„So überholen uns die Sozialdemokraten von links“

Linke-Politiker Wolfgang Neškovic hält als Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) für eine Fehlbesetzung (29.12.10)

Rot-Rot in Potsdam befürwortet neue Tagebaue und CCS (Carbon, Capture and Storage). Sie sind da offensichtlich auf Konfrontationskurs?

Die Verstromung der Braunkohle ist eine veraltete und zerstörerische Technologie. Sie ist Klimakiller Nummer 1 und nimmt den Menschen ihre Heimat. Sie hat keine Zukunft. Jeder weiß das. Nur die SPD in Brandenburg und der linke Wirtschaftsminister versuchen den Menschen einzureden, die Braunkohle könne mit Hilfe des Zaubermittels CCS-Technik überleben. Selbst das Energiekonzept der Bundesregierung geht davon aus, dass der Anteil des Stroms, der aus Braunkohleverbrennung gewonnen wird, rasch sinken wird: von heute 23,6 Prozent bis 2030 auf 9,3 Prozent und bis 2050 sogar auf 0,6 Prozent. Deswegen müssen wir heute anfangen, alternative Konzepte und Ideen für ein Leben nach der Braunkohle zu entwickeln.

In der Lausitz gibt es fast nichts außer Braunkohle. Konzepte allein machen niemanden satt.

Die Lausitz ist eine Region, der eine prosperierende Zukunft ohne Braunkohle gelingen kann. Dafür braucht es Visionen und die Bereitschaft, nicht nur kurzfristig zu denken. Deshalb ist es wichtig, alle Akteure an einen Tisch zu holen. Die Ressourcen und Potenziale von Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik sollten wir im Rahmen einer Zukunftswerkstatt nutzen. Mit der Hochschule Lausitz und der BTU Cottbus bestehen größte Chancen, Perspektiven zu entwickeln. Das hat auch die Wirtschaft, beispielsweise die IHK, erkannt. Die sind hier auf einer Linie mit meiner Position. Politisch verantwortungsbewusst handelt, wer sich schon heute der Herausforderung dieses Strukturwandels stellt.

Aber woher kommt der Ersatz für die Arbeitsplätze bei Vattenfall?

1990 waren im Lausitzer Bergbau 120 000 Menschen beschäftigt. Heute sollen es 8000 sein. Dieser dramatische Arbeitsplatzabbau zeigt, wie unaufhaltsam der Strukturwandel abläuft. Zudem hat Vattenfall einen Einstellungsstopp und weiteren Stellenabbau beschlossen. Dem gegenüber sind im Bereich der erneuerbaren Energien allein im Jahr 2008 bundesweit 30 000 Arbeitsplätze entstanden. Vattenfall hat diesen Strukturwandel im Grunde begriffen. Nur die Politik, die Vattenfall umgarnt, begreift ihn bisher nicht.

Diese Politik ist die Linie Ihrer Partei.

Nein. Das ist nicht Linie der Partei, sondern der Regierungskoalition. Die Linke hat das Volksbegehren gegen neue Tagebaue unterstützt. Der Ausstieg aus der Braunkohle war eines der zentralen Wahlversprechen vor der Landtagswahl. Auch deshalb haben uns die Menschen gewählt. Die Beschlusslage der Partei hat sich nach Übernahme der Regierungsverantwortung nicht geändert. Richtig ist, dass sich dies nicht in der Koalitionsvereinbarung mit der SPD wiederfindet. Aber auch ein Bekenntnis zu neuen Tagebauen wurde nicht vereinbart. Insofern haben wir weiterhin die Chance, unsere Wahlversprechen einzuhalten.

Wirtschaftsminister Christoffers sieht das anders.

Christoffers ist nach Meinung vieler Linker eine Fehlbesetzung – auch wenn das öffentlich niemand sagt. Er macht Politik rechts von der SPD. Er hat bislang gezeigt, dass ihm die Bilanzen und Gewinne von Unternehmen mehr am Herzen liegen als die Interessen der Menschen. Wer im CCS-Gesetz zugunsten der Großkonzerne eine Verkürzung der Klagerechte für die Bürger fordert, beweist auf welcher Seite er steht. Aus linker Sicht ist er der falsche Wirtschaftsminister. Hierfür gibt es weitere Beispiele wie das rot-rote Vergabegesetz. Die SPD plädiert für strengere Vergaberichtlinien, während Christoffers der Wirtschaft unnötig lange Leine lassen möchte. So überholen uns die Sozialdemokraten von links.

Aber er bestimmt den Kurs und sie sind isoliert.

Überhaupt nicht. Ich stehe in einer Reihe mit Tausenden von Menschen in Brandenburg, die sich die Zukunft der Lausitz nicht von Dritten vorschreiben lassen wollen. In der Region Schenkendöbern, in der drei von Abbaggerung betroffenen Gemeinden liegen, hat sich beispielsweise ein breites überparteiliches Bündnis von über 15 Institutionen zusammengefunden. Das sind einzelne Bürger, aber auch Umweltverbände, Kirchen, CDU-Landtagsabgeordnete bis hin zur Linken. In der Region um Beeskow gibt es zahlreiche Initiativen, die sich machtvoll gegen CCS wehren. Hinzu kommt: Auch der juristische Weg hat sehr viel bessere Chancen als etwa im Kampf um Horno. Die Rechtsgrundlagen haben sich zugunsten des Umweltschutzes verbessert. Zudem ist das ökologische Bewusstsein bei Richtern heute deutlich ausgeprägter als vor zwanzig Jahren.

Proteste gibt es auch gegen die geplante Polizeireform. Ist es aufgrund der Haushaltslage nicht notwendig, auch beim Personal zu sparen?

Sicher gibt es immer Möglichkeiten, Verwaltungen zu straffen. Das Streichen von 1900 Stellen spricht allerdings eher dafür, dass bei der Polizei willkürlich und nach Kassenlage „reformiert“ werden soll. Das ist keine seriöse Innenpolitik und ein unschönes Erbe des zurückgetretenen Innenministers Speer. Entscheidend ist, dass das Sicherheitsempfinden der Menschen ernst genommen und berücksichtigt wird. Dabei ist die Grenzlage zu Polen besonders zu beachten. Deshalb ist es auch verfehlt, Brandenburg mit Niedersachsen oder Schleswig-Holstein zu vergleichen. Ich hoffe, dass die Linke hier den notwendigen Druck auf den neuen Innenminister ausübt.

Die Universitäten sollen mit 10 Millionen Euro bei der Haushaltskonsolidierung helfen.

Dieses Vorhaben der Cottbuser Wissenschaftsministerin Münch hat mich enttäuscht. Die Landesregierung meint, die Rücklagen der Universitäten seien ein Zeichen dafür, dass die Hochschulen zu viel Geld hätten. Das ist eine krude Logik. Die Kürzungspläne sind ein Anschlag auf die Wettbewerbs- und Investitionsfähigkeit der Hochschulen. Wer gut haushaltet, darf dafür nicht bestraft werden. Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Hochschulen dies nicht einfach so hinnehmen und sich dagegen zur Wehr setzen wollen. Ich hoffe, dass die Ministerin hier bald einsichtig wird.

Von den Wahlkampfversprechen der Linken zum öffentlichen Beschäftigungssektor bleibt auch hier wenig über.

Das war ein zentrales Wahlversprechen der Linken. Schon in den Koalitionsverhandlungen hat man sich von der ursprünglichen Zielzahl von 15 000 Stellen auf 8 000 runterhandeln lassen. Im Sommer, kurz vor dem Start des Programms „Arbeit für Brandenburg“ stand die Zahl 6500 im Raum. So wie es aussieht, wird sich auch diese Zahl deutlich verringern. Jetzt versucht man die Bundesregierung dafür verantwortlich zu machen. Es ist aber überhaupt nicht nachvollziehbar, warum Rot-Rot dieses Prestige-Projekt von Anfang an unter den Vorbehalt der Bundesmittel gestellt wurde. Wenn die Sache in Brandenburg gelingen soll, muss die Landesregierung eine ausreichende Bereitstellung von finanziellen Mitteln gewährleisten. Alles andere ist Schaufensterpolitik.

Wo sollte denn aus Ihrer Sicht gespart werden?

Haushaltskonsolidierung ist kein Selbstzweck. Wenn beispielsweise Kinder heute nicht ausreichend satt werden und keine gute Bildung bekommen, können solche Missstände nicht mit Sparzwängen gerechtfertigt werden. Im Übrigen steht Brandenburg finanziell nicht so schlecht da, wie gern behauptet wird. So ist zum Beispiel die Neuverschuldung pro Kopf in Nordrhein-Westfalen um 48 Prozent höher als in Brandenburg. Der Hinweis auf sogenannte Sachzwänge ist da nur Ausdruck einer hilflosen Rechtfertigungsrhetorik. Insofern ist es auch bedauerlich, dass die rot-rote Landesregierung nicht gegen die vom Bundesgesetzgeber verordnete Schuldenbremse vorgeht, die sie ihrer eigenen Handlungsmöglichkeiten in weiten Teilen beraubt.

Dann hat Brandenburg mit dem rot-roten Kabinett also eine Landesregierung auf Irrwegen?

Dieser Eindruck ist falsch. Dass die Regierungsbeteiligung für die Linke in Brandenburg nicht einfach werden würde, war allen klar. Ich weiß, dass Entscheidungsträger wie der Landesvorsitzende Thomas Nord darum kämpfen, im Spannungsfeld zwischen den eigenen Wahlversprechen und den Interessen des Koalitionspartners den Erfolg dieser Regierung zu sichern. Es gibt auch Erfolge nach einem Jahr linker Regierungsbeteiligung. Hierzu zählen die Verbesserung des Betreuungsschlüssels in den Kindertagesstätten, die Einstellung von mehr Sozialrichtern, die Abschaffung der Residenzpflicht für Asylbewerber und die bessere finanzielle Ausstattung der Musikschulen.

Das Gespräch führte Johann Legner