Mikrobiologie und mehr

(Folgender Artikel erschien in ähnlicher Form in der Deutschen Molkereizeitung: dmz 8/2003 S. 24 – 27)

6) Mikrobiologische Fehleranalysen mit FTIR-Spektroskopie

Herbert Seiler

In Lebensmittelbetrieben sind Analysen mikrobieller Populationen ein wesentlicher Bestandteil des Qualitätsmanagements. Sie ermöglichen präventive Maßnahmen und erleichtern die Fehlersuche bei Problemfällen. Produktentwicklungen lassen sich steuern und Fehlproduktionen vermeiden helfen. Die FTIR-Spektroskopie ist eine schnelle und kostengünstige Alternative zu herkömmlichen Identifizierungsmethoden und kann als echte Schnellmethode bezeichnet werden.

Die Mikroorganismenidentifizierung ist von jeher ein schwieriges Unterfangen. Sie setzt gute Fachkenntnisse voraus. Meist muss der analytische Blick in die Populationsstruktur unterbleiben, da

  • Analysenkosten, Zeit-, Material-, Geräte- und Personalbedarf die Kapazitäten übersteigen,
  • das Know-how für Durchführung und Auswertung der Tests sowie die Interpretation der Testergebisse fehlt,
  • "Schnellmethoden" oft gar nicht so schnell sind,
  • zu viele unterschiedliche Testkits zu bevorraten sind und die Testkits bei seltenem Gebrauch überaltern,
  • die Identifizierungsergebnisse häufig zweifelhaft sind,
  • oft weiterführende Tests gefordert werden, was den Befund verzögert,
  • mit bloßer Nennung von Artennamen wenig anzufangen ist,
  • die hohe Totalfehlerquote unakzeptabel ist,
  • wegen seltener Identifizierungen die Befunde systematisch nicht einzuordnen sind,
  • bei Auftragsvergabe die Bearbeitung zu lange dauert und die Berichte viele Fragen offen lassen

Ein divergierendes Identifizierungsergebnis bei offenbar identischen Objekten kann an der systemimmanenten Unschärfe von solchen Analysen oder an der Unschärfe der Systematik liegen. Es bedarf eines Expertenurteils, wenn man z.B. nicht weiß, dass Debaryomyces hansenii und Candida famata nur verschiedene Namen für identische Organismen sind, oder dass C. sake und C. parapsilosis fast gleiche Hefen sind. Die Verbesserung dieser Situation war schon immer eines unserer Forschungsziele. Wir hatten bereits 1988 ein Verfahren zur Hefenidentifizierung in Mikrotiterplatten beschrieben (H. Seiler, M. Busse: Identifizierung von Hefen mit Mikrotiterplatten. forum mikrobiologie 11/1988, S. 505 - 509). Dieses ergab eine wesentliche Methodenvereinfachung für die Aufnahme von Verwertungs-, Vergärungs- und Reaktionsprofilen. Die Vorgehensweise wurde kommerziell umgesetzt (Biolog, MicroStation).

Es gibt heute zahlreiche Ansätze für Schnellmethoden zur Mikroorganismenidentifizierung, z.B. mit hoher Keimdichte animpfen, Messung der Änderung von Leitfähigkeit, pH und Redoxpotenzial sowie enzymatische Quantifizierung von Stoffwechselprodukten. Andere Verfahren basieren auf Immunreaktionen, Antibiotikaresistenzprofilen, DNA-Sonden, real-time-PCR, 16S-rDNA Sequenzierung oder neuerdings DNA-Chips. Etliche dieser Techniken sind heute nur für den spezifischen Nachweis pathogener Keime konzipiert.


Identifizierung mit FTIR-Spektroskopie

Anfang der 90er Jahre wurde von Naumann und Mitarbeiter am Robert Koch-Institut, Berlin eine Infrarot (IR)-Messtechnik aus den 50er Jahren wieder aufgegriffen. Naumann konnte durch den Einsatz der neuen Technologien Interferenzspektroskopie, Fourier-Transformation (FT) und EDV das Verfahren sehr effektiv gestalten. Die ersten Berichte über die FTIR-spektroskopische Mikroorganismenidentifizierung waren Erfolg versprechend. Es handelte sich um eine einfache, schnelle und kostengünstige Methode, basierend nur auf einem chemisch-physikalischen Messprinzip. Dies entsprach exakt unseren Wunschvorstellungen. Die Technik schien so einfach, dass man erwarten konnte, ein Anwender bräuchte letztlich keine mikrobiologische Fachkenntnisse einbringen.

Bei der Methode wird eine Reinkultur unter standardisierten Bedingungen angezüchtet, dann erstellt man eine Keimsuspension und überführt davon einen Tropfen auf eine Zinkselenitscheibe. Nach dem Antrocknen wird das FTIR-Spektrum gemessen und dieses gegen eine Referenzdatenbank gerechnet. Das erste Objekt in der Hitliste oder der direkte Nachbar in einer Clusteranalyse ergibt bei ausreichender Güte (definiert geringe spektrale Distanz) die Identifizierung. Der Arbeitsaufwand pro Stamm beträgt 15 min; die Identifizierung dauert ausgehend von einer Reinkultur 24 h bei Aerobiern und 48 h bei Anaerobiern.

Wir beschäftigten uns in den letzten Jahren intensiv mit der FTIR-Spektroskopie und entwickelten diverse Spektrenbibliotheken für lebensmittelrelevante Mikroorganismen. Wir sind heute imstande, die Methode weiterzugeben - was sich für die Labors der Lebensmittelkonzerne anbietet. Alternativ akzeptieren wir von kleinen und mittelständischen Betrieben Aufträge für Identifizierungen und Populationsanalysen. Die Bearbeitungszeit ist kurz, die Kosten bewegen sich in einem verträglichen Rahmen, die Identifizierungsqualität ist hoch. Es lassen sich mikrobielle Populationen von bisher nicht gekannter Auflösung kartieren.


Abb. 1: Probenvorbereitung und Messung von FTIR-Spektren




Abb. 2: Identifizierung mit FTIR-Spektroskopie


Datenbanken (Voll- und Teil-Spektrenbibliotheken)

Die Häufigkeit der identifizierten Mikroorganismenformen in den uns zugeführten Analysenaufträgen entspricht großenteils der Bedeutung der diversen Keimgruppen bei der Lebensmittelherstellung. Hinzu kommen Starter- und Reifungskulturen. Dementsprechend wurde bei der Konzeption von Datenbanken Schwerpunkte gesetzt. Die Hefenbibliothek enthält derzeit ca. 2600 Spektren von 41 Gattungen bzw. 160 Arten. Ca. 1000 weitere Spektren sind für eine Integration vorbereitet. Die ursprünglichen Teilbibliotheken (Kulturensammlungsstämme, Käseisolate, Sauermilchisolate, Osmotolerante, strikt Oxidative) sind noch erhalten, so dass man beispielsweise Isolate von Käse mit der Vollbibliothek und der spezifischen Käsebibliothek auswerten kann.

Die zweitgrößte Bibliothek mit ca. 1100 Spektren wurde für die Coryneformen erstellt. Der Grund hierfür liegt nicht bei dem Schadenspotenzial dieser Keimgruppe, sondern bei deren Bedeutung für die Käsereifung. Das Institut ist an einem EU-Projekt zur Aufklärung der mikrobiologischen Vorgänge bei der Reifung von Rotkäse beteiligt. Wir haben dabei den Part für die Populationsanalysen übernommen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei den Bazillen mit ca. 500 Spektren. Hier mussten für mesophile bzw. thermophile Arten unterschiedliche Präparationsbedingungen gewählt werden. Entsprechend wurden diese Keime nicht in einer Spektrenbibliothek vereinigt. Eine weitere Spektren-Teilbibliothek wurde für Bacillus cereus angelegt. Mit diesem Datenmaterial kann man die diversen toxischen, psychrotrophen und mesophilen Formen sortieren. Es gibt auch Rudimente für Alicyclobacillus und HHRS-Bazillen. Mittelgroße, durchaus noch verbesserungsfähige Datenbanken liegen vor für Enterobacteriaceae, Pseudomonadaceae, Essigsäurebakterien, Milchsäurebakterien, Kokken, Listerien, Bifidobakterien und Exiguobacterium.


Kombinatorische Identifizierung mit Spektren-Subbibliotheken

Bei den Hefen, Coryneformen und Bazillen lassen sich Spektren von Identifizierungsstämmen mit der jeweiligen kompletten Datenbank bearbeitet. Bei einigen weniger gut entwickelten Datenbanken verwenden wir vorerst Spektren-Subbibliotheken. D.h. es wurden für diverse systematische Subgruppen separate Spektrenbibliotheken etabliert. Mittels konventioneller Reaktionen wird der Identifizierungsstamm einer dieser systematischen Subgruppen zugeteilt und dann wird das Spektrum dieses Stamms mit den Referenzspektren der entsprechenden Subgruppe verglichen. Betrachten wir das Beispiel Milchsäurebakterien: Zunächst wird mikroskopiert - man gliedert in Stäbchen und Streptokokken. Sieht man Stäbchen, so wird im nächsten Schritt über die Zugehörigkeit zu den homofermentativen Lactobazillen, den fakultativ heterof. Lb., den obligat heterof. Lb., zu Leuconostoc oder zu Weissella entschieden. Hierfür werden die allgemein üblichen Teströhrchen angesetzt (Gas aus Glucose, Gas aus Citrat, Säure aus Pentosen). Erst dann wird das IR-Spektrum dieses Identifizierungsstamms mit einer der drei entsprechenden Spektren-Subbibliotheken verrechnen. Mit dieser kombinatorischen Methode lassen sich in aller Regel die Isolate ziemlich zweifelsfrei identifizieren; grobe Fehler sind nicht möglich.


Serviceleistung des Instituts für Mikrobiologie am ZIEL

Am Beispiel vom August 2002 soll die Vielfalt der Aufträge dargelegt werden. In diesem Monat wurden 60 Identifizierungsanfragen bearbeitet. Der Schwerpunkt lag bei Fruchtjoghurt bzw. Fruchtquark sowie bei Schadensfällen mit Fruchtzubereitung. Bedeutend war auch die Produktgruppe Dessert. Andere Substrate waren Trinkmilch, Fruchtmilch, Joghurtdrink, Softdrink, Käse, Butter, Leerbecher und das Umfeld diverser Produktionen. Bei einem großen Teil der Reklamationen sollte von uns die Schadensursache dokumentiert werden. Hierbei stellte sich die Frage nach einer mikrobiologischen Korrelation zwischen Vorprodukt - häufig Fruchtzubereitung - und Fertigprodukt.

Bei Sauermilchprodukten kann im Fall von Hefenkontaminationen mit der FTIR-Spektroskopie nicht nur die Übereinstimmung auf dem Artniveau, sondern ziemlich gut auch auf dem Stammniveau festgestellt werden. In aller Regel lässt sich die Kontaminationsroute zweifelsfrei aufdecken. Bei den Desserts erlaubt eine Unsterilität keine Vermarktung der Fertigprodukte, da die Ware im Markt schnell auffällig werden würde. Zudem ist davon auszugehen, dass Keime der Risikogruppe 2 ("können Krankheiten verursachen"; siehe Infektionsschutzgesetz bzw. BG-Chemie "Eingruppierung biologischer Agenzien") vorliegen und diese zu hohen Keimdichten heranwüchsen. Dies könnte imageschädigend in den Medien erörtert werden oder man müsste gar eine Rückrufaktion veranlassen. Bei dem Schadensbild "Bombage" waren jeweils Enterobacteriaceae verantwortlich. Im neutralen Dessert vermehren sich diese nicht-acidotrophen Keime bis zur maximal möglichen Keimdichte von ~109/g. Beim Produktverderb ohne Bombage wurden meist Pseudomonaden und Bazillen nachgewiesen. Die Art Exiguobacterium acetylicum wurde von uns in letzter Zeit erstmals, aber wiederholt aus neutralen Milchprodukten isoliert. Diesen auffällig stark beweglichen Keim identifizierten wir mit 16S-rDNA-Sequenzierung. Nachdem die Spektren-Datenbank jetzt etliche Stämme der Arten E. acetylicum und E. aurantiacum enthält, ist die Identifizierung für uns absolut unproblematisch.

Frischmilch, H-Milch und neutrale Fruchtmilchgetränke zeigen häufig das bekannte Schadensbild "Wachstum von Sporenbildnern". Meist erreicht die Milch nicht unbeschadet das MHD; sie verdirbt frühzeitig durch Süßgerinnung. Bacillus cereus ist der häufigste Schadensverursacher. Seltener liegt eine Säuregerinnung durch Enterokokken etc. vor. Umfeldanalysen dienten der Risikoabschätzung oder der Kontaminationsroutenanalyse. Es wurden die Gattungen Acinetobacter, Staphylococcus, Brevundimonas, Pseudomonas, Bacillus, Enterobacter, Leuconostoc und Streptococcus sowie verschiedenen Hefen- und Schimmelpilzarten identifiziert.


Tab. 1: Identifizierungsservice im Monat August 2002. Häufigkeit von Schadkeimen in Molkereiprodukten.


Häufigkeit der Hefen-, Bakterien- und Schimmelpilzarten

Im August 2002 wurden im Rahmen von Aufträgen 415 Isolate identifiziert, davon 403 mit FTIR-Spektroskopie. Die häufigsten Identifizierungen betrafen mit 288 Isolaten die Hefen. Es ergaben sich kaum zweifelhafte Artenbenennungen. Nur bei den Species mit unausgereifter Systematik kann auch die FTIR-Spektroskopie keine eindeutige Identifizierung liefern. Am häufigsten wurde die Species Saccharomyces cerevisiae identifiziert. Jede Hefenart beinhaltet viele spektroskopische Varianten. So ist z.B. S. cerevisiae spektroskopisch ausgesprochen heterogen. Diese Varianz bereitet einerseits für die Erstellung von Spektrenbibliotheken gewisse Probleme, da man für eine zweifelsfreie Eingliederung eines Isolats alle existenten spektroskopischen Typen abdecken muss. Zum anderen aber steigt dadurch die Chance, Gleichheiten auf dem Stammniveau zum Ausdruck bringen zu können. Es lässt sich oft mit einem Dendrogramm zeigen, dass die Isolate aus der Frucht und dem dazugehörigen Fertigprodukt einerseits auf hohem Ähnlichkeitsniveau fusionieren und andererseits eine relativ deutliche Distanz zu den artgleichen Referenzstämmen der Spektrenbibliothek haben. Dies belegt dann, dass es sich bei den diversen Isolaten aus den zu vergleichenden Standorten sehr wahrscheinlich um Abkömmlinge eines gleichen Stamms handelt. Bei den Bakterien wurden am häufigsten Bazillen identifiziert, gefolgt von Enterobakterien, Acinetobakterien, Enterokokken, Streptokokken und Staphylokokken. Schimmelpilze können wir noch nicht mit FTIR-Spektroskopie identifizieren. Mit konventionellen Methoden wurden primär diverse Arten von Penicillium nachgewiesen, gefolgt von Mucor, Trichoderma, Trichophyton, Cladosporium, Fusarium und Paecilomyces.


Abb. 3: Identifizierung mit FTIR-Spektroskopie auf dem Stammniveau. Fusionieren verschiedene Isolate innerhalb der Varianz von Wiederholungsmessungen des selben Stamms (ca. 0,3 spektrale Distanz), so sind sie höchst ähnlich oder gar identisch. (FZB = Fruchtzubereitung; FP = Fertigprodukt; DSMZ = Deutsche Sammlung für Mikroorganismen und Zellkulturen; CBS = Holländische Sammlung für Mikroorganismen)


Fazit

Die Identifizierung von Mikroorganismen mit der FTIR-Probenrad-Spektroskopie ist ein modernes Werkzeug mit hohem Effizienzpotenzial. Man kann schnell, kostengünstig und genau identifizieren. Die Methode erreicht die Gattungs- und Speciesebene sowie in Teilbereichen die Stammebene. Für einige der wichtigsten lebensmittelrelevanten Keimgruppen liegen jetzt gute Datenbaken vor, so dass die Methode breite Anwendung finden kann. Die Verbesserung der weniger gut entwickelten Datenbanken wird vorangetrieben. Bei dieser Schnellmethode wird mit Reinkulturen gearbeitet. Man sollte schon im Vorfeld eine klare Vorstellung über die Familienzugehörigkeit der Isolate haben. Dies ist deshalb notwendig, da Formenkreis-spezifische Präparationsbedingungen anzuwenden sind. Somit kann dieses Verfahren bei aller Simplizität nicht ohne weiteres einem mikrobiologisch unerfahrenen Personenkreis anvertraut werden.


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