Mikrobiologie und mehr

(Folgender Artikel erschien in ähnlicher Form in der Deutschen Molkereizeitung: dmz, 3/2003, S. 24 – 27)

5) Warum stinkt Käse genauso wie Käsefüße?

Kommentar zu einem TV-Bericht

Herbert Seiler

Naturwissenschaftliche TV-Berichte werden als leichte Kost serviert. Der normale Zuschauer speichert sie vermutlich nur im Kurzzeitgedächtnis. Demnach könnte man falsche Darstellungen als unerheblich abtun. Einige aufmerksame und interessierte Personen werden aber die Informationen in das Langzeitgedächtnis "einbrennen" und könnten dann als Multiplikatoren für dieses Falschwissen fungieren. Zudem sind Internet-Dateien zuweilen recht langlebig. Aus diesem Grund sollten fehlerhafte Inhalte nicht unwidersprochen bleiben.


Der TV-Bericht

In dem TV-Magazin Galileo des Senders Pro 7 wurde ein Bericht ausgestrahlt mit dem Thema "Warum stinkt Käse genauso wie Käsefüße". Die homepage des Senders enthielt einen Kurzbericht zu diesem Magazinbeitrag (www.pro7-club.de/wissen/galileo/themen/2002-09-10_02/). Diese Sendung erreichte 2 - 3 Millionen Zuschauer. In dem Beitrag wurde dargelegt, dass Käse und Schweißfüße den gleichen "gotterbärmlichen Gestank" aufweisen und dies läge daran, dass in "beiden Standorten der gleiche Keim, nämlich Brevibacterium linens seinen Geruch ausströmt" (in der homepage steht "Trevibacterium"). Quintessenz: Rotkäse wird mit einem Schweißfußkeim gereift. Mit Sicherheit haben nicht wenige Zuschauer aufgrund eines Ekelgefühls beschlossen, zukünftig auf den Verzehr von Weichkäse zu verzichten. Der wirtschaftliche Schaden für die Weichkäsehersteller ist schwer zu beziffern, könnte aber insbesondere für die Rotkäseproduzenten relevant sein.

Wir sind der Meinung, dass mit dieser Sendung eine neue Mär in die Welt gesetzt wurde, die sich einreiht in andere konfuse Journalistenberichte über Lebensmittelhygiene: Blut sei in der Schokolade, Sägespäne würden als Fruchtaroma dem Joghurt zugesetzt, im Gemüsesalat würden böse Pseudo-Nomaden ihr Unwesen treiben (gemeint waren Pseudomonaden) und in einigen Proben Obstsalat hätten "nicht zählbare Keime" vorgelegen (welches mikrobiologische Labor kann denn Keime nicht zählen?).


Quellen für den TV-Bericht

Wie kommt man zu dieser Aussage? Hat die Redaktion leichtfertig gehandelt? Wir befragten sie zu ihren Quellen: 1) Das Fernsehteam drehte in einer Käserei einige Szenen und erhielten dort die schriftliche Auskunft "( ...) B. linens ist ein natürlich vorhandenes Bacterium, das sich im entsprechenden Milieu - feucht-warm, pH-Wert ... bei 6,5 bis 7,5 - gut entwickelt. B. linens ist auch verantwortlich für den Geruch mancher Füße. Im Schuh findet er genau das Klima, das er liebt. Da er im Schuh verbleibt, hilft auch das häufige Waschen der Füße nichts ( …)". 2) Die Reaktion befragte einen renommierten Mikrobiologie-Professor, und dieser bestätigte diese Ansicht. 3) Eine Internetsuche zu diesem Thema ergab ein ähnliches Resultat.


Abb. 1: Gelborange gefärbte Kolonien von Brevibacterium linens auf PC-Agar mit 3% NaCl.


Nachgefragt und nachgelesen

Wir wollten es näher wissen und erkundigten uns in der genannten Käserei. Dort gab man sich zerknirscht und bestätigte den von der Redaktion zitierten Passus nicht. Somit ersparte man es sich, uns die Literaturquelle für dieses Statement zu nennen. Wir konnten nicht weiter nachhaken, sind aber der Meinung, dass dort wohl doch eine von der QS-Leitung unautorisierte Darstellung erfolgte.

Die Nachfrage bei dem genannten Professor ergab folgendes: Ihm war in Erinnerung, dass die Art B. erythrogenes vor einigen Jahren getilgt wurde, da es sich bei dem einzigen vorhanden Stamm offenbar um ein B. linens handelte. Die Art B. erythrogenes aber stammte ursprünglich von der Haut, also käme B. linens auch auf der Haut vor. Man könnte tatsächlich annehmen, dass die Bezeichnung "erythogenes" auf eine haemolytische Eigenschaft hinweist (Blut-liebend, Erythrozyten-hydrolysierend) und dass demnach der Stamm der Erstbeschreibung von der Haut oder vom Blut isoliert wurde. Besser aber man schlägt nach: Lehmann und Neumann registrierten 1896 ein Bacterium lactis erythrogenes (erythrogenes = rot machend, die Milch rötend). Der Originalstamm wurde von Hüppe 1886 aus rot verfärbter Milch isoliert und von Grotenfeld 1889 erstmals beschrieben. Die Kultur war gelb und der Agar um die Kolonie färbte sich rosa bis weinrot; ein stark süßlicher Geruch wurde wahrgenommen. B. linens aber färbt Milch nicht rot, die Kolonie ist gelborange und der Geruch ist eher streng. In der Folge ergaben sich große Konfusionen um diese Species. Vermutlich ging der Originalstamm bald verloren und es wurde mit diversen ähnlichen aber nicht identischen Neuisolaten weitergearbeitet. Man findet die Namen Bacterium lactis erythrogenes, Bacterium e., Bacillus l. e., Bacillus e., Corynebacterium e., Erythrobacillus e., E. l. e., Serratia lactica, Chromobacterium l. e., Micrococcus l. e., Brevibacterium e. und B. linens. Was auch immer damals isoliert und beschrieben wurde, es lässt sich nicht nachvollziehen, da der Originalstamm nicht mehr existiert. Klar dürfte jedoch sein, dass die Tilgung einer Art aufgrund eines nicht verifizierten Stamms, als Beleg für irgendwas heranzuziehen, nicht zulässig ist. Schon gar nicht für das Vorkommen von B. linens auf der Haut, da ja das Originalisolat von B. erythrogenes gar nicht von der Haut stammte und es wohl auch kein B. linens war.

Bleibt noch das Ergebnis der Internetrecherche. Auch unsere Suche führte zu dem von der Redaktion genannten Bericht des WDR-Fernsehens. Den dort dargestellten kuriosen Inhalt geben wir hier verkürzt wieder: Menschliche Füße riechen. Dieser Geruch lockt Mücken an. Der Geruch wird von den Haut bewohnenden Bakterien verursacht. B. epidermidis wird als der Schuldige verdächtigt. Auch Käse reift durch die Einwirkung von Bakterien und der Geruch hat Parallelen zu dem "Zehenkäse". Im Versuch war für die Mücken ein Limburger attraktiv. Dort ist ein B. linens, ein Verwandter von B. epidermidis aktiv. Der zitierte Forscher befände sich jetzt in Afrika, um dort eine Malariamückenfalle mit Käse zu testen. Der Erfolg mit Limburger blieb aber bisher aus - die Schweißfüße seien immer noch besser (www.quarks/de/schweiss/05 bzw. www.berlinonline.de/wissen/...). Eine nette Geschichte, sie hat für den TV-Bericht nur den Haken, dass hier richtigerweise zwischen B. epidermidis und B. linens unterschieden wurde. Also kann diese Quelle kaum als Beleg für die Kernaussage des Berichts dienen, wenn man den systematischen Unterschied beachten würde.


Abb. 2: Nach dem Auftropfen von konzentrierter Kalilauge auf die Kultur von Brevibacterium linens schlägt die Farbe sofort von safrangelb nach erdbeerrot um.


Nachweis von B. linens

Proben zum Nachweis von B. linens werden z.B. auf Plate-Count-Agar (PCA) und PCA + 3% NaCl (PCA+) angesetzt. Letzteres Agarmedium eignet sich besonders gut; auf einem Medium mit Kochsalz bildet B. linens intensiv gelborange, mittelgroße, opake Kolonien. Die Färbung wird durch Licht und Sauerstoff intensiviert; man verwendet deshalb Petrischalen mit Nockendeckeln und einen Brutschrank mit Glastüren. Bebrütet wird bei ca. 25 °C für ca. 7 Tage. Die Identifizierung ist einfach. Beim Auftropfen einer konzentrierten KOH-Lösung auf die Kolonie wechselt das carotinoide Pigment die Farbe von safrangelb nach erdbeerrot. Diesen Farbwechsel kann man nur noch bei Corynebacterium fascians beobachten. B. linens bildet aber glatte und C. fascians raue Kolonien. Bei den Coryneformen haben auch Arten der Gattungen Aureobacterium und Microbacterium kadmiumgelbe bis chromgelbe, aber - ähnlich den Gramnegativen - meist hyaline Kolonien; diese zeigen keinen Farbwechsel mit KOH. B. linens lässt sich also bei einem Prozentanteil von 0,1 und weniger an der Gesamtpopulation unschwer erkennen.


Natürliche Standorte von B. linens und Mikroflora der Haut

Vor einiger Zeit beschäftigte sich unsere Arbeitsgruppe ausführlich mit der Ökologie von Coryneformen, einem Taxon zu dem auch Brevibacterium zählt. Es wurden die Floren der Standorte Milch, Käse, Molkereiabwasser, Rindergülle, Oberflächenwasser etc. analysiert. In diesen Biotopen besteht ein hoher Populationsanteil aus Coryneformen; die Heterogenität ist teilweise beachtlich. B. linens isolierten wir nur von Käse.

Es wurden auch Proben von gesunder Haut, insbesondere von Zehenspalten untersucht. Auf PCA+ fanden sich zu über 99% Kokken, der Rest bestand vorwiegend aus Bazillen; Coryneforme waren ausgesprochen selten. Bei den wenigen gelben Kolonien handelte es sich immer um Kokken. Orange Kolonien der Species B. linens waren nur sehr vereinzelt vorhanden. In dieser Spurenkonzentration können sie keine olfaktorische Ausdünstungen verursachen. Auf der menschlichen Haut scheint auch die Art B. casei vorzukommen. Diese bildet aber im Gegensatz zu B. linens weiße Kolonien; damit lassen sich Verwechslungen ausschließen. Ansonsten sind die beiden Arten sehr ähnlich. Nicht geklärt ist, ob "pigmentlose B. linens-Isolate" Defektmutanten dieser Art oder ausschließlich Vertreter der Arten B. casei und B. epidermidis sind.

Die Keimzahlbestimmung auf Medien ohne Kochsalz und mit komplexen Nährstoffen (z.B. Hirn-Herz-Agar) ergab dagegen teilweise bis zu 50 % sehr kleine Kolonien mit corynoider Zellform. Hierbei dürfte es sich um Corynebacterium, Mycobacterium, Brachybacterium, Dermabacter oder gar um Milchsäurebakterien, höchst selten aber um B. linens gehandelt haben. Die gesunde Hautflora zu dominieren scheint die Art Micrococcus sedentarius. Weitere Formen sind laut Literatur Aureobacter spp., Brevibacterium epidermidis, Brachybacterium faecium, Dermabacter hominis, Gordona spp., Mycobacterium spp., Rhodococcus spp. und andere. Die Mikrofloren von feuchten Körper-Standorten (Fuß, Achselhöhle, Schritt) und trockenen Stellen (Arm, Bein, Brust, Rücken, Gesicht) zeigen jeweils Gemeinsamkeiten.

Unsere Literaturrecherche ergab nicht einen zuverlässigen Bericht über das Vorkommen von B. linens auf der menschlichen Haut. Diese Species wurde nur von Käse und von Salzwasserfisch isoliert. Das erscheint plausibel, da B. linens bis zu 15 % NaCl im Medium verträgt und die optimale Wachstumstemperatur bei 22 - 30 °C liegt. Ähnliche, schnellwüchsige, corynoide, aber unpigmentierte Formen der Warmblüterhaut sind auch ziemlich salztolerant (maximal 10 - 15%), wachsen aber optimal bei 30 - 37 °C.


Abb. 3: Brevibacterium linens zeigt in junger Kultur corynoide Stäbchen mit V-Formen. In alter Kultur sind die Zellen kurz bis kokkoid.


Mikroflora des Käses

Die Rotfärbung von rotgeschmierten Weichkäsen des Typs Limburger geht eindeutig auf das Vorkommen von B. linens zurück. Es fanden sich klare Korrelationen zwischen dem Prozentanteil von B. linens und der Farbintensität. Auf deutlich roten Käsen stellte B. linens über 30% des Populationsanteils. Die ebenfalls roten Kocuria rosea (Micrococcus roseus) und Rhodococcus fascians waren von marginaler Bedeutung. Die Käse sind aber oft mehr gelb oder rosa als rot. Hier dominieren weiße, cremefarbene und gelbe Coryneforme und Kokken der Arten Arthrobacter citreus, A. nicotianae, Brevibacterium casei, Brachybacterium alimentarium, B. tyrofermentans, Corynebacterium ammoniagenes (C. casei), C. flavescens, C. glutamicum, C. variabilis (C. mooreparkense), Kocuria spp., Microbacterium gubbeenense, M. imperiale, M. lacticum, M. oxydans, Micrococcus luteus, M. sedentarius, Staphylococcus equorum, S. saprophyticus, S. sciuri und S. xylosus.

Ein anderes Thema ist die Bankröte, die gelegentlich bei Schnittkäse vorkommt. Diese entsteht durch die Umsetzung von Tyrosin zu melaninartigen rötlichen bis brauen Komplexverbindungen. Die Reaktion begründet sich durch einen Defekt in der Enzymkaskade für den Tyrosinabbau; dieser kann bei allen Organismengruppen vorkommen. Auch Lactobazillen, Lactokokken und Propionsäurebakterien können im Käse rote und braune Pigmente produzieren.


Der Geruch von Rotkäse

Für den typischen Geruch von Weichkäsen des Limburger-Typs ist vor allem das leicht flüchtige, geruchsintensive L-Methionin-Derivat Methylmercaptan (Methanthiol, Methylthiol, Alkylthiol, CH3SH) verantwortlich. Weitere geruchsbestimmende Stoffwechselprodukte sind Sufide (Dimethylsulfid, Dimethyldisulfid, Dimethyltrisulfid), S-Methylthioester (S-Methylthioacetat, S-Methylthiobutyrat, S-Methylthiopropionat, S-Methylthiovaleriat) und 2,3,4-Trithiopentan. Diese Stoffwechselprodukte wurden vor allem bei den Arten B. linens, B. casei und B. erythrogenes nachgewiesen. In geringem Umfang bilden auch anderen Coryneforme sowie Mikrokokken, Bazillen, gramnegative Bakterientaxa und sogar Pilztaxa einige dieser Stoffe. Auf Agarplatten konnten wir aber neben den Brevibakterien nur noch bei Bazillen (Bacillus cereus, B. licheniformis) einen ähnlichen, stechenden Geruch nach getragenen Socken feststellen. Das Methylmercaptan hat eine fungistatische Wirkung und schützt die Käserinde vor Schimmelpilzbewuchs.


Fazit

B. linens kommt vor allem auf Käse vor. Der natürliche Standort dürfte Salzwasserfisch sein. Somit könnte ursprünglich diese Species über das Schmieren mit Meersalz auf die Käserinde gekommen sein. In Käsereien werden heute definierte Starterkulturen verwendet. Auf der leicht schweißig-salzigen Haut von Menschen kommt die Art nur in marginaler Konzentration vor. Die Hautflora und die Käseflora zeigen mit den Arten B. casei und M. sedentarius dagegen Parallelen. Dies bedarf aber noch einer genaueren Überprüfung; immerhin sind die beiden Standorte v.a. bzgl. Salzgehalt (relative Feuchte), Konkurrenzflora, Nährstoff und Temperatur doch sehr unterschiedlich. Der Geruch von Käsen mit Oberflächenreifung und von Schweißfüßen ist auf gleiche und ähnliche Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen - vor allem von Coryneformen und Mikrokokken - zurückzuführen. Rotkäse wird aber nicht - wie in dem TV-Bericht suggeriert - mit einem Schweißfußkeim gereift.


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