•  |  Passwort vergessen?  |  Jetzt registrieren
31.05.2008    17:18 Uhr Drucken  |  Versenden  |  Kontakt
Trennlinie

Gesundheitsmarkt

Die Krankheitsverkäufer

Immer mehr Menschen werden von einer Befindlichkeitsindustrie aus Ärzten, Pharmafirmen und anderen Profiteuren im Gesundheitsmarkt krankgeredet und krankgemacht werden.
Von Werner Bartens


vergrößern Das Erfinden und Verkaufen von Krankheiten wird im Englischen "Disease Mongering" genannt.
Foto: ddp
 

Man stelle sich vor, ein passionierter Leser der Medizinfibel Pschyrembel ließe sich aus dem Jahr 1988 in das Jahr 2008 versetzen. Dem gebildeten Kranken würden die Augen übergehen angesichts der Leidensangebote, die sich inzwischen entwickelt haben.

Schüchternheit heißt plötzlich Sozialphobie. Der Begriff Trauer ist rar geworden - das sind mittlerweile alles Depressionen. Unruhige Beine haben als Restless-Legs-Syndrom enorm Karriere gemacht. Jedes Kind bekommt jetzt eine Diagnose - kaum ein Schüler, der nicht an ADS oder ADHD leidet. Neuerdings gibt es die Aufmerksamkeitsstörung sogar für Erwachsene.

Unter der Gürtellinie hat sich auch viel getan. Aus Impotenz ist die Erektile Dysfunktion geworden. Glaubt man einschlägigen Statistiken, leiden demnächst mehr Menschen daran als es Männer gibt. Im Zuge der Gleichberechtigung haben auch Frauen eine sexuelle Störung mit Krankheitswert: Gelegentliche Lustlosigkeit ist als "Female Sexual Dysfunction" (FSD) behandlungsbedürftig.

Dutzende neue Leiden sind auf dem Markt, zudem ist die Zahl jener gestiegen, die sich mit herkömmlichen Krankheiten plagen. Der logische Schluss des Zeitreisenden aus dem Jahr 1988 würde wohl lauten: Die Welt ist kränker geworden. Eine wahrscheinlichere Erklärung ist jedoch, dass immer mehr Menschen von einer Befindlichkeitsindustrie aus Ärzten, Pharmafirmen und anderen Profiteuren im Gesundheitsmarkt krankgeredet und krankgemacht werden.

Man nehme eine Befindlichkeit ...

Dazu muss man ein Leiden gut verkaufen. Das Rezept ist einfach. Man nehme eine körperliche Befindlichkeit und behaupte, dass etwas mit ihr nicht stimme.


Dann betone man, dass viel Leid verhindert werden könnte, wenn endlich mehr Menschen therapiert würden. Im Folgenden übertreibe man die Zahl der Betroffenen; mindestens ein Drittel der Bevölkerung sollte an dem bisher unterschätzten Problem leiden.

Ein banales Symptom wie Husten, das vom grippalen Infekt bis zu Krebs alles bedeuten kann, wird sich finden, mit dem Menschen verängstigt werden können. Dann braucht man Rechenkünstler, die mit selektiver Statistik den Nutzen der Behandlung übertreiben. Unterstützend sind PR-Aktionen nötig, in denen die Therapie als risikofreies neues Wundermittel angepriesen wird. Fertig ist die neue Krankheit inklusive Behandlungsangebot.

"Disease Mongering" wird das Erfinden und Verkaufen von Krankheiten im Englischen genannt. Mongering bedeutet Handeln, Schachern und dabei einschüchtern - bei dem im Deutschen üblichen Wort Medikalisierung schwingt dieser Aspekt nicht mit.

Um immer mehr Bereiche des körperlichen, pschychischen und sozialen Erlebens als kontroll- und therapiebedürftig zu erklären, müssen Risikofaktoren bekannt gemacht werden.

Eine Schwankung des Befindens wird so schnell zu einem Leiden, das behandelt werden muss. Der Alltag steht unter permanenter Selbst- und Fremdbeobachtung. "Man versucht Leute, denen es gut geht, davon zu überzeugen, dass sie krank sind - oder leicht Kranke, dass sie schwer krank sind", so die Formel der Medizinkritikerin Lynn Payer.

Typischerweise werden dazu normale Körpererfahrungen als krankhaft gedeutet - oder die Definition einer Krankheit wird ausgeweitet, bis milde und sogar beschwerdefreie Verläufe als "Prä-Erkrankung" gelten. In jüngster Zeit wird leicht erhöhter Blutzucker immer öfter als Prä-Diabetes bezeichnet.

Viele Ärzte sehen Risikofaktoren wie erhöhtes Cholesterin schon als Krankheit selbst an. In der Folge werden Laborwerte behandelt und nicht Kranke und - im Fall des Cholesterins - wird darüber hinweggegangen, dass fast die Hälfte der Infarktopfer normale Blutfette aufweist.

Steven Woloshin und Lisa Schwartz haben gezeigt, wie das Restless-Legs-Syndrom verkauft wird. Die Pharmafirma GlaxoSmithKline will seit 2003 mehr Aufmerksamkeit für das Leiden wecken. Zunächst gab es übertriebene Presseerklärungen von Neurologenkongressen zu Erfolgen mit der Arznei Ropinirol.


vorherige Seite  vorherige Seite     1 | 2 | 3     nächste Seite   nächste Seite
Trennlinie

Lesezeichen hinzufügen: 

Lesezeichen bei Mr.Wong setzen Lesezeichen bei Yigg setzen Lesezeichen bei Linkarena setzen Lesezeichen bei Google setzen Lesezeichen bei Webnews setzen Lesezeichen bei Folkd setzen Lesezeichen bei Oneview setzen Lesezeichen bei Wikio setzen

| Was ist das?


Leserkommentare (8)



03.06.2008 15:36:00

Zaubberer: Anderer Blickpunkt

Im Marketing eines Unternehmens würde man von "Pull"-Marketing sprechen. Die Pharma-Industrie versucht Ihre ohne Zweifel hohen Entwicklungskosten ohne den herkömmlichen Weg wie über fundierte jahrelange klinische Studien Ihre Produkte abzusetzen. Der beste Fall wäre die "Kunden" kennen das Unternehmen, das Produkt und lassen sich durch die gute Medienwerbung ein Leiden einreden das evtl. gar nicht wirklich existiert.. um so schnell zu Absatz und Umsatz zu kommen..

Jeder kennt mal so Tage wo es einem schlechter oder besser geht. Mal hat man Kreuzweh (weil man wieder falsch gehoben hat..) oder man hat nen Muskelkater (weil es war wieder Tour de France und wurde vom Radhype angesteckt..) etc.

Ich würde einfach zu vernüftigerem Umgang mit dem eigenen Körper und dem Medikamentenwesen umgehen. Man muß net immer Pillchen für alles mampfen..

Ein guter Tee, ne Badewanne voll Wasser, evtl. auch mal Franzbranntwein für

die Muskeln.. hat schon mehreren geholfen als Krankengymnastik und Dauer-

massagen..


Bewerten Sie diesen Kommentar




vorherige Kommentare neuere Kommentare 1 | 2 ältere Kommentare nächste Kommentare

Wir wollen die Qualität der Nutzerdiskussionen stärker moderieren. Bitte haben Sie deshalb Verständnis, dass wir die Kommentare ab 19 Uhr bis 8 Uhr des Folgetages einfrieren. In dieser Zeit können keine Kommentare geschrieben werden. Dieser "Freeze" gilt auch für Wochenenden (Freitag 19 Uhr bis Montag 8 Uhr) und für Feiertage.


SZ Wissen - Das Magazin
Zeitmaschine Gehirn
So bestimmen Sie das Tempo Ihres Lebens. Eine Auswahl von Texten aus dem aktuellen SZ Wissen.
Serien für Neugierige
Was, wer, wann und warum überhaupt?
die Sie noch nicht wissen über ... das Gehirn
Es gibt mehr als Nessie, Bigfoot und den Yeti. Zum Beispiel Ogopogo und Champ.
Im Kuriositätenkabinett der Kreaturen: Der Zahnstocher
Wo der Planet an seine Grenzen geht
SZ Wissen: Rubriken
Setzen Sie Zahlen anstelle der Tiere und Pflanzen und gewinnen Sie einen Gutschein für zwei Personen im Vital- und Wellnesshotel.
Der Philosoph Eckart Voland von der Universität Gießen erklärt im Gespräch mit Philip Wolff die Evolution der Ehrenamtlichkeit.
Wächst Indianern wirklich kein Bart? Hier finden Sie Antworten auf drängende Fragen - und können uns gleich weitere schicken.
Fiese Hexe Viagra: Streiflicht-Autor Hilmar Klute fragt sich, wieso zunehmend mehr alte Menschen über Sex reden.
Natur und Wissenschaft
Sternenhimmel
Lulins Ausschweifungen
Eine interaktive Grafik
Test-Ecke
Amsel, Drossel, Fink oder Star? Prüfen Sie Ihr Wissen.
Es ist nicht ganz leicht zu erkennen, was diese Satellitenaufnahmen zeigen. Aber versuchen Sie es trotzdem.
Schauen Sie diesen Tieren tief in die Augen. Erkennen Sie, um welches Vieh es sich handelt?
Wissen Sie Bescheid über unsere Nachbarplaneten?
Regenwolken kennt jeder. Aber was verraten uns feine Schleier oder Schäfchenwolken darüber, wie das Wetter wird?
Nein, nicht die Schweizer. Aber von wem stammt nun eigentlich die erste Dampfmaschine?
Von der steinzeitlichen Trepanation bis zur Herztransplantation - wissen Sie Bescheid über die Geschichte der Heilkunst?
Hat Magellan wirklich als erster die Welt umsegelt? Und wer hat eigentlich Australien entdeckt?
Wann flog die erste Rakete ins All? Wie lang hielt die erste Raumstation?
Pottwal, Blauwal, Finnwal - erkennen Sie die Meeressäuger?
SZ Photo
Alzheimer - Das fortschreitende Vergessen
Das vor über 100 Jahren von dem Neurologen Alois Alzheimer beschriebene Leiden tritt in 90 Prozent der Fälle erst ab dem 60. Lebensjahr auf. In der westlichen Welt ist die Krankheit inzwischen zur vierthäufigsten Todesursache geworden, da die Menschen immer älter werden. mehr...

ANZEIGE

Innovate!