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Dokumentarfilm
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Ein Überblick über die Geschichte des Dokumentarfilms

Filmdokumente

Die Geschichte des Dokumentarfilms beginnt im strengen Sinn mit den ersten Filmen überhaupt, die die Gebrüder Lumière 1895 in Paris machten. Der überwiegende Teil der frühen Filmaufnahmen besteht aus Dokumenten alltäglicher Handlungen. Um diese aufzuzeichnen wurde die Kamera auf einem Stativ fest montiert und die Szene wurde in einer einzigen Einstellung abgedreht, bis die Filmrolle leer war. Diese Bilder verloren schnell den Reiz des neuen und schon 1896 wurden die Mittel des Schnitts, der Montage oder der Einstellungswechsel in ersten Spielfilmen entwickelt. Ab 1908 entstanden dann die ersten dedizierten Dokumentarfilme als Vorprogramm zum Unterhaltungsfilm. In dieser Zeit entstanden auch kunstlos gedrehte abendfüllende Nachrichtenfilme wie z.B. der Bericht über Scotts Südpolexpedition (H. Pontiges).

Der frühe russische Film und seine Auswirkungen

Der Film wurde in der Sowjetunion schon früh als Mittel zur Verbreitung von revolutionärem Gedankengut gefördert. So diente der Film während der Oktoberrevolution als Chronist und Propagandamittel. Erste künstlerische Ansätze bei Dokumentationen lassen sich bei russischen Filmen finden, die in der Zeit unmittelbar nach der Oktoberrevolution gedreht wurden. Um den Mangel an Filmmaterial zu kaschieren, waren die Chronisten gezwungen, mit aufwendigen Montagetechniken und schnellen Schnittfolgen die reinen Dokumentationen mit bewusst eingesetzten künstlerischen Mitteln aufzuwerten. Alle bisherigen Gesetze und Konstruktionsgewohnheiten des Films wurden bewusst verletzt. In den Jahren nach 1923 wurde erstmals eine Theorie dokumentarischer Filmpraxis durch Dsiga Wertows Manifest "Kinooki" ("Filmauge" oder "Kinoglas") formuliert: "Bis auf den heutigen Tag haben wir die Kamera vergewaltigt und sie gezwungen, die Arbeit unseres Auges zu kopieren. [...] Von heute an werden wir die Kamera befreien und werden sie in entgegengesetzter Richtung, weit entfernt vom Kopieren, arbeiten lassen. Alle Schwächen des menschlichen Auges an den Tag bringen! Wir treten ein für Kinoglas, das im Chaos der Bewegungen die Resultate für die eigene Bewegung aufspürt, wir treten ein für Kinoglas mit seiner Dimension von Zeit und Raum [...] Befreit von zeitlichen und räumlichen Eingrenzungen, stelle ich beliebige Punkte des Universums gegenüber, unabhängig davon, wo ich sie aufgenommen habe. Dies ist mein Weg zur Schaffung einer neuen Wahrnehmung der Welt." (1923) Hervorzuheben sind hier besonders die Filme "Ein Sechstel der Erde" (1926) und "Der Mann mit der Kamera" (1929).

Die Kamera erschließt die Welt

Etwa zeitgleich, aber dennoch unabhängig von dem Stil des russischen Dokumentarfilms verfilmte Robert Flaherty das Leben eines Eskimos "Nanook of the North" (1922), den er während zwei Jahren in der Arktis begleitete. In dem Film werden Naturereignisse wie Schneestürme, aber auch Landschaftsaufnahmen erstmals als dramaturgische Elemente eingesetzt. Dieser Flaherty gehört zu der großen Gruppe der "Abenteurer mit der Kamera", die in dieser Zeit zu exotischen Zielen ausschwärmten um dem heimischen Publikum Bilder von anderen Kulturen zu präsentieren. Der unerwartete Kassenerfolg führte im Anschluss dazu, dass eine Reihe kommerzieller Filme im lyrischen Stil über die Lebensweise "primitiver" Stämme produziert wurde.

Der russische Film hatte zu dieser Zeit dennoch starken Einfluss auf die europäische Avantgarde. Mt der konsequenten Ablehnung der Werte und Ideen, die Hollywood repräsentierte, entstanden Filme wie Walter Ruttmanns "Berlin - Sinfonie der Großstadt" (1927), die durch Montage der Einzelbilder rhythmische Strukturen mit neuer Ästhetik hervorbrachten und den Kunstcharakter des Films konsequent betonten.

In den ersten dreißig Jahren der Dokumentarfilmgeschichte haben sich somit bereits die grundlegenden Ansätze entwickelt, die sich in den Dokumentarfilmschulen der darauffolgenden Jahrzehnte in immer neuen Variationen wiederfinden sollten:

  • Der aufklärerische, erzieherische und auch manipulierende Dokumentarfilm (Propagandafilm), der das Publikum zwar belehren, ihm vornehmlich jedoch als Mittel der Identifikation dienen sollte. Nicht Abbildung der Wirklichkeit, sondern Schaffung eines Weltbildes ist das Ziel.
  • Der informative, zum Teil allein durch die Themenwahl spektakuläre "objektive" Dokumentarfilm. Er ist in dem Sinn objektiv, dass das Gezeigte von außen betrachtet wird und keine Wertung vom Filmemacher mitgeliefert wird.
  • Der betont subjektive, assoziative, künstlerische Film, der jedoch lange Zeit aus den großen Kinos verbannt war und als avantgardistischer Kurzfilm nur von einer "Elite" zur Kenntnis genommen wurde.

Aufklärung aus England

Eine weitere wichtige Dokumentarfilmbewegung begann 1929 in England mit der Aufführung von John Griersons Film "Drifters", der die Fahrt eines Fischdampfers schildert, der zum Heringsfang ausläuft. In Folge entstanden über 1OO Filme, die in England zu einer sozialen Institution mit der Funktion eines informationspolitischen Mediums wurden. Für Merson war der Film zunächst weder zur Unterhaltung noch zur Kunst bestimmt, sondern zur Propaganda. Nach seiner Auffassung war es ein zeitgemäßes Mittel der Industriegesellschaft, die Staatsbürger aufzuklären und zu erziehen.

In den USA der 20er und 30er Jahre waren zwei Haupttypen des Dokumentarfilms populär: Die Reisebeschreibung, die sich meist auf die klischeehafte Beschreibung von romantischen Stätten beschränkte, und der kurze "interest"-Film über irgendein aktuelles Thema.

Im Verlauf der 30er Jahre erlahmte der russische Dokumentarfilm unter den Auflagen des "sozialistischen Realismus", während in anderen Ländern das sozialistische Gedankengut von kleinen Gruppen avantgardistischer Filmemacher verbreitet wurde. Als Beispiele stehen Buñuels "Las Hurdes" (Spanien 1932) und Joris Ivens "Komsomol" (1932).

Im deutschen Film des Dritten Reichs spielte der Dokumentarfilm als wesentliches Instrument des staatlichen Propagandaapparates eine übergeordnete Rolle. Besonders hervorzuheben sind hier die späteren Wochenschauen sowie die Filme Leni Riefenstahls, die sich nicht nur durch die Inszenierung spektakulärer Massenszenen auszeichnete ("Triumph des Willens" 1934), sondern auch durch einen brillanten Schnitt auszeichnen. Der im Größenwahn gedrehte Film "Olympia" (1938), der die Olympiade von Berlin "dokumentiert", wurde aus 800 OOO Metern (480 Stunden) Filmmaterial zusammengeschnitten und ist bis heute vor allem wegen der zwiespältig faszinierenden Ästhetik von den unzähligen langweiligen Olympiadedokumentationen noch eine der sehenswertesten.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs entstanden in Deutschland die mehr auf Terror zugeschnittenen Agitationsfilme, die die frühen Siege der deutschen Armee in frappierender Eindringlichkeit schildern ("Feuertaufe" 194l).

In den alliierten Ländern brachte der Ausbruch des Krieges viele Filmemacher aller Genres zum Propagandafilm. Als Beispiele seien hier britische Durchhaltefilme wie Harry Watts "Target for tonight" (194O) oder die amerikanische "Why we fight"-Serie, bei der prominente Hollywood-Regisseure wie John Ford und John Huston unter der Leitung von Frank Capra arbeiteten.

In der Nachkriegszeit nahmen Auftragsarbeiten für die Industrie zu, bei denen sich die Filmemacher den Forderungen der Auftraggeber beugen mussten. Auch die stereotypen Reisefilme mussten sich den kommerziellen Interessen der Fremdenverkehrsvereine beugen und verloren damit noch mehr an Individualität und Reiz.

Familienunterhaltung boten in den 50er Jahren auch Disneys abendfüllende Naturfilme ("Die Wüste lebt"), allerdings untergrub das Fernsehen diese Art von populären Dokumentarfilmen, so dass Bekanntheitsgrad und Verbreitung schließlich bis weit unter das Vorkriegsniveau zurückfiel.

Das cinéma vérité

Der zunehmend unpräzise und dadurch entwertete Begriff "dokumentarisch" führte dazu, dass neuere Gruppen ihn für sich ablehnten. Es entstanden neue Bewegungen wie das "free cinema" (England), das "direct cinema" (USA) oder das "cinéma vérité" (Frankreich).

Das Wort vom "cinéma vérité" fiel zum ersten Mal im Zusammenhang mit Jean Rouchs Interviewfilm "Chronique d'un été" (1961). Rouch forderte, dass der Einsatz des Aufnahmeapparates die Objektivität des tatsächlichen Geschehens, das registriert werden soll, nicht beeinträchtigen dürfe. Das technische Problem, auf das das Verlangen nach Authentizität stieß, war erst mit der Entwicklung der handlichen 16mm-Kameras und der Transistonechnik annähernd zufriedenstellend lösbar. Die Beobachtung mit der Kamera sollte nach Möglichkeit so durchgeführt werden, dass deren Anwesenheit auf die Protagonisten in ihrer jeweiligen Situation und auf die Ereignisse, die in jedem Moment unvorhergesehen eintreten konnten, keinen Einfluss haben sollte. Die Dokumentaristen sollten demnach reale Vorgänge sichtbar machen und ihnen den Augenblick der Wahrheit entreissen. Der Stil und das Konzept des cinéma vérité beeinflusste in der Folge auch die Regisseure der Nouvelle Vague, setzte sich aber erst mit zahlreichen Fernsehausstrahlungen auch beim breiten Publikum durch.

Auch der wohl populärste und bestimmt kommerziell erfolgreichste Dokumentarfilm "Woodstock" (Mike Wadleigh, 1970) enthält noch Elemente der Vérité-Fotographie, die er allerdings mit einer flüssigen Schnittfolge verband. In der Folge entstanden noch zahlreiche, qualitativ zum Teil stark umstrittene Konzertfilme, die versuchten, an den Erfolg anzuknüpfen.

Das cinéma vérité verliert in den Folgejahren dann allerdings an Stellenwert, weil mehr und mehr erkannt wird, dass der Wegfall des Kommentars und die neutrale Position der Filmemacher keine absolute Objektivität garantieren, da die Autoren zumindest entscheiden müssen, was in den Film mit aufgenommen wird und damit doch unmittelbar eingreifen.

Die 60er und 70er Jahre

In den späten 60er und frühen 70er Jahren wurden dann besonders in den Vereinigen Staaten politische Dokumentarfilme gedreht, bei denen eine neue Form des Journalismus von der Objektivität abkam und es zuließ, dass sich die Autoren konsequent mit einbringen. Hier seien vor allem "The Selling of the Pentagon" (Peter Davis, 1971) oder die späten Filme von Émile de Antonio genannt. Er konzentrierte sich in Filmen wie "America is Hard to See" (1970) auf eindringliche Analysen, die in collagenhaften Konfrontationen sich selbst enthüllende Bilder enthalten. Auch die feministischen Filme der frühen 70 er Jahre sind hier einzuordnen. So zeichnen sich die Filme von Amalie Rothschild oder Donna Deitch durch eine typische Mischung von politischem Engagement, Selbstreflexion und persönlicher Aussage aus.

Neben diesen zum großen Teil unabhängigen Produktionen existierten auch Gruppen etablierter Dokumentarfilmer, denen das Fernsehen mit von ihm finanzierten Projekten zu einer gewissen Popularität verhalf.

In der Bundesrepublik fristete der Dokumentarfilm bis in die 60er Jahre hinein eine recht kümmerliche Existenz in den Reservaten des Industrie- und Kulturfilms. Erst mit Peter Nestler und Klaus Wildenhahn erhielt der deutsche Dokumentarfilm durch geduldiges Herangehen an die Themen und eine flexible Gestaltung ohne streng vorgefasstes Konzept eine neue Qualität.

Auch durchaus provokante Stellungnahmen, wie "Der Kampf um 11%" (Michael Busse, Thomas Mitscherlich und Jürgen Peters, 1972), in dem der Verlauf eines Arbeitskampfes aus der Perspektive der Beteiligten heraus dargestellt wird, stehen für diese Entwicklung.



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