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  FTD-Serie: Die Top-Ökonomen

Es gibt kaum eine heiße wirtschaftspolitische Debatte oder kluge ökonomische Analyse, in der ihr Name nicht fällt: Joseph Stiglitz, Kenneth Rogoff und Jagdish Bhagwati bilden mit einem guten Dutzend weiterer Top-Ökonomen einen einzigartigen Think Tank. So konträr ihre Ansichten auch sein mögen: Sie schreiben für eine exklusive Serie, die die FTD in Zusammenarbeit mit der internationalen Public-Benefit-Organisation 'Project Syndicate' veröffentlicht.

Merken   Drucken   30.03.2012, 10:47 Schriftgröße: AAA

Top-Ökonomen: Europa im Würgegriff der Banken

Der Lobbyismus der Geldhäuser hat die Währungsunion noch tiefer in die Krise geführt. Die Politik muss endlich aufhören, auf die Banker zu hören.
© Bild: 2011 Random House/Bloomberg
Kommentar Der Lobbyismus der Geldhäuser hat die Währungsunion noch tiefer in die Krise geführt. Die Politik muss endlich aufhören, auf die Banker zu hören. von Daron Acemoglu und Simon Johnson
Daron Acemoglu ist Professor für Ökonomie am am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston.
Simon Johnson war Chefökonom des Internationalen Währungsfonds und ist an der MIT Sloan School of Management.

Europas politische Elite - diejenigen also, die auf nationaler Ebene und auf Ebene der Eurozone den Kurs bestimmen - steckt in ernsten Schwierigkeiten. Sie ist durch Misswirtschaft auf Abwege und damit in eine tiefe Krise geraten und hat all die hochtrabenden Versprechungen von Einheit und Wohlstand enttäuscht, die bei der Einführung des Euro gegeben wurden. Die Währungsunion wird vielleicht überleben, aber für Millionen von Menschen ist der Euro bereits an seiner Aufgabe gescheitert, für nachhaltiges Wachstum zu sorgen und Stabilität zu gewährleisten. Wie ist es dazu gekommen?
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Sparmaßnahmen lassen die griechischen, portugiesischen und italienischen Volkswirtschaften taumeln - so weit das Auge reicht sind nichts als Haushaltskürzungen und höhere Steuern in Sicht. Diese Maßnahmenkombination wird ihr Wachstum und das des restlichen Euroraums verlangsamen.
Das ist aber nur ein Teil des Problems. Das größere Problem ist der "Schuldenüberhang", der europäische Regierungen auf diesen Kurs gezwungen hat. Es gibt starke Parallelen zu dem, was in den letzten Jahren in den Vereinigten Staaten geschehen ist: Weil sich viele Familien von ihren Schulden erdrückt fühlten, sind die Konsumausgaben privater Haushalte eingebrochen und haben sich noch nicht erholt. In Europa wird die Anpassung noch schmerzlicher sein, weil sich eine Staatsschuldenkrise für alle belastend auswirkt - für Verbraucher genau wie für Investoren und den öffentlichen Sektor.
Es gibt eine einfache Methode im Umgang mit einem Schuldenüberhang: Die Rückzahlungsbelastungen werden durch eine Umstrukturierung der Verbindlichkeiten verringert. Viele Unternehmen können die Finanzierungsbedingungen mit ihren Gläubigern neu verhandeln - sie verlängern normalerweise die Laufzeit ihrer Verbindlichkeiten und sind somit in der Lage sich frisches Kapital zu besorgen, um neue, bessere Projekte zu finanzieren. Können derartige Verhandlungen nicht auf freiwilliger Grundlage erreicht werden, haben US-Unternehmen die Möglichkeit, ein Verfahren nach Chapter 11 des US-Insolvenzrechts zu beantragen, demzufolge ein Gericht für die Genehmigung und Überwachung einer Reorganisisation der Firmenfinanzen zuständig ist. Man sollte meinen, dass das gleiche für US-Privathaushalte und in Bedrängnis geratene europäische Regierungen gilt. Doch die Umstrukturierung der Schulden ist in zu geringem Umfang und zu spät erfolgt. Warum?
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Das Hauptargument gegen einen Abbau des Schuldenüberhangs stammte in beiden Fällen von Bankern, die zwei Gründe anführten, warum auf den Finanzmärkten ein Chaos ausbrechen würde. Erstens waren Banken die Hauptgläubiger und aufgrund der großen Verluste, die sie angesichts möglicher Umschuldungen zu befürchten hätten, wäre ein Dominoeffekt vorprogrammiert. Der um sich greifende Pessimismus würde die Zinssätze in die Höhe treiben und die Chancen für andere Kreditnehmer ruinieren. Zweitens würden die Banken zudem Verluste erleiden, weil sie mit Versicherungen gegen Kreditausfälle gehandelt hatten - in Form von Credit Default Swaps. Würden diese Kreditderivate in Anspruch genommen, würden die Banken potentiell weitere lähmende Verluste erleiden.
Im Fall Griechenland haben Banker lange und hartnäckig argumentiert, dass eine Umschuldung überall in der Eurozone - und möglicherweise darüber hinaus - für Ansteckung sorgen würde. Und trotzdem blieb Griechenland letzten Endes kaum eine andere Wahl, als seine Schulden umzustrukturieren und den Wert der Forderungen privater Gläubiger gemessen am Nennwert um rund 75 Prozent zu beschneiden (obwohl vermutlich nicht einmal das ausreichen dürfte, um die Schuldenlast Griechenlands tragfähig zu machen). Dies wurde als "Kreditereignis" gewertet und die Credit Default Swaps somit ausgelöst: Die Kreditausfallversicherungen wurden fällig.
Die Hölle ist nicht ausgebrochen
Ist die Hölle ausgebrochen? Nein. Die Banken sind nicht zusammengebrochen und kippende Dominosteine sind auch nicht in Sicht. Das liegt jedoch nicht daran, dass sich die Banken mehr Kapital beschafft hätten, um vorbereitet zu sein. Im Gegenteil, gemessen an ihren wahrscheinlichen künftigen Verlusten haben sich europäische Banken in letzter Zeit relativ wenig Kapital beschafft - wobei ein Großteil dessen eher auf kreative Buchführung zurückzuführen ist, und nicht auf höheres Eigenkapital, das wirklich Verluste absorbieren könnte.
Vielleicht war das Risiko, dass eine Umstrukturierung der griechischen Schulden einen Zusammenbruch der Finanzmärkte auslösen würde, von Anfang an minimal, und vielleicht war zu erwarten, dass die Märkte ruhig bleiben. Aber warum dann der ganze Wirbel?
Die Antwort sollte inzwischen klar sein: Interessengruppenpolitik und die Weltsicht politischer Eliten. Auch wenn das Risiko für das Finanzsystem minimal war, hatten Banken und Anleihegläubiger mit erheblichen Konsequenzen zu rechnen. Sie liefen Gefahr, Milliarden zu verlieren und vielen Beschäftigten des Finanzsektors drohte der Verlust ihrer Arbeitsplätze. Es ist also kaum verwunderlich, dass führende Banker, sowohl hinter verschlossenen Türen als auch öffentlich, Lobbyismus gegen eine Umschuldung betrieben.
So lässt etwa das Institute for International Finance, ein einflussreicher Lobbyverband großer Finanzinstitute mit Sitz in Washington D.C., regelmäßig verlauten: Helft uns aus der Patsche, oder ihr habt die Konsequenzen zu tragen. Mindestens ebenso wichtig, wie der Handlungsstrang, auf den sich der Verband geeinigt hat, ist seine politische Macht, die in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat - so sehr, dass sich alle wichtigen politischen Entscheidungsträger in den USA und in Europa um das Schicksal von Banken sorgen, auch wenn das keinen allgemeineren Einfluss auf die Wirtschaft hat.
Sogar jetzt werden viele der Verluste, die die Banken hätten tragen sollen, vom öffentlichen Sektor geschultert, unter anderem durch verschiedene Formen direkter Unterstützung und die außergewöhnlichen und riskanten Tätigkeiten der Europäischen Zentralbank. Das Ausmaß der Subventionen in diesem Sektor ist atemberaubend und wird, bei der gegenwärtigen Politik, mit der Zeit nur noch weiter zunehmen - und somit vorrangig den Lebensstil des einen Prozents der Wohlhabenden in sehr reichen Ländern unterstützen.
Die griechische Zahlungsunfähigkeit hat sich als der berühmte Hund herausgestellt, der nicht gebellt hat. Die Lektion für Europa - und für die USA - ist klar: Es ist an der Zeit damit aufzuhören, auf die Banken zu hören und damit anzufangen, sich auf das zu konzentrieren, was sie tun. Wir müssen die verzerrte politische Ökonomie des Finanzsektors einer Neubewertung unterziehen, bevor die übermäßige Macht der Wenigen noch höhere Kosten auf alle anderen abwälzt.
  • FTD.de, 30.03.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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Kommentare
  • 31.03.2012 19:40:13 Uhr   Z.w.ie(ü)bel: nur ein Gedanke

    Leider ist es zur Realität geworden, geht es den Banken oder der Privatwirtschaft selber ans Eingemachte, soll der Staat retten.
    Da kann der Staat doch gleich alles in die Hand nehmen und selbst die Gewinne für den Haushalt verwenden, als Steuergelder zur Rettung bereitstellen.
    Alles verstaatlichen, dann gäbe es wieder mehr Verantwortung. Der Staat müßte solange die Oberhand haben, bis wieder alles vom Kopf auf die Beine gestellt wird und begriffen wird, geht es dem Staat gut, geht es dem Bürger auch gut. Ein schlechtes Beispiel ist doch die Rettung des Euroraumes. Es werden die angehäuften Milliarden Schulden von keinem zurückgezahlt werden können.

  • 30.03.2012 17:39:12 Uhr   khaproperty: Schon richtig, aber
  • 30.03.2012 16:06:45 Uhr   Toni-Ketzer: Total sinnlos.....
  • 30.03.2012 14:26:48 Uhr   Jörg Salow: Mangeldenken
  • 30.03.2012 13:44:47 Uhr   Horst Simon: Das Problem liegt wo anders
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