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aus EU.L.E.n-Spiegel 01/2007

Wenn den Apotheken die Pinguine davonlaufen

Die Deutsche Apotheker Zeitung hat bei der Suche nach Geldquellen für ihre Klientel einen neuen Beruf entdeckt: den Diplom-Präventionsberater. Er soll jedoch nicht, wie der Name vielleicht hoffen lässt, die Verbreitung unsinniger Diplome (z. B. Loriots „Jodeldiplom“) verhüten, sondern bedürftigen Apothekern zu mehr Wohlstand verhelfen. „Bei vorsichtigen Annahmen erzielt ein Präventionsberater im Jahr über
20.000 Euro Rohgewinn zusätzlich“, so der Geschäftsführer einer Diplom-Präventionsberater- Lehrgangs-GmbH.

Liebesdienst am Stammhirn

Wer jetzt hinter einer „Präventionsberatung“ ein Geschäft mit dem Zeitgeist vermutet, irrt sich ebenfalls– behaupten zumindest die Erfinder der Geschäftsidee. Im Gegenteil, es handele sich um einen bewährten Liebesdienst am Stammhirn. Denn dort sei der
„tiefgreifende Wunsch der Menschen, gesund zu bleiben ... seit zig Millionen Jahren“ verankert. „Insofern können wir nicht von einem Modetrend sprechen.“ Als
echte Innovation käme hinzu, „dass wir uns am Gesunden orientieren“. Und was bietet so ein Präventionsberater seinem bis dato gesunden Kunden? Er „beruhigt das Gewissen“! Er hilft ihm „etwas Gutes für sich [zu] tun“, und gibt ihm das gute Gefühl „einen Gesundheitscoach an seiner Seite zu wissen“. Aber mit guten Gefühlen allein ist es nicht getan, schließlich soll der Rubel rollen und der Laden laufen. Dumm nur, dass es die Apotheken verschlafen haben, zwischen Salben für Hämorrhoiden und Kaubonbons gegen die Midlifecrisis elegante Stöcke für Nordic Walker in die Offizin zu stellen. Vorbei, verpasst, vertan:„Inzwischen laufen die Menschen wie Pinguine
mit Stöcken durch den Wald“ – und das ohne dafür Apothekenpreise bezahlt zu haben. Wie ärgerlich! So„läuft dieser Markt derzeit komplett an den Apotheken
vorbei“.

Crash-Kurs im Supermarkt

Der immense Bedarf an DiplompräventionsberatungsapothekenfachmitarbeiterInnen
zeige sich vor allem bei der Ernährung: „Die Apotheken sind dafür besonders geeignet, in ihrer Rolle als oberste Verbraucherschützer in Deutschland.“ Aha! In einem eintägigen Kurs, der als Highlight eine aufregende und von einer Apothekerin geführte Exkursion zu einem handelsüblichen Lebensmittelladen bietet, erfährt der
Apotheker von seiner Kollegin vor Ort alles Wissenswerteüber Lebensmittel, Kochen und Ernährung. Damit wird der Diplom-Präventions-Ernährungsberater in die Lage versetzt, sein Angebot weit über dem Horizont studierter Ernährungsberater anzusiedeln, die sich bei ihrem Tun am Schreibtisch erschöpfen. Denn am Supermarktregal, so die Präventionsexperten,„sieht die Realität ... leider anders aus“. Deshalb geht „der Präventionsberater Apotheke mit dem Interessierten einkaufen“. Wir ahnen schon, was dabei im Einkaufswagen landet. Hoffentlich wird das viele leckere Laubwerk am Ende nicht im Kühlschrank vergessen ...

Vitaminbonbons und warme Worte

Apropos vergessen: Schon bei „beginnender Demenz“ hilft der Präventionsapotheker anderen mit Rat und Tat. Während der Patient, der sich im fortgeschrittenem
Stadium in eine Apotheke verirrt, mit einem Päckchen Pillen abgespeist wird, erhält der
„Sohn des an Demenz Erkrankten“ vom Präventionsberater gegen Rechnung ein paar praktische „Tipps“, wie man Demenz vermeidet. Tja, gewusst wie! Patienten „mit einer ernsthaften Augenkrankheit“ bekommen ein paar Tropfen, demjenigen, „der sein Augenlicht erhalten will“, verkauft man nervtötende „Coachings für ganzheitliches Augentraining“. Ob das mal nicht ins Auge geht.
Ein paar Tage Aufenthalt in einem Seminarraum und schon lassen sich mit warmen Worten, klebrigen Vitaminbonbons oder einer Flasche trüben Olivenöls jene Krankheiten vermeiden, gegen die die Medizin bisher weitgehend machtlos war. Schön blöd, wer da noch eine Ausbildung zum Facharzt beginnt, Ernährungswissenschaften
studiert oder überhaupt irgend etwas Sinnvolles lernt. Präventions-Apotheker müsste
man sein!

Deutsche Apotheker Zeitung 2006/146/S.4718-4719


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