Lebensmittelkontrolle: Hammel mit Gammel
VonTamás Nagy
Gewinnmaximierung reduzieren. Um das zu vermeiden,
sind wir Politiker in der Verantwortung. Wir werden
deshalb alles tun, um solch gewissenlosen
Machenschaften das Handwerk zu legen.“ Mit diesem
Versprechen reagierte Verbraucherschutzminister
Horst Seehofer auf den Fleischskandal, der Ende 2005
die Republik erschütterte. Um den „schwarzen Schafen“
der Fleischwirtschaft beizukommen, legte er einen
10-Punkte-Plan vor. Dass sich solche auch in den
eigenen Reihen tummeln könnten, spielte dabei so gut
wie keine Rolle.
Inzwischen stellt sich die Frage, ob in der deutschen
Lebensmittelüberwachung nur vereinzelte
schwarze Schafe walten, oder nicht vielmehr eine
mausgraue Hammelherde am Werk ist. Nach einem
aktuellen Bericht der EU-Kommission zur Sicherheit
von tierischen Lebensmitteln in Deutschland ist „die
Koordination der amtlichen Kontrollen zwischen Bundes-,
Landes-, Regierungsbezirks- und Kreisebene in
den meisten besuchten Ländern nicht wirksam“. Die
zuständigen Behörden vor Ort hielten die meisten
Informationen zurück und übermittelten diese erst
gegen Ende des Jahres an die übergeordneten Ebenen.
Die Folge: „Weder auf Bundes- noch auf Landesebene
sind Daten zur Häufigkeit von Kontrollen ... verfügbar.
... demzufolge haben weder der Bund noch die
Länder einen Überblick darüber, inwieweit behördliche
Kontrollen ausgeführt wurden ...“
Unglaubwürdige Bescheinigungen
Auch in anderer Hinsicht werfen die EU-Inspekteure
den deutschen Kontrollbehörden schwere Versäumnisse
bei der Berichterstattung vor: „Nur selten ging
aus den vorgelegten Kontrollberichten hervor, was wie
und mit welchem Ergebnis geprüft wurde ...“ In manchen
Fällen seien sogar über Jahre hinweg keine Kontrollberichte
verfasst worden. Zudem gebe es sowohl
zwischen als auch innerhalb der Länder Unterschiede
bezüglich der Anzahl der Kontrollbesuche in Schlachthöfen
und Milchbetrieben. In einem Bundesland
wiederum seien die Kontrollstellen nicht akkreditiert,
was dazu führe, dass diese „Kompetenz, Einheitlichkeit
und Unparteilichkeit nicht gewährleisten können“.
Während solche Vorkommnisse noch als Schlamperei
durchgehen könnten, lassen andere darauf
schließen, dass der Verwaltungsapparat sogar Betrügern
auf die Sprünge hilft. Bestes Beispiel ist die amtliche
Bescheinigungspraxis für Exportsendungen im
Fleisch- und Milchsektor. Dem EU-Bericht zufolge
konnte „zwischen der Bescheinigung und der Sendung
nicht immer eine Verbindung hergestellt werden“. Die
Bescheinigungen würden häufig unterzeichnet und
übergeben, noch bevor alle Einträge gemacht seien.
So werde die notwendige Siegel- bzw. Chargennummer
auf den entsprechenden Zertifikaten erst nach
deren Absegnung vermerkt. Damit aber steht „die
Genauigkeit und Glaubwürdigkeit der Bescheinigung
in Frage“, monieren die EU-Inspekteure.
Eine ähnliche Situation herrscht beim Warentransport
im Inland, wie eine zeitgleich durchgeführte EUKontrolle
im Bereich der tierischen Nebenprodukte
bestätigt: „In vielen Fällen fehlten Register und Handelspapiere
..., was häufig die vollständige Verfolgbarkeit
von Sendungen entlang der Verarbeitungskette
verhinderte.“ Des Weiteren führten „mangelnde Kenntnisse
bei den Bediensteten und den Betreibern von
besuchten Betrieben“ dazu, dass die Einstufung der
Waren nicht ordnungsgemäß erfolge. Obendrein bleibe
es oftmals dem Zufall überlassen, wer diese vornimmt:
Mal der Hersteller, mal die Behörden, mal eine
Kombination aus beidem.
Vorprogrammierte Skandale
Die gängige Zulassung von Betrieben durch die
Behörden wirft ebenfalls Fragen auf. „Noch in keinem
der Bundesländer hat man damit begonnen, die Zulassung
der Betriebe gemäß der neuen EU-Hygiene-Verordnung
zu überprüfen“, beklagen die EU-Inspekteure.„Die früheren Schlachthöfe mit geringem Schlachtaufkommen
müssen von sich aus die Initiative für die
Zulassung ergreifen, es ist damit zu rechnen, dass
viele abwarten und auf Zeit spielen werden.“ Das wäre
nicht weiter erstaunlich, zumal bei der Zulassung nach
den alten Vorschriften das Tätigkeitsspektrum der Unternehmen oft genug vage blieb. Beispielsweise
wurde ein Fleischbetrieb, der allein zur Schlachtung
von Schweinen befähigt ist, auch für andere Tätigkeiten
zugelassen.
Alles in allem zeugen die vorliegenden EU-Berichte
einmal mehr von der vielbeschworenen „Wirtschaftsnähe“
der deutschen Lebensmittelkontrolle (vgl.
EU.L.E.n-Spiegel 2006/H.5). Gleichzeitig sind sie ein
Beleg dafür, dass sich im Laufe der Jahre kaum etwas geändert hat: Das Kontrollsystem missachtet nicht nur
neue EU-Verordnungen, sondern ermöglicht auch
Betrug. Und weil es an einer ordnungsgemäßen Kontrolle
vor Ort hapert, kann Seehofer noch so viele
Aktionspläne aus dem Hut zaubern. Sie sind nicht
mehr als einige Tropfen auf dem heißen Stein und dienen
vorrangig der Beruhigung des Verbrauchers –
zumindest bis zum nächsten Fleischskandal.