Mosaik aus San Apollinare Nuovo
Mosaik aus San Apollinare Nuovo, Ravenna, Italien, 6. Jh.
Darstellung der drei Weisen aus dem Morgenland in germanischer Kleidung.
Rechts Engel in römischer Kleidung, links heilige Frauen in römischer Kleidung.
- Mit Genehmigung des Bistums Ravenna-Cervia,
Opera di Religione della Diocesi di Ravenna,
Eigentum aller Rechte beim Bistum Ravenna-Cervia. -

Das 6. Jahrhundert

Die Germanenreiche

Beim Tod des Frankenkönigs Chlodwig im Jahr 511 wurde das Frankenreich (regnum Francorum) unter seine vier Söhne geteilt, von denen wohl nur der älteste das fränkische Mündigkeitsalter (nach salischem Recht 12 Jahre, nach ribuarischem Recht 15 Jahre) erreicht hatte. Die drei jüngeren aus Chlodwigs Ehe mit der Burgunderprinzessin Chrodechilde, die auch für seinen Übertritt zum katholischen Christentum eine wichtige Rolle gespielt hatte, waren zunächst noch nicht allein handlungsfähig. Die Teilung war nicht als eine Zerteilung, sondern als eine Beteiligung aller Söhne an der Herrschaft aber mit ihnen zugewiesenen Herrschaftsteilen und Anteilen am Königsgut geplant. Die Herrschaftsteile waren um die sedes (Königssitze) von Reims, Soissons, Paris und Orléans gruppiert; das von den Westgoten erst kürzlich eroberte Aquitanien wurde gesondert geteilt, so daß jedem König ein Teilstück zufiel, das nicht unbedingt räumlich mit seinem Teilreich zusammenhing. Die Sonderbehandlung Aquitaniens läßt sich aus seiner kurzen Zugehörigkeit zum Frankenreich erklären und aus der Absicht, alle Chlodwigsöhne auf die Aufrechterhaltung fränkischer Herrschaft in dieser Region zu verpflichten. Nicht die römischen Provinzgrenzen, wohl aber die römischen civitas-Grenzen wurden bei der Teilung respektiert, ein Zeichen dafür, daß diese noch lebendig waren. Die auffällige räumliche Nähe der vier Haupt-sedes zueinander zwischen Champagne, Aisne- und Oisetal, Raum Paris bis zur mittleren Loire erweist dieses Gebiet als Kernraum merowingischen Königsgutes. Eindeutig ist, daß der älteste Chlodwigsohn Theuderich mit dem Reich von Reims den größten Anteil erhielt und zugleich den Anteil, der im Osten und Süden expansives Vorgehen gegen Sachsen, Thüringer, Alamannen, Bayern und gegen die ostgotische Herrschaft in Norditalien und im Alpenraum ermöglichte.

Das Einvernehmen der Brüder dauerte nicht lange an. Nach Jahrzehnten blutiger Auseinandersetzungen um Besitz und Nachfolgerechte setzte sich einer der Chlodwig-Söhne, Chlothar I., 558 in der Nachfolge all seiner Brüder und Neffen durch und vereinte noch einmal das gesamte Frankenreich für drei Jahre unter seiner Herrschaft. Bei seinem Tod 561 wurde die Teilung von 511 wiederholt. Auch in der nächsten Generation folgten blutige Erb- und Nachfolgeauseinandersetzungen, bis 613 wiederum ein Enkel Chlothars I., Chlothar II., das gesamte regnum Francorum beherrschte.

Trotz der Bruderkriege stabilisierte und erweiterte sich während des 6. Jahrhunderts die fränkische Herrschaft. Erobert wurde das Burgunderreich. Die von den Generälen des oströmischen Kaisers Justinian I. in Italien gegen die Ostgoten geführten Rückeroberungskriege nutzten die Franken zur Erweiterung ihrer Herrschaft östlich der Rhone bis zum Mittelmeer und in die Alpenländer hinein; die Alamannen östlich des Oberrheins und die in diesen Zusammenhängen erstmals so genannten Bayern wurden fränkischer Königsherrschaft unterworfen. In den Siedlungsräumen beider Stämme östlich des Rheins etablierten sich Herzöge (duces), anfangs wohl im Auftrag der fränkischen Könige, bald aber aufgrund eigenständiger und vom jeweiligen Stamm gestützter Macht. Thüringen, wo eine Königsherrschaft bestanden hatte, wurde fränkischer Herrschaft unterstellt und mit dem fränkischen Siedlungsraum im Rhein-Main-Gebiet verbunden. Die östlichen Nachbarn am Niederrhein, die Sachsen, wurden zu Tributen genötigt. Der gallo-romanische und der fränkische Adel verschmolzen bis zum Ende des 6. Jahrhunderts zu einer Führungsschicht. Wie sehr die Galloromanen sich mit dem Frankenreich identifizierten, zeigt die Ende des 6. Jahrhunderts entstandene Frankengeschichte des Bischofs Gregor von Tours, die wichtigste historiographische Quelle für diese Zeit. Familien- oder besser Sippengruppen wurden gebildet, die jeweils eigene Interessen vertraten. In den Kerngebieten, die trotz der vielen kurzfristigen Teilungen über längere Zeiträume zusammenblieben, Austrien (Osten um Reims und Metz), Neustrien (Soissons, Rouen, Paris) und Burgund (Orléans, Chalon-sur-Saône) wurden Hausmeier (maiores domus), ursprünglich Verwalter des königlichen Haushalts, die Exponenten des Adels neben dem König. Die Kirchenorganisation der Spätantike wurde soweit möglich beibehalten. Hohe kirchliche Ämter wurden vornehmlich von Adligen wahrgenommen, Klöster, Kirchen und Kapellen (oratoria) auf Adelsbesitz errichtet. Bei solchen adligen Stiftungen behielten die Stifter mehr oder weniger weite Rechte an der Stiftung. Synoden fanden auf Reichsebene, seltener auf Provinzialebene statt und befaßten sich vornehmlich mit kirchendisziplinarischen Fragen. Größere wirtschaftliche Einbrüche und Veränderungen scheint es nicht gegeben zu haben.

Das Ostgotenreich des Königs Theoderich geriet infolge der Kriege Chlodwigs in Bedrängnis. Das von Theoderich aufgebaute, dynastisch verankerte Bündnissystem erwies sich als unwirksam. Franken und Vandalen scherten aus. Die Beseitigung des Glaubensgegensatzes zwischen Konstantinopel und Rom seit dem Tod des oströmischen Kaisers Anastasios (518) und der Nachfolge des wieder auf den Boden der Glaubensentscheidungen von Chalkedon zurückkehrenden Kaisers Justin ließ die Kontakte zwischen den römischen Führungsschichten Italiens und dem Hofadel in Konstantinopel wieder enger werden. Theoderich und seine Ostgoten gerieten zunehmend in die Isolation. Schwierig war auch das Nachfolgeproblem. Da der für die Nachfolge vorgesehene Schwiegersohn Theoderichs früh starb, sah die Regelung beim Tod Theoderichs 526 die Nachfolge seines noch im Kindesalter stehenden Enkels unter der tatsächlichen Regierung von dessen Mutter, Theoderichs Tochter Amalaswintha, vor. Diese Regelung wurde vom oströmischen Kaiser gebilligt. Der frühzeitige Tod des Enkels und die Ermordung der Amalaswintha 535 waren Anlaß für das militärische Eingreifen des jungen, 527 erhobenen oströmischen Kaisers Justinian, eines Neffen seines Vorgängers Justin, im ostgotischen Italien. Justinian verfolgte Pläne zur Wiederherstellung des Römischen Reiches über Italien hinaus: auch im Vandalenreich in Nordafrika und gegen das Westgotenreich auf der südlichen iberischen Halbinsel gingen seine Generäle militärisch vor. Die Kriege der Oströmer gegen die Ostgoten in Italien zogen sich bis 555 hin. In der Schlußphase kam dem Ostgotenkönig Totila vor allem Hilfe aus den italischen Unterschichten. Mit fortschreitender oströmischer "Restauration" in Italien wuchsen die Steuerbelastung der Bevölkerung und die wirtschaftlichen Schäden und damit die Unzufriedenheit mit der oströmischen Herrschaft und die Unterstützung der Ostgoten.

Die Epoche der Ostgotenherrschaft in Italien hat kulturelle Bedeutung für das gesamte Mittelalter. Vertreter römischer Senatorenfamilien im Dienst der Ostgotenkönige vermittelten antike Bildung und Rhetorik an die kommenden Jahrhunderte. Am wichtigsten sind die Schriften des Boethius, der wegen vorgeblicher hochverräterischer Umtriebe 524 auf Betreiben König Theoderichs hingerichtet wurde. Das in der spätrömischen Schultradition nach Inhalten geordnete höhere Schulwissen des sog. Quadrivium faßte er in seinen Schriften zu Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie zusammen. Dieses auf dem Grundwissen des sog. Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, so seit Isidor von Sevilla, s. u.) aufbauende Quadrivium galt als Voraussetzung philosophischer Studien. Darüber hinaus hinterließ Boethius zahlreiche theologische und philosophische Schriften, darunter Übersetzungen zu und Kommentare von Werken des Aristoteles und u. a. auch sein wohl berühmtestes Werk De consolatione philosophiae. Der andere wichtige Vertreter antiken Wissens und antiker Stilistik im ostgotrischen Italien ist Cassiodor. Sein Briefbuch Variae ist eine wichtige Quelle zu ostgotischer Verwaltung und Herrschaft. Er verfaßte auch eine Gotengeschichte, die im Auszug des Jordanes (gest. 552) erhalten ist, sowie Schriften zur Grammatik und zu philosophischen und theologischen Problemen. Gegen Ende seines Lebens zog er sich in das von ihm begünstigte Kloster Vivarium zurück. Auch in der bildenden Kunst hinterließ die Zeit ostgotischer Herrschaft in Italien Spuren, die die Übernahme römischer Traditionen deutlich machen, nicht nur das Grabmal Theoderichs bei Ravenna, sondern vor allem seine ehemalige Palastbasilica S. Apollinare Nuovo, deren reiche Mosaikausstattung u. a. eine Darstellung der Hl. Drei Könige mit phrygischen Mützen, eng anliegenden Hosen und kurzen Mänteln umfaßt, also wahrscheinlich in germanischer (ostgotischer) Tracht, und aus deren Palastdarstellung das Gefolge des arianischen Königs im Zug einer nachträglichen damnatio memoriae bis auf wenige Darstellungsreste entfernt wurde. Von Instandhaltungsarbeiten an Straßen und Brücken legen die Variae des Cassiodor Zeugnis ab. Auch dem Wiederhersteller oströmischer Herrschaft, dem Kaiser Justinian, wurde in Ravenna ein Denkmal gesetzt mit der auf oktogonalem Grundriß erbauten Kirche S. Vitale, deren ebenfalls reiche Mosaikausstattung den Kaiser Justinian und die Kaiserin Theodora mit ihrem jeweiligen Gefolge zeigt.

Die oströmische "Restauration" in Italien hat die Herrschaft des Kaisers Justinian, der 565 starb, nicht lange überdauert. 568 begann der Einfall der Langobarden über Friaul, der zur langobardischen Herrschaftsbildung in Norditalien (regnum Langobardorum mit Hauptstadt Pavia), Toskana, Spoleto und Benevent (Herzogtümer) führte. Oströmisch blieb Venedig, ein breiter Küstenstreifen an der Adria von der Pomündung bis Ancona, anfangs auch der Küstenstreifen um Genua, das Tibertal mit seinen Verbindungswegen, Rom und die an die Stadt im Norden und Süden angrenzenden Landschaften, die Küstenstädte Gaeta, Amalfi und Neapel mit ihrem Umland an der Westküste, Apulien, Kalabrien und die Inseln, vor allem Sizilien. Für Einwanderung und Ansiedlung der Langobarden spielten die Gruppen der farae eine Rolle. Die teils noch heidnischen, teils arianischen Langobarden wurden in der 1. Hälfte des 7. Jahrhunderts für das katholische Christentum gewonnen. Wie die anderen Germanen, die im Westen des Römischen Reiches seßhaft geworden waren, praktizierten sie ihr mündlich tradiertes Gewohnheitsrecht, während die romanische Bevölkerung nach römischem Recht lebte. Civitates und municipia des spätantiken Italien wurden zumindest teilweise Sitz langobardischer Gastaldate, wobei die Gastalden ursprünglich Krongutsverwalter und Richter waren. Eine besondere Rolle bei der Ansiedlung und in den Kriegen hatten die königlichen Heermänner, die Arimannen. Ostrom organisierte seine Herrschaft in den ihm verbleibenden Teilen Italiens unter einem Exarchen, der Sitz in Ravenna nahm und der im Unterschied zur römischen Verwaltungs- und Herrschaftsorganisation seit der Zeit Kaiser Konstantins militärische und zivile Befugnis in seiner Hand vereinigte. Die langobardische Expansion blieb eine ständige Gefahr, auch wenn die Zahl der Langobarden kleiner war als die der in Gallien siedelnden Franken und sich die Siedlungsgebiete der Langobarden auf einige Gebiete (Pavia, Monza, Bergamo, Verona, Cividale/Friaul, Lucca, Spoleto, Benevent) konzentrierten.

Streitigkeiten um die Königsnachfolge waren auch Anlaß für die oströmischen Militäraktionen gegen das Vandalenreich in Nordafrika. Hier war im Gegensatz zu Italien die oströmische "Restauration" vollständig: das Vandalenreich verschwand. Ein oströmischer Exarch mit Sitz in Karthago übernahm die oberste militärische und zivile Befugnis. Über Vandalen- und Ostgotenkriege der Generäle Justinians informieren die griechisch abgefaßten Schriften des Prokop.

Die Westgoten auf der iberischen Halbinsel konnten dagegen die vorübergehend von den Oströmern zurückeroberte Südküste der iberischen Halbinsel nach und nach zum größten Teil wieder zurückgewinnen. Mit der Eroberung des Suebenreiches 585 und dem Übertritt des bis dahin arianischen Westgotenkönigs Rekkared zum katholischen Christentum im Jahr 587, dem alsbald die Konversion des westgotischen Adels und Volkes folgte, bahnte sich sogar eine Verstärkung der westgotischen Königsherrschaft an. Die Absage gegenüber dem Arianismus auf dem 3. Konzil von Toledo im Jahr 589 wurde von 8 bis dahin arianischen Bischöfen und von den bislang arianischen Priestern und westgotischen Adligen unterzeichnet. Toledo wurde seit der Mitte des 6. Jahrhunderts zentrale Hauptstadt des Westgotenreiches. Hier tagten wichtige Konzilien (18 insgesamt in westgotischer Zeit), die die Stellung von König und Kirche grundsätzlich regelten und deren Beschlüsse weitreichenden Einfluß auf die Entwicklung des kirchlichen Rechts im Mittelalter hatten. Die Identifizierung der iberoromanischen Führungsschicht mit der nunmehr katholischen westgotischen Herrschaft spiegelt sich am besten in dem freilich erst Anfang des 7. Jahrhunderts verfaßten historiographischen Werk des Bischofs Isidor von Sevilla (gestorben 636), dem Chronicon.

Das Oströmische Reich

Die Rückeroberung von Provinzen im westlichen Mittelmeerraum unter dem Kaiser Justinian I. (527-565) stand auch unter dem Zeichen der Anknüpfung an das Römertum. In die gleiche Richtung ging seine antiarianische und zumindest grundsätzlich auch antimonophysitische Kirchenpolitik. Als überzeugter Vertreter des in Chalkedon formulierten Christentums bekämpfte er auch heidnische Reste, die in den Philosophenschulen ihre geistigen Heimstätten hatten. 529 ließ er die Akademie in Athen schließen, zentrale Vermittlungsstelle des Neuplatonismus. Ihre Philosophen, Mathematiker und Gelehrten anderer Disziplinen verließen das Oströmische Reich und fanden Aufnahme im neupersischen Sassanidenreich. Aufgefordert durch den Kaiser, unternahm der Jurist Tribonian eine auswählende und systematisierende Kodifizierung des Römischen Rechts und der Juristenkommentare und schuf so in drei Büchern ein Corpus des römischen Rechts (Corpus iuris civilis), dessen privatrechtliche Partien in der Rechtspraxis des romanischen Italien Gültigkeit behielten und das für gelehrte juristische Studien seit der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert steigende Publizität genoß.

Die militärischen und finanziellen Lasten der Rückeroberungspolitik schlugen freilich an anderer Stelle teuer zu Buch. Die ständigen Grenzkriege gegen das Sassanidenreich im oberen Euphrattal konnten nur durch oströmische Tributzahlungen beigelegt werden. Seit den letzten Jahren Justinians und zunehmend unter seinen Nachfolgern drangen avarische und slavische Völkerschaften über die Donaugrenze in den Balkan vor, die Avaren vornehmlich um Beute zu machen, die Slaven um in den Balkanländern zu siedeln. Bis zum Ende des 6. Jahrhunderts entzog diese slavische Siedlung das ganze Binnenland des Balkans und der griechischen Halbinsel der oströmischen Kontrolle. Nur die Küstenländer des Balkans und Griechenlands können danach noch effektiv zum oströmischen Herrschaftsbereich gezählt werden.

Slaven und Avaren

Als "Urheimat" der Slaven gilt nach der verbreitesten Meinung der obere Flußbereich von Dnjepr und Prpjet. Zumindest sind hier slavische Stammesnamen durch oströmische (griechisch-sprachige) Autoren am frühesten bezeugt. Nach Abzug der verschiedenen germanischen Völkerschaften aus dem Raum zwischen Elbe und Dnjepr seit dem 5. Jahrhundert, weiteten die Slaven ihre Siedlung nach Süden und Westen aus. Der zeitliche Ablauf dieser neuerlichen Wanderbewegung ist wegen der spärlichen Quellen nicht gesichert. Die Belege häufen sich seit der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts. Zwischen den bäuerlichen Siedlungen verblieben weite ungenutzte Waldgebiete. Archäologische Quellen (Keramik) lassen außerdem auf Zentren gewerblicher Produktion, Erwähnungen in schriftlichen Quellen auf Fernhandel schließen. Aufgrund der Siedlungssituation entstand keine großflächige politische Organisation. Wir kennen nur kleine Siedlungs- und Stammesverbände mit einem sozial und politisch abgeschichteten Adel. Bei der Führung jener elbslavischen Stämme, die seit dem 9. Jahrhundert von westlichen Quellen zunehmend wahrgenommen werden, lassen sich unter günstigen Umständen Ansätze zur Dynastiebildung erkennen.

Im Unterschied zu den Slaven waren die seit der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts vornehmlich in oströmischen Quellen bezeugten Avaren kein ackerbauendes Volk. Bei ihnen haben wir es mit einem jener aus dem Raum nördlich des Kaspischen und Schwarzen Meeres zugezogenen Reitervölker zu tun, die in langer Ethnogenese unterschiedliche Ethnien und vielgestaltiges Brauchtum rezipierten. Für die Oströmer/Byzantiner und dann für die Franken wurden sie als beutemachende Reiterkrieger an der Donaugrenze zu einer Gefahr zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert.

Die christliche Kirche

Im Frankenreich ist das 6. Jahrhundert die Zeit der rituellen Festigung des Christentums. Mit der Christianisierung der fränkischen Führungsschichten ging freilich noch nicht deren innere conversio einher. Das Christentum war im Frankenreich des 6. Jahrhunderts eine urbane Religion. Auf die Städte als Bischofssitze war die Kirchenordnung orientiert; vornehmlich von Bischöfen gingen Klostergründungen aus (Lerins bei Cannes Anfang des 5. Jahrhunderts vom Bischof Honoratus von Arles), wurden Regeln klösterlichen Lebens verfaßt (der aus Lerins kommende Caesarius von Arles, gest. 542, entwirft eine Mönchs- und eine Nonnenregel) oder wurden bestehende Klöster begünstigt (St. Martin von Tours). Mission im noch wenig christianisierten Norden und Osten begann erst um 600 ausgehend von den von außen kommenden Iren. Erst das 7. Jahrhunderte sollte für das Frankenreich eine Vielzahl von Missionsschüben und Klostergründungen bringen. Einblicke in die eigenständige altgallische Liturgie gewähren die pastoralen Schriften des schon genannten Caesarius von Arles.

Die seit 589 katholische Kirche des westgotischen Spanien erlebte nach dem Übertritt der Arianer Festigung und Aufschwung; diese Entwicklung spiegelt sich in den Konzilsbeschlüssen der Konzilien von Toledo mit ihren Grundsatzentscheidungen zu Kirchenform und Kirchenrecht. Die vor allem im Norden der iberischen Halbinsel gegründeten Klöster wurden schnell Zentren der Bildung und Gelehrsamkeit. Wie in den ostkirchlichen Teilen der christlichen Oekumene und in Gallien entwickelte sich in der westgotischen Kirche eine eigenständige Liturgie.

In Italien entstand noch zu Zeiten der ostgotischen Herrschaft um 529 die klösterliche Gemeinschaft, die bis zum 12. Jahrhundert für das gesamte westliche Mönchtum prägend werden sollte: das von Benedikt von Nursia (Norcia östlich Spoleto) gegründete Kloster Monte Cassino. In klarer Absetzung gegenüber eremitischen Formen des Mönchtums band die von Benedikt und seinen Nachfolgern ausformulierte Regel den Mönch (bzw. die Nonne) dauerhaft und lebenslang an das Kloster (stabilitas loci), verpflichtete sie nach Prüfungs- und Probezeit auf ein unauflösbares Gelübde, asketische Lebensregeln, Gehorsam gegenüber Gott und dem Abt, regelte Leben, Tagesablauf und Arbeit in der klösterlichen Gemeinschaft. Um die verpflichtende Armut des einzelnen zu gewährleisten, mußte bei Klostereintritt der eigene Besitz aufgegeben werden, während das Kloster als ganzes durchaus Besitz haben konnte, ja sogar mußte, damit die Existenz der Kommunität gesichert war aber auch damit die Pflichten zu Gastfreundschaft (hospitalitas) und Armenfürsorge wahrgenommen werden konnten. Gottesdienst, Askese und Gebet verlangten nach geistiger Nahrung: Bibel, liturgischen Texten, theologischen Schriften der frühen Kirchenväter, und damit auch nach Ausbildung und Schulung. Unterricht, Bibliotheken und Scriptorien (Schreibschulen) wirkten wie Armenfürsorge und Gastfreundschaft weit über die Kommunität hinaus.

Die christologischen Streitigkeiten des 4. und 5. Jahrhunderts waren zwar seit den Kaisern Justin und Justinian und, was den Arianismus angeht, seit dem 3. Konzil von Toledo beendet. Trotz Eintreten der Kaiser für die Orthodoxie von Chalkedon hielt sich in zahlreichen Gemeinden des Oströmischen Reiches monophysitisches und nestorianisches Gedankengut, das seinen Niederschlag auch in Liturgie, Predigt und theologischen Schriften fand. Daß das vom Kaiser Justinian 553 nach Konstantinopel einberufene Konzil drei theologische Schriften wegen angeblicher nestorianischer Tendenzen verurteilte, rief neue Konflikte hervor (sog. "Dreikapitelstreit").


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