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Wasch-Anderten

Die Bewohner von Anderten lebten vor etwa hundert Jahren in recht bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Selbst die Vollmeierhöfe brachten wenig ein. Man war noch nicht in der Lage, dem Boden größere Erträge abzugewinnen. Damals kannte man kaum die ertragsteigernde Wirkung des Kunstdüngers. Gegen seine Anwendung bestand vielerseits eine tiefe Abneigung.

 

In der Bevölkerung hatte sich die Ansicht verbreitet, dass der scharfe, neuartige Dünger von den Pflanzenwurzeln aufgenommen würde und so in Korn und Brot gelange. Das könne für Menschen und Tiere nur gesundheitsschädlich sein und müsste Vergiftungen und andere böse Krankheiten zur Folge haben. Erst ab 1865 wurde er in Anderten in kleineren Mengen angewandt. Er kostete ja auch viel Geld und das war immer knapp.

 

Die besorgte Bäuerin eines größeren Hofes spornte ihre Mägde mit den Worten an: „Spinnt fleißig und spinnt gut!" Das Mangeld = Monatsgeld war fällig. Der gesponnene Zwirn wurde nach „Zwirn-Kirchrode" verkauft, und mit dem Erlös sollten die Steuern bezahlt werden.

 

Die ?Partie am Bache" mit der Anderter Kapelle im Hintergrund
Die „Partie am Bache" mit der Anderter Kapelle im Hintergrund

Die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe, die zur Ernährung der Besitzerfamilie nicht ausreichten, befanden sich in besonders bedrängter wirtschaftlicher Lage. Man musste neue Einnahmequellen erschließen. Und die fand man in dem „Waschen nach Hannover".

 

Günstige Vorbedingungen, klares und fließendes Wasser, war reichlich vorhanden. Einige Quellen froren je selbst im kältesten Winter nicht zu, so z. B. diejenigen, die den Dorfteich (Am Bache) speisten.

 

Außer den größeren bäuerlichen Betrieben beteiligten sich viele Familien an der Ausschöpfung der neuen, wertvollen Einnahmequelle. Auch die sog. „kleinen

Der Waschborn Ecke Pumpstraße/Torgarten
Der Waschborn Ecke Pumpstraße/Torgarten

Leute" wuschen teilweise auf eigene Rechnung. Vor allem die Frauen verschafften so ihrer Familie zusätzlich eine beachtliche Nebeneinnahme. Es bildeten sich größere und kleinere Wäschereibetriebe, deren guter Ruf bald weithin bekannt wurde. Der Bauer Beek-Barnstorf, Im Winkel 14,

erhielt die Küchenwäsche des Königlich Hannoverschen Hofes fortlaufend zum Waschen. So war der Beiname „Wasch"-Anderten wohl begründet.

 

Der Waschborn Ecke Pumpstraße/Torgarten
Der Waschborn Ecke Pumpstraße/Torgarten

Der Waschborn Ecke Pumpstraße/Torgarten wurde von einer Quelle gespeist. Das Wasser lief in das erste steinerne Becken, danach in ein zweites (die Zeichnung unten verdeutlicht den Aufbau) und von dort aus unter der Pumpstraße hindurch in den Dorfteich „Am Bache”. Hier befindet sich heute ein Kinderspielplatz. Er umschließt eine Zeit in der Dorfgeschichte, die von viel harter Arbeit und von großem Fleiß Zeugnis ablegt.

 

Im Herbst 1942 vollendete der Brinkbesitzer Heinrich Jöhrens, Tiergartenstraße, bei sehr guter geistiger und körperlicher Frische sein 90. Lebensjahr. Er hat manches Jahr „nach Hannover" gewaschen, wie bereits seine Eltern auch. Seine 84-jährige Ehefrau konnte sich auch noch aller Einzelheiten genau entsinnen:

 

Einen um den anderen Montag, also alle 14 Tage, brachte er eine Fuhre gereinigter Wäsche nach Hannover. Das geschah die ersten Jahre mit dem Kuhgespann, später mit dem Pferdewagen. Die großen vollbepackten Wäschekörbe standen in mehreren Schichten übereinander. Jedem Kunden wurde seine Wäsche in der Kiepe in seiner Wohnung übergeben und gleich wieder Schmutzwäsche in Empfang genommen. Sie war in einen Bettbezug getan und mit einem Zettel versehen, auf dem der Name des Besitzers vermerkt war.

 

Nachdem noch reichlich für den Haushalt eingekauft war, begann die Rückfahrt. Auch für Nachbarn und Bekannte wurden Waren in Hannover eingekauft und ohne Aufschlag mitgebracht. Es gab ja in Anderten noch keinen Kaufmann im heutigen Sinne, und der Weg zur Stadt war derzeit ungleich umständlicher als heute; man reiste auf Schusters Rappen! Nur einige Anderter hatten sich in ihrer Kammer einen kleinen Vorrat der notwendigsten Waren angelegt, der dann so nebenbei an die Einwohnerschaft verkauft wurde.

 

Am anderen Morgen, also am Dienstag, wurde die Schmutzwäsche auf der Diele gezählt, sortiert und gewissenhaft in das Kundenbuch geschrieben und wenn nötig mit einem Zeichen versehen. Nun kam sie in den Wäschebrunnen, der sich hinter dem Hause befand. Dort blieb sie bis zum Abend und weichte gründlich durch. Die besonders stark angeschmutzten Stücke wusch man „aus der Weike", d. h. in der Waschwanne durch. Und dann wurde die Wäsche von den großen Bükefässern aufgenommen. Oben auf die Wäschestücke legte man die Beutel mit der Buchenasche. Wenn auch etwas Soda Verwendung fand, so war doch das Hauptreinigungsmittel die Buchenasche, die man in das „Escherlaken" = Aschenlaken füllte. Sie wurde von den Einwohnern des Dorfes, auch vom Bäcker, geliefert; sie wurde aber auch von den benachbarten Dörfern, besonders von Kirchrode und Wülferode zugekauft. Man bevorzugte stets solche, die eine schöne weiße Farbe hatte. Ihre Güte und Unverfälschtheit konnte dadurch mit Sicherheit festgestellt werden, dass man eine Handvoll gegen die Wand warf. Sie musste dann stark stäuben und durfte keine Kohlasche oder sonstige harte Bestandteile enthalten.

 

In einem großen Kessel war heißes Wasser bereitet worden. Dieses wurde auf die Wäsche gegossen. Es durchdrang sämtliche Wäschestücke und lief unten durch eine Öffnung des Fasses in ein Gefäß. Die Aschenlauge hatte an die Wäsche viel Hitze abgegeben und war infolgedessen sehr stark abgekühlt. Sie wurde immer wieder erhitzt und zum Schluss kochend über den Inhalt des Bükefasses gegossen. Das wurde so lange fortgesetzt, bis sie beim Verlassen des Gefäßes noch fast kochend heiß war. Dieser Arbeitsvorgang dauerte vom frühen Morgen bis zum Nachmittag. Schon nach dem Abendbrot begab man sich zur wohlverdienten Nachtruhe, hatte man doch einen ungewöhnlich langen und anstrengenden Arbeitstag vor sich. Frauen, die einen unbequemen, längeren Weg zu ihrer Wohnung hatten, blieben auch dort.

 

Um 24 Uhr weckte der Nachtwächter. Zu mitternächtlicher Stunde nahm das Waschen seinen Anfang. Man musste die Nacht zu Hilfe nehmen, weil der kommende Tag zur Wascharbeit nicht ausreichte. Die Arbeit wurde erst dann eingestellt, wenn die Bükefässer leergewaschen waren. Aufkommende Müdigkeit verscheuchte man dadurch, dass aufmunternde Lieder gesungen wurden, an Gesprächsstoff fehlte es auch nicht. Erst am Nachmittag fand die mühevolle Arbeit mit einem wohlverständlichen Seufzer der Erleichterung ihr Ende.

 

Nicht selten kam es vor, dass Frauen bei ihrer harten Arbeit sich die Hände durchgewaschen hatten, so dass sie bluteten und stark schmerzten. Aber man wusste sich zu helfen; gab es doch ein sicheres und schnellwirkendes Heilmittel: über die Schneide eines Beiles wurde ein Leinenlappen gelegt und verbrannt. Es schlug sich auf dem Metall eine Feuchtigkeit nieder. Diese wurde auf die Wunden gewischt, die nun angeblich sehr schnell heilten.

 

Sobald die fleißigen Frauen einen Teil der Wäsche sauber hatten, trug sie der Hausherr auf den „Zeugbäumen" hinaus zum Spülen in den Brunnen. Sodann hängte er sie zum Ablaufen auf „Tuigbäume", welche auf ein hölzernes Gestell – auf den „Esel" – gelegt wurden. Am nächsten Tag erfolgte das Stärken und Blauen. War das Wetter günstig, so konnte die Wäsche sogleich zum Trocknen im Garten aufgehängt werden. Bei schlechtem Trockenwetter oder im Winter kam sie auf den Trockenboden.

 

Im Winter wurde natürlich auch gewaschen. Da kam es oft genug vor, dass die Wäsche schon beim Abtropfen nach dem Spülen fror und sich zahlreiche Eiszapfen bildeten. Beim Aufhängen auf dem Hausboden ist so manche Träne vergossen worden, denn die Frauen bekamen die „Eiskrimmeln" in die Finger, oder ihnen wurde vor Kälte schlecht. Aber trotzdem wurde die Arbeit getan. Das Waschen im strengen Winter war immer unverhältnismäßig anstrengender, mühevoller und umständlicher als im Sommer. Nachdem die Wäsche am kommenden Tage schön „schier" zusammengelegt worden war, kam das Wäscherollen an die Reihe.

 

Der Arbeitsvorgang des Waschens nahm eine ganze Woche voll in Anspruch: am Montag wurde die Wäsche von Hannover geholt, am Dienstag sortiert, geweicht und „aus der Weike" gewaschen, am Mittwoch gebükt, am Donnerstag rein gewaschen und zum Abtropfen aufgehängt, am Freitag gestärkt, geblaut und getrocknet, am Sonnabend gelegt und gerollt.

 

In der folgenden Woche wurde die zweite Hälfte der Schmutzwäsche in Angriff genommen. Für einen Arbeitsdurchgang war es zu viel. Der Erlös aus der Wascharbeit der beiden Wochen betrug durchschnittlich 100 bis 120 Mark. Der Waschlohn für ein großes Wäschestück wurde mit 10 Pfennig berechnet, 40 Wäschestücke verschiedener Größe kosteten einen Taler (3 Mark). Die Waschfrauen erhielten einen Tagelohn von 1 Mark bis 1,50 Mark und außerdem freie Beköstigung. Für die sog. „kleinen Leute", die gern auf eigene Rechnung gewaschen hätten, bestand die Schwierigkeit der Beförderung der Wäsche, sie besaßen ja kein Fuhrwerk. Aber dieser Übelstand wurde dadurch behoben, dass der Botenfuhrmann Christoph Fischer einige Male in der Woche nach Hannover fuhr. Er nahm nicht nur landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Gemüse, Obst, Butter, Käse, Eier usw. mit, sondern auch Wäsche. Sein Nachfolger war der Botenfuhrmann Heinrich Grobe, der in dem Haus „Lange Straße 19" wohnte.

 

Um die Jahrhundertwende hatten sich die Verdienstmöglichkeiten bereits grundlegend geändert. Landwirtschaft und besonders die Industrie boten reichliche und lohnende Beschäftigung. In Hannover waren genügend neuzeitlich eingerichtete große Wäschereien entstanden. Das Waschen „nach Hannover" hörte in Anderten auf.

 

An dieser Stelle soll erwähnt sein, dass fast alle Dörfer in der näheren Umgebung einen Beinamen hatten. Man sagte: „Torf"-Misburg, „Dreck"-Ahlten, „Zwirn"-Kirchrode, „Twer"- (= Quer") Höver, „Dumm"-Bilm, „dä Gottlosen hinderm Barge"-Wülferode.