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Blicke, die nicht richten
Die Filme von Romuald Karmakar

COUP DE BOULE beginnt mit einer Nachtübung der französischen Armee. Schemen robben durchs Dunkel, halblaut gebrüllte Befehle betonen die martialische Atmosphäre. Der erste Augenblick verwandelt eine Wahrnehmung in ein Klischee: Nun spielen sie wieder Krieg, das ist die Assoziation, die sich beim Betrachten der Szene unwillkürlich einstellt. Aber wer sind diese Schatten, denen Romuald Karmakar 1987 einen 25-minütigen Dokumentarfilm gewidmet hat? Die Antwort verwandelt ein Klischee in eine Wahrnehmung; Sie sind Einzelne, die beim Militär eine seltsame Form der Zusammengehörigkeit exerzieren.

Romuald Karmakar, Jahrgang 1965, ist als Sohn einer französischen Mutter und eines indischen Vaters 1987 zum französischen Wehrdienst eingezogen worden. Der Bataillonsphotograph, der eigentlich den Ereignissen des Kasernenhoflebens ein "besonderes Gewicht geben" soll, holt stattdessen seine Kameraden vor die Super-Acht-Kamera, die er am Ende eines Urlaubs eingeschmuggelt hat. Er filmt ein Phänomen, das in Frankreich verbreiteter ist als in Deutschland: "Coup de boule", das Austeilen von Kopfnüssen. Aber die jungen Soldaten, die er vor die Kamera und ins Rampenlicht bittet, als gälte es, sich auf einer Probebühne als Schauspielnachwuchs zu bewähren, treten nicht gegeneinander an. Sobald sie ihren Namen, Alter und Dienstgrad genannt haben, rennen sie mit dem Kopf gegen einen Spind: "Zum Spaß, für alle Kameraden". Die Vorstellung individueller Lebensläufe scheint bei diesem kollektiven Wettlauf um Anerkennung auf der Strecke zu bleiben. Doch die Jungen, die ihre Beulen wie Auszeichnungen tragen, lächeln, wenn sie gegen den Spind krachen. Von der eingedellten Tür lösen sich Zettel, die mit Reißnägeln angepinnt waren. Der Realität des Aufpralls bleibt es überlassen, die Lust an der Deformation, die befremdliche Wucht dieser Selbstdarstellung zu kommentieren. Auch das nervenaufreibende Quietschen, das den Film überkommt, wenn die Jungs ihre eisernen Bettgestelle stemmen, ist so ein Kommentar. Von den Kasernierten erfährt man nichts über den Zweck ihrer außerdienstlichen Übungen. "Fuck you", sagen sie, wenn sie stemmend und rammend auf ihre Art ihren Kopf durchsetzen, aber man weiß nicht so recht, wen sie meinen: den Spind, das Bett, das Leben, die Kamera, sich selber, den Vorgesetzten. Am Ende verschwinden die Armeeangehörigen, denen Karmakar für 25 Minuten ein Gesicht, ein An-Sehen gegeben hat, wieder in der Anonymität des Truppenalltags. Im Dunkeln, das Klischees gebiert. Karmakars Beobachtungen, die weder von Erkentnissen noch von Bekenntnissen auf den einen Begriff gebracht werden, der ein gebräuchliches Urteil über Personen und Handlungsweisen ermöglicht, haben linken wie rechten Betrachtern gleichmermaßen Kopfschmerzen bereitet. 14 Tage Bau, drei Monate auf Bewährung, hat die französische Armee ihrem unautorisierten Dokumentaristen als Disziplinarstrafe zugedacht. "Alle Leute, die in dem Film mitgemacht haben", so der in München lebende Filmemacher in einem Interview mit Rolf Aurich (in filmwärts No 17), "mussten unterschreiben, dass ich ihnen kein Geld gegeben habe". Die Beteiligten wurden des Drogenmissbrauchs beschuldigt. Offiziere, die den Film nie sahen, erkannten in Karmakar einen "irgendwie linken, subversiven Typen". Dieses "irgendwie", hilfloser Ausdruck des Unfassbaren, ist an Karmakar haftengeblieben. Auf der Berlinale 1988, die COUP DE BOULE präsentierte, wurde der unorthodoxe, autodidaktische Filmemacher von einem eher links orientierten Publikum "irgendwie" der Verklärung faschistoider Rituale und Zurichtungsmechanismen verdächtigt.

Die Absurdität dieses Vorwurfs hätte bereits Karmakars erster Film entkräften können. EINE FREUNDSCHAFT IN DEUTSCHLAND, 1985 mit minimaler Finanzierung als Spiel unter Freunden entstanden, versucht sich mit anarchistischer Verve an einem fiktiven Dokument von Hitlers Münchener Studienjahren. Karmakar selbst hat in EINE FREUNDSCHAFT IN DEUTSCHLAND die Rolle eines humorlosen und verklemmten Junghitlers übernommen, dem erst ein Faschingsball Aufschluss über die Wirkung seiner späteren Uniform verschafft. Der Hitlergruß verdankt sich in dieser maliziösen Auslegung, die sich auf Recherche und Phantasie gleichermaßen großzügig einlässt, dem steifen Winken, mit dem ein österreichischer Spießbürger karnevalistischen Frohsinn übt. Von Verharmlosung, auch dies ein Vorwurf, der Karmakars Filme mit Regelmäßigkeit trifft, kann dennoch keine Rede sein. Karmakars Hitler ist schon in jungen Jahren ein narzisstischer Triebtäter, der die begehrte Cousine in den Tod treibt, sich über ihrem Selbstmord aber keineswegs von seinen Putschvorbereitungen ablenken lässt.

"Alles Dokumentarische ist real, alles Fiktive nicht unbedingt falsch", hat Karmakar seinem siebzigminütigen Hitlerflm vorangestellt. So selten der Regisseur sich im Film erklärt, seine (Selbst-)Versicherungen halten vor wie eiserne Reserven. Nicht nur EINE FREUNDSCHAFT IN DEUTSCHLAND, sondern auch COUP DE BOULE folgt diesem Vorsatz, der die Grenzen zwischen Spiel- und Dokumentarfilm zu bedenken gibt. Eine Realität, die erst für die Kamera in Erscheinung tritt, gibt seinen Kurzfilmen den Anschein der Inszenierung, das Gepräge von Minidramen. Dabei ist es vor allem Karmakars Themenwahl, die eine spontane Annäherung an die "ungeformte Realität" vereitelt. Karmakars Interesse gilt Menschen, die vielerlei Gründe haben, nicht in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen. Seien es nun die französischen Betreiber von Hahnenkämpfen, die 1988 für GALLODROME ausnahmsweise eine Drehgenehmigung erteilten, seien es die Pitbullhalter vom Hamburger Kiez, die Karmakar 1989 für seinen Film HUNDE AUS SAMT UND STAHL die Haustüren öffneten: Zunächst wird in den Filmen immer der Blickwinkel sichtbar, in dem eine sonst eher unzugängliche Gruppe von Außenseitern sich dargestellt und gesehen wissen will. Karmakars außergewöhnliche Begabung, Fragen zu stellen, die nicht denunzieren, Blicke zu riskieren, die nicht richten, Unverständnis zu formulieren, nicht aber das ungläubige Staunen des Bildungsbürgers, erweitert den anfänglich gewährten Spielraum. Während SPIEGEL und STERN, RTL plus und die TAGESTHEMEN 1989, in einem Jahr, das die häufigsten und furchtbarsten Pitbull-Angriffe zu verzeichnen hatte, Bisswunden zeigen und ein Verbot der Kampfhunde diskutieren, lässt sich Romuald Karmakar auf Gespräche über Eleganz und Edelmut der vierbeinigen Kampfmaschinen ein. Dass seine Interviewpartner, bis auf eine Ausnahme, aus der Zuhälterszene kommen oder Ex-Legionäre sind, bestätigt naheliegende Vermutungen über Training und Einsatz der Hunde. Das Fernsehen gibt sich mit solchen Fakten gern zufrieden. Karmakar akzeptiert sie und erfährt mehr. Was sich ein Fernsehredakteur beim Thema Kiez-Szene vorstellt, hat sich Karmakar gefragt - und die Antwort gleich mitgeliefert: "Einen Typen, der fährt in seinem Mercedes die Reeperbahn runter, steigt dann irgendwo aus im Halteverbot, auf der Rückbank des Autos sitzen ein, zwei Pitbulls, mit denen er zu einer Frau geht und die am besten noch zusammenschlägt".

HUNDE AUS SAMT UND STAHL verhehlt nicht die Unberechenbarkeit der Porträtierten, dazu ist ihre Selbstdarstellung zu präzise. Aber er fördert etwas zu Tage, das das Klischee geflissentlich unterschlägt: die Selbstverständlichkeit, mit der sich ein Milieu als menschlich, als "normal" behauptet, das sich - seinem Ruf zufolge - eigentlich außerhalb aller zivilisatorischer Übereinkünfte begreifen müsste. Stattdessen entdeckt der Film eine Gemütslage, die den Pitbull-Liebhaber nur graduell vom fanatischen Normalhundbesitzer unterscheidet. Eine urdeutsche Hundeliebe glättet die mißtrauischen Gesichtszüge der Kiez-Kenner, wenn sie von ihren Pitbulls schwärmen. Ein Hund wie ein Freund, ein Hund wie ein Vaterland, ein Hund wie die Familie. Die Treueschwüre, die Lobeshymnen, die Liebeserklärungen an den todbringenden Wächter, sie entspringen einer Sentimentalisierung der Gewalt, die alles andere als unbürgerlich - und alles andere als undeutsch ist. Typen, denen man nicht im hellsten Sonnenschein begegnen möchte, kuscheln sich mit sabbernden Viechern auf Plüschsofas und beteuern Verständnis für einen Pitbull, der Sonntagsmorgens ins Ehebett drängt: "Wie ein Kind", sagen sie, "es sind Menschen". Empörung könnte das Klima, in dem solche Sätze wachsen wie harmlos aussehende Giftpilze, nie hervorbringen. Fragt Karmakar nicht nach, so hat er gute Gründe. Dann muss der Zuschauer eben nachhören. "Für mich", sagt der Filmemacher mit der schwierigen Klientel, "ist eben genau das "Halbe" interessant - die Leute lügen ja auch manchmal in die Kamera. Und in dieser Lüge steckt für mich mehr Ehrlichkeit als in der Wahrheit, die sie anderen anbieten".

Erkenntnis, die sich in einem Zwischenreich konstituiert, zwischen den Positionen, die man einnehmen kann, ohne das Gegenüber an die Kamera, ohne sich selbst an die Gleichgültigkeit zu verraten, muss die Zusammenarbeit von Karmakar und Flatz ermöglicht haben. In der Welt der extremen Männerspiele und Männerphantasien, die der Regisseur neugierig und obsessiv durchstreift, nimmt sich DEMONTAGE IX, die Dokumentation einer Performance des österreichischen Aktionskünstlers Flatz, denn auch eher als Zwischenspiel aus. Nicht, dass DEMONTAGE IX thematisch aus dem Rahmen fiele: Wiederum geht es um eine ausgesprochen männliche Vorliebe für das Opfer und die Gewalt, für Leiden und Selbstüberwindung, den Exhibitionismus des Körpers, die Introvertiertheit der Sprache und des Gefühls. Aber die Bearbeitung des fremden Materials hat Karmakar eine ästhetische Strategie abverlangt, die seine Arbeiten bis dahin nicht hatten, nicht haben konnten, nicht wollten.

DEMONTAGE IX dokumentiert eine Performance, die ans Selbstmörderische grenzt. Zwischen zwei Metallplatten baumelt kopfüber ein Körper. Ein "Glöckner" setzt den Körper am Seil in Bewegung, bis er mit den stählernen Wänden kollidiert. 11 Minuten lang bringt das Pendel die "Stahlglocke" zum Tönen. Solange hält sich die Kamera auf Distanz. Es bleibt ungewiss, ob es sich um einen Menschen oder um eine Puppe handelt. Der Blick des Betrachters, der sich kein Bild vom Ausmaß seines Unbehagens machen kann, ist ungeschützt wie selten im Kino. Vor der Konstruktion aus Fleisch und Stahl nimmt ein Paar Haltung an. Acht Minuten lang tanzen die beiden iranischen Europameister Walzer.

Der Walzer als kleinbürgerliche Einstimmung aufs faschistoide "Wunschkonzert" hat in der deutschen Filmgeschichte einen Ton angegeben, der bis heute nachklingt. Die Sentimentalität, die sich beim Walzer in Gang setzt und während des Nationalsozialismus über Leichen hinwegging, ist so offensichtlich, dass sie als Kontrastmittel eigentlich nicht mehr taugt. Aber die Performance zielt auf die Überdehnung der sentimentalen Bewegung. In der Wiederholung der Tanzschritte zeigt sich die nackte Anstrengung. Der hartleibige Ritus der Gewalt und_ das Ritual der leichtfüßigen Beschönigung zehren gleichermaßen an den Körpern, das ist der eigentliche Affront. Ein dritter Abschnitt, der über das Abfilmen der Performance radikal hinausgeht, setzt das Auspendeln des Körpers mit der Musik in Verbindung. Die Musik macht den Anblick erträglich: Es sind diese präzis inszenierten Momente der (Selbst-)Manipulation, denen mit Empörung wiederum nicht beizukommen ist. Nicht der Film ist ein Skandal, sondern die Leichtigkeit, mit der sich Wahrnehmung und Wertigkeiten beeinträchtigen lassen. Nach zwanzig Minuten wird der Körper eines jungen Mannes vom Seil genommen. Dass in der Debatte um den Film allzu selbstverständlich von einer "Kreuzabnahme" die Rede war, bezeugt nur, in welchem Maße das Augenmerk auf die sinnstiftenden Codices der Kunst, der Geschichte, der Kunstgeschichte fixiert ist. Der Mythos der Gewalt und der Gewalttätigkeit sind Grundmuster der Performance, so wie Karmakars Kamera letztlich zur Entmythisierung des Geschehens beiträgt. Der Moment der Erlösung wird in der Wiederholung profanisiert. Zweimal (und aus unterschiedlichen Kameradistanzen) zeigt Karmakar, wie der Körper vom Seil genommen wird.

Moralischen oder existenzialistischen Deutungen macht der Film keinen Mut. DEMONTAGE IX liefert kein Argument gegen Gewalt und Folter. Nicht, weil Karmakar indifferent wäre. Seine Neugierde gilt dem, was sich noch (auf-) zeigen lässt, nicht der Gewissheit, sondern der Unstimmigkeit.

Ungewöhnlich früh, zumal für einen jungen deutschen Filmemacher, wurde Karmakars Filmschaffen in München 1989 retrospektiv gezeigt; 1990 folgte eine Retrospektive des Saarbrückener Max-Ophüls-Festivals. 1992 wurde DEMONTAGE IX auf den Oberhausener Kurzfilmtagen ausgezeichnet. Alexander Kluge hat Karmakar schon seit geraumer Zeit entdeckt, nicht als Nachwuchs, sondern als Kollegen. Die Filmkritik hat sich mittlerweile überrregional Gedanken darüber gemacht, warum der deutsche Film zutode gefördert wurde, während einer wie Karmakar seine Filme allein finanzieren musste.

WARHEADS, ein Film über Söldner, Legionäre und Ex-Legionäre, hätte etlichen Fördergremien Gelegenheit zur Wiedergutmachung gegeben. Gefördert wurde der Film aus dem Jahr 1992 letztlich vom Kuratorium junger deutscher Film, von der Berliner Filmförderung und dem Hamburger Filmbüro - allerdings erst nach diversen Absagen. Gänzlich zurückgenommen hat sich das Filmbüro-Nordrhein Westfalen, dessen Argumentation die Annahme bestätigt, dass es angebracht sein könnte, Film(fach)leute in Fördergremien zu berufen. Nur eine Wahrnehmung, die nicht dem Film, sondern wer weiß wessen politischen und moralischen Überzeugungen Referenzen erweist, konnte ein derart missliches Urteil hervorbringen. Das Gremium, ließ Nordrhein-Westfalens Filmbüro wissen, "fördere keine militaristischen Filme". Dieser Meinung schloss sich die Filmbewertungsstelle an, die dem Film kein Prädikat zuerkennen mochte, ihm dafür aber eine Beschreibung mit auf den Weg gab, die die Einrichtung von Deutschkursen für FBW-Protokollanten nahelegt: "In quälender Länge", so der Bewertungsauschuss über den dreistündigen Film, "ziehen Bilder über die Leinwand, die teilweise wie unbearbeitetes Rohmaterial von Amateurfilmern wirken. Die Unverbindlichkeit der Aussage bleibt im Affirmativen stecken und wird noch durch die Anbieterei in devoter Haltung gegenüber den Interviewpartnern verstärkt. Der Filmemacher setzt sich leider nicht in analytischer Form mit den eingeführten Personen oder möglichen Themen des Films auseinander. Vielmehr weist die additive Häufung aller möglichen Aspekte auf eine mangelnde Dramaturgie und ein extrem oberflächliches und erschreckend naives persönliches Interesse am Söldnertum hin". Fehler sind Bestandteil dieses Gutachtens. Aber folgenreicher als Schreibfehler und Stilblüten es sein können, ist der Denkfehler, WARHEADS als Nachhut eines in der Tat kritikwürdigen Kriegs- und Söldnergenres auszumachen. Nicht, dass allein die dokumentarische Aufbereitung der Erinnerungen gewesener und aktiver Legionäre Karmakar vom Verdacht der beschönigenden Parteinahme befreite. Aber in der Geschichte des deutschen Dokumentarfilms haben sich eher jene Darbietungen der Propaganda schuldig gemacht, in denen ohne Unterlass Bilder kommentiert, montiert und gedeutet wurden, in denen dramaturgisch aus-, und zugerichtet wurde, was andere anrichteten. Karmakar ist diese Methode so fern, wie die moderne, bisweilen auch nur modische Form der Filmanalyse im Film, die die FBW einklagt. Stattdessen hat er sich abermals auf ein Milieu eingelassen, von dem in Spionagethrillern und Krimis eher spekulativ die Rede ist, von dem kaum jemand weiß, und nur selten jemand es genauer wissen will.

Eine Anzeige in der Münchener Abendzeitung ("Ex-Legionär für Filmprojekt in USA gesucht") hat Karmakar in Kontakt mit Günther Aschenbrenner gebracht. WARHEADS, Teil I, widmet sich überwiegend der Befragung und Selbstdarstellung des gebürtigen Deutschen, der zwischen 1958 und 1978 unter anderem als Fallschirmspringer in Algerien, Straßenbauer in Französisch-Guayana und Teilnehmer an 17 überseeischen Atomversuchen der französischen Fremdenlegion gedient hat. Aschenbrenners Erinnerungen, die aus der Sicht eines ranghohen Ex-Legionärs der Legion fraglos nur Ruhm und Ehre zusprechen, konterkarieren die paramilitärische Weltsicht auf eine Weise, die dem Erzähler selbst nicht bewusst ist. Dem Umfeld seiner eigenen Familie, so Aschenbrenner, sei er entflohen, "weil man überall daran erinnert wurde, dass man aus einer Nazifamilie kam". Die Fremdenlegion wird zur Ersatzfamilie des 1939 geborenen Deutschen: Nicht etwa, weil sie sich von den politischen Vorgaben der leiblichen Eltern unterscheidet, wohl aber, weil sie ihre faschistoiden Tendenzen unschlagbar zur (Truppen-)Moral stilisiert. Warum die Seele der Legion deutsch gewesen sei, will Karmakar wissen. Die Antwort legt eben jene Familienbande bloß, aus denen sich Aschenbrenner vorgeblich hatte lösen wollen. Trainingsstil, Märsche und Disziplin seien so deutsch gewesen wie die Kriegsgefangenen, die die Wahl zwischen Legion und fortgesetzter Gefangenschaft gehabt hätten: "Abends im Foyer", so Aschenbrenner unbekümmert, "sang man auch Nazilieder". Karmakars Interesse an den Reaktionen der französischen Offiziere, die immerhin das Dritte Reich bekämpft hatten, indignieren Aschenbrenner in einem Maße, das filmintern keinerlei Analyse bedarf: "Offziere", so der Befragte, "sind Persönlichkeiten, die nach zwei Jahren wechseln". Was bleibt, ist die Truppe.

Es ist diese Form der selbstredenden Enthüllung, die WARHEADS zu einem erstaunlichen Film macht. Seit HALF LIFE von Dennis O'Rourke, der 1985 Zeugen für die von Amerika maßstabsgerecht vorbereiteten Atomkatastrophen auf den Bikini-Atollen zum Plaudern brachte, hat sich militärisches Selbstverständnis kaum je mehr derart ungeniert vor laufender Kamera präsentiert. Nicht, dass Karmakars Gewährsmann Kriegsgeheimnisse verriete. Aber Aufbau und Drill der Legion, die Führung "hauseigener" Bordelle, die es der Legion als Zuhälter ermöglicht, den kargen Sold ihrer Bediensteten auf Umwegen wieder einzukassieren, sowie die Systematik einer Frauenfeindlichkeit, die aus den Regeln und Vorsichtsmaßnahmen für den Fall einer der eher seltenen Eheschließungen spricht, geben sich in Aschenbrenners noch erzähltaktisch militarisierter Weltenordnung alles andere als "unverbindlich".

Aus den Filmausschnitten, die in einem paramilitärischen Trainingscamp in Mississippi zustandegekommen sind, lässt sich dagegen ablesen, was Betrachter, die Gesehenes von Gehörtem nicht trennen, dazu verleiten mag, von der Affirmation des Films für sein Thema zu sprechen. In dem Camp findet die Verständigung über das Nötigste - "so entsichert man diese Waffe, so legt sie los" - auf englisch statt, man hört deutsche und französische Laute: "Die Seele der Legion ist überall". Ein Ausbilder übt mit den Männern, die sich ob ihrer Tarnkappen und dem Dreck zum Verwechseln ähnlich sehen, das Kapern von Wagen in Feindesland oder Anschleichen unter verschärften Bedingungen. Als es gilt, sich drei Minuten lang einem Reizgas auszusetzen, nimmt der Ausbilder den Kameramann zur Kenntnis - und ins Visier: "Das stinkt so", sagt der Mann zufrieden, "dass ihr noch was davon abkriegt".

Wer etwas mitkriegen will von den extremen Willenskundgebungen dieser verzerrten Gesichter, diesen verzerrten Perspektiven und Persönlichkeiten, muss "etwas davon abkriegen", das ist die Regel, der Karmakars Team unterliegt. Sie verlangt nicht nach Anteilnahme, aber nach Teilnahme. Kriegsbeobachtern gleich haben die fremden Zuschauer, die tödlichen Handgriffen auf die Finger gucken, der Mimesis Tribut zu zollen. Die Übung, das macht das humorlose, der Ausnahme, der Abweichung nicht gewachsene Ritual sichtbar, ist der Ernstfall.

In dem Gespräch mit Rolf Aurich hat Karmakar sich zu Recht schon vor Beginn des Projekts Gedanken über die schauspielerischen Fähigkeiten seiner Mitarbeiter gemacht: "Du bist da zwei Wochen, schläfst im Freien, musst im Grunde einen Kampfanzug tragen, bist auf Patrouille. Es muss also jemand sein, der sich in dieser Szene, die politisch natürlich eine ganz bestimmte Färbung hat, bewegen kann, der nicht anfängt, mit dir politische Diskussionen zu führen. Ich kann keine Tunte mitnehmen. Oder jemand, der einen Zopf hat oder einen Vollbart, oder jemand, der aussieht wie Ho Tschi Minh. Da wird es halt knapper mit den Kameraleuten."

Für die Zeit, in der das Team sich im Lager aufhält, muss sich die Kamera wie ein Legionär, wie ein Söldner bewegen - wenn sie denn etwas sehen will. So sind die Kriechübungen der Truppe nicht aus der Draufsicht, sondern im Kriechen gefilmt. Dass sich Karmaka dabei nicht anpasst, sondern den vorgeschriebenen Bewegungsablauf zur Reflexion filmischer Vorgehensweisen nutzt, zeigt sich anhand einer Schießübung. Während die Studenten genannten Teilnehmer der "Survival School" hintereinander ein Ziel aufs Korn nehmen, hält auch die Kamera an einer Schussposition fest. Die Wiederholung, die kein Spielfilm besser in Szene setzen könnte, um das Resultat eines shots zu optimieren, wird zum irritierenden Bestandteil der Dokumentation. Je unnachgiebiger und "standfester" Karmakar das Ritual der Wiederholung festhält, die Kampfschreie, die exakt jene Drehung der Hand beantworten, die Tritte, die akkurat jene Stimmlage treffen müssen, desto unwirklicher wird die Perfektion der Observierten: Man muss sich - und das ist Ziel dieser Art Übung - in Erinnerung rufen, dass es sich nicht um fleißige Bruce-Lee-Imitatoren handelt, sondern um Spezialisten, die sich weltweit zur Erledigung jeder nur denkbaren, politischen Dreckarbeit andienen.

Wie weit dabei Tat und Selbstdarstellung auseinanderklaffen, lässt sich besonders schön nachvollziehen, wenn Günther Aschenbrenner im zweiten Teil des Films von seiner Altersvorsorge spricht. Auch ein Job als Sicherheitschef der deutschen Firm Ortrag, die Atommüll experimenthalber einfach ins All schießt, war für den Ex-Legionär kein Problem. Seit 1989 ist der Mann mit dem symbolträchtigen Namen in Afrika beschäftigt.

Einen nachdenklicheren Gesprächspartner, der Aberwitz und Irrsinn seiner geliehenen (Kriegs-)Positionen erstaunlich luzide aufzudröseln versteht, hat Karmakar in dem englischen Söldner Karl gefunden. 1950 in Liverpool geboren, hat sich der ehemalige Seemann seit 15 Jahren auf das Dasein als Söldner verlegt. 1991 sucht ihn Karmaka in Kroatien auf. In Gospic, vier Kilometer von der Front entfernt, filmt er nicht Leichen, sondern Einschusslöcher in Häuserwänden, das unendlich langsame Vorwärtskommen der örtlichen Feuerwehr, die bläuliche Kälte einer Welt, in der der Mord an Tausenden von Menschen zu einer unwirklich wirkenden Handlung gerät. Auf einem ehemaligen Aussichtspunkt installiert Karl Raketen, setzt ihnen "Warheads" auf, Sprengköpfe, die wie silbrige Karnevalskappen aussehen. Die Bastelei an den Raketen erinnert an die Handhabung eines Sylvesterfeuerwerks. Eine schwarze Rauchspur, die Risse in das Porzellan des Himmels sprengt, begleitet die Detonation; weit entfernt von den Initiatoren und den Beobachtern des kriegerischen Akts ist ein Einschlag zu hören. Die Abstraktion dieses Vernichtungsschlags hat etwas vom Grauen eines Trick-Films, der als Dokumentation endet.

Im Februar 1992 kehrt Karl nach England zurück. Karmakar nimmt sein Interview wieder auf. Mag sein, dass die "Warheads", die Kahlköpfe der Legion, Wirrköpfe sind, Karl ist es nicht. Der Mann hat einen Realitätssinn, der das gesungene Kameradschaftsbrimborium der Legion, ihre faschistoiden Kleider- und Fickvorschriften, ihre Lust an der Unterwerfung und dem Unterwerfen einer Ineffektivität zeigt, die sich im Krieg nicht rechnet: Mit welchem Hut auf dem Kopf er töte, das sei ihm so gleich wie das Ideal, in dessen Auftrag rund um den Söldner gestorben und getötet wird. Was Karl sich eingesteht, das macht ihn für die betrügerischen Selbstbetrüger der salbungsvollen Legion zum Immoralisten. Zwar töten auch Legionäre, ohne nach Auftraggebern zu fragen, aber die höhere Daseinsform als Mitglied einer nationalistischen Elitetruppe scheint die Mittel zu heiligen. Karl macht sich auch weniger Illusionen über die Moral der Weltöffentlichkeit. Die Brigaden der UNO erscheinen dem professionellen Skeptiker naiv: "Die haben noch nicht gekämpft. Sonst würden sie es nicht umsonst tun."

Zynismus als letzte Zuflucht? Karmakar hat sich für WARHEADS ein anderes Ende vorbehalten. In Gospic hat er eine junge Kroatin in Uniform getroffen, die aus München angereist ist, um Kroatiens Freiheit zu verteidigen. Über ihren Krieg hat sie genaue Vorstellungen: "Ich werde Serben töten". Auch wie der Frieden aussehen soll, weiß sie: "Serben, die sich dann noch nach Kroatien trauen, erschieße ich", sagt sie hasserfüllt. Wenig später sieht man das Mädchen zusammen mit anderen jungen Frauen bei einer Schießübung. Ein Ausbilder legt ihnen das Gewehr auf die Schultern, die Frauen kichern und lachen, ein Lachen für die Verlegenheit, ein Lachen für die Angst.



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