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Martina Navrátilová: „Wir hatten alle einen Namen"

10.Juli 2007 | Anna Kubišta, Vendula Veselá

Die berühmtste Tennisspielerin aller Zeiten, aber auch eine Frau, die beschloss, zu helfen, wo es nur geht, Schriftstellerin, Propagatorin gesunder Ernährung, eine kompromisslose Unternehmerin und in Zukunft vielleicht auch Olympiabotschafterin. Martina Navrátilová  ist wie eine Katze mit vielen Leben – mit vielen unterschiedlichen, aber durchweg erfolgreichen, möchte man hinzufügen. Wo fühlt sich diese temperamentvolle Frau daheim? Und wo wird sie ihren Lebensabend verbringen? Die Antworten hierauf und auf andere Fragen finden Sie in dem folgenden Gespräch.

Zunächst einmal für jene, die Ihre Biografie nicht im Detail kennen: Warum haben Sie die Tschechoslowakei damals verlassen?

Ich bin deshalb weggegangen, weil die Föderation mich in Amerika nicht Tennis spielen lassen wollte, dabei wurden damals neunzig Prozent aller Turniere gerade dort ausgetragen. Ich wusste nicht, ob sie mich überhaupt irgendwann irgendwo hinlassen würden. Und das hätte für mich als Tennisspielerin bedeutet, dass ich meine Karriere nicht fortsetzen konnte. Deshalb bin ich dann dort geblieben und nicht zurückgekehrt.

Können Sie sich noch an Ihre damaligen Gefühle und Gedanken erinnern? Können Sie sich diese Situation noch vergegenwärtigen?

Und wie ich das kann. Die Amerikaner waren so paranoid, dass sie glaubten, man würde mich wieder zurück in die Tschechoslowakei entführen. So etwas hielt ich persönlich nicht für möglich. Vielleicht wenn ich Russin gewesen wäre, aber Tschechen machen so etwas nicht. Meine Befürchtungen gingen vor allem dahin, dass meine Eltern und meine Schwester Schwierigkeiten bekommen werden. Wenn ihnen etwas passieren würde, würde ich dann überhaupt dorthin reisen können? Ich hätte natürlich kommen können, aber es würde dann keine Rückreise mehr geben. Man wusste nicht, was kommt, was die Zukunft bringt. Was das Tennis angeht, hatte ich keine Angst. Ich wusste, dass ich das schaffe. Aber das andere war das schlimmste.

Martina Navrátilová Martina Navrátilová. Quelle: Portal Sport-invest.cz

Hatten Sie sich etwas mitgenommen, was Sie in den USA an die Heimat erinnern würde? 

Nein, ich wusste ja nicht, dass ich dort bleiben werde. Ich hatte die Koffer wie immer gepackt und fuhr dann für einen Monat zu jenem Turnier nach Amerika.  

Wo fühlen Sie sich zu Hause? Oder was bedeutet für Sie Heimat?

Ich fühle mich da zu Hause, wo ich mit meiner Partnerin bin. Das ist für mich der wichtigste Mensch in meinem Leben, und wirklich dort, wo wir zusammen sind, bin ich daheim. Wenn wir in Florida sind, sind wird dort zu Hause, oder in Colorado, oder wenn ich mit ihr hier in Tschechien bin, bin ich wiederum hier zu Hause. Aber ich fühle mich eigentlich auf der ganzen Erdkugel zu Hause, ich bin unheimlich viel gereist und beherrsche viele Sprachen, sodass ich mich mit den Menschen verständigen kann. Mir würde nirgendwo etwas fehlen – fast. Vielleicht die Sonne, wenn ich in Alaska wohnen müsste. Aber die Hauptsache ist, ich bin mit meiner Partnerin zusammen, dann bin ich überall in der Welt zufrieden.

Sie haben wieder die tschechische Staatsbürgerschaft beantragt. Wie weit sind Sie damit? Wieso ist das für Sie wichtig – ist das eher symbolisch, ein innerer Drang oder eine Notwendigkeit?

Der ganze Prozess läuft noch, es sind viele Dokumente erforderlich. Bis Ende des Jahres wird es wahrscheinlich klappen. Was das für mich bedeutet? Das ist symbolisch, aber es hängt auch damit zusammen, dass ich häufig hier bin. Es ergibt aus meiner Sicht also durchaus Sinn. Warum auch nicht, wenn die Möglichkeit besteht. Wenn ich hier die eine oder andere Sache erledige, dann wird das viel einfacher sein. Es ist praktisch und emotional zugleich.

Wie hatten Sie sich Ihr Leben als kleines Kind vorgestellt? Sehnten Sie sich nach Ruhm?

Karrieren gab es damals nicht, mit Tennis konnte man kein Geld verdienen. Professionelles Tennis kam gerade erst auf, aber das war wirklich ein fast unmöglicher Traum. Mir ging es nie ums Geld, mir ging es um Titel, Wimbledon zu gewinnen, Grand-Slam-Titel oder andere Turniersiege. Früher waren die Preisgelder nicht so hoch, finanziell interessant waren wirklich nur Wimbledon und Forest Hills – die heutigen US Open. Wir wollten beispielsweise nach Australien fahren, aber dann in Melbourne oder in Sydney zu spielen, da war kein großer Unterschied, heute allerdings schon. Die Grandslam-Turnierveranstalter zahlen viel mehr Geld. Mir ging es ums Reise, die Welt zu sehen es im Tennis vielleicht bis ganz nach oben zu schaffen.


Martina Navrátilová Martina Navrátilová. Quelle: Portal Sport-invest.cz

Was halten Sie von der neuen Generation der tschechischen Tennisspieler? Inwiefern haben sie es (abgesehen von den politischen Bedingungen) vielleicht schwerer oder umgekehrt schwerer als Sie?

Ich glaube, dass heute alles einfacher ist. Die Chancen sind viel besser, auch die finanzielle Unterstützung. Selbstverständlich hat sich dieser ganze Prozess geändert. Wäre ich heute beispielsweise 14 Jahre alt, würde mir kaum jemand zuschauen Mit dem Stil, den ich spiele, würde ich nicht zur Spitze gehören. Ich würde es vielleicht nicht einmal bis in die Nationalmannschaft schaffen. Ich war neulich Zeugin eines Gesprächs zwischen zwei Juniorinnen. Die eine fragte die andere, gegen wen sie spielt, und die andere nannte nur eine Nummer: Ich spiele gegen die Nr. 50. Denn wenn sie gewinnt, erhält sie so und so viele Punkte in der Rangliste. So hat sich das geändert: Wir waren damals fünf Mädchen und hatten alle einen Namen.

Was motiviert Sie noch zum Wettkampf? Ist es das Naturell, die Erziehung? Was bringt Ihnen das?

Wahrscheinlich beides, aber eher das Naturell. Mir hat das immer Spaß gemacht, es war für mich stets auch ein Wettkampf mit mir bzw. gegen mich selbst. Als Kind etwa fuhr ich auf einem kleinen Gehweg um den Garten herum und stoppte die Zeit, wie lange ich für so eine Umfahrung benötige ich. Ich habe das nur für mich selbst gemacht, niemand schaute mir dabei zu. Leistungsvergleich hat etwas Persönliches, Hochleistungssportler haben das immer in sich. Mich interessierte das damals, und es machte mir Spaß. Die Leute sagten mir dauernd, dass ich so eine „competitive“, so eine Wettkämpferin sei. Ich antwortetet ihnen dann: Ja, aber ich wetteifere mit mir selbst. Wenn ich 3-4 Stunden täglich trainiere, mit wem soll ich da konkurrieren? Ich strenge mich um meiner selbst willen an. Das ist so eine innere Angelegenheit. Und es ist wohl eher das Naturell.

Gibt es etwas in Ihrer Karriere, das Sie bereuen? Würden Sie etwas ändern? Oder sind Sie mit dem Lauf der Ereignisse versöhnt?

Nein, ich bereue nichts, weil ich alles gegeben habe. Wenn ich etwas noch einmal machen könnte, würde ich vielleicht eher versuchen, einen Trainer oder eine Trainerin zu bekommen. Ich war da (in den USA, Anm. der Redaktion) sechs Jahre lang total alleine. Von meinem 18. bis zu meinem 25. Lebensjahr war ich alleine, ohne Trainer. Ich habe so also  sechs bis sieben Jahre verloren, und diese Jahre waren in physischer Hinsicht meine besten. Psychisch ging es, aber die Physis, das habe ich verpasst. Bedauere ich das? Nein. Ich habe es so gut gemacht, wie ich nur konnte.

Haben Sie sich über die Nachricht gefreut, dass Prag die olympischen Sommerspiele im Jahr 2016 austragen könnte?

Die Möglichkeit besteht für alle. Aber ob das Sinn macht, weiß ich nicht. Das müssen die Experten beurteilen, ob Prag und die ganze Tschechische Republik sich das leisten können. Und wie wird das nach diesen Spielen aussehen? Olympische Spiele dauern drei Wochen. Und was ist mit den 30 Jahren danach? Das weiß ich nicht. Klar, emotional wäre es schön, die Olympiade in Prag zu haben. Das ist ein Traum für viele Menschen. Aber ob das finanziell und ökonomisch Sinn macht, weiß ich nicht.

Man spricht davon, dass Ihnen die Funktion einer Botschafterin angeboten werden könnte. Was würde das für Sie bedeuten?

Falls sie beschließen, das in Angriff zu nehmen, und das wünschen sollten, dann selbstverständlich. Unterstützen werde ich sie, warum nicht.

Hat Prag das Zeug dazu, einen solchen Event zu stemmen?

Ich glaube schon. Tschechen haben das Zeug dazu. Den Charakter und das Naturell ja, aber ob das Geld dafür da ist, das ist eine andere Frage.   

Was würde das Prag bringen?

Prag braucht nicht mehr Ruhm, aber ich sage mir, wenn die Griechen das in Athen geschafft haben, dann schaffen das auch die Tschechen. Es gibt um die Jahre danach. Es würde mehr Ruhm bringen, aber brauchen wir das? Touristen hat Prag schon genug ... Aber für den Rest des Landes wäre es vielleicht sinnvoll. Selbstverständlich würde die Wirtschaft nicht nur für die Zeit der Olympiade, sondern auch danach angekurbelt werden. Ich schaue immer auf die positiven Dinge, aber man muss gleichzeitig auch praktisch denken.

Sie engagieren sich ebenfalls in bürgerlichen Angelegenheiten, beispielsweise haben Sie ihren Namen für die Bürgerinitiative 3 duby [3 Eichen] hergegeben, die sich für die Bäume im Prager Park  Stromovka einsetzt. Unterstützen Sie nur Sachen, an die Sie auch wirklich glauben? 

Ja, die 3 duby habe ich zusammen mit Monika Maurová gemacht. Ich glaube, dass das was Gutes gebracht hat. Ich tue gerne etwas für die, die sich selbst nicht helfen können, das heißt für die Natur und die Tiere. Jetzt suche ich eine karitative Einrichtung in der Tschechischen Republik, die eben diese beiden Dinge in sich vereinigt.

Denken Sie noch über die Gründung einer Tennisakademie nach, deren Zentrum angeblich die Tschechische Republik sein könnte?

Ja, darüber denke ich nach, die Dinge sind in Bewegung.

Martina Navrátilová Martina Navrátilová beim Spiel. Quelle: Portal Sport-invest.cz

Wo möchten Sie Ihren Lebensabend verbringen?


Am liebsten wäre ich dann wohl irgendwo in Afrika und würde auf wilde Tiere schauen. Das ist wirklich ein Erlebnis, angenehm und unglaublich. Man fährt von der Straße ab und ahnt nicht, was man dann zu sehen bekommt. Afrika ist wohl mein Lieblingsort: Dort ist das Leben ganz ähnlich dem, wie es hier vor zehntausend Jahren war.
 
Als Sie im Dezember 1993 bekannt gaben, dass Sie in einem Jahr mit dem Tennis aufhören, sagten Sie: „Abschied nehmen ist ein allmählicher und schmerzhafter Prozess. Ich bin jedoch glücklich, dass ich endlich das Ende meiner Kariere vor mir sehe. Viele Jahre habe ich wie im Tunnel ohne Ende gelebt. Heute freue ich mich, wenn ich aus diese Tunnel heraus ans Licht komme.“ Wie ist es denn nun, ist die Gegenwart „heller“ als die Vergangenheit?

Das war anders. 1994 habe ich tatsächlich aufgehört. Danach hatte ich 3-4 Jahre frei. Im Jahr 2000 beschloss ich dann, noch einmal mit dem Spielen anzufangen. Die letzten 6 Jahre waren also genauso wie die vorher. Jetzt liegt das Ende meiner Karriere fast 8 Monate hinter mir, aber ich reise noch mehr als zu Wettkampfzeiten. Damals war ich wenigstens eine oder zwei Wochen an ein und demselben Ort.

Jetzt freue ich mich auf Paris, wo ich zwei Wochen ohne Reisen sein werde. In den letzten vier Monaten habe ich nur eine einzige Woche an ein und demselben Ort verbracht, ansonsten dauerten die übrigen Aufenthalte nur zwei bis drei Tage. Das war nicht angenehm, so hatte ich mir das Leben nach dem Tennis nicht vorgestellt. Ich muss einen Gang zurückschalten und das alles ein wenig gemächlicher angehen lassen. Aber der Rest dieses Jahres wird wahrscheinlich schon ruhiger verlaufen. Die ersten Monate habe ich viele karitative Dinge gemacht, bislang hatte ich noch kein Zeit für ein normales Leben.   
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Martina Navrátilová (1956) ist eine der erfolgreichsten Sportlerinnen aller Zeiten. Insgesamt 18 Grandslam-Titel im Einzel und 41 Titel im Doppel hat sie auf ihrem Konto. Unter den Top Ten der Weltelite hielt sie sich unglaubliche zwanzig Jahre lang. Sie war Weltsportlerin der 1983 und 1984. Von Martina Navrátiolová  spricht man häufig als von der bekanntesten Tschechin. Und das obwohl sie im Jahr 1981 emigriert war und um die amerikanische Staatsbürgerschaft ersucht hatte.

Ihre sehr erfolgreiche Kariere beendet sie definitiv im Jahr 2006. Gegenwärtig widmet sie sich karitativen Tätigkeiten und versucht, mit ihrem Namen Projekte zu unterstützen, die unmittelbar die Natur und Tiere betreffen. Zu Berühmtheit kam sie nicht nur dank ihrer Tenniskunst, sondern auch dank der Offenheit, mit der sie sich zu ihrer lesbischen Ausrichtung bekannte. Sehr engagiert setzte sie sich zudem dafür ein, dass die Prämien der Spielerinnen und die ihrer männlichen Kollegen gleich hoch sind. Sie ist Autorin mehrerer Bücher.


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