Kyōkai: Des Sonnenursprung-Reiches Buch von Geistwundern sichtbar-gegenwärtiger Vergeltung des Guten und Bösen

日本國現報善悪霊異記

„Legenden aus der Frühzeit des japanischen Buddhismus“

übersetzt von Hermann Bohner

Der Titel: Nippon-koku Gembōzenaku-Ryū-i-ki

Original S. 52-55

Der Titel faßt wie in einer Summa zusammen, was das Werk will. Da die einzelnen Schriftzeichen des Titels sprachlich so locker zu einander gefügt sind, daß die verschiedensten Möglichkeiten möglich, ja gleichzeitig miteinander gesetzt sind, so ist Übersetzung des Titels kaum möglich. Auszugehen ist von dem letzten Zeichen ki „Bericht,“ „Berichte,“ „Schrift“ auch im Sinne unseres „über“, „von.“ Das zentrale Zeichen ist das davorstehende i „anders,“ „verschieden“: erzählt wird von der Welt des totaliter aliter, des „Ganz-anders,“ des Wundersamen; gegeben werden Berichte von Wundersamem, Ganz-Anderem bzw. Wundersame Berichte. Das Zeichen ryō „Geist,“ „Geister“ spezialisiert dies. Es sind Berichte von Erweisungen aus jener so ganz andern, dem Menschen sonst verschlossenen Geisterwelt her. Die mittleren Zeichen des Titels weisen auf das Inhaltliche dieser Erweisungen hin: das zentrale Erlebnis ist das Ingwa- Erlebnis; gembō „sichtbar-gegenwärtige Vergeltung;“ das will sagen: es gibt eine Vergeltung und sie zeigt sich und wird erlebt, zunächst in dieser Existenz; aber auch von der späteren Existenz her geschehen Kundgebungen in diese gegenwärtige Existenz, Zen-aku (gut-böse) „im Guten wie im Bösen,“ was jedoch auch zu den folgenden Zeichen bezogen werden mag. Die ersten Zeichen Nippon-Koku (Reich Japan) setzen all dem den Trumpf auf: die Wunder, die Vergeltung, das Buch, alles und jedes daran ist japanisch und spielt in Japan.


Itabashi
Ausgabe Itahashi's

Vielerlei Arbeiten liegen dieser Arbeit zugrunde. Genaue Einsichtnahme wird, bzw. würde zeigen, daß diese Arbeit überall über das Bisherige hinausgeht.
Das Ryō-i-ki ist leichter zugänglich geworden durch die sorgsame Ausgabe von Itahashi Tomoyuki (1929)1, welche Kana-Umschrift gibt. Betreffs vieler Lesungen und auch Emendationen verweise ich auf Itahashi [板橋倫行; 1902-63; Abk.: J]. Da er durch seine Urschrift den Text ganz japanisch zu geben genötigt ist, geht bisweilen Kambun-Art verloren; vom Chinesischen her urteilend bin ich ihm manchmal nicht gefolgt. Wieviel Dank andrerseits diese Arbeit ihm schuldet, brauche ich nicht erst lange auszuführen.

An Kenntnis der hier in Betracht kommenden Parallelen kann wohl kein Abendländer sich mit japanischen Kennern messen. Die Werke Prof. Haga's2 stehen da an erster Stelle. Auch andre Namen habe ich vordem genannt. Ihnen allen schulde ich großen Dank. Persönlich besonderen Dank schulde ich Herrn Direktor A. Nakanome von der Ōsaka Gaikoku-gogakkō, dem Vorsitzenden der dortigen Ōsaka Tōyōkai (Ostasiatische Gesellschaft Ōsaka) und andrerseits der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, welche durch ihr bereitwilliges Zusammenwirken das Erscheinen des Werkes überhaupt erst möglich gemacht haben. Meinem Kollegen, dem Prof. für Japanisch und japanische Literatur Kitanishi Tsurutarō möchte ich für seine so freundlicherweise fortgesetzte Hilfe in allen die Sprache und Schrift betreffenden Fragen an dieser Stelle herzlichen Dank sagen; auch dem Sinologen Prof. Inoue und dem buddhistischen Kollegen Watanabe Ryōhō danke ich herzlich für freundliche Beratung.

H. B.'s Schlußbemerkung zu den Anmerkungen (Anm.-Band S. 80)

Diese Anmerkungen verdanken mehreres einer (der größeren Öffentlichkeit bisher nicht zuzgänglichen) Universitäts-Absolutoriums-Schrift (Dissertationsschrift) der buddhistischen Ryūkoku Universität Kyoto, in welche Schrift Einsicht zu nehmen mir von der Universität freundlichst gewährt wurde. Dafür sei der Universität an dieser Stelle besonderer Dank gesagt. – Auch vieles in der darstellend behauptenden Art der Einleitung wäre nicht so geschrieben worden, ohne das zugrundeliegende Material solcher Schrift. [Seki Hōzen; Nihon Ryōiki no Kenkyū, shū to shite sono shūjihō ni tsuite; Shōwa 3 (1928)]
Die Leitung der Ōsaka Tōyōgakkai hat unterdes Prof. Hayama übernommen . Für das Interesse, das auch er am Zustandekommen dieser Arbeit bewies, sei ihm hier besonderer Dank gesagt. –
Was die Lesung „Ryōiki“ bezw. Reiiki betrifft, so bin ich dem bekannten Historiker Uozumi Sōgoro für seinen Rat zu Dank verpflichtet. Streng geschichtlich, sagt er, ist, so denke ich, trotz all dessen, was man sonst vorbringt, weder die eine Lesart noch die andre zu beweisen. Es entscheidet bei uns Japaneren stark ein Wohllaut-Moment, und dieses spricht für die erste Lesart. Sie ist, darum wohl, viel weiter verbreitet und darf wohl als die „lebendige“ angesprochen werden; der Paralellfall ist die Lesung Manyoshū, welche streng theoretische genommen, ebensoweing „richtig“ ist; auch hier wirkt das Wohllautelement ein.

Was die Mängel dieser meiner Arbeit betrifft, so mag man darüber Kyōkai's Vorrede nachlesen. Manchem wird die Arbeit zu weitgehend sein, wiewohl bei uns in romanischer oder gar antiker Literatur das Hundertfache dieser Art üblich ist. Japan ist noch so fern. Viel mehr zu scheuen wären die Kritiker, denen noch zu wenig gegeben ist. Von japanischer Seite – und sie ist die uns leichtest zugängliche – wird das chinesische Material oft stark vernachlässigt, und so ist es vielfach auch für uns noch nicht aufgefunden. In Wiedergabe der Namen, die ich erst rein japanisch gab, wurde ich gebeten zu übersetzen; oft ist das unmöglich, immer gab ich die Zeichen dazu. Ein Buch wie Wedemeyer's Japanische Frühgeschichte zeigt auch dem Außenstehenden, wie wichtig es ist, die Zeichen zur Hand zu bekommen. Die Aussprachebezeichnung wählt eine mittlere Linie im Sinne Sansom's (Historical Grammar of Japanese); alte Schreibweise ist möglichst beibehalten;3 doch stark eingebürgerte Namen wie Fujiwara sind in jetziger Form belassen.

Tatsuda-kawa
Tatsuda-kawa (Yamato)

Es lag ursprünglich fern, ein schweres, gelehrtes Werk zu schaffen. Diese Legenden kamen mir zur Hand beim Wandern durch die Nara-Gegend. Sie waren mir ein Begleitbuch, ein Buch, in dem ich abends las, wenn ich zurückkam. In diesem Sinne sind sie hier weitergegeben. Sie entsprechen vielleicht in manchem nicht den Erwartungen; dann sind wahrscheinlich die Erwartungen im Unrecht. Die Legenden sind es kaum: sie sind Nara-Zeit; sie gehören eng zu dieser Nara-Gegend, der Zentralgegend Japans, die in ihren Hauptpunkten immer mehr weltbekannt wird, aber intim nur dem japanischen Volke selbst bekannt ist oder einzelnen Männern wie Chamberlain, der sie zu Pferd, zu Fuß, in der Sänfte, in der Rickscha durchzog und sie im unberührten, sozusagen in mittelalterlichem Zustande kannte, oder dem britischen Gesandten und Buddhismuskenner Elliot, der sich im Alter gern in ihre Stille und Fülle zurückzog. Der moderne Mensch jagt durch die Gegend; aber die Dinge erschließen sich nicht rasch. Er will „es“ gesehen haben. Man erlebt und sieht aber oft am meisten, wo man am wenigsten es will. Er macht seine Anforderungen; aber die Dinge entsprechen ihm nicht; sie sind gerade dort ihr Eigen, wo sie es nicht tun. Wie will man auch jemand das „alte Dorf“, wie man japanisch die Heimat (furusato) nennt, zeigen?! Gerade das, was der andre zuallerst tadelt, das Armselige, Geringe ist oft das Schönste, das Eigentliche an ihr. Und nicht nur im Äußeren! Wie still ist Yamato! Wie einfach und anspruchslos ist es in der Nara-Gegend! Dort das alte Bauernhaus, das noch jener Zeit entstammt, sagt genug. Dort die Tempelhalle ist alter Palast jener Zeit. Wie auf den alten Bilderrollen, so ist es auch hier: die Holzleserinnen hier wie dort; Azaleen am Wege blühen wie einst und Enziane in Scharen im Herbst; die goldnen Reiswogen füllen die Ebene; Kaisergrab-Waldhügel wölben sich hervor; wie die Schirmkrone eines großen Baumes lagert dort das breite Tempeldach überm Feld; Pagoden heben sich hoch mit ihren schwingenartigen Dächern; in das sonnige Licht aufwärts hebt sich, Element um Element, Ring um Ring, ihre türmende Spitze. Eine Glocke mit dem Stoßbalken angeschlagen schickt ihren schütternden schwermütigen Klang über die Weite. Es ist so schön, mit den Leuten zu sprechen. Man hat noch Zeit. Man ist Jahrtausend alt und ist so kindlich, so jung. Man liebt es voll „Li“. Man geht weit mit uns, den Weg zu zeigen, man ist das dem Ortsfremden schuldig. Wir haben eingekauft und einen Kupfer zu viel bezahlt, die Alte kommt uns weit nachgelaufen, ihn uns zu bringen. Jemand hat seinen Garten geöffnet, die Bäume darin blühen, alle sollen sich daran freuen. So lebt man Kung und Meng und Buddha, oft, ohne es zu wissen. Ihr Einfluß ist Überall.

Bauernhaus
Bauernhaus im Gebirge (seine 11 Bewohner im Vordergrund; Meiji-Ära)

Ein starkgliedriger, bäuerlicher, junger Mann sitzt dort unter den blühenden Bäumen. Er liest ein Buch: „Von Lao zu Dschüang.“ Wir gehen weiter; der Abt im Tempel lädt uns ein; das Gespräch kommt auf das Lukasevangelium, auf Shōtoku Taishi und dessen wunderbare Geburt. Wir, gehen durch Mönchsquartiere; wie bescheiden, ist es da! Wie still ist es! Das begriffsschwere Yuima-kyō liegt da; dort ist das Sutrā des überirdischen Wissens. Der Holzfisch ertönt. Was wird hier studiert, erlebt?! Der Fleiß, der gewaltsam stürmende der Nara-Zeit, kommt einem zu Sinn. Wir gehen. Eine Blinde kommt, vom Töchterchen geführt. Sie singen, beten. Wir denken an die Geschichte des Ryō-i-ki, da die Blinde, im Leide das Göttliche lobpreisend, Barmherzigkeit findet. Kinder singen einen Reim. Werkleute schaffen dort, rhythmisch dazu rufend. Vor Jimmu's Grab kniet ein steinalter, vielleicht hundertjähriger Bauer mit seiner ebenso alten Frau. Sie neigen sich und beten, lange, schier unerschöpflich, indes die weiche Nacht hereinsinkt. Ein Reiher steigt aus den alten Bäumen mit seltsamem Schrei auf in die hohe Luft.

Leicht und anspruchslos reiht sich so dem Wandernden Erlebnis an Erlebnis, und in solcher Weise möge das Legendenbuch dem Lesenden ein Lebendiges werden.

HERMANN BOHNER


Anmerkungsband S. 92 (Verzeichnis der „bisherigen Schriften,“ S. 93, nicht aufgeführt.)

Ōsaka Tōyōgakkai

Die Ōsaka Tōyōgakkai (Osaka Ostasiatische Gesellschaft) ist eine wissenschaftliche Gesellschaft, die sich in ihren Veröffentlichungen vorwiegend an japanische, bezw., japanisch verstehende Leser wendet. Jedoch sind als Sprachen möglicher Veröffentlichungen auch die europäischen Hauptsprachen vorgesehen; so sind No. 6 und 8 der Veröffentlichungen deutsch; die japanischgeschriebenen werden vielfach für den Kenner des Chinesischen wertvoll sein, zumal sie des öfteren Umschrift in lateinischen Buchstaben geben. Studium der Länder und Völker des Ostens in sprachlicher, kultureller, religiöser, philosophischer, erd- und volkskundlicher Hinsicht, sowie Förderung solcher Studien ist Zweck und Ziel der gesellschaft. Sie erhebt bislang noch keine Mitgliedsbeiträge, sondern sucht Unkosten durch Stiftungen und freiwillige Beiträge zu decken. Die Gesellschaft entstand im Zusammenhang mit dem 1922 gegründteten Kaiserlichen Seminar für fremde Sprachen (Ōsaka Gaikoku-go-gakkō; Abteilungen: Chinesisch, Mongolisch, Malaiisch, Indisch, Russisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch). Der erste Direktor, Prof. Nakanome Akira4, war ihr erster Präsident, sein Nachfolger, Direktor Hayama ist ihr jetziger Präsident. Prof. Nevsky5 (jetzt Leningrad), einer der hervorragendsten Kenner des Japanischen war lange Zeit ihr Sekretär.

Anmerkungen:
1) Itahashi Tomoyuki: "Shomei wa hyōshi, okutsuki, se ni yoru. Koko ni Reiiki wakai no teihon to shite mochiita mono wa Kariya Ekisai no kōhon (Gunsho ruijūbon) de aru." Es existieren vier Manuskripte des NR, jedoch ist keines vollständig. 1) Das älteste und genaueste Kofukuji-Ms. des ersten Faszikel datiert von 904. Es wurde erstmals photostatisch reproduziert 1934 herausgegeben, kann Bohner also in dieser Form nicht vorgelegen haben. 2) Das Shimpukuchi-Ms. (眞福時) des zweiten und dritten Faszikel, datiert aus der Kamakura-Zeit und ist weniger korrumpiert als die folgenden. 3) Das Maeda-Ms. des dritten Faszikel datiert 1236 und wurde 1883 entdeckt. Eine photostatische Ausgabe wurde 1931 gedruckt. Nur hier findet sich der erste (zehnzeilige) Abschnitt zum Vorwort des 3. Faszikel [um dessen Authentizität ein reger Gelehrtenstreit ausgebrochen ist, den Bohner schon ansatzweise erwähnt]. 4) Das Koyā-Ms. [auch: Sanmaiin-Ms.], datiert von 1214. Zwar enthielt es alle 3 Faszikel, ist jedoch unvollständig (das Original ist ca 1930/40 verlorengegangen). Gewisse Abweichungen kann Bohner, der wohl auf der Basis des Gunsho ruijū (zusammengestellt auf Basis von Kariya Ekisai's Bearbeitung im 18. Jhdt., gegründet auf Manuskripten 2 und 4) gearbeitet hat nicht berücksichtigt haben. Ansatzweise wird dies im terminus ad quem angesprochen. Diese Problematik wird auch bei Nakamura in deren Einleitung kurz angesprochen. []
2) gemeint ist hier wohl: Haga Yaichi (芳賀矢一; 1867-1927); Kōshō Konjaku-monogatarishū [攷證今昔物語集]; Tōkyō 1913, 14, 21; 3 Vol.; reprint Tōkyō 1976 (冨山房) []
3) Wie bereits in der Vorbemerkung erwähnt, konnten einige klassische Zeichen (besonders bei der Schreibung von Namen) nicht wiedergegeben werden. Stattdessen mußten vereinfachte Kanji gesetzt werden. []
4) Zur Person in: Van Bremen, Jan [Hrsg.]; Anthropology and colonialism in Asia and Oceania; Richmond 1999 (Curzon), ISBN 0-7007-0604-6 []
5) Nikolai Aleksandrovič Nevsky. Vgl.: Katō Kyūzo (加藤九祚); ニコライ・ネフスキーの生涯 [Life of Nikolai NEVSKY and his Contribution to Japanese Ethnology]; in: Japanese journal of ethnology (民族學研究) Vol.31, No.3 (1966) S 232-239. []

►  Bio-Bibliographie Hermann Bohners (1884-1963)
►  Sōtei Akaji: „Zen-Worte im Tee-Raume“

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