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(UN)ZEITGEMÄSSE BETRACHTUNGEN



Dr. Philipp W. Fabry (VAC-Vorsitzender 1971 – 1975) ist Vorsitzender des Stiftervereins Alter Corpsstudenten. In den (Un)zeitgemäßen Betrachtungen stellt er ein aktuelles Thema zur Diskussion. E-Mail: dr.fabry@t-online.de

ein Kommentar von Philipp W. Fabry Hassiae Gießen, Thuringiae Jena

Spießt alle auf!

Nein, geneigter Leser, lassen Sie sich durch den Titel nicht irreführen! Dies ist kein Beitrag zur Diskussion, wie künftig mit Zuwanderern zu verfahren sei, die beim Ausfüllen des bald flächendeckend in der Bundesrepublik eingeführten Gesinnungsfragebogens mogeln. Um herauszufinden, was es mit diesem Imperativ wirklich auf sich hat, müssen Sie bis zum Schluß durchhalten! Aber ich will Sie nicht auf die Folter spannen, ich fange einfach an!

Kein Frühstück ohne die Lektüre der Lokalzeitung! Ich fiebere ihr förmlich entgegen. Das liegt allerdings nicht am Inhalt. Rundfunk und Fernsehen sind ja viel aktueller; im übrigen sei auf Karl Valentins tiefe Bemerkung verwiesen: „Ich hab’ mich immer schon darüber gewundert, daß an einem Tag in der Welt genau soviel passiert, wie in die Zeitung paßt.“ Nein, was mich aufwühlt ist der, nennen wir es einmal so, etwas eigenwillige Umgang dieses Blatts mit der deutschen Sprache. Deshalb steigt beim Lesen mein Adrenalinspiegel, und das macht mich fit für den täglichen Kampf ums Dasein, den der Kapitalismus systemimmanent nun einmal mit sich bringt.

Ein Beispiel nur: Kürzlich löste die Bildunterschrift „Verkleidete Ritter“ die erste Unmutswelle bei mir aus. Denn nicht die Ritter waren verkleidet, sondern die Akteure – als Ritter. Die Schlagzeile: „Die Angst spitzt sich zu!“ stimmte mich auch nicht milder. Die Metapher entbehrte zwar nicht der Originalität, hielt aber einer näheren Betrachtung gehaltlich nicht stand. Dann fuhr, ich zitiere, „ . . . ein Auto gegen einen Masten“, eine Tragödie, die mir Tränen entlockt hätte, hätte der Reporter nicht, wahrscheinlich um seine Unabhängigkeit von jedem Regelwerk zu demonstrieren, den falschen Akkusativ bemüht. Als es dann auf Seite 4 noch hieß: „Der Angeklagte forderte nach seinem Verteidiger“, zerknüllte ich das Blatt; mein Tagesbedarf an berechtigter Empörung schien gedeckt. Ich wollte gerade aufstehen, da tönte aus dem Radio die markige Stimme eines bekannten Politikers, der da forderte: „Wir müssen das einfach effektieren!“ Das war zuviel. Tante Annas Sammeltasse, das einzige, was sie mir vererbt hatte, fiel mir aus der Hand und zerschellte auf dem Boden.

Um sie ist es nicht schade, um die deutsche Sprache aber schon. Irre ich mich oder stimmt es, daß die Verluderung unaufhörlich fortschreitet? Ist es nur Schludrigkeit? Dagegen könnte man ja mit Abmahnungen oder Bußgeldern angehen. Bei grammatikalischen Schnitzern wird’s schon schwieriger. Denn über diejenigen, die sich auf diesem Gebiet versündigen, wirft jener schiefe Turm, der heute in aller Munde ist, lange Schatten. Ganz schlimm aber sind die sprachlichen Kretins, von Leuten in die Welt gesetzt, die für uns Verantwortung tragen oder das zumindest behaupten. Sie hoffen damit, das Banale, das sie verkünden, optisch oder phonetisch aufzuwerten.

Diese Mißgeburten kriechen nicht nur in Zeitungsspalten herum, sie schwingen sich auch durch den Äther. Beispiele dafür? Aber gern. Zur Zeit schlägt das Suffix „- bar“ alle Rekorde. „Das ist nicht hinnehmbar“, „nicht verhandelbar“, „nicht darstellbar“, „nicht verzichtbar“, „nicht durchsetzbar.“ In all diesen Fällen wäre eine schlichte Infinitivkonstruktion eine wahre Wohltat. Wenn nichts geschieht, dann wird Fleisch bald „durchdrehbar“. Das allerdings wäre dann „nicht verdaubar“, denn unsere Sprache „ist schützbar“ und daher ist dieser Sprachmüll, wie diejenigen, die ihn produzieren, sagen würden, „nicht ignorierbar“ – Originalton eines Ministerpräsidenten!

Und nun erfahren diejenigen, welche durchgehalten haben, was es mit dem Thema auf sich hat. Spießen wir alle Sünden auf! Sammeln wir sie in dicken Mappen! Schicken wir sie per EMail oder in natura an Medien und vor allem an die Täter, die unsere Muttersprache so verhunzen! Denn was sie treiben, ist keinesfalls länger „ertragbar“, sondern einfach furchtbar. Und dieses Adjektiv ist, man glaubt es kaum, sprachlich und semantisch sogar korrekt.

 

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