Gefangen im eigenen Lügennetz*
Download-Version
9/11-Kommission gibt zu, dass sie Geheimdienstinformationen über
den führenden Flugzeugentführer Atta ausgeschlossen hat.
Von Joseph Kay und Barry Grey
17. August 2005
Aus dem Englischen
Ein Sprecher der Kommission, die die Ereignisse vom 11. September
2001 untersucht, gab am 10. August zu, dass sich am 12. Juli 2004
Kommissionsmitglieder mit einem uniformierten Offizier getroffen
haben und dieser sie informiert habe, dass eine Gruppe von Geheimdienstleuten
bereits im Sommer 2000 Mohammed Atta als Teilnehmer einer Al-Qaida-Zelle
identifiziert hatte, die in den USA operierte. Atta gilt als der
Anführer der Flugzeugentführer, die die Angriffe vom 11.
September 2001 durchführten.
Dieses Eingeständnis widerspricht vollkommen früheren
Erklärungen des Vorsitzenden der Untersuchungskommission Thomas
Kean und seines Stellvertreters Lee Hamilton, dass die Kommission
niemals Informationen des militärischen Geheimdienstes über
Atta erhalten habe.
Nach einem Artikel in der New York Times vom 11. August warnte der
Offizier die Kommissionsmitglieder, dass "der Bericht"
(der Kommission) ohne Einbeziehung der Erkenntnisse der Geheimdienstgruppe
"unvollständig sein würde".
In dem Kommissionsbericht, der am 22. Juli 2004 veröffentlicht
wurde - zehn Tage nach dem Treffen, auf dem Kommissionsmitglieder
über Atta informiert worden waren -, gab es keinerlei Hinweise
auf die Informationen, die von der Geheimdienstgruppe mit dem Namen
Able Danger (wörtlich etwa: Potente Gefahren) gesammelt worden
waren.
Dem republikanischen Kongressabgeordneten Curt Weldon und einem
nicht genannten früheren Geheimdienstoffizier zufolge waren
Mitglieder von Able Danger vom Kommando des Pentagon für besondere
Operationen im Sommer 2000 daran gehindert worden, die Informationen,
die sie über Atta und drei der anderen späteren Flugzeugentführer
gesammelt hatten, an das FBI weiterzugeben. Zu diesem Zeitpunkt
befanden sich Atta und die anderen in den Vereinigten Staaten und
nahmen Flugstunden.
Der Sprecher der Kommission Al Felzenberg gab zu, dass das Treffen
mit dem Offizier am 12. Juli 2004 erst stattgefunden habe, nachdem
Weldon den Kommissionsmitgliedern einen Brief geschickt hatte, in
dem er mitteilte, dass er über dieses Treffen informiert sei.
Weldon hatte zuvor aufgedeckt, dass sich Mitglieder der Kommission
im Oktober 2003 mit Offizieren von Able Danger getroffen hatten.
Am 9. August gaben Kean und Hamilton zu, dass die Kommissionsmitglieder
bei dem Treffen im Jahre 2003 über Able Danger informiert wurden,
behaupteten aber, sich nicht daran erinnern zu können, dabei
die Namen einzelner Personen, darunter Atta, erfahren zu haben,
die die militärische Geheimdienstgruppe im Jahr 2000 identifiziert
hatte. Jetzt, nur einen Tag später, war Felzenberg gezwungen,
einen Rückzug zu machen und zu erklären, dass die Kommission
im Juli 2004 von den Geheimdiensterkenntnissen über Atta informiert
worden war und sich entschieden hatte, sie nicht in ihren Schlussbericht
aufzunehmen.
Weldons Brief an Kean, Hamilton und die anderen Kommissionsmitglieder
drückte aus, dass er "aufs höchste enttäuscht
sei über die jüngsten und falschen Behauptungen der 9/11-Kommission
und darüber, dass diese angeblich niemals Zugang zu irgendwelchen
Informationen von Able Danger erhalten habe. Die Mitglieder der
9/11-Kommission erhielten nicht nur eine, sondern zwei Informationen
über Able Danger von ehemaligen Mitgliedern des Teams, verfolgten
die Spur jedoch nicht weiter. Darüber hinaus antworteten die
Kommissionsmitglieder nicht auf Anrufe von einem militärischen
Geheimdienstangehörigen, der Kontakt mit ihnen aufgenommen
hatte, um die Angelegenheit weiter zu besprechen, über die
sie bei einem früheren Treffen informiert worden waren."
Weldon gehört dem rechten Flügel des Kongresses an und
wurde zu einem Spezialisten für das Aufspüren von Daten
über Geheimdienstoperationen wie denen von Able Danger. Er
setzt sich für größere Befugnisse der Geheimdienste
ein. Wie auch immer, die Information über Able Danger bestätigt
frühere Erkenntnisse, dass US-Geheimdienste und Sicherheitsagenturen
den Flugzeugentführern vom 11. September auf der Spur waren,
aber nichts unternommen haben, um sie an ihrem Vorhaben zu hindern.
Obwohl Felzenberg am Mittwoch zugab, dass die Kommissionsmitglieder
über Geheimdienstinformationen über Atta unterrichtet
waren, versuchte er die Bedeutung der Tatsache herunterzuspielen
und die Entscheidung der Kommission, jede Erwähnung dieser
Information auszuschließen, als unbedeutend und Routineangelegenheit
darzustellen, die damit zu tun hatte, dass sie bei der Vorbereitung
der Veröffentlichung unter Zeitdruck gekommen seien.
Wahr ist aber das Gegenteil. Die Tatsache, dass der militärische
Geheimdienst Atta und drei andere spätere Flugzeugentführer
als Mitglieder einer Al Qaida Zelle in den USA mehr als ein Jahr
vor den Terrorangriffen des 11. September identifiziert hatte und
dass die vier trotzdem in der Lage waren zu kommen und zu gehen,
wie es ihnen beliebte und in einigen Fällen sogar das Land
verlassen und wieder einreisen konnten und dass sie den größten
Terrorangriff auf die USA der Geschichte planen und ausführen
konnten, ohne daran vom FBI oder der CIA oder irgendeiner anderen
Geheimdienstagentur gehindert zu werden oder dass diese eingegriffen
hätten, ist eine höchst explosive Information mit äußerst
weitreichenden Implikationen.
Sie untergräbt auf verhängnisvolle Weise die entscheidenden
Feststellungen der 9/11-Kommission und alle anderen offiziellen
Vertuschungsmanöver bezüglich der Ereignisse um die Terrorangriffe
auf New York und Washington: Die "Fehler der Geheimdienste",
die die Durchführung der Angriffe möglich gemacht hätten,
seien im schlimmsten Fall auf Inkompetenz bzw. innerorganisatorische
Hindernisse zurückzuführen, die die Geheimdienste daran
gehindert hätten, die "Fäden zu verknüpfen".
Stattdessen stützen die jüngsten Enthüllungen eine
ganze Reihe von Erkenntnissen, die nahe legen, dass einer oder mehrere
Geheimdienste oder Sicherheitsorganisationen und hohe Regierungs-
und/oder Militärangehörige zusammengearbeitet haben, um
die Flugzeugentführer zu schützen und ihnen zu erlauben,
einen terroristischen Angriff auf amerikanischem Boden durchzuführen.
Zu welchem Zweck? Um Bedingungen zu schaffen, die öffentliche
Meinung zu beeinflussen und zu manipulieren, damit sie eine massive
Ausdehnung des amerikanischen Militarismus und nie dagewesene Angriffe
auf demokratische Rechte akzeptiert.
Die ungeheure Bedeutung der Able Danger betreffenden Informationen
und ihre höchst gefährlichen politischen Implikationen
für die Bush Regierung und das gesamte amerikanische politische
Establishment liegen darin, dass sie die Erklärung dafür
liefern, warum die Kommission es ausschloss sie zu erwähnen.
Die Rechtfertigung, die die Kommission dafür gibt, dass sie
die Information über Atta und Able Danger unterdrückt
hat, ist ebenso absurd wie die früheren Behauptungen, dass
der Name Atta den Kommissionsmitgliedern niemals genannt worden
war. Bezug nehmend auf den Militäroffizier, der im Juli 2004
mit einigen der Kommissionsmitglieder gesprochen hatte, erklärte
Felzenberg der New York Times : "Wir haben ihn nicht abblitzen
lassen. Die Information, die er uns gegeben hat, passte nicht in
den Zusammenhang der Schlussfolgerungen, die wir gezogen hatten."
Die Times schreibt: "Mr. Felzenberg sagte, die Ermittlungsbeamten
der Kommission hätten vorsichtig auf den Offizier reagiert,
weil er behauptet hatte, Able Danger habe angegeben der Ägypter
Mr. Atta habe sich seit 1999 oder Anfang 2000 in den USA aufgehalten.
Die Beamten wussten, so erklärte Felzenberg, dass dies unmöglich
war, weil die Aufzeichnungen über die Einreisenden ergeben
hatten, dass er nicht vor Juni 2000 in die USA eingereist sei."
Russel Caso, der Büroleiter des Kongressabgeordneten Weldon
beantwortete dieses Ablenkungsmanöver von Felzenberg und erklärte
der New York Times. "Obwohl die Daten vielleicht nicht ganz
[mit den Informationen der Kommission] zusammenpassen", war
doch die zentrale Aussage des Offiziers, dass "Mohammed Atta
als jemand identifiziert worden war, der mehr als ein Jahr lang
vor dem 11. September mit Al Qaida und einer Zelle in Brooklyn in
Verbindung stand und dass die Kommission zu weiteren Ermittlungen
veranlasst gewesen sein musste." Caso fügte hinzu: "Wenn
Mohammed Atta vom Able Danger Projekt identifiziert worden war,
warum hat dann das Verteidigungsministerium diese Information nicht
an das FBI weitergegeben?"
Außerdem, selbst wenn die 9/11-Kommission Fragen bezüglich
der Glaubwürdigkeit der Information des Offiziers gehabt hat,
rechtfertigt oder erklärt dies noch nicht, weshalb sie keinerlei
Notiz von dieser Information genommen hat. Der 585 Seiten umfassende
Bericht mit Tausenden von dazugehörigen Anhängen mit den
Berichten der Ermittler, Interviews etc. enthält viele Hinweise
auf Behauptungen, Theorien und angenommene Tatsachen, die sich auf
die Anschläge vom 11. September beziehen, die die Kommission
nicht für glaubwürdig gehalten oder für die sie keine
Bestätigung gefunden hat. Weshalb sollte gerade eine so wichtige
Angelegenheit wie frühere geheimdienstliche Erkenntnisse über
Atta und drei andere Attentäter keine Erwähnung in einem
dieser Dokumente gefunden haben, selbst wenn es mit einem Hinweis
der Kommission versehen gewesen wäre, der sie widerlegt oder
in Frage stellt?
In einem Absatz gegen Ende des Artikels in der New York Ti mes heißt
es: "Mr. Felzenberg bestätigte einen Bericht von Mr. Weldons
Büro, aus dem hervorgeht, dass bei dem Informationsgespräch
(mit dem uniformierten Offizier) im Büro der Kommission in
Washington Dietrich L. Snell, einer der führenden Ermittler
des Gremiums, anwesend gewesen sei. In seiner Begleitung befand
sich ein Angehöriger des Pentagon, der als Beobachter des Verteidigungsministeriums
fungierte. Als die Kommission deshalb protestierte, bestand die
Bush-Regierung darauf, dass der Aufpasser' der Regierung bei
allen wichtigen Interviews mit Vertretern der Exekutivorgane anwesend
zu sein habe."
Was diesen Absatz angeht, sind einige Anmerkungen zu machen. Erstens
wird darin aufgedeckt, dass von der sogenannten Unabhängigkeit
der 9/11-Kommission nicht die Rede sein konnte. Keine wirklich unabhängige
Kommission hätte der Regierung erlaubt, ihre Interviews mit
wichtigen Quellen und Zeugen zu beaufsichtigen. Außerdem wirft
dies ein Licht auf die grundlegende Feindseligkeit der Bush-Regierung
bezüglich der Untersuchung und auf ihre Angst, was diese zu
Tage fördern könnte. Was hatte das Weiße Haus zu
verbergen?
Zweitens zeigt sich, dass die Regierung das Interview vom 12. Juli
2004 mit dem Militäroffizier für ein "wichtiges Interview"
hielt, wichtig genug, einen Beobachter zu entsenden, der es überwachen
sollte.
Drittens widerspricht die Tatsache, dass ein Beobachter des Verteidigungsministeriums
bei dem Interview anwesend war, einer Erklärung von Verteidigungsminister
Donald Rumsfeld vom 9. August, der über Able Danger gesagt
hatte, "ich habe bis heute morgen nie davon gehört".
Schließlich ist die Tatsache entlarvend, dass das Interview
von Snell geführt worden war. Snell war der Chefankläger
im Prozess gegen Abdul Hakim Murad, der 1996 wegen seiner Rolle
in dem sogenannten "Bojinka-Plan" verurteilt wurde.
Murad war angeblich in eine Verschwörung mit Ramzi Yousef verwickelt,
der wegen des Bombenanschlags auf das World Trade Center 1993 verurteilt
worden war, sowie mit Kahlid Shaikh Mohammed, von dem angenommen
wird, dass er in die Planung der Anschläge vom 11. September
verwickelt war. Sie hätten geplant, 11 Flugzeuge über
dem Ozean explodieren zu lassen. Murad bot an, mit der Anklage zusammen
zu arbeiten, um im Gegenzug eine ermäßigte Haftstrafe
zu erhalten, was jedoch abgelehnt wurde. Murad hatte 1995 philippinischen
Ermittlern gegenüber ausgesagt, dass eine Version des Planes
war, die Flugzeuge in Gebäude, darunter das World Trade Center,
zu steuern, obwohl das Hauptziel die CIA-Zentrale gewesen sei.
Der Bojinka-Plan ist einer der wichtigsten Beweise dafür, dass
die amerikanischen Polizei und Geheimdienste sehr wohl über
Pläne informiert waren, dass Flugzeuge in Gebäude gesteuert
werden sollten, was im Gegensatz zu Aussagen von Angehörigen
der Bush-Regierung nach dem 11. September steht.
Bis heute haben sich viele, die in die Enthüllungen von Able
Danger verwickelt sind, geweigert, sich dazu zu äußern
- darunter auch Snell und der Oberbefehlshaber für besondere
Operationen Philip Zelikow, der jetzt ein ranghoher Berater von
Außenministerin Condoleezza Rice ist. Auch der leitende Ermittler
der Kommission, der sich im Oktober 2003 mit Mitgliedern von Able
Danger getroffen hat, verweigert bisher jede Aussage.
Die amerikanischen Medien unterdrücken diese Enthüllungen
weiterhin. Nach dem Artikel auf der ersten Seite der New York Times
am 9. August, der die Story herausbrachte, werden die Folgeartikel
auf den Innenseiten der Zeitung versteckt. Der Artikel am 10. August
befand sich auf Seite 13 und der vom 11. auf Seite 14. Andere Zeitungen
haben die Sache kaum erwähnt. Der einzige Artikel, der bisher
in der Washington Post erschienen ist, war eine fünf Absätze
umfassende Agenturmeldung von Associated Press am Mittwoch. Die
Abendprogramme der Radio- und Fernsehanstalten ignorieren die Geschichte
weiterhin.
*Original: World Socialist Website, 12./16. August 2005, http://www.wsws.org/de/2005/aug2005/atta-a16.shtml
© www.globale-gleichheit.de
|