Mikrobiologie und mehr

(Folgender Artikel erschien in Biospektrum 4/2003 S. 369 - 371)

7) FTIR-Spektrenbibliotheken für die Identifizierung von Mikroorganismen

Herbert Seiler und Siegfried Scherer

Institut für Mikrobiologie, FML Freising-Weihenstephan

Die Fourier-Transform-Infrarotspektroskopie (FTIR) ist eine viel versprechende Identifizierungsmethode für Bakterien und Hefen. Der Vorteil liegt dort, wo große Zahlen von Isolaten kostengünstig differenziert und identifiziert werden sollen. Die Methode ist einfach: Die Keime werden mit einem Dreieckspatel dünn und flächig auf einer Agaroberfläche ausgestrichen. Nach der Bebrütungsphase wird vom Zellrasen mit einer Platinöse etwas Material abgenommen und in 50 – 100 µl Aqua dest. suspendiert. Hiervon werden 35 µl auf ein Zinkselenit-Probenrad überführt, dort angetrocknet und das IR-Absorptionsspektrum gemessen. Mit einem geläufigen Programm für die Musterkennung wird nach ähnlichen Objekten im Referenzdatenmaterial gesucht. Das Verfahren ist hoch reproduzierbar, schnell und wenig personalintensiv.


Präparationsmethode

Für diese Identifizierungsmethode können nur Reinkulturen verwendet werden. Die Stämme müssen unter optimalen Wachstumsbedingungen bei standardisierten Parametern wie Agarmedium, Bebrütungszeit, Bebrütungstemperatur, Luftfeuchte und Atmosphäre kultiviert werden. Nur so erzielt man konstante, reproduzierbare IR-Spektren der Ganzzell-Präparationen. Auf einer Petrischale können durch Segmentierung gleichzeitig drei Stämme kultiviert werden. Die geeignete Suspensionsdichte erhält man nach kurzer Übung durch Augenmaß. Zum Trocknen der Keimsuspension eignet sich ein Trockenschrank mit 40 °C (ca. 40 min Trockenzeit) oder eine Vakuumkammer mit Phosphorpentoxidreservoir (ca. 20 min).

Die Mikroorganismen sollten am Ende der logarithmischen Wachstumsphase geerntet werden. In diesem Stadium liegt genügend Zellmaterial für eine Abimpfung vor. In dieser Phase zeigen die Zellen sowohl innerhalb einer Kultur als auch zwischen verschiedenen Kulturansätzen die beste Übereinstimmung. Die Standardisierung der summarischen Zellkomponenten hat hier das Optimum erreicht. In früheren Wachstumsstadien liegt eine Mischung von alten, neuen, geschädigten, langsam- und schnellwüchsigen Zellen vor. Andererseits ist die stationäre Wachstumsphase inhomogen hinsichtlich lebender und bereits toter Zellen, Zellen unterschiedlicher Größe oder Zellen mit und ohne Reservesubstanzen.

Allgemein werden möglichst universelle Medien verwendet. Saprophytische, aerobe Lebensmittelkeime kultivieren wir auf TS-Agar (Oxoid). Dieses Medium enthält alle essentiellen Nährstoffe; gleichzeitig ist der Nährstoff quantitativ limitiert, beispielsweise liegt fast kein Kohlenhydrat vor. Diese Limitierung ist wichtig, da bei einem Überschuss an Zucker manche Keime ausgesprochen viel Schleim entwickeln würden. Dann fusioniert die Clusteranalyse nicht die jeweiligen Arten, sondern die Schleim- beziehungsweise Nicht-Schleimbildner, was bei anderer Fragestellung durchaus sinnvoll sein kann.

Für Hefen verwenden wir YGC-Agar (Merck). Dieses Medium wird in diversen Standardvorschriften (DIN, IDF, VDLUVA) für den Hefennachweis als Medium der Wahl genannt. Milchsäurebakterien kultivieren wir auf APT-Agar (Merck); dies ist ein Universalmedium für Lactobazillen und Streptokokken. Bifidobakterien werden auf RCM-Agar (Merck) geimpft. Einige Spezialisten unter den lebensmittelrelevanten Mikroorganismen benötigen komplexe Medien wie TAB-Agar (Alicyclobacillus), BHI-Agar (B. sporothermodurans) oder MRS-Agar (Essigsäurebakterien). Korrespondierend zur Katalaseaktivität werden die Platten aerob oder anaerob (Anaerocult A, Merck) inkubiert.

Die Bebrütungstemperatur muss den taxonspezifischen Bedürfnissen entsprechen. Enterobakterien, Pseudomonaden, Mikrokokken, Essigsäurebakterien, Bifidobakterien und Coryneforme werden bei 30 °C bebrütet. Die selbe Temperatur wählen wir für Milchsäurebakterien, da sie gleichermaßen für Mesophile (Leuconostoc) und Thermophile (Streptococcus thermophilus) geeignet ist. Bei den Bazillen reduzieren wir die Bebrütungstemperatur auf 25 °C, da dann nach 24 Stunden die Sporulation in der Regel noch nicht allzu weit fortgeschritten ist. Thermophile Bazillen werden bei 55 °C bebrütet; diese würden bei 25 °C oder 30 °C nicht oder kaum wachsen. Die Bebrütungszeit der Agarplatten beträgt in der Regel bei saprophytischen Keimen aus Lebensmitteln 24 (Aerobier) beziehungsweise 48 Stunden (Anaerobier).


Abb. 1: Von Identifizierungsstämmen werden Ganzzellpräparate mit FTIR-Spektroskopie gemessen.


Messmethode

Bei der Probenradmethode werden mit einer ZnSe-Scheibe bis zu 15 Stämme analysiert (Bruker, IFS 28/B). Eine 16. Messposition dient als Nullkontrolle. Jede Messung besteht aus mehreren Scans, von denen das Messprogramm einen Mittelwert bildet. Die IR-Messung der 15 Positionen dauert bei je 32 Scans etwa 20 min. Man kann also pro Arbeitstag leicht 100 und mehr Stämme messen. Es gibt auch geeignete Probenträger im 96- und 384-Well-Mikroplattenformat. Eine Neuentwicklung überträgt die IR-Identifizierungsmethode in den mikroskopischen Bereich.

Vom Originalspektrum wird eine erste oder zweite Ableitung berechnet und dann gegen die Datenbank geprüft. Im Prinzip werden die Spektren nach einem Normierungsschritt übereinander gelegt und die Flächen der nicht überlappenden Bereiche integriert. Je größer diese Gesamtfläche ist, desto unterschiedlicher sind die Spektren und damit auch die Stämme. Das Programm OPUS (Bruker) listet in einer Hitliste die ähnlichsten Objekte des Referenzdatenmaterials auf oder es führt Clusteranalysen durch und zeigt die Ähnlichkeitsbeziehungen in grafischer Form anhand von mit verschiedenen Algorithmen errechneten Dendro- und Histogrammen.

Vom Gesamtspektrum (Wellenzahl 4000 - 500 cm-1 = 2,5 - 20 µ) werden bestimmte spektrale Fenster für den Mustererkennungsprozess ausgewählt. Diese Spektralbereiche lassen sich spezifisch gewichten. Die Parameter kann man durch aufwändige Berechnungen von internen und externen Wiederfundraten bei einem Test- und Referenz-Stammkollektiv für die einzelnen spektralen Fenstern systematisch ermitteln. Die Wahl für Fenster und Gewichtung ist für jede Fragestellung verschieden. Bei Anwendung von Algorithmen für neuronale Netzwerke werden nicht mehr distinkte spektrale Fenster, sondern jede Wellenzahl für sich hinsichtlich ihrer Güte für eine optimale Trennschärfe betrachtet.


Abb. 2: Die Spektren von Identifizierungsstämmen werden in einem Mustererkennungsverfahren mit Referenzspektren abgeglichen und die Ähnlichkeitsbeziehungen als Hitliste oder grafisch dargestellt.


Entwicklung von Spektrenbibliotheken

Das Spektrum erlaubt die Identifizierung eines unbekannten Isolats, wenn in einer Datenbank ein entsprechendes Referenzspektrum enthalten ist. Jede Spezies zeigt aber viele spektroskopische Varianten. So ist etwa Saccharomyces cerevisiae spektroskopisch ausgesprochen heterogen. Diese Varianz bereitet einerseits für die Erstellung von Spektrenbibliotheken gewisse Probleme, da für eine generell zweifelsfreie Identifizierung die Referenzdatenbank alle spektroskopischen Varianten enthalten muss. Zum anderen aber steigt dadurch die Chance, Gleichheiten auf dem Stammniveau zum Ausdruck bringen zu können. Demnach steht und fällt die Methode mit den Datenbanken, die für die Identifizierungsanalysen zur Verfügung stehen.

Wir entwickelten in den letzen Jahren solche Datenbanken für lebensmittelrelevante Fragestellungen. Die Hefenbibliothek enthält derzeit rund 2600 Spektren von 41 Gattungen beziehungsweise 160 Arten. Etwa 1000 weitere Spektren sind für eine spätere Integration in die Datenbank reserviert. Das Datenmaterial ist auch in substratspezifische Teilbibliotheken gegliedert, so dass sich beispielsweise Isolate von Käse mit der Gesamtbibliothek und der spezifischen Käsebibliothek auswerten lassen. Die zweitgrößte Bibliothek mit rund 1100 Spektren von 51 Gattungen und 226 Arten wurde für die coryneformen Bakterien erstellt. Der Grund hierfür lag in deren Bedeutung für die Käsereifung. Bei den anderen Bakterien liegt der Schwerpunkt bei Bacillus. Hier mussten für mesophile bzw. thermophile Arten (zusammen 70 Spezies) unterschiedliche Präparationsbedingungen gewählt werden. Entsprechend konnten diese Keime nicht in einer Bibliothek vereinigt werden. Eine weitere Teilbibliothek wurde für B. cereus angelegt. Mit diesem Spektrenmaterial kann man die diversen toxischen, psychrotoleranten und mesophilen Formen sortieren. Es gibt auch Rudimente für Alicyclobacillus und HHRS-Bazillen. Mittelgroße und durchaus verbesserungsfähige Datenbanken liegen vor für Listerien (6 Spezies), Katalase-positive Kokken (50), Enterobacteriaceae (122), Pseudomonadaceae (43), Essigsäurebakterien (14), Exiguobacterium (4), Bifidobacterium (32), Strepto-/Lactokokken (39) und Lactobazillen (61).


Identifizierung mit Subbibliotheken

Bei Hefen und Coryneformen lässt sich jeweils das Spektrum eines zu identifizierenden Isolats mit der kompletten spezifischen Datenbank vergleichen. Der erste Treffer oder das im Dendrogramm benachbarte Objekt aus dem Referenzmaterial ergibt die Identifizierung. Bei einigen weniger gut entwickelten Datenbanken müssen wir vorerst noch mit Subbibliotheken arbeiten. Es wurden für diverse taxonomische Untergruppen eigene Bibliotheken etabliert. Mit konventionellen Methoden bestimmt man, zu welcher Subgruppe ein Identifizierungsstamm gehört, und verrechnet dann das Spektrum dieses Stamms nur mit der dazugehörigen Spektrengruppe. Mit dieser kombinatorischen Methode wurden die Isolate ziemlich zweifelsfrei identifiziert. Grobe Fehler konnte man in jedem Fall vermeiden. Die Identifizierungsergebnisse wurden mit konventionellen Methoden, kommerziellen Testkits und 16S rDNA-Sequenzierung positiv validiert.


Literatur

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Helm, D.,Labischinski, H., Schallehn, G., Naumann, D. (1991) Classification and identification of bacteria by Fourier-transform infrared spectroscopy. J. Gen. Microbiol. 13: 69-79

Naumann, D., Helm, D., and Labischinski, H. (1991) Microbiological characterizations by FT-IR spectroscopy. Nature 351:81-82

Kümmerle, M., Scherer, S., Seiler, H. (1998) Rapid and reliable identification of food-borne yeasts by Fourier-transform infrared (FT-IR) spectroscopy. Appl. Envir. Microbiol. 64: 2207-2214

Oberreuter, H., Seiler, H., Scherer, S. (2002) Identification of coryneform bacteria and related taxa by Fourier-transform infrared (FT-IR) spectroscopy. Int. J. Sys. Evolution. Microbiol. 52: 91-100


Siehe auch:

http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=973392762&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=973392762.

pdf

http://www.wzw.tum.de/blm/bwl/publikationen/Jabe_2004.pdf

http://tumb1.biblio.tu-muenchen.de/publ/diss/ww/2001/oberreuter.pdf

http://tumb1.biblio.tu-muenchen.de/publ/diss/allgemein.html

http://www.fei-bonn.de/Kurzberichte/12634.pdf

http://www.wzw.tum.de/micbio/cms/docs/forschung-anzeigen.php?seitennr=82

http://www.wzw.tum.de/micbio/cms/docs/forschung/Abschlussbericht%20FEI.pdf

http://www.weihenstephan.de/blm/fml/deutsch/Jabe2003.pdf

http://www.wzw.tum.de/micbio/12634_kb%20Englisch.pdf

http://www.wzw.tum.de/micbio/12634_kb.pdf

http://www.blackwell-synergy.com/doi/full/10.1111/j.1462-2920.2005.00971.x

http://aem.asm.org/cgi/content/full/64/6/2207

http://aem.asm.org/cgi/reprint/64/6/2207.pdf

http://aem.asm.org/cgi/reprint/68/10/4717


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