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„Das Berliner Stadtschloß würde zum Weltkulturerbe zählen“

 

CORPS: Herr Stuhlemmer, der 15. Deutsche Bundestag hat am 13. November 2003 fast einstimmig seinen Beschluß bestätigt, die drei barocken Fassaden und den Schlüterhof des zerstörten Berliner Stadtschlosses originalgetreu zu rekonstruieren. Das Berliner Architektenbüro Stuhlemmer & Stuhlemmer setzt diesen Beschluß um. Was konkret wird gemacht?

York Stuhlemmer Guestphaliae Berlin: Wir beschäftigen uns seit mehr als zehn Jahren mit der Architektur und Kunstgeschichte des Berliner Stadtschlosses. In einem Team von zehn Architekten und Kunsthistorikern erarbeiten wir die präzisen Maße und die Vorlagen für die zu rekonstruierende Bauplastik des Gebäudes. Diese Arbeit ist damit die Grundlage sowohl für die Herstellung sämtlicher Werksteine, als auch für die Festlegung der für den Innenausbau erforderlichen Dimensionen. Die Fassade bestimmt sowohl die Höhe und Länge des Gebäudes, als auch die Geschoßhöhen und Fensterachsen. Wir sind mit der Rekonstruktionsplanung so weit vorangeschritten, daß die Außenansichten und der Schlüterhof planerisch (noch nicht bis ins Detail) rekonstruiert sind. Diese Unterlagen werden Bestandteil der Vorgaben für den internationalen Wettbewerb, der den modernen Bauteil umfaßt.

CORPS: Seit 1443 wird in Berlin am Schloß gebaut, unter dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1640 – 1688) wurde es zur Mitte der Stadt und des Landes. Am 9. November 1918 proklamierte Karl Liebknecht vom Schloßbalkon des Rittersaals aus die sozialistische Deutsche Republik, 1944/45 gab es schwere Bombenschäden, am 7. September 1950 wurde es schließlich auf Geheiß des SED-Vorsitzenden Walter Ulbricht gesprengt. An seiner Stelle wurde im selben Jahr der Marx-Engels-Platz errichtet und 1974 – 1976 der Palast der Republik, der im September 1990 geschlossen wurde. Ist das Schloß „das Symbol“ für deutsche Geschichte?

York Stuhlemmer: Das mag für den einen oder anderen zutreffen. Ich glaube, wir haben genug Symbole, zu denen wir erst einmal einen normalen Zugang finden müssen. Wichtig ist, daß mit dem Wiederaufbau eine neue Qualität mit historischem Bezug, das „Humboldt-Forum“, geschaffen wird. Schlüters antizipierendes Königsschloß war sicher als bewußtes Zeichen zu verstehen und gerade daraus schöpfte er die Kraft, etwas Einmaliges entstehen zu lassen. Daß das Schloß auch ohne Krone funktionierte, zeigt die Zeit nach der Abdankung. In der Weimarer Republik und bis zu seiner Zerstörung war das Berliner Schloß eines der wichtigsten und meist besuchten Museen der Stadt und Adresse für diverse Institutionen. Neben der preußisch- deutschen Geschichte spiegelt dieses Gebäude also auch immer einen Ort geistig-kulturellen Austauschs wider. Hieran sollten wir anknüpfen.

CORPS: Für die Rekonstruktion des Berliner Schlosses sind mehr als 4300 Einzelbaupläne in den Maßstäben von 1:100 bis 1:1 nötig, um bis zur Bauvorlage für Steinmetze und Steinbildhauer alle notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Baupläne des Stadtschlosses gibt es nicht. Wie haben Sie diese Aufgabe bewältigt?

York Stuhlemmer: Als moderner Architekt wird man für gewöhnlich einen hohen Anspruch an seinen eigenen Entwurf stellen und ihn bis zu seiner eigenen Geschmacksgrenze vervollkommnen. Die Rekonstruktion unterscheidet sich davon grundsätzlich. Es geht um das Nachempfinden der Leistung von Baumeistern, die eingebunden in ihre Zeit, etwas schufen, was, stünde es heute noch, sicher zum Weltkulturerbe gehören würde. Mit Respekt vor dieser Leistung gehen wir an die Arbeit.

Rein technisch betrachtet ist der Prozeß des Rekonstruierens ein Zusammenfügen einzelner Datenbausteine. Hierzu zählt die Fotogrammetrie, die es ermöglicht, über komplizierte Rechenprozesse Meßdaten aus Fotos zu gewinnen. In den Archiven lagern unzählige Dokumente, Reparaturbeschreibungen, Kostenanschläge und Umbaupläne. Kurz vor der Sprengung wurden durch ein wissenschaftliches Archiv noch zahlreiche Vermessungen gemacht, einzigartige Bildhauerstücke geborgen und hunderte von Fotos aufgenommen. All dies zusammengenommen, verbunden mit der Kenntnis von bauzeitlichen Architekturtheorien, Bauten und Handwerkstechniken, läßt dies gelingen.

CORPS: Für die Planung und Herstellung der Fassadenteile und der Schmuckelemente wird mit einem Vorlauf von vier bis fünf Jahren vor dem eigentlichen Baubeginn gerechnet. Dieser wird von Fachleuten für 2008 für möglich gehalten, der Senat von Berlin spricht allerdings auch von 2010. Heißt dies, daß Sie jetzt schon Fassadenteile und Schmuckelemente „auf Vorrat” produzieren?

York Stuhlemmer: Die Architektur des Berliner Schlosses ist vor allem geprägt durch seine grandiose Bauplastik. Es sind etwa 1000 Bildhauerstücke von einer einfachen Konsole mit Akanthusblatt bis hin zu freistehenden Plastiken zu rekonstruieren. Unzählige Steinmetzstücke von einfachen Gesimsen bis zu komplizierten gebogenen Fensterverdachungen. Insgesamt eine Fläche von etwa 12000 Quadratmetern Sandstein. Vieles davon kann heute zwar materialschonend maschinell vorbereitet werden, dennoch bleibt es eine große Aufgabe. Wir nutzen die Zeit bis zum Baubeginn für die Vorproduktion. Momentan werden die zeitaufwendigen Modelle für die Umsetzung in Sandstein hergestellt.

CORPS: In Zeiten leerer Kassen ist die Frage nach der Finanzierung der Schloß-Rekonstruktion sicherlich legitim. Allein für die Schloßfassaden wird mit Kosten von 80 Millionen Euro gerechnet, für den sogenannten Kernbau, der Museum, Bibliothek und gewerblich nutzbare Flächen aufnehmen wird, werden 590 Millionen Euro veranschlagt. Woher kommt das Geld?

York Stuhlemmer: Hier soll das sogenannte private-public-partnership- Modell angewendet werden. Der Staat finanziert das Bauvorhaben über einen Generalübernehmer, der im Konsortium das gesamte Bauvorhaben vorfinanziert. Im Rahmen eines kommunalen Leasings mietet der Staat die Immobilie über einen Zeitraum von 30 bis 40 Jahren, danach fällt das Eigentum an ihn zurück. Vorteil: Die angespannte Liquidität wird geschont, der Zahlungsbeginn ist frühestens 2015 bei bis dahin sicherlich verbesserter Haushaltslage und die jährlichen Raten machen nur einen Bruchteil dessen aus, was der Staat für die Gesamtsumme sofort bereitstellen mußte. Im Grunde wird hier das in der Wirtschaft übliche Finanzierungssystem nun auch für staatliche Bauten angewandt. Die Annuitäten können im übrigen mit den dann bereits anlaufenden Einnahmen verrechnet werden.

CORPS: Der Förderverein Berliner Schloß e.V. setzt erheblich auf Spendenbereitschaft. Ist dies bei einem Projekt dieser Größenordnung tatsächlich realistisch?

York Stuhlemmer: Die Frauenkirche in Dresden hat es bewiesen. Die Spendenbereitschaft stieg in dem Maße, wie auch der Baufortschritt beobachtet werden konnte. Das wird beim Schloß nicht anders sein. Wie sich immer wieder zeigt, gibt es viele Menschen, die sich gerade für solche Projekte engagieren wollen – ehrenamtlich oder mit Spenden. Im übrigen: In Hamburg wurden im vergangenen Jahr durch großartiges bürgerliches Engagement 57 Millionen Euro von privaten Spendern innerhalb eines halben Jahres für den Bau der neuen Elbphilharmonie bereitgestellt.

CORPS: Die Fürsprecher des Schlosses einerseits und andererseits verschiedene Initiativen zur „Rettung“ des Palastes der Republik vor dem beschlossenen Abriß führen seit langer Zeit eine erbitterte Auseinandersetzung. Wie erklären Sie sich das Festhalten an einer „Ikone“ des überwundenen DDR-Systems?

York Stuhlemmer: Die Frage hat sich eigentlich selbst überholt, hat doch der Bundestag am 19. Januar 2006 zum wiederholten Mal mit großer Mehrheit den Abriß beschlossen. Der Rückbau läuft seit dem 6. Februar 2006. Ich bin gebürtiger Berliner und kenne den Palast noch in Funktion. So „toll“ war er nicht. Ich glaube, daß hier von einigen Personengruppen bewußt ein Kultobjekt herbeigeredet werden sollte. Doch bei näherer Betrachtung war es dann weniger der Palast, als eher eine „irre Location“, in der man sich und alternative Kunstprojekte im Zentrum der Stadt präsentieren konnte. Das Humboldt-Forum im Gewand der barocken Architektur wird viel mehr als nur eine „Location“ sein. Städtebaulich und architektonisch schließt es die Lücke im Zentrum der Stadt. Die Nutzung mit Museen, Bibliotheken und der sogenannten Agora wird vielschichtig und nachhaltig sein. Dadurch wird ein großartiges, öffentlich nutzbares Gebäude entstehen. .

Die Fragen stellte Michael Schur Cherusciae, Joanneae

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