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aus EU.L.E.n-Spiegel 1/2002

EPO: Eisen powert - oder?

Im Kampf um die Medaillen geht so manchem auf den letzten Metern die Puste aus. In der Regel sind es nur Bruchteile von Sekunden, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Kaum verwunderlich also, daß Sportler mit allen Mitteln versuchen, die Sauerstoffbindungskapazität des Blutes zu optimieren. Denn je besser ein Muskel mit Sauerstoff versorgt ist, desto effektiver kann er „arbeiten”.

Supplemente in Theorie & Praxis

Zu den legalen und naheliegenden Maßnahmen zählt die Eisengabe. Als Zentralatom im Hämoglobinmolekül bindet es den zu transportierenden Sauerstoff. Je mehr Eisen, desto mehr rote Blutkörperchen und desto bessere Sauerstoffversorgung, was wiederum eine Leistungssteigerung bewirken sollte. Soweit die Theorie. In der Praxis sieht das offenbar anders aus: „Es gibt keinen zwingenden Beweis dafür”, so das Urteil von Sportmedizinern in einer äußerst gründlichen Analyse, „daß Athleten mit nachweislichem Eisenmangel (niedrige Serumferritinkonzentration) und Anämie (suboptimale Hämoglobinspiegel) in ihrer sportlichen Leistung beeinträchtigt sind ... Die meisten Untersuchungen konnten nach einer Phase der Eisensupplementierung keine meßbaren Veränderungen in der körperlichen Leistung nachweisen, nicht einmal bei Sportlern, deren Eisenstatus sich durch die Therapie verbessert hatte.” (6) Ärzte der Hamburger Universitätsklinik in Eppendorf kamen sogar zu dem vernichtenden Urteil, daß „die meisten Studien bei Sportlern mit prälatentem Eisenmangel keine signifikanten Veränderungen finden können, die sich auf die Gabe von Supplementen zurückführen lassen.” (7)

Weniger ist mehr

Hämatologen sehen daher wenig Handlungsbedarf, wenn es um die Substitution von Eisen geht, obwohl latenter Eisenmangel für viele Sportler „normal` ist. Dies gilt als Folge der Erhöhung des Plasmavolumens bei intensivem Training. Vermutlich wird dadurch die Viskosität des Blutes herabgesetzt und die Pumparbeit des Herzmuskels erleichtert. Nach drei bis fünf trainingsfreien Tagen sinkt das Plasmavolumen wieder auf normale Werte. Daneben kann es durch Überanstrengung zur Hämolyse kommen, einer Zerstörung von Erythrocyten, und in der Folge zu Hämoglobinurie. Besonders betroffen sind Langstreckenläufer. (1)
An echtem Eisenmangel leiden wahrscheinlich nur drei Prozent der Sportler, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Grund ist meist ein gestörtes Eßverhalten, vor allem der Verzicht auf energiereiche Nahrungsmittel, was gerne mit dem Etikett „vegetarische Ernährung” kaschiert wird. Eßstörungen brauchen eine gezielte Therapie und keine Eisentabletten. (1)

Radikal

Für generell bedenklich erachtet Professor Klaus Schümann vom Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie in München eine Eisensubstitution. Zwar funktioniert die homöostatische Regulation bei Eisenmangel recht gut, indem mehr resorbiert wird. Ein dauerhafter und massiver Eisenüberschuß läßt sich homöostatisch offensichtlich nicht so leicht regulieren, was eine Eisenüberladung zur Folge haben kann. Freies Ei-sen im Organismus reagiert äußerst aggressiv und führt zur Bildung von freien Radikalen. Diese wiederum setzen gebundenes Eisen frei — es entsteht ein sich selbst verstärkender Reaktionskreislauf, der zell- und organschädigend wirkt. Epidemiologische Studien zeigen, daß Patienten mit vollen Eisenspeichern ein signifikant höheres Krebs-, Arteriosklerose- und Herzinfarktrisiko besitzen. All das nährt laut Schümann den dringenden Verdacht, daß „hohe Eisenvorräte im menschlichen Organismus ein Gesundheitsrisiko darstellen”. (2)

Blutiges Geschäft

Dieses Risiko liegt auch bei einer anderen und sehr verbreiteten Form des Dopings auf der Hand, der Bluttransfusion. Rein rechnerisch läßt sich mit einem halben Liter Blut, die Sauerstofftransportkapazität um 100 Milliliter erhöhen. Durch spezielle Vorbehandlungen des Blutes (z.B. mit Sauerstoff) kann der Sportler in euphorische Stimmung versetzt werden. Die erhöht seine Risikobereitschaft und verbessert damit nicht zuletzt die Siegchancen. Obwohl die ersten Versuche zum Blutdoping bereits 1947 durchgeführt wurden, fehlen bis heute kontrollierte Studien zur Wirksamkeit. Aber auch kritische Fachleute bestätigen, daß „Blutdoping in der Praxis zu funktionieren scheint”. (1) Zu den unerwünschten Nebenwirkungen gehören Komplikationen wie Blutungen und Infektionen, ganz zu schweigen von Transfusionsreaktionen, die selbst im Krankenhaus lebensbedrohliche Formen annehmen können. Außerdem können damit HIV- und Hepatitisviren übertragen werden.

Hoch, höher, am höchsten

Die „natürlichste” Möglichkeit, die Sauerstoffversorgung zu verbessern, besteht darin, auf Hochebenen zu trainieren, beispielsweise in Kenia. In der Höhe wird die Luft „dünner”, d.h. der Sauerstoffpartialdruck sinkt. Zum Ausgleich bilden die Nieren vermehrt Erythropoietin (EPO), das Hormon, das im Knochenmark die Bildung der roten Blutkörperchen anregt. Steigern läßt sich dieser Effekt durch noch mehr EPO — gespritzt oder eingenommen als Präparat.
Ursprünglich diente das Mittel zur Behandlung von Nierenkranken. Es kam 1989 auf den Markt, nachdem es der Biotech-Firma Amgen gelungen war, das entsprechende Gen in Bakterien zu übertragen. Wird je-doch zuviel von diesem rekombinanten EPO verabreicht, nimmt die Viskosität des Blutes aufgrund der wundersamen Erythrocytenvermehrung zu. Thrombosen, Embolien und Herzinfarkte sind vorprogrammiert. Die Gefahren sind den Sportlern sehr wohl bewußt. Dar-auf deuten die Ergebnisse von Razzien während der Tour-de-France hin. Man fand nicht nur EPO, anabole Steroide und Wachstumshormone, sondern auch Substanzen, die einen Mißbrauch verschleiern oder Nebenwirkungen verhindern sollen, z.B. Antikoagulantien. (1)
Die Substanz NESP, Handelsname Darbepoietin alfa, die dem Langläufer Johann Mühlegg in Salt Lake City zu traurigem Ruhm verhalf, ist eine EPO-Variante, die stärker und länger wirkt als EPO selbst.

Nachweis: Top oder Flop?

Größtes Problem für Doping-Kontrolleure war lange Zeit der direkte Nachweis von rekombinantem EPO. Als indirekten Indikator hatte man den Hämatokrit definiert. Doch diese Meßgröße erwies sich als unzuverlässig, da der relative Anteil der roten Blutkörperchen am Gesamtblutvolumen individuellen Schwankungen unterliegt. (4)
Vor der Olympiade in Sydney im Jahr 2000 gelang französischen Forschern die Trennung von natürlichem und rekombinantem EPO im Urin mit Hilfe isoelektrischer Fokussierung. Mit dieser mittlerweile von anderen Labors bestätigten Methode kann das spezifische Bandenmuster des rekombinanten EPO identifiziert werden; allerdings ist sie sehr zeitaufwendig und teuer.
Deshalb screent man jetzt alle Wettkämpfer mit einer Kombination indirekter Methoden, und nur im konkreten Verdachtsfall wird der Urin des betreffenden Sportlers direkt auf EPO untersucht. An den Vorschriften für Standardisierung und Probenentnahme wird noch gefeilt, um das Verfahren rechtlich abzusichern. (9)
Die Stunde der Gentechnik
Diskutiert wird seit kurzem, statt des Hormons gleich das entsprechende EPO-Gen zu spritzen. In Versuchen mit Mäusen und Affen kurbelte eine Injektion bereits erfolgreich die Hormonsynthese an. Um das EPO-Gen in die Körperzellen zu bugsieren, benutzen die Gentechnologen Viren (z.B. Grippeviren) als „Fähren”. Da das Immunsystem die meisten Viren jedoch schnell erkennt und zerstört, bevor sie in die Zellen eindringen, werden solche Viren ausgewählt, die ihr Werk möglichst unbemerkt verrichten. Die Gene, die für das Auslösen der Krankheit verantwortlich sind, müssen entfernt werden, dann baut man das EPO-Gen ein. Dieses Prinzip läßt sich natürlich auch auf andere Proteine anwenden, z.B. das Wachstumshormon, mit dem beim Erwachsenen der Muskelaufbau gefördert werden kann. (8)
Noch fehlt allerdings jede Möglichkeit, solche eingeschleusten Gene zuverlässig zu steuern. Denn ob sie die gewünschte Aktivität entfalten, hängt auch davon ab, wo und wie sie in das Genom der Körperzelle integriert werden. Wenn die Gentechnologen diese Nuß geknackt haben, sind die Dopingkontrolleure wieder an der Reihe.

Lieber sterben als Zweiter werden

Internationale Anti-Doping-Experten wie der Finne Bengt Saltin befürchten, daß Hochleistungssportler je-des Risiko eingehen. Was sind schon weniger Lebensjahre gegen einen Platz auf dem begehrten Siegertreppchen? (3) Zwischen 1987 und 1990 starben 19 belgische und niederländische Radsportler an den Folgen von EPO-Doping — Vermutungen gehen dahin, daß bis zu 80 Prozent aller Radsportler EPO zur Leistungssteigerung mißbrauchen. In allen anderen Ausdauersport-arten liegen die Schätzungen ähnlich hoch. (5)

Literatur

1. Shaskey D, Green G: Sports Hematology. Official Journal of the American College of Sports Medicine 2000/29/S.27-38
2. Schümann K: Safety Aspects of Iron in Food. Annals of Nutrition & Metabolism 2001/45/S.91-101
3. http://www.zdf.de/wissen/frontal21/57816/index.html
4. Gareau R et al: Erythropoietin abuse in athletes. Nature 1996/380/S.113
5. http://www.sportunterricht.de/Iksport/blut epo.html#epo
6. Weight LM, Noakes TD in: Bouchard C et al (eds): Physical activity, fitness, and health. Champaign 1994/ S.456-470
7. Nielsen P, Nachtigall D: Iron supplementation in athletes. Current recommendations. Sports Medicine 1998/26/S.207
8. Aschwanden C: Gene Cheats. New Scientist 2000/ H. 2221/S.24-29
9. Schwenke D, Müller RK: Erythropoietin und Doping. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 2002/1/S.25-26


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