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Merken   Drucken   30.09.2012, 20:16 Schriftgröße: AAA

Agenda: Der Taktierer

Im Rennen ums Kanzleramt steht Peer Steinbrück eine fast unmögliche Aufholjagd bevor. Doch wenn ihn die SPD-Basis noch lieb gewinnt, könnte er sogar eine Chance gegen Angela Merkel haben.
© Bild: 2012 DPA/Bildfunk/Friso Gentsch
Im Rennen ums Kanzleramt steht Peer Steinbrück eine fast unmögliche Aufholjagd bevor. Doch wenn ihn die SPD-Basis noch lieb gewinnt, könnte er sogar eine Chance gegen Angela Merkel haben. von Peter Ehrlich  und Thomas Steinmann  Berlin
Das also soll er sein, der große Moment der Verkündung. Monatelang haben sie sich in der SPD Gedanken gemacht, wie sie die Kür ihres Kanzlerkandidaten richtig inszenieren können. Und was ist daraus geworden? Eine schnöde, eilig einberufene Pressekonferenz im überfüllten Atrium des Willy-Brandt-Hauses. Ein völlig überrumpelter Parteichef Sigmar Gabriel, der eiligst aus München zurückkehrte, um zu verkünden, was alle bereits wussten. Denn schon Stunden zuvor sickerte durch, dass Peer Steinbrück als Spitzenkandidat der SPD in die Bundestagswahl 2013 ziehen wird.
"Das Leben kommt manchmal anders als geplant", sagte Gabriel mit einem gequälten Lächeln. Aber: "Peer Steinbrück ist der beste Kanzler."
Wunschdenken? Dafür müsste die SPD bis zur Wahl im September eine Aufholjagd hinlegen, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik selten gegeben hat. In manchen Umfragen liegen die Sozialdemokraten zehn Prozentpunkte hinter der Union. Es ist der gleiche Abstand wie beim Wahldesaster 2009. Fast schon verzweifelt verfolgen die SPD-Strategen, dass kein Koalitionskrach und kein milliardenschweres Rettungspaket bisher der Beliebtheit von Kanzlerin Angela Merkel schaden konnten.
SPD-Kanzlerkandidat Steinbrücks beste Sprüche
Wie seine Partei geht auch Steinbrück mit einem gewaltigen Rückstand auf Merkel in den Wahlkampf. Im direkten Vergleich würden nach Zahlen des ZDF-Politbarometers nur 38 Prozent für den Ex-Finanzminister stimmen, 53 Prozent für Merkel. Und dennoch: Wenn einer das schaffen kann, dann Steinbrück.
Für den 65-Jährigen, der eigentlich nie wieder ein politisches Amt übernehmen wollte, beginnt jetzt ein Spiel "alles oder nichts". Auch für die SPD ist seine Kandidatur eine große Wette: Steinbrück kann nur gewinnen, wenn er es schafft, seine zahlreichen Kritiker in der Partei zu mobilisieren. Er muss Merkel stellen, ihre Defizite aufzeigen, sich von seiner Ex-Chefin beim Management der Finanzkrise distanzieren.
Steinbrücks großes Vorbild für die Aufholjagd ist Gerhard Schröder, der 2005 einen noch größeren Rückstand auf Merkel und die CDU am Ende fast noch drehte. Zuvor ist das Kunststück 1994 Helmut Kohl gelungen, der den Trend umdrehte und gegen Rudolf Scharping gewann. Merkel weiß: Mit einem populären Kanzler allein sind Wahlen nicht immer zu gewinnen. Schröder war 2005 beliebter als die Kanzlerin und musste dennoch eine Schlappe hinnehmen.
Steinbrück gilt in der Union als Angstgegner, weil er auch bürgerliche Wähler anspricht. Ähnlich wie Schröder muss er aber auch um den Rückhalt an der linken Basis der eigenen Partei fürchten. Die Agenda 2010, die Schröder die Kanzlerschaft kostete, hält Steinbrück noch heute für richtig. Und die zahlreichen Parteifunktionäre, die immer noch über Hartz IV und die Rente mit 67 jammern, hält der Parteirechte nach wie vor für "Heulsusen". Er sagt es nur nicht mehr laut.
Wenn Steinbrück im Wahlkampf eine Chance haben will, muss er einen Weg finden, die eigene Partei nicht zu verprellen, ohne sich selbst zu verbiegen. Ohne Geschlossenheit in den eigenen Reihen, sagt der Demoskop Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen, müsse man sich gar nicht erst Gedanken machen, "welche Wählerschichten anderer Parteien man noch erschließen kann". Das habe auch das Beispiel Schröder gezeigt. "Die normalen Mitglieder sind für Steinbrück", ist sich ein früherer Schröder-Berater sicher. "Aber es braucht auf allen Ebenen die Bereitschaft, zu folgen."
Kann Steinbrück Merkel besiegen?

 

Zum Ergebnis Alle Umfragen

Steinbrück selbst sagte bei der Vorstellung seines Konzepts zur Finanzmarktregulierung in der vergangenen Woche, der Kandidat müsse "authentisch" sein und zum Programm passen. Da wusste er schon seit einem Gespräch mit Gabriel einige Tage zuvor, dass er nominiert wird. Über seinen Erfolg wird daher entscheiden, wie groß die "Beinfreiheit" ist, die Steinbrück von seiner Partei einfordert, als er sich am Samstag auf dem Parteitag der NRW-SPD feiern lässt - und ob ihm die Parteilinke diese "Beinfreiheit" gewähren wird. Der innerparteiliche Streit um die Frage, wie weit die SPD ihre eigenen Rentenreformen zurückdrehen will, gilt als Lackmustest dafür, wie eng das "Korsett" des Kandidaten ist, vor dem ihn sein früherer Sprecher Torsten Albig im Sommer gewarnt hat. Aus diesem Grund wollte Gabriel erst den Rentenstreit beenden, bevor er Steinbrück offiziell zum Merkel-Herausforderer kürte.
Auch manch andere Risse sind noch zu kitten. Steinbrück hat mit seiner polternden Art viele Genossen verprellt. Er ist ein emotionaler Typ, der im Wahlkampfstress die Selbstbeherrschung verlieren kann und alle Diplomatie vergisst. In diesem Fall würden auch die Mahnungen der Spitze bei jenen Parteilinken nicht mehr wirken, die eine Kandidatur Steinbrücks noch vor wenigen Tagen als "Horrorszenario" bezeichnet haben. Sollte Steinbrück seine Kritiker nicht mit überragenden Umfragewerten ruhigstellen können, würden "nicht die Fäuste in der Tasche geballt, sondern die Messer aufgeklappt", prophezeit der Chef des Forsa-Instituts, Manfred Güllner. Steinbrück steckt jetzt in der "Eierschleifmaschine", wie er die Situation eines Kanzlerkandidaten ab dem Zeitpunkt der Kür einmal genannt hat.
Erst einmal erinnert die Kür aber eher an ein Hineinstolpern in den Wahlkampf, was daran liegt, dass Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag vor Journalisten signalisierte, auf das Kanzlerrennen verzichtet zu haben - ohne dass Steinbrück und Gabriel davon wussten. Damit hat er eine große Schwäche der SPD offenbart: In einem funktionierenden Wahlkampfteam, sagen SPD-Leute, dürfe nichts ohne Wissen und Zustimmung des Kandidaten passieren. "Einer ist die Nummer eins, und die anderen gehören in die zweite Reihe", zitiert einer, der bei vielen Wahlkämpfen dabei war, den SPD-Altmeister Franz Müntefering. Steinbrück bleibt aber auf seine Troikapartner angewiesen. "Er hängt weiter von den beiden anderen ab", sagt der Wahlforscher Thorsten Faas von der Universität Mainz. Sie müssen dafür sorgen, dass Partei und Fraktion geschlossen mit dem Kandidaten marschieren.
In den vergangenen Monaten hat das Willy-Brandt-Haus schon mit Wahlkampfvorbereitungen begonnen, es wurden Werbeagenturen verpflichtet und ein gewöhnungsbedürftiges Purpur als neue Parteifarbe ausprobiert. "Ready for campaign", twittert auch ein Stratege am Freitag, als die Nachricht von der Kür in der Welt ist. Nun muss Steinbrück eine Kernmannschaft für den Wahlkampf aufbauen. Der Kandidat gilt als Alleingänger, er umgibt sich mit einem kleinen Team von Vertrauten, die in der SPD-Zentrale nicht sonderlich beliebt sind, und pflegt ein schwieriges Verhältnis zu Generalsekretärin Andrea Nahles, die für die Kampagne zuständig ist. Was ihm fehlt, ist jemand, der weiß, wie die Parteizentrale tickt.
Aber kann Steinbrück Merkel überhaupt schlagen? "Merkel ist so populär, dass man sie nicht persönlich angreifen kann", sagt Demoskop Güllner. Beim Thema Euro "hat sie sich zwischen die Menschen und die Krise geschoben". Steinbrück dagegen gelte als Finanztechnokrat. Ihm hafte immer noch das Image als "Taschenträger" für Merkel aus der Zeit der Großen Koalition an. 2009 hätten 40 Prozent der SPD-Wähler nicht einmal gewusst, dass Steinbrück Sozialdemokrat ist, sagt Güllner. Nach den Umfragen seines Forsa-Instituts hat der SPD-Kandidat vor allem bei Jungwählern und Frauen Probleme.
Auf der anderen Seite hat sich Steinbrück in letzter Zeit auf den SPD-Mainstream zubewegt, ob beim Ruf nach Steuererhöhungen oder seiner Warnung von der wachsenden sozialen Kluft. Inzwischen redet er wie ein Sozialdemokrat. "Ihr müsst mich nicht neu konfirmieren", ruft er den Delegierten in NRW zu.
Damit ist auch das Motto, unter das die Parteispitze den Wahlkampf stellen will, mit Steinbrück vermittelbar. Neben der "Bändigung der Finanzmärkte" werde es um "ein neues soziales Gleichgewicht" für Deutschland gehen, sagt Parteichef Gabriel. Ähnlich wie François Hollande in Frankreich, der mit dem Gerechtigkeitsthema den Konservativen Nicolas Sarkozy von der Macht vertrieb, will die SPD Merkel ausstechen.
Steinbrück gibt sich jedenfalls gut gelaunt und kampfeslustig. Seine glasklare Ansage, nicht erneut Minister unter Merkel zu werden, kommt in der Partei gut an. "Wir setzen auf Sieg und nicht auf Platz", sagt er bei seiner Nominierung. Er zwingt Merkel, die Rolle der überparteilichen Landesmutter aufzugeben - und zurück in die politische Kampfarena. Der Kieler Ministerpräsident Albig kennt den Gesichtsausdruck seines Ex-Chefs und erwartet einen harten Kampf: "Ich kenne diese Augen. Wenn Steinbrück so schaut, müssen sich seine Gegner warm anziehen."
  • Aus der FTD vom 01.10.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
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