei die Liten als eine vorübergehende Zwischenstufe angesehen werden und für den Adel ein Sonderstatus angenommen wird. Keine dieser Gruppen ist statisch und stabil. Der Adel, den großer Besitz, traditionelles Ansehen, vererbte Vornehmheit auszeichneten, konnte sich verringern durch biologische Zufälle und anwachsen durch Männer, die im Dienst des Königs aufstiegen. Die Freien konnten durch Kriegsgefangenschaft, Verschuldung und daraus folgende Verknechtung oder auch dadurch, dass sie sich selbst in Abhängigkeit brachten (z. B. im Frankenreich, um der ihnen obliegenden Heeresfolge zu entgehen), zu Unfreien werden. Die Unfreien konnten, wie in der Antike die Sklaven, durch förmliche Freilassung zu Freien werden. Solche Freilassungen sind durch Testamente, Urkundenformulare und gelegentlich auch durch Urkunden überliefert. Sie setzten, wie in der Antike, die Ausstattung des Freigelassenen (libertus) mit einem gewissen Eigenbesitz voraus. Der freilassende Herr oder die freilassende Herrin konnten den Freigelassenen auch Auflagen machen, z. B. gewisse Dienstleistungen für kirchliche Institutionen.

Die Unfreien des frühen Mittelalters gehörten zum "Haus" ihres Herrn. Sie waren dessen Schutz und Gerichtsbarkeit unterstellt. Alles, womit sie in ihrem Arbeitsalltag umgingen, gehörte grundsätzlich nicht ihnen, sondern ihrem Herrn. An den ihnen zur Bearbeitung überlassenen Grundbesitz, die "Scholle", waren sie gebunden, durften ihn nur mit Zustimmung des Herrn verlassen. Der Herr hatte Anspruch auf ihre Arbeitskraft. Einige von ihnen arbeiteten auf ihnen überlassenem Boden und hatten ein eigenes Dach über dem Kopf (servi casati), andere arbeiteten als Gesinde im Haus des Herrn (servi non casati) oder in spezialisierten Gewerbeeinrichtungen (z. B. in sogenannten Frauenhäusern -gynocea - für die Woll-, Flachs- und Stoffherstellung).

Der Status dieser Unfreien unterschied sich von dem der Sklaven der klassischen Antike dadurch, dass sie rechtlich nicht als Sache betrachtet wurden (das hatte schon die Gesetzgebung der spätrömischen, christlichen Kaiser geändert), sondern wie die Bußenkataloge der Stammesrechte bezeugen, ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit abgesichert war, wenn auch mit geringeren Strafen für den Schädiger als bei den Freien. Damit sollte zweifellos vor allem ihre Arbeitskraft für den Herrn garantiert werden, der ihre Rechte ja im Ernstfall vertreten musste. Die servi und ancillae bedurften der Heiratserlaubnis ihres Herrn (für die sie nach späteren Quellen zahlen mussten). Die so gegründete Familie war dann jedoch vor Trennung sicher. Faktisch wurde der von Unfreien bearbeitete Grundbesitz auch von ihnen vererbt, jedoch wiederum gegen eine Abgabe gegenüber dem Herrn (Todfallabgabe). In den Ansiedlungen bildeten sie eine gewohnheitsrechtlich abgesicherte Gemeinschaft, hatten sogar für ihren Alltagsbereich eine gewisse Rechtsfähigkeit: so wurden klösterliche Güterverzeichnisse des 9. Jahrhunderts erstellt, indem man Gruppen von offenbar vertrauenswürdigen, abhängigen Bauern, darunter auch servi, über Besitz und Abgaben befragte und sie ihre Angaben eidlich bekräftigen ließ.

Die Kennzeichen des freien Mannes waren Eigentum (Allod), Rechts- und Waffenfähigkeit. Aufgrund seiner Waffenfähigkeit konnte er andere, die Angehörigen seines "Hauses" (Familie, Gesinde, Unfreie) schützen und sein und ihr Recht durchsetzen. Durchsetzung des Rechtes war nicht eine irgendeiner übergeordneten Instanz obliegende hoheitliche Aufgabe, sondern Sache des freien und schützenden Herrn, der dabei durch sein "Haus" und allenfalls noch durch seine Sippe unterstützt wurde. Gerichtsbarkeit durch die Thingversammlung war etabliert, hatte jedoch vor allem Schiedscharakter. Gerichtsbarkeit durch andere, den fränkischen Grafen oder gar den König, trat nur ein, wenn sie angerufen wurde, oder um an die Stelle der Selbsthilfe einen tradierten Bußen-(Entschädigungs-)Katalog zu setzen. Die Waffenfähigkeit des Freien bedingte seine Verpflichtung zur Waffenhilfe für den Stammesführer bzw. König. Die Freien stellten z. B. die Grundkontingente der fränkischen Heere.

Schon während der sogenannten Völkerwanderung spielten Reiterkontingente eine entscheidende Rolle. Große Distanzen konnten schnell nur zu Pferd bewältigt werden. Dies setzte nicht nur Reitfähigkeit voraus, sondern auch Waffenhandhabung vom Pferd aus; beides musste gelernt und trainiert werden. Reit- und Kriegspferde konnten sich auch nur die reicheren Freien, speziell der Adel, leisten. Sie allein waren auch in der Lage, einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit der Einübung zu widmen, und hatten genügend Abhängige, die mit ihrer Arbeit auch den Lebensunterhalt der Reichen gewährleisteten. Auch bei den Römern bezeichneten "equites" und "pedites" nicht nur "Ritter" und "Fußvolk" im Krieg sondern gleichzeitig soziale Gruppen.

Im Frankenreich Karls des Großen bedeutete die Heeresfolgepflicht der Freien für diejenigen unter ihnen mit geringem Grundbesitz eine erhebliche Belastung. Die zahlreichen Eroberungszüge zogen sie oft in den Jahreszeiten von ihrem Eigentum ab, in denen die Feldarbeiten anfielen (Feldzüge fanden wegen der besseren Witterungs- und Wegebedingungen, wegen der Weidemöglichkeiten für die Pferde und der Requirierungsmöglichkeiten für die Menschen meist von Mai bis September statt). Wenn ein Freier über wenig Abhängige gebot, musste die Familie mit ihrer Arbeitskraft einspringen. Karl der Große reduzierte die Heeresfolgepflicht von Freien mit geringem Besitz in der Weise, dass bei Besitz unter vier Hufen (1 Hufe ist im Prinzip die Fläche, die für die Versorgung einer Familie ausreicht) jeweils drei Freie sich zusammentun konnten, einer von ihnen Heeresfolge leistete und die beiden anderen befreit waren (wohl mit der Auflage, den dritten zu unterstützen).

Agrarwirtschaft und Grundherrschaft

Urkunden und Güterverzeichnisse (Polyptycha, Brevia, Urbare) gewähren Einblick in agrarisches Wirtschaften und Status der Grundbesitzer und Bauern. Einige originale Privaturkunden, Verfügungen von Adligen und Freien durchweg zugunsten kirchlicher Empfänger, sind uns seit dem Ende des 7. Jahrhunderts erhalten, vor allem aber zahlreiche Verfügungen dieser Personengruppe in sogenannten Kopiaren (buchweise von den Empfängern zusammengefassten Abschriften). Frühe Kopiare oder Chartulare haben wir von den Klöstern Weissenburg (Wissembourg) im Elsass, Echternach im heutigen Luxemburg, Prüm in der Eifel, Fulda in Hessen, Werden an der Ruhr, auch - wenn auch in etwas anderer Form - vom Kloster Lorsch in der Nähe von Worms. Originale Urkunden sind vor allem für die Abtei St. Denis bei Paris und das Kloster St. Gallen (heute Schweiz) überliefert. Für den auf diese Weise relativ gut dokumentierten östlichen Teil des Frankenreiches ist eine breitere Schicht von kleineren Grundbesitzern quellenmäßig fassbar, die zusammen mit ihren Familien zweifellos selbst bei der Feldarbeit Hand anlegten und nur kleinere Zahlen abhängiger Bauern beschäftigten. Große Grundherrschaften sind durch die Güterverzeichnisse dokumentiert, die vorwiegend aus dem Seinetal (Saint-Germain-des-Prés, Saint-Maur-des-Fossés, Saint-Wandrille), aus dem nordöstlichen Frankenreich (Saint-Bertin, Lobbes), aus der Champagne (Montiérender, Reims), auch aus Prüm, Werden und Fulda überliefert sind; nur zwei Bruchstücke solcher Güterverzeichnisse stammen aus dem (romanischen) Süden (Mâcon, Marseille). Das von diesen Güterverzeichnissen gespiegelte Bild weiträumig gestreuter Grundherrschaften, deren verschiedene Besitzkomplexe auf Fronhöfe zentriert waren, ist sicher nur für große Eigentümer, Klöster, Bischofskirchen, den König, vielleicht einige Adlige, vorauszusetzen. Die Quellenbelege für das Bistum Mâcon und das Kloster Saint-Victor von Marseille (auch die Bruchstücke für das Kloster Saint-Martin von Tours) sprechen für ein Fortbestehen spätrömischer Wirtschaftsformen im Süden des Frankenreiches mit der Verfahrensweise, den kirchlichen Grundbesitz ganz zur Bearbeitung auszugeben gegen jährlich abzuführende Erträge bzw. Geldleistungen. Die für das Gebiet von der Seine bis zur Champagne und nach Hessen obwaltende Fronhofstruktur reservierte zumindest in einigen Besitzkomplexen Anteile des Bodens der Nutzung des Grundherrn (sog. Salland). Der übrige Boden war hier ebenfalls an abhängige Bauern gegen Natural- oder Geldleistungen ausgegeben. Diese abhängigen Bauern leisteten außerdem die Bearbeitung des Herren-(Sal-)landes und zahlreiche andere Dienstleistungen gegenüber dem Herrn (Gestellung von Holz als Bau- und Brennmaterial, Transportdienste, Durchfüttern von Kleinvieh in der schlechten Jahreszeit, spezialisierte handwerkliche Dienste). In den großen klösterlichen Besitzungen des ehemals langobardischen Italien ist nach Ausweis der karolingerzeitlichen Inventare von San Salvatore und Santa Giulia in Brescia und von Bobbio die Nutzungsweise ähnlich gewesen. Auch die Brevia zum Königsgut, das Capitulare de villis der Zeit Karls des Großen und einige weitere erhaltene Bruchstücke weisen in die gleiche Richtung.

Die Grundeinheit für den Unterhalt einer Bauernfamilie war nördlich der Alpen die Hufe (mansus oder in den germanisch-sprachigen Gebieten hoba). Doch lässt schon das Güterverzeichnis von Saint-Germain-des-Prés Halbhufen und Viertelhufen als Wirtschaftseinheiten bäuerlicher Familien erkennen. Der mansus absus war eine unbewohnte Hufe, die von anderen genutzt wurde. Fraglich ist, ob mansi absi durch Abzug der früheren Inhaber, deren Tod oder durch Kriegsereignisse zustande kamen. Dass die Grundherren gelegentlich den Überblick über ihre abhängigen Bauern verloren und diese abzogen, ohne dass die Herren wussten wohin, bezeugt das Güterverzeichnis von Saint-Victor von Marseille.

Grundlage der Ernährung war Getreide. Je nach Bodenqualität und Klima wurde Weizen, Hafer, Gerste und Roggen angebaut. Das Prümer Urbar bezeugt noch für das ausgehende 9. Jahrhundert, dass zur Bodenbearbeitung neben dem eisernen Pflug weiterhin das Umgraben mit dem Spaten und das Aufreissen mit hölzernem Haken gebräuchlich war. Die Verarbeitung des Getreides erfolgte an Ort und Stelle. Vielfach waren Handmühlen im Gebrauch, an geeigneten Gewässern gab es Wassermühlen. Gemüse (vornehmlich Leguminosen und Lauch) sowie Gewürz- und Heilkräuter wurden offenbar vor allem in Hausgärten angebaut. Weinkulturen sind aus allen geeigneten Anbaugebieten überliefert, für Norditalien durch die Brevia von Bobbio und S. Salvatore auch Kastanien- und Olivenkulturen. Während im mediterranen Raum Wein neben Wasser das übliche Getränk war, trat an dessen Stelle in den nördlichen Bereichen das auf den Grundherrschaften selbst gebraute Bier (cervisia), doch wurde Wein auch als Handelsgut eingekauft und vertrieben, zumal er unerlässlich war für die Feier der Liturgie. Der Flachsanbau lieferte den Grundstoff für die Leinenherstellung. Auch ist die Nutzung von Obstbäumen bezeugt.

Milchprodukte (vor allem von Schaf und Ziege) und Eier deckten einen Teil des Eiweissbedarfs. Bezeugt ist vor allem Geflügel- und Kleintierhaltung (Schweine, Schafe, Ziegen). Großvieh (Rinder) braucht größere Weideflächen und als Melkvieh intensiveren Arbeitseinsatz, ist daher nur in naturräumlich geeigneten Regionen (z. B. im Saônetal) bezeugt. Rinder wurden vor allem als Zugvieh gehalten, lieferten außer Fleisch aber auch hochwertiges Leder und Pergament. Für Alltagszwecke reichte Pergament aus Schaf- und Ziegenhaut, wenn hier auch die als Beschreibstoff nutzbaren Teile klein waren. Die verbreitete Schafhaltung hatte ihren Grund natürlich auch in der von Schafen gelieferten Wolle, dem Grundstoff für die meisten Textilien. Für die Nutztierversorgung in der schlechten Jahreszeit spielte die allerorts bezeugte Heuernte eine wichtige Rolle. Pferdehaltung ist auf Königsgut (Capitulare de villis), selten auf Adels- oder Kirchengut bezeugt. Pferde brauchen mehr Weidefläche als Rinder, wurden vorwiegend als Reittiere genutzt (als Zugtiere hielt man Rinder, als Lasttiere Mulis und Esel) und waren deswegen kostspielig. Ihre Winterfütterung wurde mit Heu und Getreide (Hafer, Gerste) bewerkstelligt. Neben der Versorgung mit Geflügel-, Schweine-, Schaf- und Ziegenfleisch, sorgte vor allem bei den Reichen die Jagd für Abwechslung im Speiseplan. Sie bot zugleich eine gute Gelegenheit für das Waffentraining. Fischfang und Fischhaltung in Teichen ist vielfach bezeugt. In Flussniederungen, wie im Saônetal und in der Poebene kam Vogelfang (Wachteln, Flugenten usw.) mit Netzen oder Beizvögeln hinzu.

Die Wälder, im Europa nördlich der Alpen vorwiegend Eichen- und Buchenwälder, wurden nicht nur für den Holzeinschlag und die Jagd genutzt sondern auch für die Ernährung der Schweineherden. Der Schweinehirt trieb im Auftrag der ganzen Siedlungsgemeinschaft die Schweine in den Wald, so dass sie sich von Eicheln und Bucheckern ernähren konnten, die auch für ihre Fütterung im Winter gesammelt wurden. Im Wald lebende wilde Bienenvölker lieferten Honig, den einzigen Süssstoff und Wachs für Kerzen. Der Wildbestand umfasste das ganze Mittelalter hindurch auch Wölfe und Bären. Die Felder und Gärten wurden gegen Wildschaden durch Umzäunung geschützt, in der Nacht wie die eingebrachte Ernte auch bewacht; jedenfalls erwähnt das Prümer Urbar Wachdienste.

Als einziges Düngemittel kannte man den Mist. Mistfahren auf das Salland gehörte zu den Frondiensten neben der Bearbeitung dieses Herrenlandes. Um die Bodenermüdung zu vermeiden, wurde Fruchtwechsel praktiziert, gelegentlich wohl auch Brachezeiten. Die Urbare sprechen von Winter- und Sommersaat. Ein großes Problem war die Lagerung und Konservierung der Lebensmittel. Gelagertes Getreide litt durch Mäusefraß, Verunreinigung durch Schädlinge, Feuchtigkeit und Pilzbefall. Krankheiten, die heute weitgehend unbekannt sind, wie die Mutterkornvergiftung konnten die Folge sein. Käse, Butter, Fisch und Fleisch wurden eingesalzen, um sie haltbar zu machen. Salz war als Konservierungsmittel ein allgemeines, auch über weite Distanzen gehandeltes Bedarfsgut. Salzgewinnung, am Meer und in Salinen in Salzpfannen und Salzteichen sowie durch Abbau unterirdischer Salzlager, war ein gewinnträchtiges Geschäft.

Die Ernährung der Bevölkerung war durch Missernten in der Folge von Kälte- und Regenperioden und durch Lagerungsprobleme beim Getreide immer wieder bedroht, zumal der Ertrag aus dem Saatgut gering war. Wurde weniger geerntet, konnte weniger für die Saat aufgehoben werden und weniger verzehrt werden, so dass eine Missernte stets mehrere auf einander folgende Hungerjahre zur Folge hatte. Bei steigender Bevölkerungszahl musste mühsam mehr Boden urbar gemacht werden. Güteraustausch für den Lebensbedarf funktionierte überwiegend nur auf kürzere Entfernungen. So weit möglich versuchten große Grundherrschaften, alles was zum Lebensunterhalt nötig war, Nahrungsmittel, Kleidung, Werkzeuge, Heizungs- und Baumaterial selbst zu produzieren. Vollständig ging das freilich nie: man brauchte auch bei bescheidenen Ansprüchen Eisen, Salz, Tonerde bzw. irdene Gefäße.

Testamente und Brevia geben Einblick in den Hausrat der Reicheren: Tische, Truhen, Betten, Sessel werden genannt, leinenes Bettzeug, Kopfkissen, Tücher, Holzbearbeitungswerkzeuge, Messer, Kessel mit Ketten - interessanterweise kein Besteck außer gelegentlich Löffeln. Gekocht wurde im Kessel über offener Flamme, gebraten am Spiess. Gegessen wurde vielfach mit den Händen aus wenigen Töpfen.

Gegen die Kälte wurden die Fenster mit Vorhängen verhängt. Über Hygiene erfahren wir kaum etwas. Magen-Darm-Erkrankungen traten häufig auf, auch Erkrankungen der Atemwege sowie Tuberkulose und Lepra. Die Lebenserwartung war gering, Säuglings- und Kindersterblichkeit besonder häufig. Jede Geburt bedeutete für die Gebärende und das Kind Lebensgefahr. Außer Heilkräutern und geburtserfahrenen Frauen stand kaum Hilfe zur Verfügung. Für die Könige sind gelegentlich Leibärzte bezeugt, für den westfränkischen Kö nig Karl den Kahlen z. B. ein jüdischer Leibarzt. Der Bericht der Annalen von St. Bertin zum Tod dieses Königs macht deutlich, wie gefährlich der Status dieses Arztes war: da das Mittel, das er dem erkrankten König reichte, nicht anschlug, wurde er des Giftmords bezichtigt. Einige Krankheiten wie Epilepsie (Karl III.) wurden als teuflische Besessenheit verstanden, die meisten Krankheiten als Strafe Gottes, für die man durch fromme Pilgerfahrt, Berührung von Reliquien und Gebet Heilung finden konnte.

Zu den Gefährdungen des Lebens durch Hunger, wilde Tiere und Krankheit kamen Kriege mit ihren Verwüstungen von Saatfeldern und Weideland, Unsicherheit vor Räubern wegen fehlender oder unzulänglicher Ordnungsinstanzen, Belastung und Ungerechtkeiten der Mächtigen.

Ehe, Familie, Frauen

Die Ehe, als eine auf Dauer angelegte Lebens- und Geschlechtsgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, wurde von Römern wie Germanen praktiziert. Sie bedurfte vorheriger Vereinbarungen zwischen den Familien der zukünftigen Partner und öffentlicher Rituale für ihre Rechtmäßigkeit. Die kirchliche Segnung (benedictio) und die Anwesenheit eines Priesters bei der Eheschließung wird im Westen erst im 9. Jahrhundert gefordert und war auch dann noch nicht unabdingbare Voraussetzung einer gültigen Ehe. Die Fredegarchronik belegt für mehrere Merowingerkönige Verstoßung der Ehefrau (uxor), Annahme einer neuen Ehefrau zu Lebzeiten einer anderen, parallele Unterhaltung mehrerer Bindungen, deren weibliche Partner als reginae = Königinnen bezeichnet werden, also Mehrehe (Polygamie). In der älteren Literatur werden zwei Eheformen bei den Germanen, speziell den Franken, angenommen (H. Meyer): die Muntehe als sogenannte Vollehe und die Friedelehe als Nebenehe. Beide hätten eines formellen Abschlusses bedurft, nur die Muntehe aber hätte die Frau dauerhaft unter den Schutz (die Vormundschaft - der gleiche Wortstamm steckt im Wort Muntehe) des Ehemannes gestellt, während die Frau (und der Mann) in der Friedelehe frei geblieben wären, die Verbindung zu lösen. In einem solchen Fall wäre die Frau unter den Schutz ihrer Herkunftsfamilie zurückgekehrt und der Mann hätte lediglich Schutz und Versorgung der Kinder übernommen. Nur die Muntehe hätte zur Sicherstellung der möglichen Witwenschaft die Morgengabe (dos) erfordert. In jüngerer Literatur (E. Ebel) ist die Friedelehe im wesentlichen mit philologischen Argumenten in Frage gestellt worden. Zeitgenössische Texte qualifizieren die angeblichen Friedelfrauen (z. B. die 2. Frau Karl Martells) als uxores. Beim jetzigen Forschungsstand ist eher davon auszugehen, dass die Ein-Ehe bei den Franken erst auf Grund kirchlichen Drucks im 9. Jahrhundert wirklich durchgesetzt wurde. Karl Martell hatte zwei uxores neben einander und außerdem mehrere Konkubinen. Karl der Große verstieß zwei Ehefrauen (Himiltrud und die Tochter des Langobardenkönigs Desiderius) und hatte nach (neben?) weiteren drei auf einander folgenden Ehen, die jeweils durch den Tod der Frau beendet wurden noch mehrere Konkubinen. Mehr-Ehen waren selbstverständlich nur den Reichen (König, Hochadel) möglich, weil die Frauen und die Kinder aus diesen Verbindungen ja vom Ehemann/Vater unterhalten werden mussten.

Hochrangige Ehefrauen waren bei den Merowingerkönigen in der Minderzahl. Erwähnt seien die Burgunderprinzessin Chrodechilde als (2.) Frau Chlodwigs (gestorben 511) und die westgotischen Prinzessinnen Brunichild und Gailsvintha als Frauen Sigiberts I. und Chilperichs I. (2. Hälfte 6. Jahrhundert). Daneben sind einige Adlige und viele Frauen niederer Herkunft für die Merowingerbelegt. Die merowingischen Königinnen des 7. Jahrhunderts sind mit Ausnahme Bilichilds, die ihren Vetter Childerich II. heiratete, ganz überwiegend niederer Herkunft. Viele von ihnen holten die Könige aus ihrem (unfreien) Hausgesinde; dem Ansehen der Nachkommenschaft schadete dies offenbar kaum. Dagegen haben die frühen Karolinger (7. Jahrhundert) wie wahrscheinlich die Männer vieler Adelsfamilien zunächst adlig geheiratet. Unter anderem über Eheverbindungen wurden politische Bündnisse konstituiert und die wohlhabenden Witwen konnten später als Förderinnen von Klöstern auftreten. Dies gilt auch für die vollgültigen Ehen der Karolinger im 7. Jahrhundert. Über die Herkunft der Konkubinen sind wir nicht informiert.

Über das Frühmittelalter hinaus hielt sich eine Form des Eheschlusses, die die Zustimmung der Familie der Frau (und damit Leistungen an diese Familie - "Brautkauf") umging: die Raubehe. Sie ist uns durch Strafbestimmungen und im 9. Jahrhundert durch spektakuläre Fälle im Adel bekannt. Verwandtenehen, etwa die Heirat der Witwe mit dem Bruder oder gar dem Sohn des verstorbenen Ehemannes (als Beispiel für den zweiten Fall: die Verheiratung des angelsäschsischen Königs Aethelbald mit seiner Stiefmutter Judith, Tochter des Westfrankenkönigs Karls des Kahlen, nach dem Tod seines Vaters Aethelwulf 858) sind archaische Praxis und bezweckten vornehmlich, Familie, "Haus" und Besitz zusammenzuhalten. Sie stießen auf heftigen Widerstand der Kirche, die mit wachsender Durchsetzung des kirchlichen Eherechts auch die Ehehindernisse wegen zu naher Verwandtschaft präzisierte. Das Heiratsalter beider Geschlechter, vor allem aber das der Frauen war jung. Karls des Großen dritte Frau Hildegard zum Beispiel wurde im Alter zwischen zwölf und vierzehn Jahren mit ihm verheiratet und starb nach ca. zwölfjähriger Ehe und acht Geburten (davon eine Zwillingsgeburt). Von ihren neun Kindern erreichten sechs das Erwachsenenalter. Die allgemein zu beobachtenden schnellen Wiederheiraten nach Verwitwung haben eine Ursache sicher auch in der Notwendigkeit, Haushaltung und Kinderversorgung neu zu bestellen. Bei den karolingischen Prinzen der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts ist zu beobachten, dass vollgültige Ehen hinausgezögert wurden und die jungen Männer zunächst rechtlich unabgesicherte Verbindungen eingingen (Lothar II., alle drei Söhne Ludwigs des Deutschen, Arnolf; wahrscheinlich sind auch die ohne Zustimmung des Vaters eingegangenen ersten Ehen der beiden älteren Söhne Karls des Kahlen ähnlich zu sehen). Dies dürfte im Zusammenhang mit Problemen der Herrschaftsteilung stehen.

Dafür dass in hochadligen Familien die Söhne den Müttern nur kurze Zeit zur Erziehung verblieben, ist der Fall der Gräfin Dhuoda und ihrer Söhne ein schönes Beispiel. Für ihren ältesten Sohn Wilhelm schrieb sie einen uns erhaltenen Traktat, der Zeugnis ablegt von ihrer Trauer wegen der Trennung vom Sohn und von der Erziehung des jungen Wilhelm zum Krieger. Dhuoda, eine gebildete und belesene Frau, steht in der Bildungstradition des romanischen Südens des Frankenreiches. Eine entsprechend literate Erziehung wird man nicht bei allen adligen Frauen voraussetzen können. Dass die Töchter Karls des Großen wie dessen Söhne unterrichtet wurden, bezeugt Einhard; daneben lernten die Töchter mit Wolle und Spindel umzugehen, die Söhne Waffengang und Jagd. Schulischer Unterricht an einer kirchlichen Institution ist nicht nur für Söhne von Adligen (Ansgar, erster Erzbischof von Hamburg-Bremen) sondern auch für Bauernsöhne bezeugt, das Letzte zumindest durch das Gü terverzeichnis von Saint-Victor von Marseille für das südliche Gallien.

Das Polyptychon des Klosters Saint-Germain-des-Prés bei Paris, das um 820 entstand und die umfassendsten Angaben aller Güterzeichnisse zu den Bauernfamilien macht, lässt erkennen, dass auch verwitwete Familienmütter die Hufe oder Halbhufe in eigener Verantwortung weiterbestellen konnten. Auch nichtverheiratete Frauen bearbeiteten selbständig Land. Die Feldarbeit wurde ohnehin sowohl von Männern als auch von Frauen verrichtet. Frauensache dagegen war die Stoffherstellung und zwar angefangen von der Schafschur über das Waschen, Spinnen, Weben bis zur Endverarbeitung. Das Polyptychon von Saint-Germain bezeugt weiter, dass die Familiengröße und Kinderzahl in breitem Spektrum variierte. Von sexuellen Praktiken, empfängnisverhütenden Getränken und von Abtreibung legen die kirchlichen Bußbücher, einzelne Synodalkanones und Bestimmungen der Stammesrechte Zeugnis ab. Kindesaussetzung und Findelkinder sind durch Formulare (Formulae Turonenses) und Rechtsbestimmungen bekannt.

Unfreiheit, nicht aber außereheliche Geburt war ein Hindernis für die Priesterweihe. Unfreie sollten von ihren Herren freigelassen werden, um geweiht werden zu können. Für die Söhne Karls des Großen von seinen Konkubinen verfügte Ludwig der Fromme die Klerikalisierung, wie auch Karl der Kahle seine Söhne Karlmann und Lothar, die er von der Nachfolge im Reich fernhalten wollte, zwangsweise zu Klerikern machen ließ.

Die Familie war die Gruppe, die primären Schutz gewährte, besonders für Alter und Krankheit. In ihr vollzogen sich normalerweise Geburt und Tod. Eine große Kinderzahl war bei der herrschenden hohen Kindersterblichkeit die einzige Garantie, im Alter versorgt und nicht allein zu sein. Die Lex Salica schützte die gebärfähige Frau durch ein weit höheres Bußgeld als die noch nicht oder nicht mehr gebärfähige: Kinder haben zu können, definierte den Wert der Frau in der frühmittelalterlichen Gesellschaft. Dem Ehemann und Vater oblag der Schutz von Frau und Kindern, aber auch die Entscheidung über ihren Lebensweg. Zwar berichtet die Hagiographie (Heiligenleben) von unbotmäßigen Töchtern, die sich (aus religiösen Gründen, sagen sie) der von den Vätern vorbestimmten Verheiratung widersetzten. In der Regel jedoch blieb den Töchtern keine Wahl. Der Kirche war besonders der Schutz der Witwen und Waisen aufgetragen, das heißt der Personen, die keinen männlichen Schutz hatten. Hospitalitas, Fürsorge für Arme, Kranke, Pilger, war eine Verpflichtung der Klöster nach der Benediktregel. Sie dürfte aber nur einen Bruchteil des Elends abgefangen haben.

Freundschaftsbündnisse, Patenschaften, Verbrüderungen, Gilden

Neben der Familie bestand eine Vielzahl von Bindungen, die künstliche Familienbande schufen. Die beschworene Freundschaft (amicitia, Schwurfreundschaft) ist für das Frankenreich in Merowinger- und Karolingerzeit gut dokumentiert (W. Fritze). Der zwischen den amici geleistete Eid, ein starkes religiös verankertes rechtliches Bindemittel, schuf politische und militärische Bündnisse und konnte sogar zur Verstärkung von Verwandtschaftsbindungen benutzt werden.

Eine künstliche Verwandtschaft stellte die Waffensohnschaft und die Adoption dar. Beides ist nicht klar zu scheiden und steht überdies in einem Zusammenhang mit der germanischen Gefolgschaft. Auch Söhne hoher Adelsfamilien oder gar Stammesführer konnten als Waffensöhne in Beziehung zu einem angesehenen König treten. Dies ist bezeugt, um nur einige Beispiele zu nennen, für den Anführer der Heruler Rodulf gegenüber dem Ostgotenkönig Theoderich, für Pippin, den jüngeren Sohn Karl (Martells), gegenüber dem Langobardenkö nig Liutprand, für dänische Fürsten gegenüber dem Ostfrankenkönig Ludwig dem Deutschen in den Fuldaer Annalen zu 873. In keinem der Fälle hat sich der Waffensohn länger im Umfeld des künstlichen Vaters aufgehalten. Vielmehr scheint es sich um eine Analogie zur Gefolgschaft zu handeln, die aber beide Partner außergewöhnlich ehrte. "Vater" ist dabei nicht unbedingt der Ältere, stets aber der anerkannt Ranghöhere. Diese Form der "Adoption" involvierte keinerlei Erbansprüche des "Adoptierten". Vermutlich ist der sogenannte "Staatsstreich Grimoalds", eine (in welche Richtung auch immer eingegangene) Adoptionsbindung zwischen Merowingern und frühen Karolingern Mitte des 7. Jahrhunderts, auch noch einmal aufgrund dieser Parallelen zu überdenken.

Eine Patenschaft wurde der Verwandtschaft gleichgestellt. Dies ging so weit, dass die Kirche Ehen zwischen einem Paten/einer Patin und Familienangehörigen des Täuflings wegen zu naher Verwandtschaft verbot. Die Auswahl des Paten aber auch desjenigen Geistlichen, der die Taufe spendete, war in der Karolingerzeit ein politischer Akt (A. Angenendt): ein demonstratives Beispiel ist die Patenschaft Kaiser Ludwigs des Frommen über den Dänenkönig Harald, der Kaiserin Judith über Haralds Frau. Parallelen zur Waffensohnschaft/Adoption (nun jedoch im christlichen Gewand) drängen sich auf.

In den fränkischen Quellen des 9. Jahrhunderts, Kapitularien wie erzählenden Quellen, werden immer wieder die Ideale der amicitia, fraternitas und concordia (Freundschaft, Brüderlichkeit, Einigkeit) beschworen. Dies ist kaum durch eine herausragende Vielzahl von Kriegen und Treubrüchen zu erklären, denn heilige Eide und feierliche Bündnisse sind in dieser Zeit gewiss nicht öfter gebrochen worden als in den vorhergehenden Jahrhunderten. Die von der zunehmend geschulten Amtskirche vorangetriebene Verchristlichung bewirkte zwar keine Besserung der Realität aber ein ausgeprägteres "Mangelbewußtsein". Gleiches gilt wohl für die innerkirchliche Situation: die wiederholten Reformbeschlüsse von Synoden und Hoftagen, die besonders in den Kapitularien ihren Niederschlag fanden, haben auf unterer Ebene wenig gebessert aber das "Mangelbewußtsein" verstärkt. Die klar gegliederte kirchliche Hierarchie sicherte innerkirchlich Vater-Sohn-Verhältnisse (Bischof-Priester, Abt-Mönch) durch den geschuldeten Gehorsam und Bruderverhältnisse (auf einer Synode versammelte Bischöfe und Äbte, Mitglieder eines Konvents) durch die geschuldete Liebe (caritas) effektiver als dies einfache Blutsverwandtschaften taten. Weder Altersunterschiede noch Erbschaftsansprüche intervenierten so störend wie in der außerkirchlichen Welt. Die innerfränkischen Kriege mit der in ihnen ausgefochtenen Aufteilung des Gesamtreiches und der aus ihnen resultierenden Machtverschiebung zwischen König und Adel sowie die äußeren Gefahren (Normannen) stellten jedoch auch die kirchlichen Gemeinschaften auf eine harte Probe. Gebetsverbrüderungen zwischen kirchlichen Amtsträgern sind schon aus dem 8. Jahrhundert dokumentiert. Sie häuften sich im 9. Jahrhundert zwischen den Gemeinschaften unterschiedlicher Klöster besonders des alamannischen, lombardischen und dann auch sächsischen Raumes. In solche klösterlichen Gebetsverbrüderungen konnten auch herausragende Laien aufgenommen werden. Dies geschah in vermehrtem Maße im 10. Jahrhundert. Klösterliche Gemeinschaften pflegten auch besonders das Gebet für die Toten. So wurden die Todestage der Konventsmitglieder, dann auch Außenstehender, die die Wertschätzung der Gemeinschaft genossen, zu liturgischen Gebetszwecken in Kalender eingetragen. In kirchlicher Sicht war der dies nativitatis, der Tag der Befreiung vom Erdendasein und des Eingehens in ein ewiges Leben, wichtiger als der Tag der irdischen Geburt. In der gleichen Vorstellung ist es begründet, dass wir von vielen auch bedeutenden Personen des (frühen) Mittelalters (z. B. von Karl dem Großen) zwar das Todesdatum aber nicht das Geburtsdatum genau kennen.

Eine gewisse Parallele zu solchen religiös motivierten Verbrüderungen im kirchlichen, speziell klösterlichen Bereich stellen die außerkirchlichen Gilden (O. G. Oexle) dar. Sie sind uns im wesentlichen durch Verbote bekannt. Es handelt sich um Gemeinschaftsformen verschiedener Personen (auch Frauen und Geistliche konnten dazu gehören), die sich gegenseitige Hilfe in Notlagen versprachen und sich durch Eid und gemeinsames Mahl verbanden. Ihnen wurden heidnische Bräuche und Unruhestiftung unterstellt und sie störten kirchliche und kö nigliche Ordnungstrukturen (Bistum, Grafschaft). Der in Kapitularien für solche Gemeinschaften bezeugte und stets negativ besetzte Begriff "Gilde" wurde später (11. Jahrhundert) auch für Gemeinschaften von Kaufleuten verwendet, die sich zum Schutz ihrer Tätigkeit, zur Teilung des Risikos und der Kosten und zu geselligen Veranstaltungen zusammenschlossen. Auch für einige der frühmittelalterlichen Gilden ist durchaus gemeinsames Handeln zum Profit aller Mitglieder vorstellbar.

Gefolgschaft und Lehnswesen

Die Gefolgschaft ist bei vielen germanischen Stämmen bezeugt. Sie war eine auf Treue gegründete Gemeinschaft zwischen einem mächtigen adligen Anführer und einer mehr oder weniger großen Gruppe waffenfähiger (also freier), kampfwilliger junger Männer. Der Gefolgsherr gewährleistete aufgrund seines Ansehens und seiner Erfahrung seinen Gefolgsleuten Kampferprobung und Beteiligung an der Beute. Die Gefolgschaft sicherte dem Herrn militärische Durchschlagskraft und im Fall kriegerischen Erfolgs den Ausbau seiner Stellung. Im merowingischen Frankenreich heißt die Königsgefolgschaft trustis. Das Leben der kö niglichen Gefolgsleute, der "Antrustionen" ist in der Lex Salica durch ein erhöhtes Bußgeld geschützt.

Vassi, Vasallen, begegnen zuerst in Texten des 8. Jahrhunderts und zwar in untergeordneter, dienender Funktion auf Grundherrschaften, seit dem Beginn des 9. Jahrhunderts im Dienst Karls des Großen auch bei der Ausübung ihnen vom König übertragener Aufgaben (Gerichtsbarkeit). Im weiteren 9. Jahrhundert häufen sich nicht nur die Belege für das Wort vassi, es wird auch (besonders im Westfrankenreich Karls des Kahlen) deutlich, dass es sich bei ihnen um Leute des Königs handelt, die von diesem Land und Amtsfunktionen erhalten haben. Sie haben jetzt einen gehobenen sozialen Status, sind keineswegs mehr dienende Unfreie. Sogar Angehörige des Hochadels und Inhaber königlicher Hofämter werden nun als vassi bezeichnet.Sie können sogar Forderungen an den König stellen, z. B. dass dieser ihnen Erblichkeit des verliehenen Landes garantiert. Der im Hochmittelalter geläufige Begriff beneficium für das Lehen (seit dem 11. Jahrhundert tritt feudum gleichbedeutend neben beneficium) begegnet in den Polyptycha/Urbaren des 9. Jahrhunderts für Kirchengut, das an freie Laien ausgegeben ist. Ein inhaltlicher Unterschied zwischen diesen beneficia der klösterlichen Güterverzeichnisse des 9. Jahrhunderts und den precaria des frühen 8. Jahrhunderts ist nicht ersichtlich. Dass die frühen Karolinger, Pippin der Mittlere und Karl (Martell), kirchliche Ämter und Kirchengut in Form der precaria an Anhänger, auch Laien, vergaben, ist überliefert. Bonifatius und seine Reformer liefen gegen das Prekarienwesen Sturm, ohne es beseitigen zu können. Die Einführung des Zehnt gilt als Entschädigung an die Kirche für das entfremdete Kirchengut. Nach mehrheitlicher Forschungsmeinung ist das Lehnswesen als die Kombination aus vasallitischem Dienstverhältnis gegenüber dem König oder einem hohen Adligen, verliehenem beneficium (Land oder/und Amt), Treueid gegenüber dem Herrn, Kommendation, d. h. Schutzunterstellung des Lehnsmannes durch Handgebärde oder Handgang (der Lehnsmann legt seine Hände in die Hände des Herrn), Leistungspflicht des Vasallen gegenüber dem Herrn (auxilium = Hilfe, Waffenhilfe und consilium = Rat) anzusehen. Die ältere Forschungsthese, das so definierte Lehnswesen sei unter Karl Martell (also zwischen 720 und 741) entstanden aufgrund der von ihm vorgenommenen "Säkularisierungen" von Kirchengut und der Notwendigkeit, zur Abwehr der Araber eine Reiterarmee zu schaffen, lässt sich von den Quellen her nicht stützen. Ausgabe von Kirchengut an Laien hat es vor und nachher gegeben, ebenso wie vor und nachher bezeugt ist, dass die fränkischen Adelskrieger beritten waren. Die vom 9. Jahrhundert an gut bezeugte Adelsvassallität muss im Lauf des 8. Jahrhunderts allmählich aus den verschiedenen, älteren Elementen entstanden sein. Dabei hat zweifellos die vielfältige, lange Distanzen überwindende Kriegführung der frühen Karolinger aber auch ihr Versuch, Gerichtsbarkeit und Grafschaft als Befugnisse im Namen des Königs neu zu organisieren, eine Rolle gespielt.

Das Lehnswesen war im Prinzip eine personale Bindung zwischen dem Herrn (dominus, senior) und dem Mann (homo, vassus, vasallus), das heißt es endete beim Tod eines der beiden Partner. Doch war es von Anfang an üblich, dass beim Tod des Herrn (Herrenfall) dessen Rechtsnachfolger dessen Vasallen übernahm, die nur auf ihn neu vereidigt wurden. Es wäre unklug gewesen, erprobte Vasallen auszuwechseln und hätte dem dem Lehnswesen immanenten Schutzprinzip widersprochen. Ebenso hatten beim Tod des Mannes (Mannfall) dessen Erben ein Anrecht auf Schutz. Mit der Aufnahme von Adligen in die Königsvasallität seit dem 9. Jahrhundert musste der Unterschied zwischen deren (verliehenen) Amtslehen und ihrem Eigengut (Allod) verschwimmen: am frühesten und deutlichsten setzten die Vasallen die Erblichkeit ihrer Lehen im Westfrankenreich durch. Die Reichsteilungen des 9. Jahrhunderts vervielfältigten die Treue- und Vasallitätsbindungen. Doppelvasallitäten führten zu Loyalitätskonflikten. Die Folge war eine Entwertung der Treuebindungen und die Nutzung von Lehen zum Ausbau eigener adliger Stellung.

"Staatlichkeit" oder einfach personale Herrschaft?

Natürliche und künstliche Verwandtschaft, Hausherrschaft, Schwureinungen, Treuebindungen beschreiben das Bild einer archaischen, auf Personen zentrierten Gesellschaft, so dass man sich fragen kann, ob so etwas wie staatliche Hoheitsrechte und Ordnungen überhaupt existierte. Die orale Tradition gewohnheitsrechtlicher Praktiken verstärkte die Position angesehener, wissender, mächtiger Männer in den sozialen Gruppen. Wenn Wissen im wesentlichen mündlich tradiert wird, nicht nachprüfbar ist und sich auf einen engen Erlebnishorizont beschränkt, wenn gesellschaftliches Verhalten sich nur an überkommenen Beispielen orientiert, haben Änderungs- und Ordnungseingriffe "von oben" geringe Erfolgschancen.

Immerhin aber trafen diese personal orientierten Gesellschaftsstrukturen in den stärker von den Römern geprägten Teilen Europas zumindest auf lokaler Ebene auf konservierte staatliche Ordnungen wie die civitates, Verpflichtungen (munera) zur Unterhaltung von Verkehrsverbindungen, Abgaben (telonea), die für den Handel zu entrichten waren. Die Besteuerung des Landbesitzes wurde wohl schon in der römischen Spätantike weitgehend durch die großen Grundbesitzer realisiert, so dass der Übergang zur Abgaben- und Leistungspraxis frühmittelalterlicher Grundherrschaften gleitend war. Vergessen war die (staatliche) Besteuerungspraxis im romanisch geprägten Westfrankenreich nicht, wie die 877 vom Westfrankenkönig Karl dem Kahlen auf der Basis der Hufen verfügte Besteuerung zeigt. Doch handelte es sich hier um einen einmaligen Vorgang, um die Tribute an die Normannen und um den geplanten Italienzug zu finanzieren. Die Existenz von übergeordneter Königsherrschaft wurde nicht nur personal dokumentiert durch die reisenden Könige. Präsent waren sie durch ihre Namen oder Namensmonogramme auf umlaufenden Münzen und in den Datierungen nach Herrscherjahren in urkundlichen Verfügungen. Der christlichen Kirche war die Vorstellung von staatlicher Obrigkeit aus Bibel, Kirchenvätertexten, Märtyrer- und Heiligenlegenden lebendig. Sie gründete kirchliche Rechtspraxis und Lehre auf schriftliche Autoritäten, vermittelte die Vorstellung von kaiserlichen Rechten und staatlichen Beamten (Zöllnern) und sie bewahrte in ihrer Kirchenorganisation römische Staatlichkeitsstrukturen.

Romanische Rechtstradition, Schriftlichkeit und kirchlicher Einfluss haben die karolingischen Versuche zu mehr "Staatlichkeit" geprägt. Pippin der Jüngere wurde von seinem Vater Karl Martell in Kämpfen in Burgund und im Rhônetal eingesetzt, dem Langobardenkönig Liutprand als "Sohn" anempfohlen, nach dem Tod des Vaters zunächst mit der Herrschaft in den romanischen Teilen des Frankenreiches betraut. Der Schwerpunkt seiner Herrschaft als König liegt im westlichen Frankenreich, nicht im karolingischen Herkunftsgebiet Austrien. Mit der Beseitigung des aquitanischen Herzogtums hat er diesen "Westschwerpunkt" seiner Herrschaft verstärkt. Die Kapitulariengesetzgebung Karls des Großen setzt mit dem großen Kapitular von Herstal 779 erst ein, als er nach dem Tod seines Bruders (771) auch dessen im wesentlichen romanischen Reichsteil übernommen hat und nach der Eroberung des Langobardenreiches (774). Karls Nachfolger, der reform- und kapitularienfreudige Ludwig der Fromme hatte seine jungen Jahre im romanischen Aquitanien verbracht. Ludwigs ältester Sohn und Nachfolger als Kaiser hat Kapitularien nur für Italien hinterlassen. Im Frankenreich östlich des Rheins hat sich die Kapitularienpraxis nicht durchgesetzt und erlischt unter Ludwig dem Deutschen, während das Westfrankenreich sie bis zum Ende des 9. Jahrhunderts bewahrte. Dass Karl der Große und Ludwig der Fromme zumindest versuchten, das Reich durch Grafen und königliche Sendboten einheitlich zu ordnen und zu kontrollieren, ist aus den normativen Texten offenkundig. Diese durch römische Tradition und kirchliche Vorstellungen geprägten Ansätze trafen aber auf die Wirklichkeit personaler, durch allodialen Besitz abgesicherter Herrschaftsstrukturen. Je mehr Ludwig der Fromme den Wünschen personal orientierter Gruppen entgegenkam, desto geringer wurde Obrigkeit und Amt veranschlagt. Unter seinen Söhnen wird offenkundig, dass personale Adelsherrschaften obsiegen, allerdings mit Unterschieden: im Westen spielen territoriale Einheiten, Landschaften eine stärkere Rolle als Basis hochadliger Stellung, im Osten - und das wird schon bei der Organisation der Heerzüge unter Ludwig dem Deutschen deutlich - die "Stämme" der Sachsen, Ostfranken (Main, Mittelrhein), Bayern und Schwaben als Siedlungs- und Rechtseinheiten. Dadurch dass es einzelnen mächtigen Adligen des ostfränkischen Reiches gelang, auf der Grundlage dieser alten Stammesiedlungsgebiete personale Herrschaften zu begründen, dynastisch zu verankern und durch die Bindung der Grafen an sich und nicht mehr an den König zu verstärken, verlor die Grafenposition (comitatus) ihren in hochkarolingischer Zeit zumindest angestrebten Amtscharakter.


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Einleitung
Das 4. Jahrhundert
Das 5. Jahrhundert
Das 6. Jahrhundert
Das 7. Jahrhundert
Das 8. Jahrhundert
Das 9. Jahrhundert
Das 10. Jahrhundert
Das 11. Jahrhundert
Das 12. Jahrhundert
Gesellschaftliche StrukturenII
Die Kreuzzüge
Das 13. Jahrhundert
Das 14. Jahrhundert
Strukturen im Spätmittelalter
Das 15. Jahrhundert

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