"Das wäre ein Rückfall ins frühe
Mittelalter"*
US-Senat will Guantánamo-Häftlingen das Klagerecht
entziehen. Schlechte Aussichten für den Bremer Murat Kurnaz.
Ein Gespräch mit Bernhard Docke*
Interview: Peter Wolter
17. November 2005
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F: Der US-Senat hat am 10. November einen Gesetzentwurf verabschiedet,
der Guantánamo-Häftlingen das Klagerecht vor US-Gerichten
entziehen soll. Sie vertreten den Bremer Murat Kurnaz, der seit
vier Jahren auf diesem Stützpunkt gefangengehalten wird. Was
bedeutet diese Entscheidung für Ihren Mandanten?
B.D.: Es war erst einmal ein Entwurf - wenn der aber tatsächlich
Gesetz würde, wären die Auswirkungen verheerend. Allen
mühsamen Versuchen, Guantánamo rechtsstaatlich zu begegnen,
wäre damit der Boden entzogen. Das gilt auch für die anhängenden
Klagen. Die Gefangenen wären nach wie vor absolut rechtlos
und hätten keine Chance, ihre Inhaftierung von US-Gerichten
überprüfen zu lassen. Das wäre ein Rückfall
ins frühe Mittelalter.
F: Warum wird Herr Kurnaz denn festgehalten? Gibt es mittlerweile
beweiskräftige Vorwürfe, die das rechtfertigen könnten?
B.D.: Wir hatten zunächst das Problem, dass er in Isolationshaft
war - wir hatten also keine Informationen über den Grund seiner
Inhaftierung und die näheren Umstände seiner Festnahme.
Mittlerweile haben wir auf dem Klageweg durchgesetzt, dass wir zu
Herrn Kurnaz Zugang haben und dass wir Akteneinsicht bekommen. Und
aus diesen Akten geht eindeutig hervor, dass er vor seiner Festnahme
in Pakistan an keinerlei Kampfhandlungen beteiligt war und dass
es keinen Grund gibt, ihn in Haft zu behalten. Er wurde vor vier
Jahren verhaftet und im Januar 2002 von der US-Luftwaffe nach Guantanamo
ausgeflogen. Alle Vorwürfe sind Hirngespinste, die längst
widerlegt sind. Das versteht niemand mehr, warum er immer noch in
Haft ist.
F: Herr Kurnaz wurde von US-Soldaten gefoltert. Was hat man ihm
angetan?
B.D.: Alle Scheußlichkeiten, die man sich vorstellen kann.
Ich will das nicht im Einzelnen auflisten, sondern nur Stichworte
nennen: Scheinhinrichtung, Strom, Kälte, Hitze, sexuelle Demütigung.
Und so weiter.
F: In Zusammenarbeit mit einem US-Anwalt versuchen Sie, Herrn Kurnaz
freizubekommen. Sehen Sie nach der Entscheidung des Senats noch
eine Chance?
B.D.: Noch ist diese Entscheidung nicht Gesetz. Wenn es aber so
weit kommen sollte, können wir seine Freilassung nicht mehr
über US-amerikanische Zivilgerichte erzwingen. Und damit wären
wir am Ende des Rechtsstaats angelangt.
F: Die Bremer Bürgerschaft hatte den Fall Kurnaz am Donnerstag
auf der Tagesordnung. Der Punkt wurde aber auf Dezember verschoben.
Warum das?
B.D.: In besagter Sitzung stand eine Regierungserklärung des
neu gewählten Senatspräsidenten an. Dadurch wurden die
restlichen Tagesordnungspunkte nach hinten verschoben, so dass auch
die Debatte über Herrn Kurnaz vertagt werden musste. Das Thema
wird im Dezember auf jeden Fall behandelt.
F: Bremens Innensenator hatte Herrn Kurnaz, der einen türkischen,
aber keinen deutschen Pass hat, für den Fall seiner Entlassung
aus Guantánamo das Aufenthaltsrecht entzogen. Haben Sie dagegen
geklagt?
B.D.: Das haben wir. Die Verhandlung findet am 30. November vor
dem Verwaltungsgericht Bremen statt, und ich hoffe, dass wir danach
die Weichen dafür stellen können, dass Murat Kurnaz, wenn
er denn entlassen wird, auch wieder nach Bremen zurück darf.
Er ist ja auch hier geboren, er ist ein richtiger Bremer Junge.
Und es wäre noch schöner, wenn ihm aus der rechtswidrigen
Inhaftierung bei uns auch noch Nachteile entstünden. Das würde
bedeuten, dass man den Geist von Guantánamo nach Deutschland
exportiert.
F: Was hat die Bundesregierung in diesem Fall unternommen?
B.D.: Sie hat sich vornehm zurückgehalten und dahinter versteckt,
dass Herr Kurnaz nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hat.
Konsularisch ist für ihn die Türkei zuständig. Er
ist somit in eine Art diplomatischer Versorgungslücke zwischen
der Türkei und Deutschland gefallen. Andere Gefangene, die
von ihren Heimatländern protegiert wurden, konnten ihre Freilassung
durchsetzen.
* Das Interview ist zuerst erschienen in junge Welt vom 12.11.2005.
** Berhard Docke ist Rechtsanwalt in Bremen. Er vertritt den in
der Hansestadt geborenen Türken Murat Kurnaz, der wegen dubioser
Terrorismusanschuldigungen im US-Stützpunkt Guantánamo
(auf Kuba) inhaftiert ist und dort gefoltert wurde.
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