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Gisèle Freund: Eine deutsch-französische Pionierin der Fotografie

von Sarah Nekola, erschienen am 01.07.2010

»Man trägt sein Gesicht wie ein Rätsel, das man nicht kennt. Ich habe es nie aufgegeben, erfahren zu wollen, was sich hinter einem Gesicht verbirgt.«, so sprach Gisèle Freund über ihre fotografischen Bildnisse. Beherzt und von einer Neugier getrieben, die auch in Zeiten äußerster Bedrängnis keine Grenzen kannte, nahm die Fotografin ihren prominenten Modellen die Masken ab und enthüllte deren Wesensart. Mit der Leica im Gepäck reiste die Fotoreporterin an viele Orte der Welt und erlangte internationales Renommee, Lebensmittelpunkt der gebürtigen Deutschen sollte jedoch immer Frankreich sein. Als eine der Ersten befasste sie sich überdies wissenschaftlich mit der Geschichte der Fotografie. Fotografiegeschichte schrieb Freund im übertragenen wie im wörtlichen Sinne.

Sie schuf eine Porträtgalerie der Schriftsteller und Künstler des 20. Jahrhunderts gleich derjenigen bedeutend, die der französische Fotograf Félix Nadar im 19. Jahrhundert hervorbrachte. Während Nadar zu einer Zeit, in der das Medium Fotografie noch als Entdeckung galt, die Pariser Bohème in seinem Studio empfing und neue Standards setzte, schuf Freund ihr eindrucksvolles Bildarchiv der literarischen und künstlerischen Avantgarde in der Blütezeit des Fotojournalismus.

Dabei wurde die 1908 in Berlin geborene Freund erst aus der Not heraus selbst zur Fotografin. Die Studentin der Soziologie im Umkreis der Frankfurter Schule flüchtete unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nach Paris. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und ihrer Beteiligung an linksliberalen Studentengruppen war sie im nationalsozialistischen Deutschland gefährdet. In Frankreich, dem Land der Vorreiter auf dem Gebiet der Fotografie, wollte Freund ihre Doktorarbeit über Fotografie und Gesellschaft im 19. Jahrhundert beenden, in der auch Nadar eine Rolle spielen sollte. Mit diesem Thema betrat sie wissenschaftliches Neuland. In den 1930er Jahren beherbergte Paris viele deutsche Emigranten. Schon bald leistete ihr der Philosoph und Literaturkritiker Walter Benjamin Gesellschaft, dessen Bekanntschaft sie hier machte. Täglich traf sie den Emigranten, der sich ebenfalls mit Fotografie beschäftigte, bei ihren Recherchen in der Bibliothèque Nationale.

Im französischen Exil änderte sie ihren Vornamen. Aus Gisela wurde Gisèle. Vorerst ließ jedoch nichts erahnen, dass einmal das französische Staatsoberhaupt François Mitterrand darum bitten würde, Freund Modell sitzen zu dürfen, um in das fotografische Panthéon der Grande Dame der Porträtkunst aufgenommen zu werden. Existenzangst plagte sie. Die mangelnden Sprachkenntnisse waren ihr ein Hindernis, weswegen sie den sehnlichen Wunsch, Schriftstellerin zu werden, alsbald aufgab. Statt zur Feder griff sie zur Kamera, die ihr zugleich universelles Ausdrucksmittel und Mittel zum Broterwerb wurde. Hartnäckig und mit viel Geschick eignete sie sich die Kunst des Porträtierens an. Der französische Schriftsteller und spätere Kulturminister André Malraux gehörte 1935 zu den ersten, die in ihrer Porträtgalerie Platz fanden. Da Freund kein eigenes Studio führte, empfing die Autodidaktin Malraux in ihrer kleinen Dachwohnung. Doch das Licht war zu schwach. Sie musste improvisieren und platzierte den ungeduldigen und wild gestikulierenden Malraux auf ihrem Balkon. Sie verwickelte ihn in ein Gespräch, um ihn von der Leica abzulenken und Zugang zu seiner Person zu finden. Mit dem Finger am Auslöser beobachtete sie ihn währenddessen durch das Objektiv. Auf diese Weise fing sie einen Moment ein, in dem er sein Gesicht ohne Verstellung preisgab. Die Aufnahme des dynamischen Mannes im Lodenmantel mit vom Wind verwehten Haaren zierte später eine Briefmarke zu seinem Gedenken.

Während dieser Fotosession entwickelte Freund Grundregeln für ihre fotografische Arbeit. Da die Kamera Menschen dazu verleitet, eine Rolle einzunehmen und Intimes zu verbergen, schuf sie von nun an eine vertraute Atmosphäre, welche die Kamera vergessen ließ. Denn nichts lag Freund ferner als ihre Modelle in inszenierter Umgebung posieren zu lassen. Was sie faszinierte, war die unverwechselbare Landschaft eines jeden Gesichts. Gesichtszüge – im richtigen Moment eingefangen – verrieten ihrer  Ansicht nach den Charakter der Porträtierten. Auf dieser individuellen Landkarte erkundete sie die Emotionen, die die Biegung von Lippen verrät, oder ging der Beschaffenheit einer Falte nach. In ihrer Ablehnung, Gesichter wie sonst üblich zu retuschieren und zu idealisieren, schwamm sie, gleich ihrem Vorbild Nadar, gegen den Strom.

Großen Anteil am Erfolg der Fotografin hatte die Buchhändlerin und Verlegerin Adrienne Monnier, die Freund 1935 kennenlernte. Beide verband eine langjährige Liebesbeziehung. Da Monniers Buchladen im Pariser Quartier Latin ein Magnet für Schriftsteller war, konnte sie der Emigrantin Zugang zu diesen Kreisen verschaffen. Denn Monnier hatte ein beeindruckendes Gespür für literarische Talente, die sie weiterempfahl oder selbst verlegte. So kam Freund dazu, Schriftsteller abzulichten, die erst Jahre später Anerkennung erlangten. Um den literarischen Mikrokosmos dieser außergewöhnlichen Buchhandlung bildlich festzuhalten, agierten Monnier und Freund in enger Zusammenarbeit. Monnier richtete in ihrem Laden ein Studio ein, damit die Fotografin ihre Besucher, darunter Jean-Paul Sartre, André Breton, Simone de Beauvoir und Jean Cocteau, aufnehmen konnte, und dies sogar in Farbe, was zu der Zeit ein Novum war. Sobald der Farbfilm auf den Markt kam, scheute Freund weder Kosten noch Mühe für diese Neuheit. Die teure und unhandliche Farbfotografie veränderte die Ästhetik ihrer Porträts. Farbstufen bildete sie gedämpft aber farbgetreuer als die Nachkolorierungen von Schwarz-Weiß-Fotografien ab und entwickelte so eine ganz eigene Qualität. Freund versuchte in ihren Bildnissen über die leicht flauen Töne der Farbe Vertrautheit und Nähe zu den Porträtierten herzustellen. 

Wie technische Neuerungen das Bedürfnis, das menschliche Gesicht abzubilden, beeinflussen, analysiert Freund in ihrer Studie über die französische Fotografie im 19. Jahrhundert. Die Entwicklung der Fotografie betrachtet sie darin parallel zum Aufstieg des Bürgertums. Denn ihre Entdeckung kam dem Verlangen nach einem Abbildungsverfahren entgegen, das konträr zur Gewohnheit der Aristokratie, sich in kostspieligen Gemälden zu verewigen, breiten Schichten erschwinglich war. Mit der Erfindung und Optimierung der Fotografie drangen diese gesellschaftlichen Gruppen in Porträtstudios wie sie Nadar führte. Freund und Benjamin sind in fototheoretischer Hinsicht Pioniere. Beide tauschten sich im Pariser Exil über ihre Ansichten aus bis die deutsche Okkupation ihre Wege trennte. Diese zwang Freund zur Flucht nach Argentinien, wo sie bis zu ihrer Rückkehr 1953 den Schwerpunkt ihres Schaffens auf die Fotoreportage verlegen musste, da ihr nun die Pariser Klientel fehlte.

Paris blieb jedoch auch nach der Rückkehr nach Europa Zentrum ihres Lebens. Frankreich erwies der Fotografin die Ehre, indem sie Freund in die Ehrenlegion aufnahm und mit weiteren staatlichen Auszeichnungen würdigte. Als französische Kulturbotschafterin war sie zudem zeitweilig im Ausland unterwegs. Und obgleich sie sich geschworen hatte, niemals nach Deutschland zurückzukehren, reiste die nunmehr international beachtete Fotojournalistin 1957 in ihre Geburtsstadt Berlin. In der von Kriegszerstörungen gezeichneten Stadt fand sie kaum noch Spuren ihrer Kindheit und fotografierte stattdessen Trümmer und Orte der städtebaulichen Neugestaltung. Die deutsche Rezeption ihrer theoretischen Werke nahm erst mit der Studentenbewegung ihren Anfang. Es folgten zahlreiche Ausstellungen, darunter eine erste Retrospektive ihres fotografischen Werkes.

Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland gilt Freund als Pionierin der Fotografie. Porträtaufnahmen wie die des Bibliotheksbesuchers Benjamin oder der auf einem Sofa lesenden Simone de Beauvoir wurden zu Ikonen, die das kollektive Bildgedächtnis beider Länder prägte.

 

Zur weiterführenden Lektüre:

De Cosnac, Bettina: Gisèle Freund. Ein Leben, Zürich 2008.

Freund, Gisèle: Berlin – Frankfurt – Paris. Fotografien 1929-1962, hg. v. Braun-Ruiter, Marita, Berlin 1996.

Freund, Gisèle: Photographien und Erinnerungen, München 1998.

Freund, Gisèle: Gesichter der Sprache. Schriftsteller um Adrienne Monnier. Fotografien zwischen 1935 und 1940, Hannover 1996.

 

Fotos:

Foto 1: © estate Gisèle Freund

Foto 2: © flickr – Hablando del asunto (creative commons)


Biografie und Stationen der deutsch-französischen Rezeption

1908: geboren am 19. Dezember in Berlin-Schöneberg

1931-1933: Studium der Soziologie und Kunstgeschichte zunächst in Freiburg, anschließend am Frankfurter Institut für Sozialforschung bei Karl Mannheim und Norbert Elias

1933: Flucht nach Paris und Fortsetzung des Studiums

1936: Promotion an der Sorbonne mit der Arbeit La Photographie en France au XIXe siècle und Veröffentlichung erster Fotoreportagen in Vu, Life und Weekly Illustrated. Freund heiratet, um die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten.

1938-1940: Entstehung der ersten farbigen Porträtfotografien und Ausstellung dieser in Adrienne Monniers Buchhandlung La Maison des Amis des Livres

1940: Flucht vor den deutschen Truppen ins nicht besetzte Südfrankreich

1942: Einladung der Mäzenin Victoria Ocampo nach Buenos Aires. In Südamerika arbeitet Freund als Fotoreporterin und Kulturbotschafterin des Freien Frankreich

1946: Eintritt in die neu gegründete Fotoagentur Magnum um Robert Capa und Henri Cartier-Bresson

1953: Endgültige Rückkehr nach Paris, wo sie weiterhin als Fotojournalistin arbeitet

1968: Die deutsche Erstausgabe ihrer Dissertation erscheint in überarbeiteter Form als Photographie und bürgerliche Gesellschaft. Viel beachtet wird die Ausstellung im Musée d'Art moderne de la Ville de Paris.

1977: Erste Retrospektive der BRD im Rheinischen Landesmuseum in Bonn und Teilnahme an der documenta 6 in Kassel

1981-1987: Auftrag für das offizielle Präsidentenporträt von François Mitterrand. Es folgen zahlreiche Auszeichnungen des französischen Staates, u.a. Chevalier de la Légion d'Honneur

1988: Retrospektive des Werkbund-Archivs in West-Berlin

1991: Pariser Retrospektive des Musée National d’Art Moderne im Centre Georges Pompidou

2000: Freund stirbt am 31. März in Paris

2009: Ausstellung Gisèle Freund – Porträts und Reportagen im Focke-Museum, Bremen



Kunst ohne Grenzen: Das elsässische Künstler-kollektiv Le Groupe de Mai

von Änne Seidel, erschienen am 15.06.2010

Bei einem Rundgang durch das Straßburger Museum für moderne und zeitgenössische Kunst darf sich der Besucher auf Überraschungen freuen. Zwischen einem Saal, in dem Pablo Picasso und Georges Braque die kubistische Dissoziation der Formen zelebrieren und einem weiteren Raum, in dem Wassily Kandinskys abstrakte, fröhlich bunte Kompositionen verzaubern, erwarten die Besucher mehrere Gemälde, die einen überraschenden Stilwechsel vorführen. Man betritt den Raum des elsässischen Künstlerkollektivs Le Groupe de Mai und ist erstaunt über die plötzlich vorhandene naturalistische Gegenständlichkeit, die dem Betrachter in Form von Porträts, Stillleben und Landschaften entgegen getragen wird. Auch das Kolorit ist im Gegensatz zu der farbenfrohen Palette Kandinskys deutlich gedeckter; es dominieren Schwarz, Braun, Ocker sowie dunkle Rot- und Grüntöne. Was sich auf den ersten Blick als einheitliches Ensemble präsentiert, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Ansammlung unterschiedlichster künstlerischer Herangehensweisen und Stile, die schnell die vielfältigen Einflüsse auf die Mitglieder der Gruppe erahnen lassen. Tendenzen deutscher und französischer Kunstgeschichte scheinen hier Hand in Hand auf eine neue, ganz eigene Ästhetik zuzustreben.

Die Künstlergruppe Le Groupe de Mai gründete sich 1919 in Straßburg mit dem Ziel, die elsässische Malerei in eine neue Richtung zu führen. Jacques Gachot, Hans Haug, Luc Hueber, Louis-Philippe Kamm, Lisa Krugell, Simon Levy, Charles Schenckbecher, Paul Welsch und etwas später auch Édouard Hirth und Martin Hubrecht schlossen sich zu einer Künstlergemeinschaft zusammen und organisierten zwischen 1920 und 1934 jedes Jahr im Mai eine Gemeinschaftsausstellung. Die Gründung der Gruppe fiel in die Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Nach beinahe 50 Jahren in deutscher Hand war das Elsass gerade wieder Teil des französischen Nationalgebiets geworden. Für die Künstler der Region, deren Ausbildung noch überwiegend durch die deutschen Akademien geprägt worden war, bedeutete dies neben dem Erwerb einer neuen nationalen Identität auch die Konfrontation mit einer anderen künstlerischen Tradition. Neugier und Interesse an den Strömungen des neuen (und zugleich alten) Heimatlandes führten zu einer allgemeinen Orientierung in Richtung Paris, wo insbesondere die französische Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der elsässischen Künstler erregte.

Das Werk Simon Levys, der Kopf der Groupe de Mai, verdeutlicht eindringlich dieses Bekenntnis zu den Errungenschaften der französischen Malerei. Er studierte an den Kunstakademien in Brüssel und München, bevor er ab 1920 in Paris lebte und arbeitete. Levy gilt als erklärter Bewunderer der Kunst Paul Cézannes, dessen malerische Wiedergabe von Licht und Farbeffekten ihn zu seinen Kompositionen inspirierte. In einer Arbeit wie Jeune fille au peignoir orange (Junges Mädchen im orangefarbenen Morgenmantel) erinnert der flächige Auftrag der Farbnuancen mit breiten, groben Pinselstrichen, aber auch die melancholische Pose der Dargestellten an manche Porträts aus der späteren Schaffensphase seines berühmten Vorgängers. Levy gab seine Begeisterung für die ästhetischen Formulierungen des provenzalischen Malers auch an andere Mitglieder der Groupe de Mai weiter. Paul Welschs Landschaftsgemälde Les Decques au Brusq (Die Decques in Le Brusq) verweist beispielsweise auf Cézannes zahlreiche Darstellungen der Montagne Sainte-Victoire.

Anstatt sich an den aktuellen Pariser Kunstströmungen wie dem aufkeimenden Surrealismus zu orientieren, wendeten sich die Mitglieder der Groupe de Mai also vielmehr der Malerei aus der Zeit vor der kubistischen Revolution am Anfang des Jahrhunderts zu. Dies war unter den Künstlern der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg keine Ausnahme. Die erschütternden Ausmaße des Konflikts hatten ein allgemeines Verlangen nach Rückkehr zu Ordnung und Tradition zur Folge. Selbst Picasso, Wegbereiter der Moderne, verließ in dieser Zeit den Weg der Abstraktion und erstaunte mit seinen harmonischen neoklassizistischen Kompositionen. Für die Mitglieder der Groupe de Mai bot die Orientierung an anerkannten Werten der französischen Malerei darüber hinaus die Möglichkeit, sich ausdrücklich zu den kulturellen Wurzeln und Traditionen des neuen Heimatlandes zu bekennen. Wie zur Bestätigung dieses Bekenntnisses luden die Künstler anlässlich ihrer Gemeinschaftsausstellung im Jahr 1922 einen der bedeutendsten Pariser Kunsthändler dieser Zeit, Ambroise Vollard, nach Straßburg ein, wo dieser zwei Vorträge über die Kunst Cézannes und Pierre-Auguste Renoirs hielt.

Auch wenn sich der Blick der elsässischen Künstler vornehmlich nach Paris wendete, so standen nicht alle Mitglieder der Gruppe unter so eindeutigem Einfluss der französischen Malerei wie Levy und Welsch. Das Werk Martin Hubrechts bildet beispielsweise einen spannenden Gegenpol. Insbesondere seine Porträts stehen in engem Bezug zu den Entwicklungen in der deutschen Kunstszene der 20er Jahre. Nach den furiosen Ausbrüchen des Expressionismus erfolgte mit der Malerei der Neuen Sachlichkeit auch hier eine Rückkehr zum Naturalismus, der allerdings oftmals im Dienste einer beißend realistischen Gesellschaftsanalyse stand. Wenn auch deutlich weniger aggressiv, so verraten Werke wie L'Épicier (Der Krämer) oder Portrait d'Émile Henry, directeur des « Dernières Nouvelles d'Alsace » (Porträt Émile Henrys, Direktor der « Dernières Nouvelles d’Alsace ») eine ähnlich realistische Sicht auf Menschen, Dinge, Räume und deren unterschwelligen Bezüge zueinander. Genau wie in der Malerei Hubrechts, finden sich auch in den Werken Jacques Gachots, Luc Huebers, Louis-Philippe Kamms und Lisa Krugells deutliche Parallelen zur deutschen Neuen Sachlichkeit.

Es sind diese stilistisch gegensätzlichen Einflüsse der Malerei diesseits und jenseits des Rheins, die der Kunst der Groupe de Mai ihren besonderen Reiz verleihen. Um zu einer glaubhaften elsässischen Ästhetik zu finden, arbeiteten die Künstler ungeachtet jeglicher regionaler, nationaler und epochaler Grenzen. So wurde die Forderung nach einer elsässischen Kunst in der Tradition der französischen Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts plötzlich vereinbar mit den Prägungen durch die zeitgenössische Kunst des ehemaligen Heimatlandes. Gerade diese Synthese ermöglichte es, einer Region zwischen zwei Kulturen eine überzeugende künstlerische Stimme zu verleihen. Die Werke der Groupe de Mai sind daher mehr als eine bloße Nachahmung ästhetischer Tendenzen aus Deutschland und Frankreich. Vielmehr spiegeln sie auf eindrucksvolle Weise die ganz eigene Identität einer Region kultureller Begegnungen wider. Einer Gegend, in der, wie es der Kunstkritiker André Salmon anlässlich einer Ausstellung der Werke Luc Huebers ausdrückte, »das Genie der Rhône mit dem Geiste des Rheins ein Bündnis eingeht.«

Zur weiterführenden Lektüre:

Laps, Thierry: « Le Groupe de Mai (1919-1934) : des artistes à la frontière », in: Hans Haug, homme de musées. Une passion à l’œuvre, Strasbourg 2009, S. 217-227.

Lotz, François: Artistes peintres alsaciens de jadis et de naguère (1880-1982), Kaysersberg 1987.

Wendling, Pia: Une génération de peintres en Alsace. Le Groupe de Mai 1919-1934, Haguenau 2002.

Fotos:

© photo musées de Strasbourg – mit freundlicher Genehmigung von Christine Speroni

 


Die Mitglieder der Groupe de Mai

Jacques Gachot (Straßburg, 1885 – Straßburg, 1954) studierte an der École des Arts Décoratifs in Straßburg, der Kunstakademie in Düsseldorf und der Académie Julian in Paris.

Hans Haug (Niederbronn-les-Bains, 1890 – Sarrebourg, 1965) war ab 1919 Konservator am Musée des Beaux Arts und am Musée des Arts Décoratifs in Straßburg und ab 1945 Direktor der Museen der Stadt. Sein künstlerisches Werk entstand unter dem Pseudonym Balthasar.

Édouard Hirth (Richwiller, 1885 – Illkirch-Graffenstaden, 1980) studierte an der École des Arts Décoratifs in Straßburg, der Akademie der Bildenden Künste in München und der École des Beaux-Arts in Paris.

Martin Hubrecht (Sélestat, 1892 – Straßburg, 1965) studierte zunächst Literaturwissenschaften, Jura und Kunstgeschichte und später an der École des Arts Décoratifs in Straßburg, der Akademie der Bildenden Künste in München und der Académie de la Grande Chaumière in Paris.

Luc (Lucien) Hueber (Sainte-Croix-en-Plaine, 1888 – Straßburg, 1974) studierte an der École des Arts Décoratifs in Straßburg, der Akademie der Bildenden Künste in München und der Académie de la Grande Chaumière in Paris.

Louis-Philippe Kamm (Straßburg, 1882 – Straßburg, 1959) studierte an der École des Arts Décoratifs in Straßburg, der Akademie der Bildenden Künste in München und später in Paris.

Lisa Krugell (Straßburg, 1893 – Minori, Italien, 1977) war zunächst Schülerin im Atelier von Emilie Gross, dann Studentin an der École des Arts Décoratifs in Straßburg und nahm später Unterricht bei Eugène Amann in Basel.

Simon Levy (Straßburg, 1886 – Paris, 1973) studierte in Brüssel, München und ab 1920 in Paris, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Trotzdem bewahrte er den Kontakt zum Elsass und galt als der Kopf der Groupe de Mai.

Charles Schenckbecher (Niedernai, 1887 – Obernai, 1942) war zunächst Grundschullehrer, studierte aber gleichzeitig an der École des Arts Décoratifs in Straßburg um später Zeichenlehrer zu werden.

Paul Welsch (Straßburg, 1889 – Paris, 1954), studierte Politik und Jura in Straßburg, nahm aber gleichzeitig Zeichen- und Malunterricht. Er war unter anderem Schüler von Emile Schneider in Straßburg und Charles Guérin in Paris.      



Die Reisemaler: Henri Matisse und Paul Klee im Land der Arabeske

von Sylvie Lagnous, Übersetzung Julia Plangger, erschienen am 15.05.2010

Januar 1912. Henri Matisse, der das graue Einerlei in Paris leid ist, schifft sich nach Marokko ein und verbringt dort die zwei darauffolgenden Winter. Zwei Jahre später setzt der Schweizer Maler Paul Klee zum ersten Mal seinen Fuß auf tunesischen Boden. Was wohl wollen diese beiden Maler, die so wenig gemein haben, in Nordafrika? Matisse ist bereits ein anerkannter Künstler. Der 10 Jahre jüngere Klee jedoch ist ein leidenschaftlicher und versierter Kunstliebhaber, der zwar schon früh mit der Malkunst begann, sich ihr aber erst nach seiner Rückkehr aus Tunesien voll zuwendet.

Weder Matisse noch Klee sind nach Nordafrika gereist, um wie die Maler des 19. Jahrhunderts (Vernet, Ingres, Delacroix, Chassériau, etc.) orientalische Studien anzufertigen. Sie wollen nicht auf den Spuren dieser »Lanschaftsentführer« wandeln, wie sie Jean Duvignand in seinem Buch über Klee nennt. In Klees und Matisse' Augen hatten die Maler des 19. Jahrhunderts im Orient nach »vorgefertigten« Bildern gesucht und sich mehr von der Exotik als von der eigentlichen lokalen Ästhetik verzaubern lassen. Was also suchen die beiden? Sie sind auf der Suche nach einer neuen Inspirationsquelle, nach einem malerischen Raum, der ihnen eine neue Sichtweise eröffnen soll. Die beiden Künstler sind sowohl von dem orientalistischen Erbe beeinflusst als auch von der Ausstellung Meisterwerke muhammedanischer Kunst, die 1910 in München stattfand. Matisse ist nahezu überwältigt von dieser Ausstellung: »Meine Offenbarungen erfuhr ich stets durch den Orient«. Er hegt sein Leben lang eine große Leidenschaft für islamische Kunst, die er auf einer Reise durch Andalusien entdeckte.

Die Offenbarung des Lichtes
Klee und Matisse tauchen ein in die Welt der orientalischen Kunst, der Stadtlandschaften und der urbanen Architektur. Was entdecken sie dort? Große Gefühle, das Licht und die Farben des Orients. Matisse zieht ab 1898 von einem Ort Europas zum nächsten. Er braucht Abstand von Paris und dem Fauvismus, einer Kunstströmung des frühen 20. Jahrhunderts, deren Anhänger sich einer gewagten großflächigen Farbgebung bedienen. Gaugin, Derain und Bonnard zählen zu den Fauvisten, die auf der Suche nach starken, emotionsgeladenen Farbkontrasten sind. Wieso aber begibt er sich nach Marokko? Er ist angezogen von der arabischen Kultur und hofft, hier etwas fürs Leben zu lernen, seine innere Ruhe zu finden. Er ist auf der Suche nach neuer Inspiration und dem Geheimnis seiner Kunst auf der Spur. Dabei erweist sich Tanger mit seinen zauberhaften Farben und seinem sanften Licht als ein ideales Atelier. Von seinem Zimmer aus, das die gesamte Bucht überblickt, malt er Schwertlilien, Aronstäbe, Palmen – einen wundervollen Garten. Die Frage nach der Wahrnehmung von Raum lässt ihm keine Ruhe: Wie kann man das Nahe und Ferne so vereinen, wie es das Licht imstande ist? Vielleicht durch seine Fenster, die – wie ein Bild im Bild – den Blick auf die Natur freigeben.

»Das ist der glücklichen Stunde Sinn: Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler« ruft Klee aus als er 1914 nach Tunis kommt und überzeugt ist, dass er dort seine Berufung als Maler gefunden hat. Vom Golf von Karthago aus bewundert er die Leuchtkraft des Lichtes und der Farben, die er mit der Transparenz des Aquarells überträgt wie in Rote und weiße Kuppeln (1914). Vor seinem Tunesienaufenthalt ging Klee sparsam mit Farben um, da er sich eher für den theoretischen Wert eines Farbtons interessierte als für seine emotionale Aussagekraft. Mit Körper und Geist taucht Klee in diese neue Welt ein und gibt ihre Farbstrukturen mit reinen Farbtönen wieder. Er malt in Kairuan die Welt aus Tausend und einer Nacht: die Große Moschee, das beeindruckende Minarett, den wohlriechenden Bazar, das Stimmengewirr der Menschenmenge. Das naturalistische Motiv erhält einen Hauch von Poesie und sprengt die Grenzen der Realität.

Von der Verzierung zur Stilisierung: ein Harmonieideal
Die beiden Maler sind verzaubert von der Kraft der Zeichen und der Arabeske. Klee findet in der arabischen Kalligraphie sein eigenes malerisches Alphabet und die Motive der islamischen Kunst bieten ihm eine unerschöpfliche Quelle an reinen geometrischen Formen wie in St. Germain, Tunis, 1914. Basierend auf der islamischen Architektur schafft er sich eine eigene Malstruktur, ein Schachbrett pulsierender Farben. Matisse seinerseits malt wunderschöne Frauen, majestätische Reiter, üppige Kulissen, indem er in seine Malerei Elemente der arabisch-islamischen Kunst einfließen lässt: die Ornamente, die auf Teppichen, Kissen, Wandteppichen immer wiederkehrenden Arabesken – er spielt mit Farbtönen, die sich ergänzen wie Musiknoten. Während seines Tangeraufenthalts entstehen Das Tor der Kasbah, Die Mulattin Fatmah und Auf der Terrasse, die das marokkanische Triptychon bilden.

Schönheit und Harmonie: In Nordafrika wird sich Matisse bewusst, wie sehr die islamische Kunst dieses rein dekorative Ideal zu verkörpern vermag. Die Einteilung in horizontale und vertikale Flächen, lineare Verbindungen, die Tendenz zur Abstraktion wie in Die Marokkaner sind die Spuren, die die islamische Kunst in seinen Bildern hinterlässt ebenso wie Streublumen, Rosetten und besondere Verzierungskompositionen. Klee geht noch einen Schritt weiter als Matisse, auch er lässt Unwesentliches fallen und setzt auf eine synthetische, noch abstraktere Wahrnehmung. Die Natur abzubilden, wie sie ist, genügt Klee nicht, er muss sie umsetzen in eine harmonische Komposition von geometrischen Formen, die ineinander übergreifen wie in Ansicht von Saint Germain (1915). Dieses Aquarell ist ein wahres Kaleidoskop farbiger Eindrücke, die einen Vorgeschmack auf sein späteres Werk geben: Fehlende Perspektive, stilisierte und flache Landschaften, das Gegenstück zum Naturalismus.

Der Zauber des Orients
Der Blick des Betrachters verfängt sich im magischen Netz der maurischen Gemälde Klees und Matisse'. Er ist gebannt von der Farbintensität der Aquarelle Klees und der Leuchtkraft, die durch die Gegenüberstellung kräftiger Farben entsteht. Der übliche Hell-Dunkel-Kontrast ist verschwunden. Der Maler reiht unterschiedliche Farben aneinander, um jene Gefühle hervorzurufen und jenes Licht, die er über die Theorien des Malers Robert Delaunay kennengelernt hat. Matisse hingegen bedient sich der Kontraste, um durch einen Farbschock (Grün und Blau) und eigenartige Winkel Lichteffekte zu erzeugen. Seine Bilder sind ein Zusammenspiel von plastischen Elementen, Objekten und Arabesken. Das Bild Der maurische Paravent ist ein wahres Rätsel für den Betrachter. Wo beginnt die Tapete des Wandbehangs? Wo endet der Teppich? Der Spiegel, die Pflanze, die Kulisse, alles scheint ineinander überzufließen, indem die Tiefenillusion und die Fläche der Leinwand sich verbinden. Alles ist in Bewegung, alles kreist, die Arabeske verleiht dem Ganzen Struktur und Einheitlichkeit.

Es ist der Zauber des Orients, der durch die Bilder von Klee und Matisse wirkt: Durch das subtile Zusammenspiel von Farbgebung, Verzierung und Stilisierung erreichen sie den Einklang von Form und Inhalt. Den Künstlern des Abendlandes gelingt es, sich die orientalische Kunst wieder anzueignen. Am Ziel ihrer Suche angekommen, haben die beiden Künstler in Nordafrika eine neue Inspirationsquelle und eine neue Art der Umsetzung der islamischen Kunst gefunden, die ihr Werk Zeit ihres Lebens kennzeichnen wird.

Matisse und Klee, zwei große Koloristen, sind von dem Zauber der orientalischen Kunst und dem Reichtum ihrer ornamentalen Ausdrucksformen fasziniert. Beide haben es verstanden, sich von der pittoresken Darstellung des exotischen Sujets zu befreien und orientalische und okzidentale Kunst zu vereinen. Ihre Werke sind avantgardistisch, poetisch und sensibel, persönliche Interpretationen des Orients, die eine Welt jenseits der Realität aufdecken. Klee findet die passenden Worte: »Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.«

 

Zur weiterführenden Lektüre:
Christophe Domino : Matisse et le Maroc, 1999
Jean-Louis Ferrier Terrail : Paul Klee, 1998
Gilles Néret : Matisse, 1997
Ernst-Gerhard Guse : Die Tunisreise, 1982

Fotos:

Foto 1: © flickr – Julia Manzerova (creative commons)

Foto 2: © flickr – imago (creative commons)


Paul Klee
Klee wurde 1879 in der Nähe von Bern geboren. Durch seine Eltern kommt er schon sehr früh mit der Musik und der Kunst in Kontakt, entscheidet sich dann aber für die Malerei. Nach Abschluss der Akademie der Schönen Künste in München malt er einige Bilder, die er bei der Ausstellung der Blauen Reiter zeigt. In jener Zeit lernt er Wassily Kandinsky und August Macke kennen. 1905 reist er nach Italien, anschließend nach Paris, wo er die Werke von Rembrandt, Goya, Cézanne, Van Gogh und der Kubisten kennenlernt. Während seines Tunesienaufenthaltes 1914 offenbart sich ihm die Welt der Farben. Klee unterrichtet im Bauhaus von 1921 bis 1931. Inspiriert vom Avantgardismus schafft er Werke von unglaublicher Originalität (Villa R., 1919; Eros, 1923; Variation, progressives Motiv, 1927). Klee schreibt auch einige theoretische Werke (Moderne Kunst, 1924; Pädagogisches Skizzenbuch, 1925). Als die Nazis ihn seines Amtes als Lehrer in Düsseldorf entheben, zieht er nach Bern und malt dort Ideogramme (Schwarze Zeichen, 1938). 1940 erliegt er einer Muskelerkrankung.

Henri Matisse
Henri Matisse wurde 1869 in Cateau-Cambrésis geboren. Nach dem Rechtsstudium widmet er sich der Malerei. Durch sein anfängliches Interesse für die Impressionisten, Gauguin, Cézanne und Toulouse-Lautrec, malt er Bilder, die durch große Strukturfreizügigkeit gekennzeichnet sind. Schon bald gilt er als Kopf der Fauvisten, einer Kunstströmung, die durch großflächige Farbflecken in wilden Kontrasten und gewagten Formen (Die Zigeunerin, 1905) gekennzeichnet ist. Im Laufe der Zeit geht er zu einfacheren Linien und Formen über (Die Bandenden mit Schildkröte, 1908). 1912 reist er nach Marokko, wo er eine Reihe von Ateliers und Fenstern malt, wobei er zu einer synthetischen Komposition neigt und seiner Farbpalette eine neue Leuchtkraft verleiht (Die Marokkaner, 1916). Er bedient sich bis zu seinem Tod der Technik der Scherenschnittcollagen. Von 1946 bis 1948 erhält er den Auftrag die Kapelle Sainte-Marie-du-Rosaire in Vence auszumalen, den er 1951 beendet. Henri Matisse stirbt am 3. November 1954 in Nizza. Zwei Museen zeigen seine Werke: Das Matisse-Museum in Nizza (Colline Cimiez), das komplett renoviert wurde, und das Museum in Cateau-Cambrésis.



SurréELLES: Künstlerinnen im Surrealismus

von Sarah Nekola, erschienen am 15.02.2010

Paris 1924: Eine neue Künstlervereinigung ruft zur Revolution auf. In der ersten Ausgabe ihrer Zeitschrift La Révolution surréaliste (Die surrealistische Revolution) präsentiert sie ein programmatisches Gruppenporträt: Fotografien der Mitglieder umrahmen das vergrößerte Bildnis einer Frau. Bei ihr handelt es sich jedoch nicht um eine teilnehmende Künstlerin, sondern um die Anarchistin Germaine Berton, die 1923 einen rechten Nationalisten erschoss. Die mysteriöse Frau dient den Surrealisten als Inspirationsquelle. Ihre Rolle ist die einer Muse. Unter den abgebildeten Mitgliedern der Surrealistengruppe befindet sich dagegen keine Künstlerin. Beschränkt sich der Beitrag von Frauen am surrealistischen Experiment also auf das Dasein als Muse und Symbolfigur für Eros und Unbewusstes? Keineswegs, wie die beeindruckenden Arbeiten der Künstlerinnen Meret Oppenheim, Dora Maar und Claude Cahun zeigen.

Die drei Frauen finden im Paris der Zwischenkriegszeit zum Surrealismus. Die französische Metropole bildet das Zentrum der künstlerischen Avantgarde, das auch ausländische Künstlerinnen und Künstler anzieht, etwa den deutschen Pionier des Surrealismus Max Ernst. In einem Manifest formuliert der Schriftsteller André Breton 1924 die Leitsätze der surrealistischen Bewegung, die sich von nun an als offizielle Vereinigung um den Theoretiker gruppiert. Die Surrealistinnen und Surrealisten greifen auf Sigmund Freuds Studien zur Traumdeutung und zum Unbewussten zurück. Traum- und Rauschzustände inspirieren sie zur Darstelllung einer übersteigerten Wirklichkeit. Mit der Logik eines Traumes wird ein scheinbar naturalistisches Bild durch die Kombination disparater Dinge gebrochen. Der Surrealismus ist nicht nur ein Stil, sondern bedeutet auch eine Lebenshaltung, die den antibürgerlichen Gestus des Dadaismus übernimmt.

Der Anziehungskraft der Stadt Paris kann sich 1932 auch die 18-jährige Meret Oppenheim nicht entziehen. Sie ist in Deutschland und der Schweiz aufgewachsen. Für ein Studium der Kunst fällt ihre Wahl auf Paris. Doch die Kurse an der Académie de la Grande Chaumière genügen ihr schon bald nicht mehr. Stattdessen richtet sie sich in Montparnasse ein eigenes Atelier ein, jenem Viertel, das den Großteil der künstlerischen Avantgarde beherbergt. Über Alberto Giacometti und Hans Arp, die sie in einem Café kennenlernt, kommt sie mit dem surrealistischen Kreis in Kontakt.

Die Surrealistengruppe bietet gerade auch Frauen einen künstlerischen Gestaltungsraum. Von einer Bewegung, die sich gegen bürgerliche Konventionen richtet, erhofft sich Oppenheim auch gegen tradierte Frauenrollen rebellieren zu können und als Künstlerin anerkannt zu werden. Doch trotz der Offenheit gegenüber künstlerisch tätigen Frauen hat die Wertschätzung durch die männlichen Kollegen seine Grenzen. Die Künstlerinnen handeln sich schneller den Vorwurf ein, mangels eigener Ideen unschöpferisch andere nachzuahmen.

Oppenheim, um einiges jünger als die meisten Mitglieder und am Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn stehend, posiert mehrmals als Modell für den Fotografen Man Ray. Dies bringt ihr den Ruf einer surrealistischen Muse ein. Sie lässt sich jedoch nicht auf diese Rolle reduzieren. Bis 1937 nimmt sie an Treffen und Ausstellungen des Surrealistenkreises teil, in denen sie Objektkunst präsentiert, ein Genre, das im Zentrum ihres surrealistischen Schaffens steht. Spielerisch montiert sie Materialien und enthebt Alltagsgegenstände ihrer eigentlichen Bestimmung, macht sie zu Objekten voller erotischer Anspielungen gepaart mit einem guten Schuss subtilen Humor. Das Frühstück im Pelz, eine mit Fell überzogene Kaffeetasse, ist wohl ihre bekannteste Arbeit.

Auch die französische Fotografin und Malerin Dora Maar kann sich gegen die bereits im Künstlermilieu etablierten Männer durchsetzen. Kurzzeitig hat sie ein Verhältnis mit dem führenden Surrealisten André Breton. Heute ist sie vornehmlich als Geliebte und Muse Pablo Picassos bekannt, mit dem sie ab 1936 liiert ist. Dennoch tauscht sie ihre Berufung als Künstlerin nicht gegen ihre Rolle als Modell ein. Maars technisch raffinierte Fotografien der 30er Jahre haben einen bedeutenden Anteil an der starken Präsenz und Etablierung der Fotografie als surrealistische Kunstform. Mit der Kamera ist die ausgebildete Fotografin in den Straßen von London, Barcelona und natürlich Paris unterwegs. Porträts, Aktaufnahmen, Mode- und Werbefotografie gehören zu ihrem breit gefächerten Repertoire. Die Fotomontage, unter Surrealistinnen und Surrealisten ein beliebtes Mittel zur Darstellung einer anderen Realität, hat es ihr besonders angetan.

Mit der Fotografie Simulateur führt Maar dem Betrachtenden vor Augen, wie sich ein Traumzustand einstellt: In einem düsteren Raum, ähnlich einem Burgverließ, befindet sich ein Junge. Seine nach hinten gebeugte Haltung suggeriert einen Balanceakt, der ihn vor dem Fall auf den Steinboden bewahren soll. Bei genauerem Hinsehen wird das finstere Gebäude als die umgekehrte Aufnahme eines Turmgewölbes erkennbar. Noch steht der Junge zwischen Traum und Wirklichkeit, leistet Widerstand gegen das Abgleiten in die Sphäre des Unbewussten. Maar montierte den Jungen, den sie einer Pariser Straßenszene entnahm, in die Fotografie der Orangerie in Versailles.

Eine weitere Künstlerin im Umkreis des Surrealismus der Zwischenkriegszeit bedient sich der Fotografie als Ausdrucksmittel: Claude Cahun ist älter als Oppenheim und Maar und hat sich bereits auf mehreren künstlerischen Gebieten erprobt, bevor sie Mitglied der surrealistischen Gruppe wird. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin, der Illustratorin Suzanne Malherbe, führt sie einen eigenen Künstlersalon. Neben ihrer fotografischen Arbeit lebt Cahun ihre Kreativität als Schriftstellerin sowie als Schauspielerin in surrealistischen Theaterstücken aus, für die sie auch Kostüme entwirft. Ihr vielfältiges Schaffen kreist um Identitätsfragen; immer hinterfragt sie die Vorstellung von einem einheitlichen Selbst. In ihren Schriften konzentriert sich Cahun auf die eigene Biografie. In fotografischen Selbstporträts steht ihre äußere Erscheinung im Vordergrund. 

Das Selbstbildnis gilt im Surrealismus als Genre, das hervorragend das Innenleben veräußern kann. Surrealistinnen wie Cahun nutzen es, um ihre Position als Frau zu reflektieren. Viele Arbeiten der Künstlerkollegen sind ein Fundus an Weiblichkeitsvorstellungen und traditionellen Rollenzuschreibungen. Cahun verwehrt sich diesen, indem sie sich selbst Modell steht. In einem Spiel wechselnder Verwandlungen nimmt sie traditionelle Rollen ein und entlarvt sie als kulturelle Konstrukte. Einmal setzt sie sich als orientalische Königin in Szene, ein anderes Mal posiert sie als blasierter Dandy. Während ihrer Metamorphosen wechselt sie das Geschlecht oder belässt die Zuordnung zu Frau oder Mann offen. In surrealistischer Manier verfremdet sie ihr Körperbild, indem sie es mit Hilfe eines Spiegels verzerrt. Ihre Maskeraden nehmen heute zeitgenössische Verwandlungskunst wie die Cindy Shermans vorweg.

Die Künstlerinnen Meret Oppenheim, Dora Maar und Claude Cahun stehen beispielhaft für Frauen, die in der surrealistischen Bewegung als Künstlerinnen agieren anstatt sich einfach auf die Rolle einer Muse beschränken zu lassen. Unter den Surrealisten treffen diese Frauen auf Künstler, die sich bereits im Kulturbetrieb etabliert haben und ihnen die Fähigkeit absprechen, autonom zu schaffen. Diese Kritiker haben übersehen, dass es gerade die Frauen sind, die das Versprechen des Surrealismus einlösen: das Versprechen konventionelle Rollenmuster und bürgerliche Strukturen zu durchbrechen. Mit eigensinnigen Arbeiten wehren sich die Surrealistinnen dagegen, nur in der Nebenrolle als Lebenspartnerin aufzutreten und ein Dasein als Muse zu fristen. Ihre Formenexperimente haben eine ganz eigene Signatur. Umso bedauerlicher, dass eine umfangreiche Anerkennung ihres Werkes ausbleibt.

 

Zur weiterführenden Lektüre:

Chadwick, Whitney (Hg.): Mirror images: Women, Surrealism and Self-Representation, Cambridge 1998.

Chadwick, Whitney: Women Artists and the Surrealist Movement, London 1985.

Hörner, Unda: Madame Man Ray. Fotografinnen der Avantgarde in Paris, Berlin 2002.

Jürgs, Britta (Hg.): Oh große Ränder an meiner Zukunft Hut! Porträts surrealistischer Künstlerinnen und Schriftstellerinnen, Grambin/Berlin 1999.

Fotos:

1. Foto: © flickr – 324PS (creative commons)

2. Foto: © flickr – dovima is devine (creative commons)


Kurzporträts

Meret Oppenheim
Geboren 1913 in Berlin-Charlottenburg. Sie wächst in Deutschland und der Schweiz auf. 1932 kommt sie nach Paris, schließt sich im darauf folgenden Jahr dem surrealistischen Kreis an und nimmt erstmalig an einer Gruppenausstellung teil. Bis 1937 ist sie festes Mitglied der Surrealisten und konzentriert sich auf die Objektkunst. 1937 kehrt sie in die Schweiz zurück – der Beginn einer jahrelangen Schaffenskrise. Nach dem Zweiten Weltkrieg distanziert sie sich vom Surrealismus. Mitte der 1950er beginnt eine intensive Phase, in der sie stilistisch ungebundene Arbeiten schafft. Sie stirbt 1985.

Dora Maar
Geboren 1909 in Tours als Henriette Theodora Markovitch. In Paris studiert sie Malerei und Fotografie. Zunächst Assistentin des Fotografen Man Ray richtet sie sich 1935 ein eigenes Studio ein. Maar ist als Modefotografin tätig, doch nebenbei fertigt sie auch sozial engagierte Fotoserien an. Von 1934 bis 1937 gehört sie der Surrealistengruppe an. Ihre Fotografien werden ausgestellt und in Publikationen des Kreises veröffentlicht. Eine Beziehung mit Pablo Picasso (1936 bis 1946) verändert ihr künstlerisches Schaffen. Maar gibt die Fotografie zugunsten der Malerei auf. Bis zu ihrem Tod 1997 entstehen Stillleben und Landschaftsmalerei.

Claude Cahun
Geboren 1894 in Nantes als Lucy Schwob. Seit 1922 arbeitet sie in einem Pariser Atelier und ist zugleich Schriftstellerin. Die Bandbreite ihres surrealistischen Werkes ist groß: Es entstehen surrealistisch inspirierte Fotografien, Schriften, Kostüme und Collagen. 1930 erscheint ihre autobiografische Schrift Aveux non avenus, die sie mit eigenen Fotomontagen illustriert. Politisch engagiert sie sich in mehreren linksintellektuellen Gruppen. Während der nationalsozialistischen Besatzung unterstützt sie die Résistance von der Kanalinsel Jersey aus. Zehn Monate vor der Befreiung durch die Allierten wird Cahun von der Gestapo verhaftet. Sie stirbt 1954 auf der Insel Jersey.

 



»Mit Blumen zeichnen. Mit Wolken malen. Mit Wasser schreiben«: der Naturkünstler Nils-Udo.

von Elisa Erkelenz, erschienen am 15.11.2009

Natur und Kultur. Zwei Begriffe, die unterschiedlicher und ähnlicher nicht sein könnten. Seit Jahrhunderten scheinen sich an ihnen die Geister zu scheiden. Laut Definition bezeichnet Natur alles, was nicht vom Menschen geschaffen wurde, Kultur all das, wo der Mensch formend eingegriffen hat. Doch bilden Natur und Kultur wirklich einen Gegensatz? Ist es nicht vielmehr ein fast symbiotischer Zustand gegenseitiger Durchdringung, der sie vereint? Welche Rolle kann die Kunst, die die Natur seit jeher immer wieder zu ihrem Thema macht, als Vermittlerin spielen? Der Naturkünstler Nils-Udo geht in seinem einzigartigen Werk natürlicher Ästhetik dieser Frage nach.

1937 wurde Nils-Udo im fränkischen Lauf geboren und arbeitete zunächst als Maler, unter anderem in Paris, bis er 1972 die Malerei als artifiziell empfand und sein Material nun ausschließlich in der Natur suchen wollte, um sich ihr in seiner Kunst unmittelbarer zu nähern. Statt zu Pinsel und Farbe zu greifen widmete er sich nun Erdmodellationen und Pflanzungen.

Nils-Udo gehört zur ersten Generation von Künstlern, die die Natur als Grundlage ihres Schaffens entdeckte. Analog zu den studentischen Revolten der 68er ist ihre Arbeit ein Ausbruch aus dem musealen Bereich der Kunst. Der Kapitalgesellschaft, die die Kunst als Besitzobjekt und Ware degradiert, soll kein neues Konsumgut geliefert werden.

Doch im Gegensatz zu Michael Heizer, dem Pionier der Land Art, widerstreben Nils-Udo gewaltsame Eingriffe in die Natur und er gibt der Naturkunst eine ökologische, poetische und feinfühlige Perspektive. Künstliche Gegenstände und Hilfsmittel wie Angelschnüre oder Draht sind tabu, es ist die pure Ästhetik der Natur selbst, die der Künstler durch sein Werk hervorhebt.

In einem Künstlergespräch auf den Landarttagen erklärt er: »Grundgedanke ist die angestrebte absolute Reinheit. Die Natur führt sich gewissermaßen selbst vor. Jedes naturfremde Element ist als unrein ausgeschlossen.« Während Michael Heizer noch ausrief: »It’s about art, not landscape«, um sich von einer ökologischen Auslegung der Landschaftskunst zu distanzieren, ist das Werk Nils Udos nicht von der Natur zu trennen. Es ist die kurzlebige und einzigartige Schönheit der Natur, die ihn fasziniert.

Der Umweltzerstörung durch die Zivilisation und den groben Eingriffen in die Natur im Rahmen der amerikanischen Landschaftskunst der 60er Jahre setzt er eine Vorstellung von Natur entgegen, die von Empathie, Zutrauen und Zärtlichkeit geprägt ist. »Meine Arbeit besteht darin, in der Natur, mit der Natur zu arbeiten, parallel zur Natur zu arbeiten und vor allem: aus ihr heraus zu arbeiten und für sie zu arbeiten. Das heißt: Meine Arbeit besteht nicht darin, mit Artefakten die Natur zu möblieren, das funktioniert nicht«, erklärt der Künstler in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.

Durch diese Auffassung wird Nils-Udo zum Wegbereiter der Naturkunst. Seinem Beispiel sind viele bedeutende Künstler gefolgt, so zum Beispiel Andy Goldsworthy, der selbst zur Ikone auf diesem Gebiet geworden ist. Nils Udos Werk ist eine Huldigung an die Schönheit der Natur. Ihr entnimmt er sein Material – Blüten, Blätter, Zweige, Steine, Äste – arrangiert sie neu und erhöht sie zu einem Werk berauschender Ästhetik.

Nils-Udo ist für seine Kunst durch die ganze Welt gereist. Seine Laufbahn begann in Paris wo er neun Jahre lang lebte und wirkte. In Wäldern und Feldern des ganzen Lands sind seine Installationen und Skulpturen beheimatet. Sogar auf der im äußersten Nordwesten Frankreichs gelegenen Ile d’Ouessant, die vor allem durch die Tankerunglücke in den 60er Jahren bekannt wurde, hat er eine Skulptur geschaffen. Ein symbolischer Ort für ein Plädoyer für die Natur.

Auch wenn Nils-Udo in Frankreich sicher einen Gipfel der Kreativität erreicht hat, wurde er nicht müde, weiterzureisen und neue Länder mit neuen Landschaften kennenzulernen. In über 35 Ländern, unter anderem in Kanada, Indien, Israel, Mexiko und den USA war er tätig, ständig auf der Suche nach den letzten intakten Refugien der Natur. Auf la Réunion, der französischen Blumeninsel im indischen Ozean, initiiert er durch seine paradiesischen Momentaufnahmen farbenfroher Natur einen neuen Exotismus, verführerischer und intensiver denn je.

Jedes Kunstwerk hat für ihn ein Leben, es wird geboren, entfaltet sich, wächst und stirbt. Beim Betrachten der Fotographien zarter Blütenblätter, wie sie vom Strom des Wassers davon getrieben werden, erscheint das Leben, die Natur so vergänglich wie nie. Manchmal dauert ein Kunstwerk nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor es wieder in den Kreislauf der Natur eingeht.

Mit Hilfe der Fotographie hält der Künstler den Moment der absoluten, vergänglichen Anmut dieser zarten Installationen fest. Auch wenn er selbst von sich behauptet, kein professioneller Fotograph zu sein, hat er sich stets mit sensibler Hand der Kamera als Hilfsmittel bedient, um seine Bilder einzufangen und den Ausdruck der Vergänglichkeit überlebensfähig zu machen. Die Fotographie ist jedoch nicht nur Mittel zur Dokumentation, sondern gehört selbst zur Sphäre der Kunst. Sie ermöglicht, die größeren Installationen des Künstlers, die oft tief in der Natur entstehen, leichter zugänglich zu machen.

Natur- und kunstbegeisterte Wanderer können manche seiner Werke auch im Original auf sogenannten »Kunstpfaden« entdecken, die weit über den Globus verstreut Installationen des Künstlers beheimaten. In den Royal Botanical Gardens in Toronto, Kanada zum Beispiel ist sein Werk Towards Nature zu bestaunen: grasbepflanzte Stelzenwege, die sich symmetrisch in einer großen Trauerweide verlieren. Der Titel steht programmatisch für das, was das Werk zu symbolisieren scheint: Der einzige Weg der Kunst und der Kultur führt zurück in die Natur.

Zum Markenzeichen des Künstlers sind auch seine aus den unterschiedlichsten Naturmaterialien arrangierten überdimensionalen Nestinstallationen geworden. Sein Werk Sella Nest ist ein Nest aus Fichtenstämmen, die in ihrer naturbelassenen Schönheit, durch das Arrangement ästhetisch erhöht, trichterförmig in die Luft ragen. In ihrer Mitte liegen in einem Bett aus Kies riesige weiße Eier aus Marmor. Die Nester erinnern symbolisch an die Schutzbedürftigkeit der Natur – mahnend und doch bescheiden tritt der Künstler hinter der Natur zurück und lässt sie durch seine Installationen sprechen.

Mit seinen Arbeiten schafft Nils-Udo nicht nur eine Ode an die Formvollendung der Natur, sondern bringt auch ihre Gefährdung ins Spiel. Denn so vergänglich wie seine Installationen ist auch die Zukunft der Natur, wenn die Menschen ihr Bewusstsein für ihren Schutz vor der laufenden Zerstörung nicht schärfen.

Zur weiterführenden Lektüre:

Wolfgang Becker (Hg.): Nils-Udo. Art in Nature. Köln, Wienand Verlag, 2006.

Nils-Udo: NaturKunstNatur. Paris, Flammarion im Vertrieb Pestel, 2005.

Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Nils Udo



Kreative zwischen Paris und Florida

von Kyra Claydon, erschienen am 15.05.2009

Was ist aus dem Querdenkermythos des Pariser Bohémien der Zwanzigerjahre geworden? Die rebellischen, antibürgerlichen Selbstverwirklicher, die sich der totalen Marktunterwerfung verweigerten, haben sich in angepasste, smarte Global Player mit Zungenpiercing verwandelt. Manch einer träumt von Florida und verdient sich einen goldenen Hintern.

Wie leben und arbeiten Künstler von heute?
Überall dort, wo Künstler wohnen, steigen die Immobilienpreise. Das hat der amerikanische Ökonom Richard Florida herausgefunden, als er wissen wollte, wie Künstler heute leben und arbeiten. Als Beispiel hierfür gelten die Stadtteile Prenzlauer Berg in Berlin und Abbesses in Paris. Die ehemals populären Viertel sind heute besonders schick und dementsprechend teuer. Als neue, aufsteigende, kreative Klasse sieht Florida die Szene multikultureller Künstler des 21.Jahrhunderts.

Bis in die späten 1920er-Jahre gehörten den Kreativen der Boheme Genies wie die berühmte, intellektuelle Autorin Sidonie-Gabrielle Colette an. Sie brach aus ihrer Ehe aus, um zu schreiben. Dann wurde sie Präsidentin der Akademie Goncourt in Paris. Sie führte ein eigenwilliges Leben; ihr wurde eine Beziehung mit einer Frau nachgesagt. Ein weiteres Beispiel für die Bohemiens der Belle Epoque ist die 1903 in Neuilly geborene Anaïs Nin. Sie schrieb ihre berüchtigt-intimen Tagebücher, hatte einen Ehemann für Zuhause und hielt sich nebenher einen siebzehn Jahre jüngeren Liebhaber als Muse ihrer Feuchtgebiete.

Bohemiens sind laut Richard Florida gerne dort, wo viel Raum für persönliche Entfaltung geboten wird. Um einen hierfür geeigneten Ort zu finden, betreiben Künstler großen Aufwand und beziehen auch Bezirke, die eigentlich als unattraktiv gelten, die aber über ein besonderes Flair verfügen. Zur Selbstverwirklichung im Viertel ihrer Utopien werden lange Anreisewege und andere Anstrengungen wie aufwändige Umbauaktionen in Kauf genommen.

Es ist also der Wunsch nach einem Ort, der den Bedürfnissen von Kreativen gerecht wird, der die Bohemiens dazu antreibt, sehr viel unbezahlte Eigeninitiativen zu entwickeln. Durch die Ansiedlung der Künstler wird der Ort dann bald auch für junge Unternehmer und Galerien interessant, die ihn dann mehr und mehr kommerzialisieren. Die horrenden Mieten können sich Künstler oft nicht mehr leisten und sind gezwungen wegzuziehen. Einige bleiben und neue kommen dazu. Bezeichnet werden solche Nachzügler oft als Bobos, bürgerlich gewordenen Bohemiens.

Der Querdenker-Mythos
Die Künstler nehmen sich, entgegen Floridas Beschreibung, selbst nicht als Gruppe wahr. Denn ein Bohemien zeichnet sich – zumindest dem Klischee nach – durch die Tugenden eines Einzelgängers aus: Sie sind Eigenbrötler und Antagonisten des Establissements. Polyglotte, anti-akademische Intellektuelle. Philosophen, die von der Norm abweichen, weil sie sich der Knebel der Sozialisation bewusst sind und ein eigenes Lebenskonzept entwerfen. Wahre Existenzialisten eben, die ihre geistige Heimat bei dem Philosophen Jean-Paul Sartre in Frankreich haben, weit weg von Florida.

Der deutsch-jüdische Anarchist und Autor Erich Mühsam schilderte die Boheme in seinem gleichnamigen Aufsatz von 1906 wie folgt: »Verbrecher, Landstreicher, Huren und Künstler – das ist die Boheme, die einer neuen Kultur die Wege weist.« Ähnlich sah der Literaturprofessor Helmuth Kreuzer den Bohemien. In seinem 1968 erschienenen Buch Die Boheme – Beiträge zu ihrer Beschreibung wird der Bohemien als immer wieder auftauchendes, geschichtliches Phänomen und als subkultureller Randgruppenaktivist mit antibürgerlichen Einstellungen und Verhaltensweisen dargestellt.

Richard Florida erfand ein Messsystem, um den Zusammenhang zwischen der ökonomischen Souveränität einer Stadt und ihrem Anteil an Bohemiens und Kreativen aufzuzeigen. Ein hoher Bohemien-, Gay- und Diversity-Index soll ein Hinweis für den potenziellen, kommerziellen Erfolg einer Metropole sein. Die Viertel Prenzlauer Berg und Abesses bestätigen diese Theorie.

Jeder ist ein Künstler
Ähnlich wie die klassischen Unternehmer verantworten Künstler die Absicherung ihrer Existenz alleine. Anders als das Idealbild des Unternehmers sind viele Künstler aber mehr an der kreativen Herausforderung einer Aufgabe als am finanziellen Erfolg interessiert.

Florida will die Potenziale der Kreativität für die Ökonomie nutzbar machen – so wie einst Joseph Beuys mit seinem Motto Jeder ist ein Künstler. Auch der einfache Arbeiter soll durch mehr Freiraum für seine Kreativität am Arbeitsplatz zu besserer Leistung motiviert werden. Diese Kreativität wird für den Arbeiter in seinem Beruf aber ein anderer Freiheitsgewinn sein als der, den Florida in seinem Buch The rise of the Creative Class für die Elite der Bohemiengesellschaft prophezeit. Er konstatiert, dass übliche Verhaltensregeln oder Dresscodes in Top-Positionen keine Rolle mehr spielen sollen.

Demnach kann der Bestverdiener künftig so aussehen: Piercings und Tätowierungen am ganzen Körper, bunt gefärbte, lange Haare, schlabberiges Unterhemd und zerfetzte Jeans. Vielleicht hat er auch einen Rauschebart. Ein richtiger Headbanger eben. Aufgrund dieser Merkmale mag man sich etwas an den Hamburger Aktionskünstler Jonathan Meese erinnert fühlen. Weil Sammler mit Rang und Namen ein Vermögen für seine Werke ausgegeben haben, kann Meese getrost zu den Bestverdienern gezählt werden.

»...das ist das schmerzliche Geheimnis der Götter und der Könige: dass nämlich die Menschen frei sind... « (Jean-Paul Sartre Die Fliegen)

Es gibt Plätze, die für Immobilienfonds unerreichbar bleiben: Das Kunstprojekt Academie sans Toit (Akademie ohne Dach) in Paris ist beispielhaft für selbstständiges Denken und gelungene künstlerische Zusammenarbeit. Das Projekt fand erstmals 2004 mit Künstlern aus Frankreich und Deutschland statt. Ziel war es, eine flexible Akademie zu entwickeln. Man traf sich an öffentlichen Plätzen in Paris. Orte des Konsums wurden in Veranstaltungsorte umgewandelt. Die Performance bestand darin, über die eigenen Kenntnisse zu philosophieren und gegenseitig voneinander zu lernen. Eine mobile, soziale Skulptur.

Im Prinzip handelt es sich um eine Art Aneignung des Raumes, wie sie für Künstler so typisch ist. Hier allerdings in einer virtuellen, subversiven Form. Sie entzieht sich der Reproduktion alter Konzepte mit neuer Fassade. Kein alter Wein in neuen Schläuchen. Auch wenn er sich gut verkaufen ließe. Floridas künstlerischer Prototyp gedeiht, wenn überhaupt, eher in solchen Nischen, von denen aus sich vielleicht so etwas wie eine aufgeklärte, neue kreative Klasse entwickeln kann.

Weiterführende Bücher:
Kunst und Brot, Pierre-Michel Menger, Edition Discours, 14,90 Euro
Portrait de l´artiste en travailleur, Pierre-Michel Menger, Seuil, 9,98 Euro
The Rise of the Creative Class, Richard Florida, Amazon, 12,70 Euro
Fotos

Foto 1: © flickr – BAMCAT (creative commons)

Foto 2: © flickr – tyfn (creative commons)


Richard Florida

Geboren 1957 in Newark, New Jersey (USA). Der Vater ist Werkleiter eines Brillenglasproduzenten, die Mutter arbeitet für die Anzeigenabteilung einer lokalen Zeitung. Sie leben in North Arlington (New Jersey), einer von der Arbeiterklasse geprägten Stadt mit vielen Immigranten aus Italien, Irland und Osteuropa.

Nach der Schule studiert Florida zunächst Politikwissenschaften am Ruttgers College und wechselt später an die Columbia University, um 1986 sein Stadtplanerstudium mit dem Doktortitel abzuschließen.

Florida hält an verschiedenen Institutionen Vorlesungen als Gastprofessor, ist mehrfacher Buchautor und Inhaber der Firma Creative Class Group Services. Geschäftsführerin des achtköpfigen Firmenteams und Managerin der Auftritte Floridas, ist seine Ehefrau Rana.

Florida ist außerdem Direktor des Martin Prosperity Institute und unterrichtet als Professor of Business and Creativity an der Rotman School of Management der University of Toronto.



Guerillakunst und andere Miss-terien - Miss Tic in Paris

von Juliane Keusch, erschienen am 01.02.2009

Mal ehrlich, wer von uns nimmt sie überhaupt noch wahr, diese unvermeidbaren Schmierereien, die feist auf jeder, mit besonderer Vorliebe aber frisch gestrichenen Fassaden prangen. Kein Brückenpfeiler, keine Industrieruine kommt heutzutage mehr ohne sie daher: die krakeligen Kürzel lokaler Möchtegernberühmtheiten, die bonbonbunten Popartverschnitte verkannter Vorstadtpicassos bis hin zu den ewig gleichen Halbwahrheiten zerstörungswütiger Weltverbesserer. Die Zeit, da solch plumpe Bekundungen antibürgerlichen Lebenswandels noch revolutionär waren, liegt doch nun schon lange zurück. Und Kunst? Das kann dem Postachtundsechziger in uns, der dem antibürgerlichen Lebenswandel längst überdrüssig ist, nur noch ein müdes Schulterzucken entlocken. Doch nicht zu eilig, manchmal lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Denn unter all dem Gekritzel und Gesprühe blitzt hier und da ein echtes Juwel hervor.

Als ganz besonders kostbare Stücke erweisen sich da die Werke der französischen Graffiti-Legende Miss Tic. Schon seit mehr als zwanzig Jahren treibt die kesse Pariserin mit der ausgeprägten Vorliebe für Wortspiele, deren bürgerlicher Name zu den letzten wohlgehüteten Geheimnissen im Frankreich des Medienzeitalters gehört, in den Gassen von Paris ihr Unwesen und trägt – auf ihre Art – zur Verschönerung des Straßenbildes der Metropole bei.

Als sie 1956 in Paris das Licht der Welt erblickt, steckt die moderne »Street Art« noch in den Kinderschuhen. Ihre Freude an der Darstellung bringt die Tochter einer Französin und eines Tunesiers zunächst zum Straßentheater. Die Straße scheint sich überhaupt wie ein Leitmotiv durch ihr bewegtes Leben zu ziehen. Nach dem frühen Tod ihrer Eltern ist sie auf sich alleine gestellt. Da sie von ihrer Stiefmutter keine Unterstützung erhält, läuft sie – minderjährig und ohne Papiere – von zu Hause weg, schlägt sich fortan alleine durch und schließt sogar die Schule ab.

Nach dem Abitur zieht es sie nach Amerika, wo sie auf die dort schon fest etablierte Street Art und das Graffiti stößt. Zurück in Frankreich beginnt sie 1985 ihren Feldzug in den Straßen von Paris. Zunächst in Nacht- und Nebelaktionen, später – nach mehreren Anzeigen wegen Sachbeschädigung, Verhaftungen und einer hohen Geldstrafe – mit Erlaubnis der Besitzer, drückt sie der Stadt ihren Stempel auf, schleudert Paris ihre Weisheit, ihre Wut und ihre Verletztheit entgegen.

Es ist die Biographie einer Lebenskünstlerin, gepaart mit dem Willen einer Überlebenden. Erfahrungen, die sich in der Kunstfigur Miss Tic verdichten wie in den geheimnisvollen Frauengestalten, die sie unermüdlich in allen Posen und Possen an Pariser Häuserwände pinselt und die schon optisch eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der zierlichen, schwarzhaarigen Künstlerin aufweisen. Mal provozierend-feministisch mit Maschinenpistole im Anschlag, mal lasziv-verrucht, sich in katzenhafter Manier auf der Mauer räkelnd, mal melancholisch-nachdenklich, fast immer aber begleitet von einem ihrer fast aphoristisch anmutenden Wortspiele.

Sie ist jede einzelne von ihnen, und jede einzelne ist ein Teil dessen, was für Miss Tic die archetypische Frau ausmacht: Weiblichkeit kombiniert mit Feminismus, ein Konzentrat aus Stärke und Verletzlichkeit, kurz: »Armées jusqu’aux dentelles« [wörtlich: »Bewaffnet bis zum Spitzenbesatz«, in Anlehnung an »armé jusqu’aux dents« – »bewaffnet bis an die Zähne«] Herrlich bescheiden heben sich die Figuren von den Mauern, Häuserwänden und Bauzäunen ab, die ihnen als Kulisse dienen. Die subversive Geste des Sprayers, der seinen Protest auf die architektonischen Verkörperungen der Gesellschaft wirft, ist aber nur eine Facette der Darstellung. Die Kunst scheint hier vielmehr selbst in ihr urbanes Umfeld eingebettet zu sein. Miss Tic macht nicht nur Kunst in Paris, sie macht die Stadt selbst zur Kunst. Indem sie Paris zu einer einzigen großen Leinwand erklärt, hebt sie die Trennung zwischen Ausstellungsort und Kunstwerk auf. Beide sind organisch miteinander verbunden, gehen ineinander über, bedingen gar gegenseitig ihre Existenz. Die Kunst Miss Tics kommt aus dem Leben und schreibt sich in dieses ein.

Genau so offenbart sie sich auch ihrem Betrachter. Worte und Bilder, die im Vorübergehen aufleuchten wie poetische Fußnoten zu einem oft so prosaischen Alltag. Der Minimalismus ist hier Programm. Neben der Vergänglichkeit des Augenblicks, die sich in dieser »Kunst des Vorbeirauschens« widerspiegelt, steht sie vor allem für die Isolation des Großstadtmenschen. Die Multiplikation der ewig gleichen namenlosen Individuen, die sich schattenrissartig vor dem Hintergrund einer ganzen Stadt abheben, und dort, aus der Masse herausgelöst und doch in sie eingeschlossen, vor aller Augen ihr Innerstes entblößen.

Ein Spiel von Anonymität und Intimität, von Mysterium und Exhibitionismus. Miss Tics Graffitis sind wie die pantomimenhaft erstarrten Sequenzen eines Ein-Frau-Stückes, dessen unverhohlene Tendenz zur Nabelschau stets von augenzwinkernder Ironie begleitet wird. »De l’égo au logo«. [»vom Ego zum Logo« lautet hier das Motto.

Ihre Kunst erschöpft sich jedoch nicht in ihren Graffitis. Man muss die ganze Geste im Blick halten, die letztendlich dem Wunsch nach einer Ästhetisierung des Lebensraums entspricht, oder wie sie es ausdrücken würde: »Dans le parfum indécent d’un rythme, nos fantasmes urbains submergent les façades figées du quotidien« [etwa: »Begleitet vom unanständigen Duft eines Rhythmus überfluten unsere urbanen Fantastereien die erstarrten Fassaden des Alltags.«

Es bleibt zu hoffen, dass sie, trotz ihrer Entwicklung zur Szenekünstlerin und der zahlreichen Ausstellungen und Werbeverträge, die damit einhergehen, noch lange nicht im Establishment ankommen wird und weiterhin für die gewisse Portion Anarchie im sonst so bieder-beschaulichen Paris sorgt. Aber auch einfach nur: Parce qu’elle fait »jolie sur les trottoirs ... de l’histoire de l’art«. [»Weil sie so gut aussieht auf den Wegen der Kunstgeschichte«]

Mehr Infos unter : http://www.missticinparis.com
Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Christine Gabin


Miss Tic

Vor ihrer Berufung zur Street Art hat Miss Tic in vielerlei künstlerischen Metiers gearbeitet. Sie schuf Bühnenbilder fürs Theater, schrieb Kritiken für Zeitungen und arbeitete als Grafikerin. Zahlreiche Ausstellungen in Pariser Galerien und Ateliers und Zusammenarbeiten mit Berühmtheiten wie Louis Vuitton haben ihre Bilder so bekannt gemacht, dass heute sogar das englische Victoria-and-Albert-Museum in London zwei ihrer Werke besitzt. Die stetig ansteigende Zahl von Publikationen von und über sie ist nur ein weiterer Beweis für ihre Popularität.

Für eine imaginäre Tour durch Miss Tics Paris oder als Vorbereitung einer eigenen Spurensuche in der Hauptstadt eignet sich vor allem das Buch Parisienne, das mit vielen Fotos ihrer Graffitis und persönlichen Kommentaren der Künstlerin aufwartet. (Editions Alternatives (2006), ISBN: 978-2862274966)



Der große Derdiedas: Hans alias Jean Arp

von Elisa Erkelenz, erschienen am 15.04.2008

»Ich bin der große Derdiedas. Das rigorose Regiment. Der Ozonstengel prima Qua. Der Anonyme Einprozent«, so beginnt eines der berühmtesten Dada-Gedichte von Hans alias Jean Arp. Die Eröffnung des Arp-Museums Rolandseck in Remagen im September 2007 würdigte den deutsch-französischen Maler, Bildhauer und Dichter. Bis heute bleibt Arp ein Künstler, dessen Werk nur schwer zu fassen ist. Als Mitbegründer der Dadaismus-Bewegung in Zürich kommt ihm aus kunsthistorischer Sicht eine besondere Bedeutung zu. Auch wenn Arp mit seiner sarkastisch-ironischen Art immer Dadaist geblieben ist, geht sein Gesamtwerk weit über diese spielerisch-provokative Ästhetik hinaus. Sein Werk setzt sich mit vielen avantgardistischen Strömungen der Epoche intensiv auseinander.

1886 wird Hans Arp als Sohn eines deutschen Zigarrenherstellers und seiner französischen Frau im damals deutschen Straßburg geboren. In seiner Jugend begeistert er sich für die deutschen Dichter der Romantik sowie für Arthur Rimbaud und Lautréamont. Sein Talent zum Malen und Dichten wird schon früh erkannt. 1904 beginnt er sein Kunststudium an der Akademie der Schönen Künste in Weimar, welches er später an der Académie Julian in Paris fortsetzt. Die traditionellen Kunstideale, die ihm während seiner Ausbildung vermittelt werden, lehnt Arp jedoch ab. Seine Auffassung der Realität kann er nicht durch bloße Imitation ausdrücken. Enttäuscht verlässt er nach vier Jahren die Académie Julian, um nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten zu suchen.

1909 zieht Arp in die Schweiz, wo er Mitbegründer der Künstlervereinigung Moderner Bund wird. Er lernt Wassily Kandinsky kennen und knüpft so Kontakte zur expressionistischen Künstlergruppe Blauer Reiter. Im Jahr 1915 macht Arp eine Bekanntschaft, die nicht nur in privater Hinsicht sondern auch auf künstlerischer Ebene die wohl wichtigste in seinem Leben sein wird: In Zürich lernt er Sophie Taeuber kennen, ebenfalls Künstlerin, die er 1922 heiratet. Arp lernt viel von ihr, während sie letztlich oft im Schatten seiner Berühmtheit steht. Die klare Ruhe ihrer abstrakten Bilder und Plastiken begeistert den Künstler, und sein Werk wird durch die Zusammenarbeit um konstruktiv-geometrische Elemente bereichert. Gemeinsam schaffen sie Plastiken, Textilien und Collagen. Beide profitieren von einander und ergänzen sich gegenseitig - im Nachhinein ist oft nicht mehr erkennbar, wer welches Werk geschaffen hat.

Zusammen mit verschiedenen Künstlerfreunden wie Hugo Ball, Tristan Tzara und Marcel Janco treffen sie sich im Cabaret Voltaire in Zürich. Hier entsteht die Dada-Bewegung, als Protest gegen den Krieg, den verknöcherten Kunstbegriff und die bürgerliche Gesellschaft. Im Dadaismus vereinen sich Einflüsse des Kubismus, des Futurismus, der afrikanischen Plastik sowie der mittelalterlichen Mystik. Arp beginnt in seiner Kunst, die Welt geprägt vom Schatten des Ersten Weltkrieges darzustellen: »Mit Unsinnsaktionen gegen den Wahnsinn des Krieges!« Der Krieg zwingt ihn zu dieser Kunstform. Dada wird immer bekannter und dringt bis nach Japan und Russland vor. Nach dem Ersten Weltkrieg geht Arp nach Köln, wo er gemeinsam mit Max Ernst und Johannes Baargeld den Kölner Dadaismus begründet. Dieser zeichnet sich besonders durch politisch-provokante Arbeiten aus.

Ausgehend vom Dadaismus interessiert sich Arp in den folgenden Jahren immer mehr für den Surrealismus. Als er 1923 Kurt Schwitters kennen lernt, entsteht eine künstlerisch hoch produktive Freundschaft. Im selben Jahr siedelt Arp mit seiner Frau nach Paris über. Hier setzt er sich für die Selbstbehauptung der abstrakten Kunst ein und tritt 1929 in die Gruppe Cercle et Carré bei, die Künstler konstruktivistischer Tendenz vereint und aus der später die Gruppe Abstraction Création hervorgeht. Die abstrakte Kunst wird salonfähig.

Zu Beginn der Dreißigerjahre entwickelt Arp eine neue Form der Papiercollage, die nach dem Zufallsprinzip funktioniert. Fertige Zeichnungen werden zerrissen und in neuer Ordnung zusammengesetzt. Gleichzeitig schafft Arp plastische Arbeiten wie die Menschliche Konkretion (1934). Hier geht die bildnerische Formgebung nicht mehr aus der Naturform hervor, sondern ist die »Konkretisierung« innerer, gegenstandsunabhängiger Formvorstellungen. In den weißen Marmor sind glatte, fließende Formen modelliert, deren offener Charakter die verschiedensten Assoziationen zulässt. Der Schaffensprozess durch spielerisches Kneten bis zur Skulptur sorgt für eine Ambivalenz, die Arps Werken sehr häufig zu Grunde liegt. So erinnert die Skulptur durchaus an weibliche Formen.

Arp wird zum Pionier der gegenstandslosen Plastik sowie einer dem natürlichen Wachstum analogen Formensprache. Das Lexikon der Kunst schreibt Arp dieses Zitat zu: »Konkretion ist etwas Gewachsenes. Ich möchte, dass mein Werk seinen bescheidenen, anonymen Platz in den Wäldern, den Bergen, in der Natur findet.«
Arp gibt seine Skulpturen gern in die Natur zurück, sein Garten ist übersät mit seinen Plastiken. Aus Protest gegen die Technisierung und die späteren »Atompilzzüchter« begibt er sich auf einen Weg der Harmonisierung von Mensch und Natur. Seine Figuren wenden sich ganz bewusst von der Welt des Krieges und der Zerstörung ab. Die meditative Ruhe der runden Formen ist gekoppelt mit einem Hauch von Ironie, der noch im Dadaismus wurzelt. Hier wird die Verbindung eines gewissen spirituellen Mystizismus mit seiner tief verankerten pazifistischen Einstellung besonders deutlich.

Von den Nazis als entarteter Künstler verfolgt, flieht Hans Arp 1940 mit seiner Frau zunächst in den unbesetzten Süden Frankreichs. Hier erlangt er die französische Staatsbürgerschaft und nennt sich als Protest gegen das deutsche Regime nicht mehr Hans sondern Jean. Ein Jahr später siedelt das Paar in die neutrale Schweiz über. Als Sophie 1943 unter nie ganz geklärten Umständen ums Leben kommt, stürzt Arp in eine tiefe Sinn- und Schaffenskrise. Sein Spätwerk ist geprägt von Trauer, Resignation und Weltabgewandtheit – viele Werke widmet er seiner Frau.
1954 wird Arp in Berlin mit dem großen Preis für Skulptur geehrt. Der »große Derdiedas« macht sich jedoch nicht viel aus Ruhm und Geniekult. Oft signierte er nicht einmal seine Werke, waren sie doch Teil der Natur und er, der Künstler, nur »der anonyme Einprozent«.

Noch heute, gut 20 Jahre nach seinem Tod, weht ein Hauch dadaistischer Ironie um sein Gesamtwerk: Die Kontroversen um die Echtheit seiner Werke sowie der pompöse klassizistische Neubau des Arp-Museums in Rolandseck muten als anmaßende Umkehrung der politischen Aussage des Künstlers an. So hat das Arp-Museum nur ein Werk draußen ausgestellt.

Zur weiterführenden Lektüre:

Hans Arp, Astrid von Asten, Isabel Ewig (u.a.): Die Natur der Dinge. Katalog zur Ausstellung im Arp Museum Bahnhof Rolandseck. Remagen, Richter Verlag, 2007.

Hans Arp, Peter Dering: Metamorphosen 1915-1965. Werke aus der Sammlung der Fondazione Marguerite Arp. Locarno, Niggli Verlag, 2000.

Hans Arp: ich bin in der natur geboren. Ausgewählte Gedichte, herausgegeben von Hans Bolliger, Guido Magnaguagno, Hariett Watts, Hamburg, Arche Verlag, 2002.

Eric Robertson: Arp. New Haven, Yale University Press, 2006.

Jörgen Schäfer: Dada Köln. Wiesbaden, Deutscher Universitätsverlag, 1993.

Fotos: VG Bild-Kunst, Bonn 2008

 

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Biographische Anhaltspunkte

1886: Geburt in Straßburg als Sohn eines deutschen Zigarrenfabrikanten und seiner französischen Frau

1904-1908: Studium an der Akademie der Schönen Künste in Weimar und der Académie Julian in Paris
Veröffentlichung erster Gedichte

1909: Umzug nach Weggis in die Schweiz

1911: Mitbegründer des Modernen Bundes, Bekanntschaft mit Kandinsky

1912: Ausstellung mit der Künstlergruppe Blauer Reiter in München

1915: Bekanntschaft mit Sophie Taeuber

1916: Begründung der Dada-Bewegung in Zürich, zusammen mit Hugo Ball, Tristan Tzara und Richard Huelsenbeck

1919: Umzug nach Köln, Freundschaft mit Max Ernst und Johannes Baargeld, Begründung des Kölner Dadaismus

1922: Heirat mit Sophie Taeuber

1923: Bekanntschaft mit Kurt Schwitters, Umzug nach Paris, Teilnahme an einer Ausstellung der Surrealisten

1926: Umzug nach Clarmant (Frankreich), Erlangung der französischen Staatsbürgerschaft

1929: Mitgliedschaft in der Gruppe Cercle et Carré, die später zur Gruppe Abstraction Création wird, Arbeit mit der reinen Abstraktion

1939: Umbenennung in Jean, als Protest gegen die Nationalsozialisten

1940: Flucht vor den Nazis nach Nizza, die seine Werke als Entartete Kunst bezeichnen

1941: Umzug in die neutrale Schweiz

1943: Tod Sophie Taeubers

1950-59: Großplastiken für die Universitäten Harvard und Caracas sowie für das Unesco Gebäude in Paris

1954: Auszeichnung mit dem großen Preis für Plastik auf der Biennale in Venedig

1959: Heirat mit Marguerite-Hagenbach, einer langjährigen Freundin

1963: Grand Prix des Arts in Paris

1966: Tod in Basel


Arp-Museum Rolandseck

Der Bahnhof Rolandseck war schon immer ein Treffpunkt der kulturellen und geistig-politischen Prominenz. Im September vergangenen Jahres wurde der Bahnhof von der Stiftung Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp renoviert und bildet zusammen mit dem hochmodernen Neubau des amerikanischen Architekten Richard Meier den Grundstein für das Arp-Museum. Die aktuelle Arp-Ausstellung: Die ausgestellten Skulpturen, Reliefs und Papierarbeiten geben einen Einblick in die intensive Auseinandersetzung Arps mit der Natur sowie naturanalogen Prozessen wie Vergänglichkeit, Wachstum und Zerstörung. Auch Werke Sophie Taeuber-Arps sowie eine Sammlung der Gegenwartskunst in der Folge Hans Arps sind in dem Museum zu besichtigen.

Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags und an Feiertagen: 11 bis 18 Uhr, montags geschlossen. Preise: 8 Euro, ermäßigt 5 Euro.

Kontakt:
Hans-Arp-Allee 1
D- 53424 Remagen
Tel +49 (0)22 28/94 25 0
Fax +49 (0)22 28/94 25 21
www.arpmuseum.org



Ein Rheinischer Expressionist in Paris

von Elisa Erkelenz, erschienen am 01.01.2008

Im Alter von nur 27 Jahren fällt der Künstler August Macke (1887-1914) als Soldat im Ersten Weltkrieg. Trotz seiner kurzen künstlerischen Schaffensphase prägte er die moderne Kunst durch seine einzigartige Bildgestaltung und Farbgebung und zählt zu den Hauptvertretern des rheinischen Expressionismus. Die Vielfalt seiner rund 5000 Werke ist das Ergebnis des Zusammenspiels seines begeisterungsfähigen Wesens, der engen Freundschaft mit prägenden französischen Künstlern und seiner Fähigkeit, die Vielfalt der Einflüsse in seiner individuellen künstlerischen Sprache auszudrücken.

Eine Jugend im Zeichen der Kunst
Mackes Begeisterung für Kunst wird bereits in jungen Jahren in seinem Elternhaus geweckt. Sein Vater malt Landschaftsbilder und sammelt alte Stiche. Macke porträtiert seine Klassenkameraden und ist stets auf der Suche nach neuen Anregungen. Begeistert von der Malerei Arnold Böcklins beginnt er mit 17 Jahren sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf. Nach zwei Jahren verlässt er die Hochschule in der Überzeugung, als freier Künstler besser arbeiten zu können. Bewusst versucht Macke sich von alten malerischen Werten zu distanzieren. In dieser Periode entdeckt er eine Stilrichtung, die für seine weitere Entwicklung entscheidend sein wird: den Impressionismus.

Begegnung mit dem französischen Impressionismus
Die Entwicklungen des französischen Impressionismus sind in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Deutschland zunächst spurlos vorbeigegangen. Als August Macke Jahre nach dem Höhepunkt der Bewegung die Impressionisten für sich entdeckt, ist er von der Leichtigkeit ihrer Malerei überwältigt. Voller Enthusiasmus reist er 1907 das erste Mal nach Paris. Er glaubt, die schönste Stadt der Welt gefunden zu haben. Die Werke Édouard Manets, Claude Monets, Edgar Degas', Camille Pissarros, Auguste Renoirs und Henri de Toulouse-Lautrecs ziehen Macke in ihren Bann. Die Intensität des Sehens übermannt den sensiblen Künstler und rückt seine Selbstwahrnehmung in ein kritisches Licht. Von den französischen Malern inspiriert, malt Macke nun im Freien, unter den Bedingungen des natürlichen Lichts, und distanziert sich von seinen bisherigen deutschen Vorbildern Arnold Böcklin und Max Klinger. Experimente mit reiner Farbe, die für seine Malerei von großer Bedeutung sein werden, schließen sich der Reise an. Ein Jahr später kehrt Macke, nach Paris zurück. Wie wichtig die Begegnungen mit den Pariser Künstlern für die Entfaltung seines künstlerischen Horizonts waren, sollte sich an seinen späteren Bildern zeigen. Die intensive Auseinandersetzung mit den Impressionisten führte Macke schließlich zu einem unverwechselbaren Stil. Die Heiterkeit und Farbenfreude seiner Werke bleiben bis heute einzigartig. Das wichtigste Ereignis seiner Parisreise ist die Bekanntschaft mit Paul Gauguin, Paul Cézanne und Georges Seurat. Mit dem Werk Sonniger Garten (1908) liefert der 21-Jährige eines der reifsten Ergebnisse seiner Auseinandersetzung mit dem französischen Impressionismus. In der von Sonnenstrahlen überfluteten Gartenecke verschwimmen die Konturen einer Frau im flimmernden Licht. Das scheinbar kontrastfreie Silbergrün erstrahlt in einheitlicher Helligkeit und der pointillistisch-getupfte Pinselstrich lässt an vielen Stellen die weiße Oberfläche der Leinwand frei.

Begegnung mit frühen Bildern des Kubismus
Schon während seiner ersten Parisreise haben die Kubisten die Öffentlichkeit mit einer Formenwelt von radikaler Neuheit erschreckt. Die dargestellten Räume setzen sich aus wenigen Flächen zusammen, die sich gegeneinander stark abgrenzen und anscheindend heftig aneinanderstoßen. Gleichzeitig ist der Symbolgehalt dieser Werke von besonderer Bedeutung. Das Bild Großes helles Schaufenster (1912) spiegelt diese Vision wider. Macke nutzt hier die Spiegelung des Glases, um die Welt außerhalb des Bildes darzustellen.
Die enthusiastische Art Mackes, seine sensible Observationsgabe und sein plastisches Talent ermöglichen es ihm, die Anregungen der Pariser Schule, der unter anderen Picasso und Braque angehörten, sofort zu einem Element der eigenen Bildsprache umzusetzen. Der Kubismus befähigt ihn, eine eigene Welt aufzubauen: Macke erkennt, dass Malerei die Formung optischer Erlebnisse ist – die kubistische Form ist für ihn eine Erlebnisweise der Wirklichkeit. Er ahmt den Stil des Kubismus jedoch nicht nach, sondern entnimmt ihm lediglich einige Elemente. Neben der heftigen Flächenbewegung steht vor allem der Raum als Darstellungsproblem im Vordergrund.

Anstatt jedoch seinen alten Stil völlig aufzugeben, hält er an der reinen, gesättigten Farbe und ihrer kontrastreichen Anordnung fest. Charakteristisch für diese Periode ist das Werk Zoologischer Garten (1912). Die dreigliedrige Komposition sowie die harmonische Farbgebung verleihen dem Bild einen festlichen Charakter. Das Motiv der Spaziergänger im Park ist typisch für seine farbenfrohen Bilder, die stets der Außenwelt verhaftet bleiben.

Bekanntschaft mit Robert Delaunay
Bei seiner vierten Parisreise im Jahr 1912 lernt Macke den kubistischen Maler Robert Delaunay kennen, dessen Werke ihn begeistern. Zwischen den beiden Künstlern entwickelt sich eine enge Freundschaft. Zusammen mit dem französischen Schriftsteller Guillaume Apollinaire kommt Delaunay 1913 für eine Ausstellung nach Köln, die für Macke zu einer Offenbarung wird. Er ist überwältigt von Delaunays Kunst, in der die Farbe in ihre Bestandteile aufgesplittert und ungebrochen und rein in kleinen Tropfen nebeneinander gesetzt wird, so dass die Farbmischung sich erst im Auge das Betrachters vollzieht. Apollinaire gibt Delaunays Malstil den Namen orphischer Kubismus. Dieser ist eine konsequente Weiterentwicklung des vor allem von Paul Signac und Georges Seurat entwickelten Divisionismus, nur dass es Delaunay nicht um die Mischung der Farben geht, sondern um das Erlebnis ihres contraste simultané, des Zusammenklangs von Farben, die sich teilen und im selben Zug wieder zum Ganzen vereinen. Die Struktur wird nicht mehr von der gegenständlichen Welt, sondern durch die Anordnung der Farbebenen bestimmt. . Der Punkt an dem Delaunay und Macke sich treffen, ist das Empfinden für die Lebendigkeit der Farbe als autonomer Wert. Besonders in Mackes letzten Bildern ist der Einfluss Delaunays deutlich zu spüren: Macke stellt Licht und Schatten nicht mehr durch helle und dunkle Farbpartien dar, sondern lässt die Kontrastwirkung ganz aus der Leuchtkraft der Farben scheinen. In seinem Bild Dame in grüner Jacke (1913) wird dies besonders deutlich.
Mackes Bilder zeugen von der Fähigkeit, die Anregungen in seine eigenen Elemente zu verwandeln und seine eigene künstlerische Persönlichkeit immer mehr zu formen. Die Anstöße und Eindrücke der französischen Künstler gingen in seinen unverwechselbaren Stil ein und ließen sein Werk reifen. Leider blieb sein künstlerisches Schaffen aufgrund seines frühen Todes unvollendet doch ist in seinen Bildern noch heute das pure, reine, wirkliche Leben deutlich zu spüren. 

Zur weiterführenden Lektüre:
Vriesen, Gustav: August Macke, Stuttgart 1953.
Bänfer, Carl: August Macke, Gedenkausstellung zum 70. Geburtstag, Münster 1957.

Zu besichtigen:
August Macke Haus Bonn:
August Macke- humoristische Zeichnungen und Karikaturen
20.September 2007- 13. Januar 2008
Bornheimer Straße 96, 53119 Bonn
Telefon: 0228 / 65 55 31, Fax: 0228 / 69 15 50
Di-Fr 14.30-18 Uhr, Sa, So & Feiertags 11-17 Uhr, Mo geschlossen, Sonntags jeweils um 11.30 Uhr kostenlose Führung 
www.august-macke-haus.de

Kunstmuseum Bonn:
bedeutende Sammlung von Werken August Mackes und den rheinischen Expressionisten.
Museumsmeile, Friedrich-Ebert-Allee 2, 53113 Bonn
Tel.: 0228/ 776260, Öffnungszeiten: Di - So 10.00 - 18.00 Uhr, mittwochs bis 21.00 Uhr geöffnet.
http://kunstmuseum.bonn.de

Foto: © flickr – Artshooter (creative commons)


Das Macke Haus in Bonn

Direkt an der Viktoriabrücke, die Macke so oft malte, liegt das August-Macke-Haus, in dem er die produktivsten Jahre seines Lebens verbrachte. Hier traf er sich mit seinen Freunden, unter ihnen Robert Delaunay, Guillaume Apollinaire Max Ernst, Gabriele Münter und Franz Marc. Neben dem mit Originalölbildern ausgestatteten Atelier sind hier Mackes Einrichtung sowie kontinuierliche Ausstellungen zum Rheinischen Expressionismus zu sehen. Dem 120. Geburtstag des Künstlers ist die aktuelle Ausstellung über humoristische und satirische Karikaturen gewidmet, welche zum amüsanten Vergleich zwischen Zeichnung und Fotografien der dargestellten Personen einladen. 

Bornheimer Straße 96, 53119 Bonn
Telefon: 0228 / 65 55 31, Fax: 0228 / 69 15 50
www.august-macke-haus.de


Biographische Anhaltspunkte

1887: Am 3. Januar wird August Macke als Sohn des gleichnamigen Ingenieurs und dessen Frau Florentine im Sauerland geboren.

1904-1906: Studium an der Kunstakademie Düsseldorf. Macke entwirft Bühnenbilder für das dortige Schauspielhaus.

1907: Erste Parisreise

1909: Heirat mit Elisabeth Gerhardt, Umzug nach Tegernsee, weitere Parisreise

1911: Erste Ausstellung der Künstlergruppe Blauer Reiter in München

1912: Reise mit Franz Marc nach Paris. Die Bekanntschaft mit Robert Delaunay führt zur Übernahme futuristischer und kubistischer Elemente in seine Werke. Teilnahme an der vierten und bedeutendsten Ausstellung der Künstlervereinigung Sonderbund in Köln.

1913: Beteiligung am Ersten Deutschen Herbstsalon von Herwarth Walden in Berlin. In Bonn organisiert Macke die Ausstellung Rheinische Expressionisten.
Umzug in die Schweiz. Die Bilder von Figurengruppen in der Landschaft, die in dieser Zeit entstehen, gehören zu Mackes Hauptwerken und vereinen die Einflüsse vieler Künstler.

1914: Tunesienreise mit Paul Klee und Louis-René Moilliet. Einzug in den Ersten Weltkrieg. Tod in der Champagne am 26. September.



Zwei Europäer auf Entdeckungsreise in Japan

Philip Franz von Siebold und Emile Guimet

von Anne-Solène Rolland, Übersetzung Barbara Kremer, erschienen am 15.10.2007

Japan war bis 1854 den Europäern verschlossen und blieb lange ein geheimnisvolles Land. Der deutsche Arzt Philip Franz von Siebold (1796-1866) spielte bei der Entdeckung der japanischen Kultur in Europa eine bedeutende Rolle, als er das erste japanische Museum Europas eröffnete und völlig neue Informationen veröffentlichte. Er machte somit den Weg frei für andere Reisende und Sammler, unter ihnen tat sich in Frankreich der Lyoner Industrielle Emile Guimet (1836-1918) hervor, Begründer des Pariser Museums, das heute seinen Namen trägt. Siebold und Guimet waren auf beiden Seiten des Rheins an der Gründung der Japanstudien beteiligt und legten den Grundstein für einen fruchtbaren Austausch zwischen Europa und Japan, der das Ende des 19. Jahrhunderts und den Anfang des 20. Jahrhunderts prägte.

Philip Franz von Siebold (1796–1866), ein Bayer in Japan
Nichts prädestinierte Siebold dafür, die japanische Kultur zu entdecken. Aber eine Reihe von Zufällen machte aus dem deutschen Arzt einen der ersten wahren Kenner des Reichs der aufgehenden Sonne.

Am 17. Februar 1796 in Würzburg geboren, studiert Philip Franz von Siebold dort Medizin, Botanik und Chemie. Auf der Suche nach Abenteuern meldet er sich 1822 als Chirurg bei der Königlichen Niederländisch-Ostindischen Armee. Für einen Deutschen Anfang des 19. Jahrhunderts ist die Arbeit für eine der großen europäischen Kolonialmachten die einzige Möglichkeit in weit entfernte Gegenden zu reisen. Nach einigen Monaten in Batavia (das heute indonesische Jakarta), schlägt die Kolonialverwaltung dem deutschen Arzt vor, auf die japanische Insel Deshima in der Bucht von Nagazaki im Westen Japans zu reisen. Dort waren von den japanischen Behörden die Holländer untergebracht worden, seit dem 17. Jahrhundert (und bis zur Öffnung Japans zum Westen 1854) die einzig befugten Europäer, die mit Japan Geschäfte treiben durften. Siebold war bis 1829 der einzige Arzt der kleinen Kolonie. Bemüht, dieses neue Land zu entdecken und zu verstehen, sammelt Siebold mit Unterstützung seiner Patienten und seiner japanischen Studenten zahlreiche biologische Proben und Gegenstände des täglichen Bedarfs. 1829 wird Siebold von den japanischen Behörden ausgewiesen, weil sie hinter seiner Sammlertätigkeit Spionage für die europäischen Mächte vermuten. Im selben Jahr kehrt er mit mehr als 5000 ethnografischen Objekten, mehr als 7000 Tierarten, 20.000 Pflanzen und einem Herbarium aus 12.000 Pflanzenarten in die Niederlande zurück. 

Niemals zuvor hatte ein Europäer so viele Informationen über Japan gesammelt. Die Verbreitung dieser Informationen wurde zu Siebolds Lebensziel. Er lässt sich in Leiden nieder, wo sich im Nationalen Naturgeschichtlichen Museum schon ein großer Teil seiner ethnografischen Sammlung befindet. Ab 1831 verspricht ihm Wilhelm I. seine ethnografische Sammlung zu kaufen, die er zuvor Ludwig I. von Bayern angeboten hatte. Dieser hatte jedoch abgelehnt. Siebolt vertieft sich in das Schreiben von Werken, die eine Synthese des während seines Aufenthalts in Deshima gesammelten Wissens bilden: Fauna Japonica (1833–1850), Flora Japonica (1835–1841), und vor allem Nippon – Archiv zur Beschreibung von Japan und dessen Neben-und Schutzländern sind die wichtigsten seiner Schriften. Nippon ist zwischen 1832 und 1885 erschienen und ist heute noch eine wichtige Quelle zum Verständnis des Japans des frühen 19. Jahrhunderts. Gleichzeitig macht Siebold ab 1832 seine ethnografische Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich. 1838 erhält das vom holländischen Staat gekaufte Museum den Namen Japanisches Nationalmuseum-Von Siebold. Es bildet den Grundstock des 1864 in Leiden gegründeten Völkerkundemuseums. Das Siebold-Museum wird in Europa sehr schnell berühmt und empfängt zahlreiche hoch angesehene Persönlichkeiten wie König Wilhelm II., den zukünftigen Zar Alexander II. oder die Brüder Edmond und Jules de Goncourt. Zudem hat es einen großen Einfluss auf die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründeten Völkerkundemuseen in Europa.

Als Siebold 1859 erfährt, dass sein Bann aufgehoben wurde, schifft er sich ein zweites Mal nach Japan ein. 1863 kehrt er nach Europa zurück und lässt sich in seiner Vaterstadt Würzburg nieder. 1866 stirbt er dort, bevor er die von seinem zweiten Aufenthalt mitgebrachten Objekte nach Bayern bringen kann. 1874 wird die Sammlung gekauft und kann heute im Völkerkundemuseum in München besichtigt werden.

Siebolds Einfluss war enorm und sein Werk ist heute noch sowohl in Europa als auch in Japan Forschungsgegenstand. Er spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Japanstudien, zusammen mit seinem französischen Kollegen Léon der Rosny, Spezialist für die japanische Sprache und Gründer der französischen Völkerkundegesellschaft 1858, unter deren ersten Mitgliedern Siebold ist. De Rosny gründet danach 1873 die Gesellschaft für Japanstudien, deren Mitglied Emile Guimet war, ein anderer großer Entdecker Japans.

Emile Guimet (1836–1918) und die asiatischen Künste
Es war letztendlich eine Fügung, die Siebold nach Japan führte, obwohl er eigentlich nach Indonesien gehen wollte. Der Lyoner Industrielle Emile Guimet hingegen, der sich 1876 nach Japan einschiffte, wollte genau dorthin. Ab 1854 öffnet sich Japan der Welt und weckt immer mehr das Interesse der Europäer. Die Sammlung Siebolds und die Anwesenheit Japans bei der Weltausstellung 1867 in Paris weckt bei vielen Liebhabern die Reiselust. Emile Guimet, der Lyoner Industrielle, fühlt sich mehr zum Studium der Künste und zum Reisen als zur Industrie hingezogen.

Bei einer Ägyptenreise 1865 entdeckt er die Archäologie, die Zivilisations- und Religionsgeschichte und kommt auf den Geschmack des Sammelns von Objekten. Danach nimmt er an allen wichtigen wissenschaftlichen Versammlungen in Frankreich teil. Er wird auch sofort nach ihrer Gründung Mitglied der Gesellschaft für Japanstudien von Léon de Rosny. Die Religionsstudien stellt er ins Zentrum seiner  Überlegungen. Um die Religionen des Fernen Ostens zu erforschen, erhält er einen Auftrag des Ministers für Erziehungswesen und schifft sich nach Japan ein. Guimet besucht alle wichtigen religiösen Stätten in Japan und sammelt zahlreiche Zeugnisse über den japanischen Buddhismus. 

Die Bedingungen dieser offiziellen Reise sind viel günstiger als die von Siebold. Die Werke, die Guimet 1877 nach Frankreich mitbringt, sind viel häufiger von hoher künstlerischer und kultureller Qualität als die Alltagsgegenstände von Siebold. Wie auch dieser hört Guimet nach seiner Rückkehr nach Frankreich nicht auf, Japan bekannt zu machen: 1878 stellt er einen Teil seiner Sammlung auf der Pariser Weltausstellung vor und veröffentlicht Promenades Japonaises, das erste Werk einer langen Publikationsserie. Wie Siebold möchte er seinen Sammlungen einen dauerhaften Ausstellungsort geben. Er denkt zuerst an seine Heimatstadt Lyon, in der er ein Museum der Religionen bauen ließ, das 1879 eingeweiht wurde. Aber das Museum erfährt nicht den gewünschten Erfolg. 1885 vermacht Guimet seine Sammlungen dem Staat und verlegt sein Museum nach Paris. 

Das Musée Guimet wird 1880 nicht weit vom Trocadero eröffnet, wo es sich noch heute befindet. Konzipiert als ein Museum der Weltreligionen vereint es alle Sammlungen Guimets seit seiner Ägyptenreise 1865, wobei der Schwerpunkt auf dem japanischen Buddhismus liegt. Zudem beherbergt es eine sehr umfangreiche Bibliothek, die ein wichtiges Rechercheinstrument für Religionsgeschichte ist. Dank der Konferenzen und Veranstaltungen, die Guimet dort ausrichten lässt, entwickelt es sich schnell zu einem sehr dynamischen Forschungszentrum. Das Museum wird immer umfangreicher und spezialisiert sich auf Künste aus ganz Asien.
1900 wird Guimet zum Vizepräsidenten der französisch-japanischen Gesellschaft von Paris gewählt. Bis zu seinem Tod 1918 ist er einer der wichtigsten Forscher im Bereich der Asia- und Japanstudien und veröffentlicht  weiterhin Werke und Artikel über die Weltreligionen. Nach seinem Tod wird das Museum zu einem Museum für asiatische Kunst, heute Musée national des arts asiatiques-Guimet (Nationalmuseum für asiatische Kunst-Guimet). Wie sein Gründer genießt es internationales Ansehen. Siebold und Guimet waren zwei Avantgardisten. Durch den Wunsch, ihren Landsmännern die Leidenschaft für Japan zu vermitteln, öffneten sie den Weg für eine andere weithin bekannte Entdeckung: die Entdeckung Japans durch die europäischen Künstler, dem Japanismus, der Anfang des 20. Jahrhunderts dem europäischen Kunstschaffen ein neues Gesicht gab. 

Zur weiterführenden Lektüre:

Arlette Kouwenhoven und Matthi Forrer, Siebold and Japan, His life and Work, Leiden, 2000 ISBN 90-74822-19-3

Collectif, Philip Franz von Siebold, Ein Bayer als Mittler zwischen Japan und Europa, München 1993

Keiko Omoto und Francis Macouin, Emile Guimet et les arts d'Asie, Paris, 2001 (collections Découvertes Gallimard) ISBN 2-07-076084-7

Le Japonisme, Ausstellungskatalog des Musée d'Orsay, Paris, 1988 

Zu besichtigen:

In Paris
Die Sammlungen des Musée national des arts asiatiques-Guimet.
6 place d'Iéna im 16. arrondissement.
Geöffnet von 10 bis 18 Uhr, dienstags  geschlossen.
www.museeguimet.fr

In Leiden
Rijksmuseum voor Volkenkunde (Völkerkundemuseum), Steenstraat 2, Leiden. Dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Sammlungen aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien bewahrt heute alle ethnografischen Sammlungen Siebolds auf.
www.volkenkunde.nl

Het Sieboldhuis, (Sieboldhaus) Rapenburg 19, Postbus 11007, 2301 EA Leiden.
Geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.
www.sieboldhuis.org


Das Sieboldhaus in Leiden

Mitten im Zentrum von Leiden kann man noch heute das Haus besichtigen, das Siebold ab 1832 gemietet hatte, um seine Sammlung auszustellen. Sie blieb dort bis 1847, dann wurde sie in einem anderen Gebäude im Zentrum Leidens untergebracht. 2004 wurde es restauriert und vom japanischen Kaiserpaar eröffnet. Dieses schöne Bürgerhaus im traditionellen holländischen Stil beherbergt heute das japanische Kulturzentrum der Niederlande. Dort wird ein Teil der botanischen, zoologischen, ethnografischen und bibliografischen Sammlungen gezeigt. Sie werden so ausgestellt wie Siebold sie klassifiziert hat. Ein Besuch im Sieboldhaus erlaubt daher einen Überblick über die unterschiedlichen Sammlungen und die Art, wie er sein Wissen über Japan weitergab. Wechselausstellungen japanischer Kunst vervollständigen die ständige Sammlung.

Het Sieboldhuis, Rapenburg 19, Leiden
Geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.

www.sieboldhuis.org


Das Pantheon bouddhique im Museum Guimet

Anlässlich der Hundertjahrfeier 1989 entscheidet sich das Museum Guimet, seinen Gründer zu ehren und seine Sammlungen aus dem Nahen Osten auszustellen. 1989 findet eine Ausstellung buddhistischer Skulpturen in Tokio statt. 1991 wird in einem Nebengebäude das “Pantheon bouddhique“ eröffnet. Dort sind alle von Emile Guimet aus Japan mitgebrachten Skulpturen untergebracht, sie sind so aufgestellt, wie er es sich gewünscht hätte, nämlich nach Persönlichkeiten (Dämonen, Tempelwächter, Buddhas). Der Besucher entdeckt so alle Facetten der religiösen japanischen buddhistischen Ikonografie.

Pantheon Bouddhique des Guimet-Museums, 19 avenue d'Iéna, 16. arrondissement, freier Eintritt, geöffnet jeden Tag außer dienstags von 10 bis 18 Uhr.

www.museeguimet.fr



Die fabelhafte Welt der Niki de Saint Phalle

von Felicitas Schwarz, erschienen am 01.08.2007

Was haben die Astronomin Karolin Herschel, Sophie von Hannover und Charlotte Kestner-Buff, die Goethe zu seinem Werk Die Leiden des jungen Werthers inspirierte, gemeinsam? Alle drei Frauen sind untrennbar mit der Stadt Hannover verbunden und stehen seit Mitte der 1970er Jahre in Form von bunten, rundlichen Nanas am Ufer der Leine. Die Geliebte des deutschen Dichters vollführt einen Kopfstand, neben der kugeligen, kunterbunten Sternenkundlerin und der tanzenden Kurfürstin. Freude und Kraft strahlen die drei dicken Polyesterfrauen aus, die längst zum Wahrzeichen der niedersächsischen Hauptstadt und zum Markenzeichen der Künstlerin Niki de Saint Phalle geworden sind.

Die selbstbewussten, fröhlichen Frauenfiguren, die im wahrsten Sinne des Wortes die geballte Weiblichkeit repräsentieren, gibt es in allen Variationen rund um den Erdball. Nicht von Anfang an strahlten die Werke der französisch-amerikanischen Künstlerin solch eine positive Energie aus. Schwere psychische Probleme sind es, die Niki de Saint Phalle in den 1950er Jahren zur Künstlerin werden ließen. Später sagte sie selbst, dass sie wohl für immer im Irrenhaus gelandet wäre, hätte sie nicht die Kunst als Erlösung für sich entdeckt.

Die Gründe ihres Zusammenbruchs liegen in ihrer Kindheit. Niki de Saint Phalle wird am 29. November 1930 als Catherine Marie-Agnès Fal de Saint Phalle in Neuilly-sur Seine in Frankreich als zweites von fünf Kindern geboren. Ihr Vater, der französische Graf André Marie de Saint Phalle, hat sein Vermögen beim Börsenkrach am Schwarzen Freitag 1929 verloren. Also musste ihre Mutter, die Amerikanerin Jeanne Jacqueline de Saint Phalle geborene Harper, ihrem Mann in Amerika geschäftlich unter die Arme greifen. Die kleine Niki bleibt bei den Großeltern in Frankreich und wird erst im Alter von drei Jahren nach Amerika geholt. 1937 zieht die Familie, die sich finanziell wieder erholt hat, von Greenwich nach New York, wo Niki in einem großbürgerlichen Milieu aufwächst.

Während ihre Brüder zur Leistung angespornt werden, verlangt man von ihr lediglich, eine wohlerzogene Ehefrau und gute Mutter zu werden. Schon früh rebelliert Niki gegen die ihr auferlegte Rolle. Sie kann die Doppelmoral dieser feinen Gesellschaft nicht ertragen, deren tiefste Abgründe sie als Elfjährige durchleben muss, als sie von ihrem eigenen Vater missbraucht wird und sich keinem Menschen anvertrauen kann. Die Verletzung, die ihr der Vater zugefügt hat und an der sie mehrfach zu zerbrechen droht, wird später zum Motor ihres Schaffens. Erst im Alter von 62 Jahren ist sie fähig auszusprechen, was ihr angetan wurde und was sie ein halbes Jahrhundert mit sich herumgetragen hat. Als sie 1972 den Film Daddy realisiert, ahnt noch niemand, dass sie das Thema Inzest aus eigener Erfahrung schildert.

Dem elterlichen Haus entflieht Niki de Saint Phalle im Alter von 18 Jahren. Sie heiratet heimlich den späteren Schriftsteller Harry Mathews und verdient sich den Lebensunterhalt als Fotomodell. 1952 entschließen sich beide, mit ihrer ein Jahr zuvor geborenen Tochter Laura nach Europa zu ziehen. Hier wird der Sohn Philip geboren. Die Familie Mathews lässt sich in Paris nieder und Niki, die zweisprachig aufgewachsen ist, strebt eine Karriere als Schauspielerin an. Dann entdeckt sie die Malerei als Ventil für ihre Probleme. Die Kunst, die sie zunächst am Leben hält, wird schnell ihr Leben selbst. 1960 verlässt sie ihren Mann und ihre beiden kleinen Kinder, um sich ganz der Kunst zu widmen. Was als eine Trennung auf Zeit gedacht war, führt zu einem endgültigen Bruch mit ihrem Ehemann. Laura und Philip sowie später auch die Enkelin Bloum werden Niki jedoch oft beim Bemalen ihrer Skulpturen zur Seite stehen.

Vorerst muss die Mutter jedoch ihren eigenen Weg gehen. Diesen Weg kreuzt der schweizer Künstler Jean Tinguely, den Niki de Saint Phalle 1971 heiraten wird und der ihr bis zu seinem Tod als Partner in der Kunst und im Leben zur Seite steht. Auch wenn die private Beziehung nicht immer einfach ist und Tinguely sich jüngeren Frauen zuwendet, werden die beiden als Künstler weiter zusammenarbeiten. Jean ist es auch, der Niki in ihren Ideen bestätigt und sie ermutigt, diese in die Tat umzusetzen. Als Niki ihm im Jahr 1961 ihr Werk Porträt meines Geliebten zeigt, ist Jean begeistert. Bereits bestehende Objekte, werden von Niki de Saint Phalle neu zusammengesetzt: Eine Dartscheibe, die vom Betrachter mit Pfeilen beworfen werden soll, ist der Kopf des Geliebten, ein Hemd mit Krawatte symbolisiert den Körper. Das ist für Jean Tinguely moderne Kunst, und er bietet Niki an, an einer Gruppenausstellung im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris teilzunehmen. Niki de Saint Phalle kann es kaum fassen, dass ihre Werke nun dort hängen sollen, wo eben noch die Bilder von Jackson Pollock ausgestellt wurden. Das Schießen mit Dartpfeilen ist jedoch lediglich der Anfang. Niki de Saint Phalle beginnt, weiße Reliefs aus allen möglichen Objekten anzufertigen, in die sie Farbbeutel einbaut. In der berühmten Pariser Künstlerstraße Impasse Ronsin, wo sie mittlerweile mit Jean in seinem Atelier lebt und arbeitet, organisiert sie öffentliche Schießaktionen. Bei den Happenings werden die Gäste aufgefordert auf die weißen Reliefs zu schießen, und während die Farbbeutel getroffen werden und aufplatzen, entsteht vor ihren Augen ein neues Kunstwerk.

Niki de Saint Phalle über ihre Schießbilder: »1961 schoss ich auf Papa, alle Männer, bedeutende Männer, auf die Gesellschaft mit ihrer Ungerechtigkeit, auf die Kirche, auf die Schule, auf meine Mutter. (…) Es war eine große Therapie für mich.« (Schröder, S.83) Niki de Saint Phalle wird in die Gruppe der Neuen Realisten aufgenommen, der neben Jean Tinguely Künstler wie Yves Klein, Daniel Spoerri, Gérard Deschamps, César und Christo angehören. Diese Gruppe ist um den Kunstkritiker Pierre Restany entstanden, der mit dem Begriff Neuer Realismus eine Kunstrichtung beschreibt, in der die Malerei auf ebenen Flächen zu Gunsten von räumlichen Konstruktionen aufgegeben wird.

Niki de Saint Phalle, deren Gesamtwerk in keine Richtung der Kunstgeschichte eingeordnet werden kann, geht ein Stück ihres Weges mit dieser Gruppe. Dann beschließt sie jedoch, etwas ganz anderes zu machen. Beim Schießen hat sie sich am Ende wie eine Drogensüchtige gefühlt, und sie hasst es, von etwas abhängig zu sein. Also beginnt sie an Skulpturen zu arbeiten, die die verschiedenen Rollen der Frau in der Gesellschaft darstellen. Die Nanas, die daraufhin entstehen, fertigt sie zunächst aus Stoff und später aus Polyester. Auf die destruktiv und grausam wirkenden Schießbilder folgt die Produktion von Frauenfiguren, die eine unendliche Fröhlichkeit auszustrahlen scheinen. Unter dem Motto »Alle Macht den Nanas« erobern die runden Frauen die Welt.

Das wohl größte und bedeutendste Werk von Niki de Saint Phalle wird der Tarot-Garten in der Toscana. 24 Jahre nachdem sie mit ihrem ersten Mann voller Faszination den Park Güell des spanischen Künstlers Antoni Gaudí in Barcelona bewundert hat, realisiert sie ihren Lebenstraum und kreiert ihren eigenen Skulpturenpark. Nach fast zwanzig Jahren Arbeit wird der Garten 1996 für die Öffentlichkeit zugänglich. Aber nicht nur in Italien kann man in die fabelhafte Welt der Niki de Saint Phalle eintauchen: In Hannover lädt eine von ihr gestaltete Grotte in den Herrenhäuser Gärten in ihr faszinierendes Universum ein. »Das Leben des Menschen« thematisieren die bunten Figuren in den drei mit Mosaiken aus Spiegeln und farbigem Glas verzierten Räumen. Es handelt sich um das letzte Werk der Künstlerin, die ein Jahr vor der Fertigstellung im Mai 2002 stirbt. Seitdem erinnert die Niki-de-Saint-Phalle-Promenade im Stadtzentrum von Hannover an die Künstlerin.

Weiterführende Lektüre:

Cardenas, Bloum/Krempel, Ulrich/Pardey, Andres (Hg.): Niki & Jean. L'art et l'amour. München, Prestel Verlag, 2006. ISBN: 3-7913-3534-0.

De Saint Phalle, Niki/Pietromarchi, Giulio: Der Tarot-Garten. Bern, Benteli Verlag, 2000. ISBN 3-7165-1087-4.

Krempel, Ulrich: Die Schenkung. Niki de Saint Phalle. Werke aus den Jahren 1952-2001. Ostfildern-Ruit, Hatje Cantz Verlag, 2001. ISBN: 3-7757-1045-0.

Kunst- und Ausstellungshalle der BRD: Niki de Saint Phalle. Hatje Cantz Verlag, 1992. ISBN: 3-7757-0576-7.

Landeshauptstadt Hannover und Sprengel Museum Hannover: Niki de Saint Phalle – La Grotte. Ostfildern-Ruit, Hatje Cantz Verlag, 2003. ISBN: 3-7757-1308-5.

Schröder, Stefanie: Ein starkes, verwundetes Herz – Niki de Saint Phalle. Ein Künstlerleben. Freiburg, Herder Verlag, 2000. ISBN: 3-451-27446-9.

Schulz-Hoffmann, Carla: Niki de Saint Phalle. Bilder-Figuren-Phantastische Gärten. München, Prestel Verlag, 1987. ISBN: 3-7913-0803-3.

Stiftung Schloss Neuhardenberg und Sprengel Museum Hannover: Nana Power. Die Frauen der Niki de Saint Phalle. Berlin, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 2005. ISBN: 3-89479-245-0.

Fotos: Felicitas Schwarz



Edvard Munch, ein Avantgardist zwischen Oslo, Paris und Berlin

von Anne-Solène Rolland, Übersetzung von Ann-Dorit Boy, erschienen am 01.05.2007

Edvard Munch (1863–1944) kann als einer der ersten Maler der Moderne angesehen werden. Wie sein Zeitgenosse Van Gogh stürzt sich Edvard Munch blindlings in die Malerei, wobei Leben und Malerei sehr schnell ineinander übergingen. Die Leinwand wurde zum ersten Mal der Ort der inneren Bewegtheit schlechthin, bei Munch ausgedrückt im Mischen von lebendigen, manchmal grellen Farben. Der norwegische Maler, der 1863 in Löten geboren wurde und als Vorreiter der Avantgarde des 20. Jahrhunderts gilt, verbrachte sein gesamtes Leben zwischen Norwegen und seinen beiden Wahlheimatländern Frankreich und Deutschland. Letztere stehen auch für den Übergang vom französischen Impressionismus, der ihn in seiner Jugend beeinflusste, und dem deutschen Expressionismus, als dessen unbestrittener Vater er gilt.

1880–1892: Von Christiana nach Paris – Die Lehrjahre
1880 bricht Munch sein Ingenieursstudium ab und beschließt Maler zu werden. 1883 tritt er in die in Norwegen sehr bekannte »Akademie für Freiluft-Malerei« von Frits Thaulow in Modum ein. Damit wird er auch in die Bohème von Christiana (so der alte Name von Oslo) eingeführt, in deren Mittelpunkt der große norwegische Maler der damaligen Zeit steht: der Naturalist Christian Krohg. Die ersten Werke von Munch sind noch von diesem Einfluss geprägt. Aber Munch träumt davon, nach Paris zu gehen, um dort die Werke der großen Avantgardisten zu entdecken. Im Jahr 1885 reist er zum ersten Mal nach Paris: Er besichtigt Museen, macht sich mit den Impressionisten vertraut und ist besonders beeindruckt vom Werk Edouard Manets.

Zurück in Norwegen beginnt er unter den Eindrücken der französischen Kunst seine ersten wichtigen Werke zu malen, darunter Pubertät und Das kranke Kind. Dieses Gemälde, in dem die Emotion die naturalistische Darstellung dominiert, kennzeichnet einen ersten Bruch im Werk Munchs. Als das Bild 1886 der Öffentlichkeit präsentiert wird, ruft es Empörung hervor. Abgesehen von seinem in Norwegen neuen, impressionistisch beeinflussten Aufbau, versinnbildlichte das Gemälde in der Tat etwas sehr Persönliches, fast Unanständiges, nämlich Munchs Gefühle, die der Tuberkulosetod seiner jüngeren Schwester in ihm ausgelöst hatte. Zum ersten Mal flossen persönliche Geschichte und Alltagsleben in seine Malerei ein. Genau dies sollte  zum Wesensmerkmal von Munchs Schaffen werden, das immer wieder um die Themen Tod, Alter, die Grausamkeit der Liebe und das Elend von Christiana kreist.

1889 kehrt Munch nach Paris zurück und nimmt Malkurse bei Léon Bonnat, der später unter anderen Raoul Dufy unterrichtete. Dieser zweite Aufenthalt kennzeichnet den endgültigen Bruch mit dem Naturalismus, den Munch in seinem Manifest von St. Cloud in Worte fasst. Bis 1892 verbringt er die meiste Zeit in Frankreich, wo er viel malt. Aus dieser Zeit stammen die Bilder Nacht in St. Cloud (1890), in dem der Einfluss des amerikanischen Malers und Radierers James McNeill Whistler spürbar ist, und Rue Lafayette (1891), das den Gemälden des Franzosen Gustave Caillebotte nahe steht. Munch selbst beschreibt dieses letzte Gemälde als ein »kurzes Aufflackern (seiner) impressionistischen Periode« (Ulrich Bischoff, Munch, S. 25). Während seiner schöpferischen Aufenthalte zwischen Paris und Nizza arbeitet Munch jedoch bereits an seinen Hauptwerken, die aus ihm einen der wichtigsten Künstler der Jahrhundertwende machen und die europäische Kunst vom allzu beherrschenden französischen Impressionismus befreien sollten.

1892: Berlin, vom Skandal zur Bekanntheit
1892 lädt der Verein der Berliner Künstler Munch ein, seine Werke in Berlin zu präsentieren. Es wird seine erste eigene Ausstellung. Er präsentiert 55 Bilder, darunter Das kranke Kind, Rue Lafayette und einige Gemälde, die bereits mehr expressionistisch als impressionistisch sind. Die Ausstellung löst einen Riesenskandal aus. Sie dauert nur eine Woche, macht Munch aber zu einem sehr bekannten Maler: Er wird gebeten, seine Bilder erst in Düsseldorf, dann in Köln zu präsentieren. Als die Ausstellung nach Berlin zurückkehrt, ist sie ein großer Erfolg.

Deutschland und im Besonderen Berlin werden so zu seiner zweiten Heimat. In Paris fand er durch die Werke der französischen Maler seinen eigenen Stil – in Berlin wird er berühmt. Er schließt sich dem Literaturzirkel Schwarzes Ferkel an, der sich um den schwedischen Dramatiker August Strindberg und den deutschen Kunstkritiker Julius Meier-Graefe gebildet hat. In Deutschland häufen sich die Ausstellungen und der Einfluss von Munchs Werk auf die jungen, deutschen Künstler, die zukünftigen Expressionisten, wächst. Munch selbst ist nunmehr mit seinem Hauptwerk, dem Lebensfries, beschäftigt, das alle seine wichtigen Werke und Themen in sich vereint, die ihn noch nie losließen: Liebe, Angst und Tod. 1893 beginnt er, an seinem berühmtesten Werk zu arbeiten: Dem Schrei.

1892–1908 : Zwischen Berlin und Paris, auf dem Weg zum Triumph
Das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ist Munchs kreativste Phase. Nach und nach malt er die Elemente seines Lebensfrieses: Der Schrei (1893), Madonna (1894), Asche (1894), Mondschein (1895), Der Kuß (1897). Von diesem Zeitpunkt an stellt er dauernd in ganz Nordeuropa und Frankreich aus. Munch verbringt sein Leben zwischen Norwegen, Frankreich und Deutschland. In Paris stellt er vor allem Lithografien und Holzschnitte her. Hier ist es Toulouse-Lautrec, der den größten Einfluss auf ihn ausübt. Sie verbindet ein gemeinsames Interesse an Farblithographien und Ölskizzen. Die Werke Pariser Akt (1896) und Rückenakt (1896) drücken diese Verwandtschaft der beiden Künstler sehr klar aus. Munch malt 1896 das Bühnenbild für das Stück Peer Gynt seines Landsmannes Henrik Ibsen am Théâtre de l'Oeuvre, illustriert die Fleurs du Mal von Charles Baudelaire (unvollendetes Werk) und verkehrt mit dem französischen Dichter und Schriftsteller Stéphane Mallarmé. 1896 eröffnet der Deutsche Siegfried Bing seine Galerie l'Art Nouveau. Edvard Munch ist einer der ersten Künstler, den er ausstellt. In Deutschland feiert Munch seine größten Erfolge. So wird im Rahmen der Avantgarde-Ausstellung der Berliner Sezession, die 1902 in der Galerie P.F. Beyer und Sohn stattfand, erstmals sein Lebensfries ausgestellt.

Alle wichtigen Werke von Munch beschäftigen sich mit vier Themen: Dem Erwachen der Liebe, ihrer Entfaltung, ihrem Niedergang, der Angst zu leben und dem Tod. Werke wie Der Kuss, Madonna, der Tanz des Lebens (1899), Der Schrei bilden eine Serie von Gemälden mit universeller Aussage. Diese völlig neue Darstellungsweise macht einmal mehr Furore. Die Themen stammen von den französischen und deutschen Symbolisten, aber die Form ist neu, weil sie gleichzeitig auch thematisiert wird: Die dunklen und aggressiven Farben, die Formen, die miteinander verschmelzen, die Schatten und verstörten Gesichter verkörpern die Ängste des Künstlers. Die Gemälde sind nicht mehr einfache Darstellungen, sie sind die schrecklichen Emotionen eines zerbrechlichen Künstlers. Von den impressionistischen Gemälden bewahren sie den Sinn für Licht und Farbe, treiben ihn aber ins Extreme. Sie führen eine überbordende Subjektivität ein, die die Kritiker dazu zwingt, neue Bezeichnungen zu finden, um die Werke Munchs und seiner Nachahmer im deutschen Sprachraum zu beschreiben.

Um die Verbreitung seines Werks zu fördern, liiert sich der Künstler mit zwei deutschen Galerien: Cassirer in Berlin für seine graphischen Werke und Commeter in Hamburg für die Gemälde. Diese beiden Galerien garantieren ihm eine dauernde Präsenz in Deutschland. Von mehreren privaten Sammlern erhält er in der Folge Aufträge. 1906 bestellt beispielsweise Max Reinhardt, der berühmte Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, einen Fries für den Festsaal des neuen Kammertheaters. Solche oft großen Aufträge erlauben es Munch, seinen Lebensfries in kleineren Ensembles zu vervollständigen. Die Werke, die den Reinhardt-Fries  bilden – zum Teil wurden sie 1966 von der Berliner Nationalgalerie erworben – unterscheiden sich indes von den vorherigen Elementen des Lebensfrieses durch ihre Helligkeit und die Schlichtheit ihrer Motive. Der Reinhardt-Fries ist das letzte große vollendete Projekt von Munch.

1908 unterbricht ein Nervenzusammenbruch seine Kreativität. Trotzdem hat Munch noch fast 30 Jahre des Schaffens vor sich. Er malt weniger, produziert aber Porträts und Landschaften von großer Qualität. Er ist inzwischen ein bekannter Künstler, erhält zahlreiche Ehrungen. Die Nationalgalerie in Oslo erwirbt 1909 eine große Zahl seiner Werke. Ausstellungen, die ihm gewidmet sind, werden gang und gäbe, und Munch setzt seine Reisen zwischen Norwegen, Frankreich und Deutschland fort. 1927, am Höhepunkt seines Ruhms, wird eine Retrospektive seines Werkes in seinem Heimatland und seiner Wahlheimat organisiert, in Oslo und Berlin. Munch stirbt 1944 als arrivierter Künstler, der einen bemerkenswerten Einfluss auf die Kunst der ersten Hälfte des Jahrhunderts ausgeübt hat: 1930 sagte der Direktor der Berliner Nationalgalerie Ludwig Justi: »Von den großen ausländischen Malern ist für die neuere deutsche Kunst Edvard Munch vielleicht am wichtigsten gewesen.« (Ulrich Bischoff, Munch, 66) Munchs Renommee und die besondere Atmosphäre, die seine Bilder ausstrahlen, haben einen der spektakulärsten Einbruchsdiebstähle der Geschichte ausgelöst: Im August 2004 wurden Der Schrei und Madonna am helllichten Tag aus dem Osloer Munch-Museum gestohlen, vor den Augen der Besucher und ohne dass die Museumswächter irgendetwas unternehmen konnten. Sechs Personen wurden von der norwegischen Polizei beschuldigt und drei von ihnen zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Die beiden Meisterwerke sind seit Sommer 2006 wieder im Munch Museum zu besichtigen. Neben der Mona Lisa haben nur wenige Kunstwerke ein so unglaubliches und doch erfreuliches Schicksal.

Zur weiterführenden Lektüre

Ulrich Bischoff, Edvard Munch. 1863 - 1944. Bilder vom Leben und vom Tod, 2005, Taschen Verlag; ISBN 3-8228-4705-4

Eward Lucie-Smith, Le Symbolisme, 1999, éditions Thames and Hudson, collection L'Univers de l'art. ISBN 2-87811-159-1. Das 13. Kapitel ist Munch gewidmet.

Edvard Munch: the Modern Life of the Soul, New York, 2006 (Ausstellungskatalog des MoMA), ISBN 08-7070-455-9

Munch et la France, Paris, Réunion des Musées Nationaux, 1991 (Katalog einer Ausstellung im Musée d'Orsay, vergriffen)

Im Internet

Biographie von Edvard Munch vom Deutschen Historischen Museum in Berlin

Zeitleiste: Malerei der Moderne zwischen 1884 und 1906

Webseite des Osloer Munch-Museums

Webseiter der Nationalgalere in Oslo

Unbedingt anschauen

Anlässlich des 100. Geburtstages des Reinhardt-Frieses werden die Munch-Gemälde der Neuen Nationalgalerie in Berlin wieder ausgestellt: Die klassische Sammlung. Von Edvard Munch bis Barnett Newman, Neue Nationalgalerie, bis zum 6. Mai 2007.

Die Sammlung des Munch Museums (Munch-museet) und die der Nationalgalerie (Nasjonalgalleriet) in Oslo, die einen großen Teil der Gemälde Munchs umfasst.

Foto: © flickr – kamikazecactus (creative commons) 



Zwischen den Welten

Ein Interview mit dem Fotografen und Grafiker Alex Jordan

von Klaus Speidel, erschienen am 01.08.2006

Der »Baader-Meinhof-Jagd und einer allgemeinen Verhärtung der Situation« wollte Alex Jordan entkommen, als er mit 29 Jahren von Deutschland nach Frankreich übersiedelte. »Auf der anderen Seite des Rheins gab es dagegen leuchtende Ideen. Man hoffte in dem Moment auf eine Vereinigung aller Linksparteien«. Geboren wurde Jordan 1947 in Saarbrücken. In Frankreich trat er dem Grafikerkollektiv Grapus bei. Noch Grafiker bei Grapus gründete er 1985 mit den Fotografen Noak Carrau und André Lejarre das Kollektiv le bar Floréal. Zum zwanzigjährigen Bestehen gab es im Dezember 2005 die erste Kollektivausstellung im Europäischen Haus der Fotografie in Paris zu sehen. Nach der Auflösung von Grapus hatte Alex Jordan 1989 die Grafikergruppe Nous travaillons ensemble – wir arbeiten zusammen (NTE) gegründet. NTE macht keine Werbekampagnen für große Firmen, sondern arbeitet für Kommunen, Museen sowie staatliche Institutionen und hat unlängst eine nationale Kampagne gestaltet, die Schüler für die Helmpflicht sensibilisieren soll. Andere Plakate machen Hundebesitzer auf ihre Verpflichtungen und Frauen auf ihre Rechte aufmerksam: »Alles was wir hier machen, ist im Grunde politisch.« Heute haben die fünf Mitarbeiter von NTE ihr Atelier im 20. Arrondissement in Paris. Im Schaufenster vor dem großen Vogelkäfig klebt ein Papier: »Und die Arbeit?«, steht darauf. Die Wände sind mit Postern beklebt, auf den Schreibtischen stapeln sich die Zettel. Unser Gespräch findet seinen Platz an der Bar, die die Küche vom Rest der »Werkstatt« trennt. Zur Begrüßung gibt es eine Tasse Tee und lautes Vogelgeschrei. Trotz Altersunterschied einigen wir uns schnell aufs Du. Beide deutsch, sprechen wir unwillkürlich Französisch und behalten es bei.

Wie siehst du deine Arbeit als Grafiker im Vergleich zu der Arbeit als Fotograf?

Das Zeichnen ist für den Grafiker eine Art, sich zu verständigen. Es ist oft viel einfacher, eine Zeichnung zu machen, als lange über eine Sache zu reden. Außerdem ist Zeichnen viel günstiger. Für Fotografien braucht man einen Apparat, man muss ins Labor gehen und so weiter. Für eine Zeichnung braucht man nur Bleistift und Papier, notfalls reicht auch ein Tisch oder eine Wand. Außerdem ist man als Fotograf immer allein. Man klemmt sich hinter sein Loch und ist allein. Früher war das in der Grafik noch anders. Die Zeichnungen lagen auf dem Tisch. Heute ist alles auf dem Computer. Das Ding ist aus, und man sieht nichts mehr. Besonders in Deutschland ist das schlimm: Die Grafikerwerkstatt ist zum Büro geworden. Es hängen vielleicht zwei, drei Plakate an der Wand. Aber man könnte vom Boden essen. Wenn keine Zeichnungen auf dem Tisch liegen, gibt es keine Diskussionsgrundlage. Wir versuchen das hier anders zu machen.

Wenn man an politische Fotografie denkt, erinnert man sich an die Bilder aus den französischen Vorstädten. Wie wichtig ist die Dokumentation von Krisensituationen?

Man kann das schon machen. Man kann in die Vorstädte gehen und brennende Autos fotografieren. Aber es haben schon vorher Autos gebrannt, und es werden auch weiter welche brennen. Ich selber wohne in der nördlichen Vorstadt. Ich hätte nur vor die Tür gehen brauchen. Aber ich habe schon genug brennende Autos fotografiert, auch in Berlin. Wenn man solche Fotos macht, sollte es nicht aufgrund des spektakulären Effektes sein. Wie alles andere ist es eine Gelegenheit, um – mit etwas Glück – ein metaphorisches Bild hinzukriegen. Zum Beispiel eine Situation, in der man sieht, dass weder die Jugendlichen noch die Polizei verstehen, um was es eigentlich geht.

Für dich ist es wichtig, politisch zu arbeiten. Glaubst du, dass ein Bild mehr bewegen kann als ein Text?

Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass es heute keiner mehr schafft, Bilder oder Texte dort anzubringen, wo sie hinmüssten.

In die Bild-Zeitung?

Nein. Es muss nicht die Bild-Zeitung sein. Das Problem ist, dass es heute überhaupt keine Meinungspresse, wie zu der Zeit von Jean Jaurès, mehr gibt. (Jaurès war Politiker und Mitgründer der sozialistischen Zeitung l'Humanité, Anm. d. Red.) Die großen Journalisten sind immer weniger von politischen Idealen überzeugt. Sie verwalten nur noch ihren sozialen Aufstieg. In allen Medien herrscht heute Einigkeit darüber, dass man ausgewogen berichten muss. Aber manchmal muss man eben auch schreien.

Mein Blick fällt auf eines der Plakate an der Wand: Es zeigt George W. Bush. Mit schwarzer Farbe ist darüber gepinselt: »Terror is me [der Terror bin ich]«: Steht für euch die politische Arbeit im Vordergrund während die Arbeit für öffentliche Institutionen hauptsächlich der Finanzierung dient?


Nein. Man kann nicht sagen, ich mache meine Arbeit, nur um Geld zu verdienen, und meine künstlerische Arbeit mache ich nebenbei. Das funktioniert nicht. Deswegen arbeiten wir mit Institutionen zusammen, die wirklich mit den Leuten kommunizieren wollen. Darum geht es auch uns.

Könnte NTE mit dieser Ethik auch in Deutschland existieren?

Die französischen Städte kommunizieren viel über Plakate mit ihren Bürgern. In Deutschland existiert das kaum. Da machen das höchstens die stadteigenen Firmen, die Transportbetriebe, oder die Straßenreinigungen. Das macht es natürlich schwieriger, so zu arbeiten wie hier in Frankreich.

Fühlst du dich in Berlin genauso wohl wie in Paris?

Ja, aber anders. Hier fühle ich mich wohl, weil ich hier zu Hause bin. In Berlin, weil dort alles möglich ist. Das zieht auch viele Abenteurer an. In Berlin gibt es heute experimentelles Theater, alternatives Kino und Schock-Grafik. Das meiste ist natürlich kommerziell nicht erfolgreich, aber im Moment existiert es.

Worauf, glaubst du, kommt es in der Fotografie an und worauf in der Grafik?

Zunächst muss man verschiedene Fotografen unterscheiden. Viele Fotografen waren nie auf einer Fotografenschule. Die Reportagefotografie, die in le bar Floréal dominiert, entsteht oft aus dem Wunsch, auf jede erdenkliche Art zu dokumentieren. Das Interesse für das Handwerk kommt bei den Leuten danach. Studiofotografie kann reines Handwerk sein. Reportagefotografie hat dagegen etwas Selbstmörderisches. Der Fotograf ist vor allem ein Abenteurer. Beim Grafiker ist das ganz anders. Das ist jemand, der glaubt, dass er Talent zum Zeichnen hat – oder heute: jemand der glaubt, dass er einen Computer bedienen kann – und der damit Geld verdienen will. Natürlich kann er ein geistiger Abenteurer sein, aber er muss nicht auf dem Boden schlafen, stundenlang durch den Regen gehen, oder warten können.

Eine abschließende Frage: Womit kannst du gesellschaftlich mehr verändern, mit Fotografie oder Grafik?

Das ist gleich. Aber man braucht einen langen Atem.

Zur weiterführenden Lektüre

Nous travaillons ensemble, Pyramid ntcv, Paris 2003, ISBN 2-910565-56-4
Le bar Floréal. Photographie, Editions Créaphis, Grâne, 2005, ISBN 2-913610-68-4

www.noustravaillonsensemble.org
www.bar-floreal.com

Fotos und Grafik © Alex Jordan


Künstlerkollektive

Fotografen und Grafiker verbinden sich zu Kollektiven, um künstlerischen Austausch, Sichtbarkeit und Organisation zu verbessern.

Grapus
Legendäres französisches Grafikerkollektiv. 1970 von Pierre Bernard, Gérard Paris-Clavel und François Miehe gegründet. Grapus stand politisch links und war mit alternativen Ideen sehr erfolgreich. Nach der Auszeichnung mit dem nationalen französischen Grafikerpreis 1991 führten die Spannungen im Kollektiv zu seiner Auflösung. Alex Jordan: »De facto war zu diesem Zeitpunkt die Gruppe schon gespalten. Einige arbeiteten für den Louvre, die anderen noch für sehr kleine Institutionen. Wir waren uns dann nicht mehr einig, ob wir weiter politisch agitieren wollten oder viel Geld verdienen.«

Nous travaillons ensemble (NTE)
Grafikerkollektiv, das 1989 innerhalb des erfolgreichen Kollektivs Grapus gegründet wurde. Alex Jordan ist Mitbegründer. Heute hat NTE vier ständige und einige wechselnde Mitarbeiter. NTE arbeitet hauptsächlich für Museen, Schulen, öffentliche Institutionen. Nicht Werbung, sondern Kommunikation steht im Zentrum der Arbeit. NTE macht nicht nur Auftragsarbeiten, sondern entwirft auch unabhängig politische Bilder und Plakate.

Le bar Floréal
Wichtiges Kollektiv für Dokumentarfotografie mit Sitz im Pariser Stadtteil Belleville. Gegründet 1985 von Alex Jordan, Noak Carrau, André Lejarre. Alex Jordan: »Uns allen erschien die Fotografie ein gutes Mittel zu sein, um mit Leuten – und mit der Realität – in Kontakt zu bleiben. Wir haben immer geglaubt, dass Fotografie zu etwas gut sein muss – zum Austausch mit Leuten, um Probleme aufzuzeigen.« Benannt wurde das Kollektiv nach dem ehemaligen Gebrauch des Ateliers. Die Zahl der Fotografen ist inzwischen auf zwölf gewachsen, die ihre Sensibilität für soziale Probleme verbindet.



Das Bürgertum an die Wand kleben

von André Glasmacher, erschienen am 01.07.2006

SP 38 hat eines mit Comic-Cowboy Lucky Luke gemeinsam: Er ist schneller als sein Schatten, wenn auch nur mit dem Pinsel. Sein Künstlername, der auf einen Polizeirevolver Bezug nimmt, spiele auf die Eigenschaft der französischen Comiclegende an, sagt er halb im Ernst in seinem voll gestopften Altbau-Atelier, auf dessen Boden eine zwei mal zwei Meter große Papierbahn bereit für neue Slogans liegt. Seine Plakate sind dann in Berlin überall im Stadtzentrum, jenseits des Alexanderplatzes mit seinen renovierten und zuweilen noch bröckelnden Häusermauern, zu finden: Blau auf weiß sieht der eilige Passant die Slogans des 46-Jährigen Franzosen; manchmal ist auch eine Art Roboterkopf in den Farben rot, gelb und blau abgebildet, auf den der Lauf eines Revolvers zeigt. Daneben die Sprechblase: »Smile«.

SP 38 studiert zunächst im normannischen Cherbourg an der Kunsthochschule Graphik und geht dann in den Achtzigerjahren nach Paris. Dort faszinieren ihn die Großstadt mit ihrer Hektik, den grellen Farben, die nicht zueinander passen und die durch die amerikanische Graffiti-Kultur entstandene Street-Art-Szene. Er wird Mitglied der Gruppe avat-art und so Teil der Pariser Hausbesetzer-Szene, den so genannten artistes squatteurs: Diese besetzen leer stehende Industriekomplexe, um sie zu Kunstzentren zu machen. Gleichzeitig sind diese Zentren auch große Wohngemeinschaften, in denen das Leben um die künstlerische Idee kreist.

Vor elf Jahren geht SP 38 nach Berlin, und das nicht zufällig: »Berlin war das Modell, für ganz Europa. Für das, was möglich war in der Street-Art: ein mythischer Ort.« Das erste Plakat, das er an die damals noch zahlreichen Brandmauern klebt, zeigt Jesus am Kreuz: zwei Nägel durch die Handflächen und einen, das war neu, durch den Kopf. Dazu der Satz: »Just do it.« Später plakatiert er »Fuck Chirac«, um so gegen die französischen Atomversuche zu protestieren.

Seit etwa einem Jahr klebt SP 38 in Berlin das Bürgertum an die Wand. Auslöser war die Renovierung der Polizeistation an der Brunnenstrasse im Stadtzentrum: »Als die dort alles neu gemacht haben, da wusste ich, dass jetzt die Bourgeoisie kommt.« Plakate kleben ist dabei, neben dem beabsichtigen Statement, wie Gymnastik für ihn. Meist fährt der Künstler mit seinem schwarzen Fahrrad durch das Stadtzentrum, einen Eimer Kleister in der Hand und auf dem Gepäckträger die Plakate, unbedrucktes Zeitungspapier, das er zuvor im Atelier beschrieben hat.

Auf »Vive la Bourgeoisie« gebe es immer amüsierte Reaktionen, sowohl von Deutschen als auch von französischen Touristen, sagt er. Allerdings seien da auch jene, die sich durch den Slogan angegriffen fühlten: »Die merken wohl, dass es ironisch auf sie abzielt.« Da SP 38 ausschließlich im öffentlichen Raum arbeitet, hat ihn die Polizei zuweilen im Visier. »Aber die sehen, dass ich nur Plakate klebe. Und jetzt kennt man mich: Ich bin der Ausländer, der komische Plakate auf alte Bauzäune und Mauern klebt.« Festgenommen wurde er bisher nur wegen Trunkenheit und weil er dabei war, als Freunde sprayten. Jetzt ist er trotzdem als »Tagger« in der Datei der Polizei: »Die greifen hart gegen Sprayer durch«, sagt er etwas resignierend.

SP 38 klebt nicht nur die Plakate mit den Slogans, sondern bemalt auch Leinwand oder Papierbahnen mit dichten Szenen. »Mein Stil ist direkt. Er verbindet das Gefühl des Moments und den Ort, an dem ich mich befinde.« Einfache Farben, wie rot, blau und gelb sollen dabei einen direkten Zugang herbeiführen. Die Botschaft, die von den Bildern ausgeht, »liegt in der Freiheit des Betrachters«. Vorbilder für die verspielten, comic-strip-artigen Elemente der Malerei des Berliner Franzosen, der seinen »bürgerlichen« Namen nicht nennen will, sind Warhol, Dubuffet, Bosch und nicht zuletzt auch Keith Haring

Von seiner Kunst kann SP 38 einigermaßen leben. Er verkauft in Frankreich und zuweilen auch in Berlin. Bedroht ist er eher durch die rasante Sanierung und den Wiederaufbau in Ostberlin: Wo vor kurzem noch der Putz bröckelte und Brachland durch Holzzäune abgeschirmt wurde, wird heute neu gestrichen und ein Bürohaus nach dem nächsten hochgezogen: »Was den Zauber von Mitte ausgemacht hat, dass war die große Zahl an jungfräulichen, alten Mauern: das verschwindet jetzt.«

Davon wird er sich allerdings nicht abhalten lassen, Plakate zu kleben. Eine freie Stelle werde er immer finden, sagt er. Falls SP 38 tatsächlich einmal aufhören sollte zu malen, dann aus einem anderen Grund: »Die Kunst ist wie eine Therapie für mich. Wenn ich geheilt bin, höre ich auf.«



Anselm Kiefer : ein deutscher Maler in den Cevennen

von Anne-Solène Rolland, Übersetzung Helene Greubel, erschienen am 15.06.2006

Anselm Kiefer ist einer der bekanntesten lebenden deutschen Maler. Zurzeit gilt sein Werk als eines der bedeutendsten unserer Epoche, und viele seiner dreidimensionalen Gemälde befinden sich im Besitz von renommierten Sammlungen. Das Musée national d’Art Moderne in Paris besitzt zwei von Kiefers Werken: To the Supreme Being (1983) und La Vie secrète des plantes (2001-2002), ein beeindruckendes Ensemble aus zehn Gemälden. Der Hamburger Bahnhof in Berlin besitzt mehrere Werke, von denen eines, Mohn und Gedächtnis (1989, nach dem Titel eines deutschsprachigen Gedichtbandes von Paul Celan (1920-1970), mit dem Kiefer vieles verbindet, vor allem die Tatsache, dass beide in Frankreich leben) aus einem Flugzeug besteht, das mit organischem Material und Mohnstängeln bedeckt ist. Kiefers stets großformatige, oft in grauen und braunen Erdfarbtönen gehaltene Leinwände scheinen den Betrachter einfach mitzureißen. Was jedoch ihre wahre Originalität ausmacht, sind die Materialien: Unter die Farben mischen sich Holz, Pflanzenstängel, Stoff, Blei und viele andere Dinge. Am Ende wird die Leinwand manchmal verkohlt oder mit einem Beil attackiert, was dem Werk einen Anschein von Verwüstung gibt. Dennoch bleiben die Werke immer bildlich: Meistens stellen sie Landschaften dar, die zerstörte Natur heraufbeschwören – so zum Beispiel die dreidimensionalen Werke: das Flugzeug in Mohn und Gedächtnis oder die Bücher aus Blei, von denen einige zu Meditationszwecken in Kiefers Atelier stehen.

Kiefer hat mit einer sehr speziellen Technik ein vielfältiges Werk geschaffen, das niemanden gleichgültig lassen kann: Genau hier liegt das Geheimnis seines heute weltweiten Renommees. Aber es sind nicht zuletzt auch die Themen, denen er sich seit 30 Jahren widmet, die seinem Werk eine aktuelle und universelle Dimension geben. Seit seinen Anfängen in den Siebzigerjahren hat Kiefer seine Kunst in einer deutschen Realität verankert, die viele sich weigerten wahrzunehmen: Er ist der erste plastische Künstler, der die jüngste deutsche Geschichte ganz direkt und manchmal auf provokante Art und Weise zur Sprache bringt - beispielsweise, indem er sich im Rahmen der Serie Besetzungen von 1969 beim Hitlergruß fotografieren lässt. Damit will er gegen das Vergessen ankämpfen – und das verbindet ihn mit Paul Celan, der Jude war und dessen gesamtes Werk auf der Auseinandersetzung mit der Shoah basiert, die seine Familie stark dezimiert hatte: Die Erinnerung daran, die schon im Titel Mohn und Gedächtnis anklingt, steht in den Achtzigerjahren im Zentrum von Kiefers Schaffen.

Genau wie Celan und Joseph Beuys, dessen Kurse er in Düsseldorf besuchte, scheint sich auch Kiefer die grundlegende Frage des Nachkriegsdeutschlands zu stellen: Wie soll man noch etwas schaffen, wie soll man nach all dem noch Künstler sein? Seine Antwort darauf ist ein durch seine Textur geradezu lebendiges Werk – ein Werk, das immer und um jeden Preis etwas darstellen will, selbst das, was nicht darstellbar ist, und zwar um nicht von Verzweiflung überwältigt zu werden. Ein Werk, das auch nicht davor zurückschreckt, sich das »Germanentum« wieder anzueignen, und zwar auf die Gefahr hin, seine Betrachter zu schockieren: Kiefer übernimmt von Beuys die große Bedeutung der Mythen, und zwar vor allem der deutschen Mythen, die von den Nazis zu kriegerischen Zwecken verfälscht worden waren. Dies ist für ihn, genau wie für Beuys, eine persönlichere Art, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen: »Ich habe aus den Mythen geschöpft, um meine Emotionen auszudrücken. Die Realität war zu belastend, um real zu sein, man musste den Umweg über die Mythologie gehen, um die Wirklichkeit zu rekonstruieren.« Werke wie die Serie Parsifal, die 1980 auf der Biennale in Venedig einen Skandal auslöste (die Kiefers Werk jedoch auf einen Schlag berühmt machte), bezwecken, diese Gründungsmythen vom Schmutz zu reinigen, den das Dritte Reich hinterlassen hat. Gewisse Leute sahen in diesen Werken ein Wiederaufleben der Naziideologie. Damit lagen sie natürlich falsch, dennoch nimmt Provokation in Kiefers Werken einen wichtigen Platz ein. Kiefer ist der Meinung, dass man trotz allem nicht das Recht dazu habe, die großen deutschen Mythen zu leugnen, weil sie Teil der deutschen Identität seien; auch dürfe man die Vergangenheit nicht als maßloses und absolut unverständliches Horrorszenario leugnen, sondern solle versuchen, diesen grausamen, aber vielleicht menschlichen Irrsinn zu verstehen. Versuchen, »das, was sie getan haben, wieder ein klein wenig aufleben zu lassen, um den Wahnsinn zu begreifen«, hatte er hinsichtlich seiner Besetzungen erklärt. Kiefer produziert und schafft wie Celan aus dem Unsagbaren heraus. Und genau das können viele Betrachter, und zwar nicht nur deutsche, nicht ertragen. Für die Mehrheit ist Kiefer jedoch einer der wenigen Deutschen, die sich schon früh mit der Erinnerung auseinandergesetzt haben, um daraus Geschichte zu machen und über den vertrauten Rahmen des Gemahnens und der Schuldgefühle hinauszugehen.

Der Zufall will, dass dieser so deutsche Künstler seit 1992 die meiste Zeit in Frankreich lebt und arbeitet. Nachdem er 1988 in Deutschland eine Ziegelei gekauft hatte, erstand er in Barjac in den Cevennen eine ehemalige Fabrik aus dem 19. Jahrhundert. »Ich wollte meine künstlerische Praxis eine Zeit lang unterbrechen. Hier habe ich Substanz gefunden. Nostradamus ist in diese Gegend gekommen. Die Katharer hatten sich hier angesiedelt. Ich lebe also an einem Ort, wo sich einiges zugetragen hat, wo eine gewisse geschichtliche Dichte herrscht. Seitdem ich hier lebe, haben meine Werke eine viel stärkere spirituelle Dimension bekommen.« In Frankreich kann er sich von der jüngsten deutschen Geschichte ein bisschen lösen: »Diese Geschichte schreibt sich von nun an in einen größeren und zeitlich längeren Kontext ein«, womit vor allem die Kabbala, die Alchemie, die Geschichte Frankreichs und große europäische Persönlichkeiten gemeint sind. Die Textur bleibt die gleiche, vielfältig und konkret, aber in thematischer Hinsicht scheint Kiefer universeller und auch ruhiger geworden zu sein, als befände er sich auf dem Weg der Versöhnung, was ja das Ziel der Auseinandersetzung mit der Geschichte war. Paul Celan und andere, die von der deutschen Geschichte viel intensiver betroffen waren, haben nicht überlebt – nicht einmal ihre Kunst. Kiefer, der nicht direkt betroffen war, bietet der Welt ein tiefgehendes Werk voller Energie und Lebendigkeit, das keinerlei Zugeständnisse macht und somit die Vergangenheit überwinden will. Ein Werk, das sich ständig weiterentwickelt, genau wie sein Entstehungsort in den Cevennen, aus dem Kiefer langsam aber sicher ein Gesamtkunstwerk macht: Es ist zugleich eine ausgebaute Höhle, eine Bibliothek mit Bleibüchern und ein Atelier, wo sich seine nicht gerade heiteren Landschaften ansammeln. Denn die Geschichte ist immer präsent und wird immer präsent sein: »Ich glaube nicht, dass mein Verhältnis zur deutschen Geschichte ein für allemal geklärt ist. Das ist unmöglich.«

Zur weiterführenden Lektüre

Daniel Arasse, Anselm Kiefer, Editions du Regard Paris, 1996

Anselm Kiefer, Vingt ans de solitude, Editions du Regard

Anselm Kiefer, Works on Paper in the Metropolitan Museum of Art, New-York, 1999

Connaissance des Arts, n° 629, juillet-août 2005


Biographische Anhaltspunkte

Anselm Kiefer

Deutscher Maler und Bildhauer

Geboren am 8. März 1945 in Donaueschingen

1966–1969: Studium der Malerei in Freiburg, dann in Karlsruhe.

1969: Besetzungen, die in Deutschland einen großen Skandal auslösen.

1970–1972: Studium bei Joseph Beuys an der Kunstakademie in Düsseldorf.

Ab 1971: erste Reisen in die USA, in Europa und den Nahen Osten

1978: erste eigene Ausstellung in der Kunsthalle von Bern

1980: repräsentiert Deutschland zusammen mit Georg Baselitz auf der Biennale in Venedig. Seine Werke über Mythologie lösen eine neue Polemik aus.

1981: erste eigene Ausstellung in der Galerie Marian Goodman in den USA.

1983: das Musée national d’Art Moderne in Paris erwirbt To the Supreme Being.

1984: Wanderausstellung (Düsseldorf, Paris, Jerusalem). Erste Reise nach Israel.

1987–1989: sehr erfolgreiche Ausstellungen in den USA

1988: kauft eine ehemalige Ziegelei im Odenwald, in der Nähe von Heidelberg.

1989: Mohn und Gedächtnis

1991: Ausstellung in der Nationalgalerie in Berlin

1991–1993: erneute Reise nach Indien, Mexiko und China.

1992: lässt sich in Barjac nieder und fängt an, die ehemalige Fabrik umzubauen.

1999: Ausstellungen der Werke auf Papier im Metropolitan Museum von New York.

2000: Installation für die Kapelle des Pariser Krankenhauses La Salpetrière

Seit 2000: auf dem Kunstmarkt ist Kiefer einer der am höchsten gehandelten lebenden Künstler Deutschlands.

2002: Ausstellung in der Fondation Beyeler in Basel

2003: das Musée national d’Art Moderne in Paris erwirbt La vie secrète des plantes

2006: Ausstellung « Ciel et Terre » im Musée d’Art Contemporain von Montreal.



Rilke und Rodin: als ein französischer Bildhauer die deutsche Lyrik inspirierte

von Silke Wessel, erschienen am 15.03.2006

Auguste Rodin (1840 – 1917) gilt heute als der bedeutendste Bildhauer des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Er wird nicht nur als letzter großer klassischer Meister seines Faches verehrt, sondern ist durch seine Innovationen gleichzeitig auch der Begründer der modernen Plastik. Durch das Spiel mit Licht und Schatten erlangte er eine gewisse impressionistische Leichtigkeit, die seine Werke ebenso auszeichnet, wie die für ihn typische Darstellung menschlicher Seelenzustände. Doch Rodin war nicht nur für die Entwicklung der Plastik von großer Bedeutung, auch als Mensch war er vielen Vorbild und väterlicher Freund. So beeinflusste er maßgeblich den jungen österreichisch-ungarischen Dichter Rainer Maria Rilke (1875 – 1926), der im Jahre 1902 zu ihm nach Paris reiste.

Der 27-jährige Rilke befand sich zu diesem Zeitpunkt in großen materiellen wie auch persönlichen Konflikten: Er hatte nicht nur mit finanziellen Problemen zu kämpfen, sondern sah sich zudem außer Stande, sein gesellschaftliches Leben mit seinem künstlerischen Schaffen in Einklang zu bringen. Zweifellos fühlte er sich zum Dichter berufen, dies bedurfte der Einsamkeit, um sich auf seine kreative Arbeit zu konzentrieren – und dennoch dürstete er ständig nach dem Austausch mit anderen Menschen.

Der Auftrag von Seiten des Breslauer Kunsthistorikers Richard Muther, eine Künstlermonographie über Rodin zu verfassen, war dem jungen Rilke nicht nur ein willkommener Zusatzverdienst, sondern bot ihm darüber hinaus die Möglichkeit, den Bildhauer persönlich zu treffen. Rilke sah in dem 62-jährigen Rodin einen Künstler, der es geschafft hatte, die für ihn selbst scheinbar unüberwindbare »Feindschaft zwischen Leben und Werk« zu überbrücken, wie er es in einem Brief an seine Freundin, die deutsch-russische Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé, ausdrückte. Somit hoffte er, von Rodin nicht nur über die Kunst, sondern vor allem über das Leben als Künstler lernen zu können.

Rilkes erster Aufenthalt in Paris stellte, trotz seiner Bewunderung für Rodin, den Auftakt zu einer sehr wechselhaften Freundschaft mit dem Bildhauer dar. Sie war vor allem von der rückhaltslosen, nahezu unterwürfigen Verehrung Rilkes gegenüber Rodin geprägt, die dieser, bis zum Ende ihres schwierigen Verhältnisses, als selbstverständlich ansah. So gab Rilke sich alle erdenkliche Mühe, Französisch zu lernen und sogar in der ihm fremden Sprache zu dichten, um sein Werk seinem Idol zugänglich zu machen. Rodin sprach nämlich kein Deutsch und sah auch keinen Anlass, es zu erlernen, was Rilke ihm zeitweise als mangelndes Interesse an seinen Gedichten auslegte.

Rodin war ein in sich gefestigter Mensch, der sich über seine Stellung im Leben wie in der Kunst bewusst war. In den langen Jahren seines Schaffens hatte er gelernt, sich gegen den damaligen akademischen Stil durchzusetzen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass der größte Bildhauer des 19. Jahrhunderts zu Beginn seiner künstlerischen Karriere aufgrund seines Stils, der ihn später berühmt machen sollte, dreimal von der École des Beaux Arts abgelehnt wurde. So war er zunächst als freier Künstler tätig, bis ihm seine wachsende Popularität auch öffentliche Aufträge einbrachte, zum Beispiel die Staatsaufträge zum »Höllentor« oder zu den »Bürgern von Calais«, eine Statue, die sich seit 1924 vor dem alten Rathaus in Calais befindet. Auf seinen Reisen quer durch Frankreich und nach Italien, wo er vor allem das Werk Michelangelos studierte, hatte sich in Rodin ein unbeirrbares Bewusstsein für seinen eigenen Stil herangebildet, in dem er sich selbst verwirklichen konnte. Getreu seinem Leitsatz, dass man nach dem Ebenbild der Natur langsam und geduldig arbeiten müsse, um ans Ziel zu gelangen, hatte er in seinem Schaffen eine innere Ruhe gefunden. Dabei standen menschliche Emotionen und ihr körperlicher Ausdruck im Mittelpunkt seiner künstlerischen Arbeit. Durch eine ganz eigene Art, die Dinge und Menschen um sich herum zu betrachten, gelang es Rodin, sich auf das Wesentliche eines Modells zu beschränken und es dann, wie von der Natur geschaffen, wiederzugeben.

Von dieser inneren Ruhe fasziniert, hoffte Rilke, in den langen Gesprächen oder der gemeinsam verbrachten Arbeitszeit mit dem Bildhauer die Lösung für das Rätsel der Vereinbarkeit von Leben und künstlerischem Schaffen zu finden. So schrieb er in einem Brief vom 5. September 1902 an seine Frau Clara Westhoff, dass »alles auf dasselbe hin(deutet): dass man sich entscheiden muss, entweder das oder jenes, entweder Glück oder Kunst. On doit trouver le bonheur dans son art [Man muss sein Glück in seiner Kunst finden](...) Die großen Menschen alle haben ihr Leben zuwachsen lassen wie einen alten Weg. Ihr Leben ist verkümmert wie ein Organ, das sie nicht mehr brauchen.« Entschieden, Rodins Beispiel zu folgen und sein eigenes künstlerisches Schaffen zum Zentrum seines Daseins zu machen, von dem alles andere seinen Ausgang nimmt, kehrte Rilke im Frühjahr 1903 nach Deutschland zurück.

Zwei Jahre später führte der zweite Parisaufenthalt Rilkes die Beziehung der beiden Künstler zu ihrem Höhepunkt und schließlich zu ihrem Bruch. Nachdem Rilke zunächst eine unbeschwerte, glückliche Zeit im Hause Rodins verbracht hatte, in der er als eine Art Privatsekretär für ihn tätig gewesen war, fühlte er sich von dem zunehmend despotische Charakterzüge entwickelnden Bildhauer, der sehr unter seinem eigenen Altern zu leiden schien, zu sehr vereinnahmt. Insbesondere litt seine eigene Kreativität darunter. Aufgrund eines unglücklichen Missverständnisses entließ Rodin schließlich den in seiner Sensibilität zutiefst verletzten Dichter, der sowohl psychisch als auch physisch völlig erschöpft abreiste. Der ausbrechende Weltkrieg und der Tod Rodins 1917 verhinderten, trotz gelegentlicher Briefe und Treffen, die Versöhnung der beiden Künstler.

Dennoch erkannte Rilke das große Verdienst Rodins für sein eignes Werk dankbar an. So schrieb er 1907 in einem Brief an Rodin über seine kurz zuvor veröffentlichten Neuen Gedichte, dass »es einige Stücke gibt, die demütig nach der Natur gearbeitet sind. Ich hoffe, man wird darin erkennen, wie sehr Ihr Werk und Ihr Beispiel mich zu unwiderruflichen Fortschritten gezwungen haben, denn wenn man mich eines Tages unter denen nennt, die würdig der Natur gefolgt sind, so weil ich von ganzem Herzen Ihr gehorsamer und überzeugter Schüler war.«

 

Zur weiterführenden Lektüre

Rainer Maria Rilke, Auguste Rodin, Inselverlag, Leipzig, 1924
Ursula Emde, Rilke und Rodin, Verlag des kunstgeschichtlichen Seminars, Marburg/Lahn, 1949

www.rilke.de
www.musee-rodin.fr

Foto 1: © flickr – natamagat (creative commons)

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Die Südsee der europäischen Künstler, von Paul Gauguin bis Max Ernst

von Anne-Solène Rolland, Übersetzung Magali Breul, erschienen am 01.02.2006

Im Jahre 1891 reist  Paul Gauguin (1848–1903) mit dem Schiff zu den Marquesas-Inseln in Polynesien und begibt sich auf die Suche nach Kulturen, fernab der modernen Zivilisation. Einen ersten Einblick in diese primitiven Kulturen hatte er zwei Jahre zuvor auf der Pariser Weltausstellung gewonnen, auf der der Nachbau eines Dorfes der Kanaken von Neukaledonien großen Beifall gefunden hatte. Doch bei der Ankunft in Polynesien ist die Enttäuschung groß: die Polynesier, die bereits seit dem 18. Jahrhunderts mit den Europäern in Kontakt stehen, sind nicht mehr die »guten Wilden», die er sich erträumt hatte. Nachdem er seine anfängliche Enttäuschung überwunden hat, beschließt Gauguin, sein Werk trotz allem der utopischen Gesellschaft zu widmen, die er suchte. Nach Europa schickt er Bilder vom Paradies: die Sinnlichkeit der tahitischen Frauen, die leuchtenden Farben der Südsee, das Leben im Einklang mit der Natur, die Bildnisse primitiver Gottheiten … Bilder einer reineren Form der Spiritualität, einer neuen Welt, als deren Prophet er sich selbst sieht.

Die Arbeiten Gauguins üben einen erheblichen Einfluss auf die Künstler des beginnenden 20. Jahrhunderts aus. Sein zunächst europäisch und später tahitisch geprägtes Werk liefert neue Farben, neue Bilder, und signalisiert die Rückkehr zu den ursprünglichen Empfindungen. Die jungen Dresdner Künstler, die sich zeitweise zu der Gruppe Die Brücke zusammenschließen, allen voran Emil Nolde, Max Pechstein und Ernst-Ludwig Kirchner, suchen nach neuen Formen, um ihrem innersten Instinkt Ausdruck zu verleihen und der europäischen Kunst neues Leben einzuhauchen. Sie finden in Gauguin einen Vorreiter. Sein Werk lehrt sie auch, dass die »primitiven« Kulturen als Vorbild für die europäische Kunst und Gesellschaftsform dienen können. »Ihr Werk drückt Schaffensfreude aus. Was wir daran so schätzen ist vermutlich der eindringliche und oft groteske Ausdruck von Energie, von Leben«, schreibt Emil Nolde. Nolde (1867–1956) und Pechstein (1881–955) folgen dem Beispiel Gauguins und reisen Anfang des Jahrhunderts nach Ozeanien. Dort begegnen ihnen Motive und Gegenstände, die sie bereits aus deutschen Museen kennen, insbesondere aus Dresden, und sie entdecken die Völker, die diese hervorbringen. So lernt Pechstein typische Elemente der Architektur der Palauinseln in Mikronesien kennen. Von diesen Motiven und von seinen Reiseeindrücken lässt er sich beim Malen des Palau-Triptychons (1917) leiten, einer Szene aus dem palauischen Alltag, in der man deutlich ein traditionelles palauisches Haus erkennen kann; die Komposition des Gemäldes orientiert sich im Übrigen an den für diese Häuser typischen Wandmalereien. Nolde seinerseits bringt aus Neuirland (einer der Inseln im Norden Papua-Neuguineas) eine uli-Figur mit, eine anthropomorphe Statuette, die bei großen Begräbniszeremonien verwendet wird. Diese stellt er auf einem seiner Werke dar, Stillleben mit melanesischer Skulptur (1915), auf dem sie klar im Vordergrund zu erkennen ist. In diesen beiden Gemälden streben die Maler die Angleichung von Motiv und Komposition an, die beide »primitiv« sein sollen. In gewisser Weise ist das Abbilden exotischer Völker und ihrer Motive eine Rechtfertigung der neuen Formen, die sie in ihrem gesamten Werk zu entwickeln versuchen.

Der Einfluss der Südseekulturen erreicht jedoch erst mit den Surrealisten in Frankreich seinen Höhepunkt. Die Surrealisten sind vielleicht die wahren Entdecker der ozeanischen Kunst: sie stellen private Sammlungen aus kostbaren Kunstwerken zusammen und interessieren sich ebenso für die ethnologischen Erkenntnisse ihrer Zeit wie für den Marktwert der Werke. Sie sind fasziniert davon, welchen Stellenwert Irrationales und Unbewusstes bei den Riten und der Anfertigung ritueller Gegenstände einnehmen: sie finden darin ihre eigenen Anschauungen wieder, und ergreifen deshalb auch Partei für die »Primitiven« und gegen die Europäer, für die vor allem das Bewusste zählt. Wie die deutschen Expressionisten wollen auch sie auf diese Weise die europäischen Mentalitäten erneuern und ihnen mit Hilfe der Kunst- und Gesellschaftsformen weit entfernt lebender Völker neues Leben einhauchen. Viele Künstler jedoch, die entweder selbst zu den Surrealisten gehören oder im Dunstkreis der Surrealisten verkehren, entwickeln dabei eine ganz persönliche Beziehung zu Motiven und Gegenständen, die an ihre Vorstellungskraft appellieren.

Einer von ihnen ist der gebürtige Schweizer Alberto Giacometti (1901–1966). Die Kunst der Naturvölker ist ihm nicht nur durch regelmäßige Besuche im völkerkundlichen Museum, dem Musée de l’Homme, in Paris vertraut, sondern auch aus den Sammlungen, die Freunde und Bekannte, allen voran Max Ernst, zusammengestellt haben. Bei Ernst entdeckt Giacometti auch eine neuirische Malanggan-Figur, die ihn zu seiner Skulptur Käfig (1931) inspiriert haben soll. Die Malanggan sind sehr ausgefeilte Arbeiten, die für Bestattungszeremonien angefertigt werden; schon sehr früh sind die Europäer von der Kreativität und Ausdruckskraft, die diesen Kunstwerken innewohnt, ebenso fasziniert wie von der Feinheit, mit der das Holz bearbeitet ist. Häufig setzen sie sich zusammen aus einem wie ein Mensch oder Tier geformten Herzstück, auf das verzierte und unterschiedlich geformte Elemente aufgesetzt sind, so dass es manchmal so scheint, als sei die zentrale Figur von den sekundären Komponenten eingerahmt oder gar in ihnen gefangen. Diesen Eindruck hat Giacometti übernommen und in seiner eigenen Skulptur stilisiert und mit anderen Einflüssen vermengt. Ein weiteres berühmtes Werk Giacomettis, Die Nase (1947), ist inspiriert von den aus Rinde gefertigten Trompetenmasken des Baining-Volkes von Neubritannien, die mit einer sehr langen Nase und einem röhrenförmigen Schwanz versehen sind. Die strukturelle Ähnlichkeit mit Giacomettis Werk, das durch eine sehr lange Nase gekennzeichnet ist, ist offenkundig.In beiden Fällen lässt sich Giacometti unter anderem von der Struktur der ozeanischen Werke inspirieren; wer die Südsee nicht kennt, kann auch diesen exotischen Einfluss nicht erkennen. Hierbei handelt es sich weniger um Nachahmung oder Beeinflussung als um eine wahrhaftige Aneignung: aus sehr ausdrucksstarken Werken schöpft er eine künstlerische Inspiration, die er anschließend an seinen eigenen Stil anpasst.

Eine andere Form der Aneignung findet bei Max Ernst (1871–1976) statt, der eine sehr persönliche Beziehung zur Südsee und insbesondere zur Osterinsel hat. Er entdeckt seine tiefe Affinität zum Glauben der Osterinselbewohner: Ernst hatte sich einen Privatmythos geschaffen, der auf dem Vogel als Doppelgänger und Stellvertreter des Menschen gründet; diesen findet er im Vogelmenschkult der Osterinsel wieder. Der Vogelmensch wurde jedes Jahr durch einen Wettkampf bestimmt. Er verfügte über magische Kräfte und war ein Jahr lang dem König gleichgestellt. Dieser Mythos erinnerte auch an den Hauptgott der Osterinselbewohner, Make Make, den Vogelgott. Diese erstaunliche ideologische Nähe hat Ernst unter anderem zu seinem Werk Das Innere Gesicht: das Ei (1929) inspiriert, das offenkundig die Steingravuren der Osterinsel nachahmt. Der Vergleich mit einer auf der Osterinsel angefertigten Steinskulptur, heute im British Museum ausgestellt, ist aufschlussreich: Man stößt auf den gleichen Vogel mit dem großen Krummschnabel und auch die ovale Form des Steins hat Ernst beibehalten, um darin seine Komposition anzulegen. Auf diese Weise verleibt Ernst die Kunst der Osterinsel seinem Unbewussten, seiner Privatmythologie und folglich auch seinem Werk ein, weil er darin ein Abbild seines eigenen Universums sieht. Es handelt sich also nicht mehr nur um Exotismus oder darum, mit dem »Primitiven« die Kunst zu verändern, sondern um eine wahrhaftige Einverleibung in das eigene geistige und künstlerische Universum.

Vom paradiesischen Exotismus Gauguins bleibt nur noch eine Erinnerung: Ernst und Giacometti haben eine Ära des künstlerischen Dialogs mit den ozeanischen Kunstwerken Ozeaniens eingeläutet. Giacometti schöpft daraus Formen, die er zusammen mit seinen anderen Inspirationsquellen zu einzigartigen Werken verarbeitet, während Ernst eine wesentliche konzeptionelle Affinität zu ihnen entdeckt. Nach ihnen führen andere Künstler, beispielsweise Henry Moore, diesen fruchtbaren und rein künstlerischen Dialog weiter. Und allmählich treten Überlegungen zum Exotismus und zum Pittoresken in den Hintergrund und an ihre Stelle tritt ein Austausch zwischen Künstlern, die einander ebenbürtig sind.

Zur weiterführenden Lektüre

William Rubin (éd.), Primitivism in 20th Century Art, MoMA, 1984, ISBN 0870705342
Colin Rhodes, Le Primitivisme et l’art moderne Thames and Hudson, 1997, ISBN 2878111168
Robert Goldwater, Primitivism in Modern Art, Belknap Press, 2002, ISBN 0674704908
Philippe Peltier, « Primitivisme » et art moderne, scéren, 2004, ISBN 2240015578
Nicholas Thomas, Oceanic Art, Thames and Hudson, 1995, ISBN 0500202818
Anne d’Alleva, Le Monde océanien, Flammarion, 1998, ISBN 2080122908
Magdalena Möller, Emil Nolde, Expedition in der Südsee, Hirmer Verlag, 2002, ISBN 377749450X

Sehenswertes

In Frankreich
Ein Teil der Sammlungen des Musée du Quai Branly, das 2006 eröffnet, sind online zugänglich unter www.quaibranly.fr und auch im Louvre sind einige Werke zu sehen, im Pavillon des Sessions (porte aux lions).
Mur Breton im Musée National d’Art Moderne, Centre Pompidou: ein Teil der Sammlung primitiver Kunst André Bretons. www.cnac-gp.fr

In Deutschland
Die Südsee-Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin www.smb.spk-berlin.de/

Foto: © flickr – dalbera (creative commons)



Daniel-Henry Kahnweiler – Portrait eines Kunsthändlers, Verlegers und Schriftstellers

von Felicitas Schwarz, erschienen am 01.11.2005

Durch seine Hände wanderten die bedeutendsten Werke des Fauvismus und des Kubismus, er veröffentlichte die großen französischen Poeten seiner Zeit und war darüber hinaus als Kunstkritiker tätig. Wer ist dieser Mann, der über siebzig Jahre lang ganz vorne in der Pariser Kunstszene mitmischte?

Daniel-Henry Kahnweiler wurde 1884 als Sohn einer wohlhabenden, jüdischen Bankiersfamilie in Mannheim geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Stuttgart, weshalb er sich Zeit seines Lebens gerne als Stuttgarter bezeichnete. Im Alter von 17 Jahren, die Schule soeben abgeschlossen, wurde er von seiner Familie nach Frankfurt in eine kaufmännische Ausbildung geschickt. Familiäre Beziehungen erlaubten es ihm, in seinem zweiten Ausbildungsjahr nach Paris zu gehen. Dank seines Schulfranzösischs, das er mit Hilfe seiner frankophonen Gouvernanten perfektioniert hatte, fiel ihm der Umzug in das Nachbarland nicht schwer. Kahnweiler nutzte jedoch seine guten Sprachkenntnisse weniger im Rahmen seiner Ausbildung, als vielmehr um von dem reichhaltigen kulturellen Angebot der Metropole zu profitieren. So ließ er sich nur morgens und abends kurz bei seinen Kollegen an der Börse blicken, um den Rest des Tages im Louvre und den anderen Museen der französischen Hauptstadt zu verbringen. Das gleiche Leben führte er auch drei Jahre später in London, wo er bei seinen Onkeln die Ausbildung fortsetzte.

Als er nach zwei weiteren Jahren im Rahmen der familiären Geschäfte nach Johannesburg geschickt werden sollte, stand sein Entschluss fest: Seine Zukunft lag nicht im Familiengeschäft, sondern im Kunsthandel. Seine Onkel reagierten etwas überrascht, gaben ihrem Neffen aber eine Chance. Nachdem Kahnweiler eine kurze Schulung bei einem Londoner Kunsthändler bekommen hatten, statteten sie ihn mit Startkapital aus und ließen ihn nach Paris zurückkehren. Sie gaben ihm ein Jahr, um sein Glück zu versuchen.

Im Alter von 23 Jahren eröffnete Kahnweiler seine erste Galerie in der Nähe der Madeleine. Mit dem Einstieg in den Kunsthandel hatte er endlich einen Beruf gefunden, den er mit Überzeugung ausübte. Er sollte mit seinem Geschmack für exklusive Kunst und der Ambition, die Künstler zu unterstützen, deren Werke er schätzte, einer der großen Händler der Avantgarde werden. Nachdem er zunächst die Fauvisten André Derain und Maurice de Vlaminck vertrieben hatte, wurde er der Verfechter einer Kunstrichtung, die sich noch in ihren Kinderschuhen befand: des Kubismus.

Als er kurz nach der Eröffnung seiner Galerie das Bild Les Demoiselles d'Avignon in Picassos Atelier sah, war es um ihn geschehen. Dieses Bild ist das erste Picassos, welches kubistische Merkmale aufweist (in der rechten Bildhälfte). Gegen die Kritik fast aller Zeitgenossen unterstützte er den jungen spanischen Maler, damals noch gänzlich unbekannt, und ermutigte ihn zur Weiterentwicklung seines neuen Stils. Neben Pablo Picasso und Georges Braque, die als die »Väter des Kubismus« gelten und stets zusammen arbeiteten, handelte er die Bilder von Fernand Leger und Juan Gris. Während seiner langjährigen Tätigkeit vertrieb und unterstützte Kahnweiler nie mehr als eine Hand voll Künstler, mit denen er gleichzeitig freundschaftliche Beziehungen unterhielt. In seinem Freundeskreis verkehrten zahlreiche Schriftsteller, die seine Begeisterung für die Poesie weckten. Bereits zwei Jahre nach der Eröffnung seiner Galerie begann er, als Verleger tätig zu werden. Er veröffentlichte unter anderem Werke von Max Jacob und Guillaume Apollinaire, die jeweils in einer sehr geringen Auflage erschienen und von den Malern illustriert wurden, die Kahnweiler in seiner Galerie handelte.

Verließ ihn auch nie das Gespür für »gute Kunst«, so waren es die äußeren Umstände seiner Zeit, die ihn immer wieder zurückwarfen und zum Neuanfang zwangen. Den Ersten Weltkrieg verbrachte er aufgrund seiner deutschen Herkunft in der Schweiz. Von seiner Tätigkeit als Kunsthändler zwangssuspendiert, widmete er sich der Lektüre der großen Philosophen und der eigenen Tätigkeit als Schriftsteller. Als Kahnweiler 1920 nach Paris zurückkehrte, war seine Sammlung konfisziert und zwangsversteigert. Er ließ sich jedoch nicht entmutigen und eröffnete noch im selben Jahr die Galerie Simon.

Die Jahre zwischen den beiden Kriegen waren durch finanzielle Schwierigkeiten gekennzeichnet. Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 lief das Geschäft immer schlechter. Die Menschen konnten sich den Luxus des Kunsterwerbes nicht mehr leisten und Kahnweiler hatte große Probleme, sein Leben und das seiner Künstler zu finanzieren. Der Zweite Weltkrieg zwang den Kunsthändler jüdischer Herkunft, Paris abermals den Rücken zu kehren. Er tauchte mit seiner Frau auf dem Land unter, wollte Frankreich jedoch nicht verlassen. Um das Fortbestehen seiner Galerie zu sichern, überließ er sie seiner nichtjüdischen Schwägerin. Auch als er 1944 wieder nach Paris zurückgekehrte, blieb die Galerie in ihrem Besitz und lief bis zum Tode Kahnweilers 1979 weiter unter ihrem Namen als Galerie Louise Leiris.

Auch wenn Kahnweiler nach den großen Jahren des Kubismus noch von Zeit zu Zeit neue, junge Künstler in den Verkauf aufnahm, so hat ihn doch nie wieder eine Kunstströmung so bewegt. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass ohne Kahnweiler eine Karriere Picassos und der Durchbruch des Kubismus nicht stattgefunden hätte und dank des Kubismus Kahnweiler zu einem der größten Kunsthändler des vergangenen Jahrhunderts wurde.

 

Zur weiterführenden Lektüre

ASSOULINE, Pierre : l’homme de l’art – Daniel-Henry Kahnweiler 1884-1979. Ballard, 1988.

BERNIER, Georges CABANNE, Pierre: Daniel-Henry Kahnweiler – marchand et critique. Séguier, Paris.

KAHNWEILER, Daniel-Henry, CRÈMIEUX, Francis: Mes galeries et mes peintres – Entretient. Gallimard, 1998.

MONOD-FONTAINE, Isabelle, LAUGIER, Claude : Daniel-Henry Kahnweiler, marchand éditeur, écrivain. Centre George Pompidou, 1984, Paris.

Foto: © flickr – jmussuto (creative commons)



Max Ernst – Ein grenzüberschreitender Künstler

von Felicitas Schwarz, erschienen am 01.06.2005

Politisch verfeindet – kulturell befreundet. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts standen sich Deutschland und Frankreich in zwei Weltkriegen gegenüber. Das hinderte jedoch die Künstler beider Nationen nicht daran, sich über die Landesgrenze hinweg auszutauschen. Die Lebensgeschichte des Malers, Graphikers und Bildhauers Max Ernst ist exemplarisch für das Schicksal eines Künstlers im Europa des 20. Jahrhunderts.

Max Ernst wurde 1891 in Brühl, einem kleinen Ort zwischen Köln und Bonn, geboren. Durch seinen Vater, der in seiner Freizeit ein passionierter Maler war, kam Ernst schon früh in Kontakt mit der Kunst. Nach dem Abitur nahm er zunächst ein Studium der Philosophie an der Universität Bonn auf. In dieser Zeit machte er die Bekanntschaft des Expressionisten August Macke, der in Bonn einen Kreis junger Künstler um sich gescharrt hatte. Bestärkt durch den neuen Freundeskreis beschloss Ernst 1912, sich ganz der Malerei zuzuwenden. Er nahm mit seinen Bildern an Ausstellungen der Rheinischen Expressionisten sowie an dem durch Macke und Wassily Kandinsky organisierten ersten deutschen Herbstsalon teil. Die deutschen Künstler pflegten enge Kontakte nach Paris. 1913 unternahm Ernst seine erste Reise in die französische Hauptstadt. Er war zutiefst angetan von der europäischen Kunstmetropole und beschloss, so schnell wie möglich in die Stadt an der Seine überzusiedeln. Wieder in Deutschland traf Ernst in Köln mit dem elsässischen Maler, Bildhauer und Dichter Hans Arp zusammen. Zwischen den Künstlern, die beide auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen in ihrem Schaffen waren, entwickelte sich eine tiefe Freundschaft.

Die politischen Geschehnisse trennten jedoch nicht nur die beiden Freunde, sondern durchkreuzten auch Ernsts Pläne einer Übersiedlung in das Nachbarland. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges entschied er sich, vorerst in Deutschland zu bleiben, und ließ den Freund alleine den letzten Zug nach Paris nehmen. Im Krieg standen die Künstler, die vormals noch Seite an Seite gearbeitet hatten, einander ungewollt in feindlichen Lagern gegenüber. Die Absurdität des Krieges wollte es, das Ernst, der bei der deutschen Artillerie war, nur einige Meter entfernt von dem Schützengraben kämpfte, in dem sich der französische Schriftsteller Paul Éluard befand. Die beiden Männer sollten nach dem Krieg gute Freunde werden.

Nach Kriegsende gründete Ernst zusammen mit dem Maler und Dichter Johannes Theodor Baargeld die Kölner Dadaismus-Gruppe. Wie die Züricher Dadaisten, die 1915 die Bewegung als Reaktion auf die Sinnlosigkeit des Krieges ins Leben gerufen hatten, wollten Ernst und Baargeld den traditionellen Kunstbegriff in Frage stellen. Ihre Werke, die nichts mit der herkömmlichen Kunst gemein hatten, schockierten die Öffentlichkeit. Sie wurden von dieser als obszöne Provokation empfunden. Dadaismusbewegungen hatten sich neben Deutschland und der Schweiz auch in Frankreich und den USA formiert. Die Kölner und die Pariser Dadaismus-Gruppen standen in engem Kontakt zueinander. So fand die erste Ausstellung der Werke von Ernst 1921 auf Initiative des Pariser Dadaisten André Breton statt. Nur ein Jahr später verwirklichte Ernst seinen vor dem Krieg gefassten Entschluss und siedelt nach Paris über.

Der Neubeginn in der französischen Metropole erwies sich, trotz der Hilfe von Éluard, dessen Bekanntschaft er zwischenzeitlich in Köln gemacht hatte, als äußerst hart. Obwohl er in Paris nicht mehr ganz unbekannt war, konnte er in der ersten Zeit nicht vom Verkauf seiner Bilder leben. Nichtsdestoweniger lösten seine Collagen eine rege Diskussion in der Pariser Kunstszene aus. Drei Jahre nach seiner Ankunft in Paris, richtete Ernst sich schließlich sein eigenes Atelier in Montmartre ein. Er gehörte zu den ersten Mitgliedern des surrealistischen Zirkels in Paris. Der Surrealismus, der direkt aus dem Dadaismus hervorging, hatte die Beschäftigung mit dem Unbewussten, dem Irrationalen und dem Triebhaften zum Gegenstand. Um unter Ausschaltung des Bewusstseins zu arbeiten, entwickelte Ernst die Technik der Frottage. Er legte ein Blatt Papier auf die verschiedensten Untergründe, pauste ihre Struktur durch und ließ sich von den dadurch zufällig entstanden Formen inspirieren.

1938 kam es schließlich zum Bruch mit den Pariser Surrealisten. Nachdem Breton zum Boykott der Werke von Éluard aufgerufen hatte, trat Ernst aus Solidarität mit dem Freund aus der Gruppe aus.

Obwohl Ernst bereits 1937 von den Nationalsozialisten als »entarteter Künstler« bezeichnet worden war, verhafteten ihn die Franzosen 1939 als feindlichen Ausländer. Mit Hilfe von Éluard kam er wieder frei, wurde aber wenig später abermals festgenommen. Er musste erkennen, dass es im erneut vom Kriege heimgesuchten Europa für ihn zunächst keine Zukunft gab. 1941 floh er in die USA. Vier Jahre nach Kriegsende trat Ernst seine erste Reise nach Europa an, auf der er seine Freunde Arp und Éluard wohlbehalten wieder traf. Neben Paris besuchte er Brüssel und Antwerpen, nach Deutschland reiste er vorerst nicht. 1953 brach er seine Zelte in den USA endgültig ab, um nach Paris zurückzukehren.

Sein Werk erfuhr nach dem Krieg eine breite Anerkennung. Neben zahlreichen Ausstellungen in Europa und den USA wurde sein Schaffen mit vielen Auszeichnungen bedacht. 1954 bekam er den Preis für Malerei der Biennale in Venedig. 1956 wurde er in die Akademie der Künste in Berlin aufgenommen. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen verlieh seinem bekannten Sprössling 1957 den Preis der Malerei und machte ihn 1964 zum Ehrendoktor. 1966 wurde Ernst in Frankreich zum Offizier der Ehrenlegion ernannt.

In seinen letzten Lebensjahren erhielt Ernst sowohl aus seinem Geburtsland Deutschland als auch aus seiner Wahlheimat Frankreich großen Zuspruch. 1976 starb er als französischer Staatsbürger in Paris.

Zur weiterführenden Lektüre

Jürgen Pech, Max Ernst, Graphische Welten. Dumont, 2003.
ISBN: 3-8321-7322-6, EUR 80 €

Lothar Fischer, Max Ernst in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, 1969. ISBN: 3-499-50151-1, 7,90€

Thomas W.Gaehtgens, L'Art sans frontières – Les relations artistiques entre Paris et Berlin. Librairie générale française, 1999. ISBN : 9 782253 905592.

Werner Spies, Max Ernst, Catalogue de la rétrospective Max Ernst au Musée national d'art moderne, Centre Georges Pompidou, du 28/11/1991 au 27/01/1992. Edition du Centre Pompidou, Paris 1991. ISBN : 2 85 850 634 5.

Foto: © flickr – jwyg (creative commons)



Interview

Französische Museen, deutsche Museen: ein Interview mit Jean-Hubert Martin, Direktor des museum kunst palast in Düsseldorf

von Anne-Solène Roland, Übersetzung Sabrina Werl, erschienen am 01.03.2005

Jean-Hubert Martin, ehemaliger Direktor des Musée National d’Art Moderne (MNAM) und des Musée des Arts d’Afrique et d’Océanie (MAAO) in Paris, ist seit November 1999 Direktor des museum kunst palast in Düsseldorf. Anne-Solène Rolland hat ihn für rencontres zu seiner Karriere in Frankreich und Deutschland sowie zu Unterschieden und Ähnlichkeiten bei seiner Arbeit auf beiden Seiten des Rheins befragt.

rencontres: Sie sind seit 1999 Direktor des museum kunst palast in Düsseldorf. Wie sind Sie an die Spitze dieser Einrichtung gelangt?

J.-H. Martin: Man hatte mir gesagt, dass dieses Museum einen Direktor suchen würde. Als sich diese Gelegenheit bot, habe ich mich also beworben, wurde von einer Kommission, die für die Einstellung des neuen Direktors zuständig war, angehört, und wurde ausgewählt.

Sie hatten bereits eine lange Karriere in Frankreich hinter sich, bevor sie die Leitung des museum kunst palast übernommen haben; denken Sie im Hinblick auf Ihre Erfahrung, dass es Unterschiede zwischen den deutschen und den französischen Museen gibt?

In Europa gibt es bekanntlich keine großen Unterschiede, denn die Museumslandschaft ist sehr international; es gibt also keine großen Überraschungen. Es war für mich aber sehr interessant, hier in Düsseldorf in dem Moment anzukommen, wo zwei städtische Kunstmuseen (der Kunstpalast und das Kunstmuseum, Anm. d. Red.) fusioniert wurden, um diese neue Stiftung zu schaffen (Das museum kunst palast wurde im September 2001 eröffnet, Anm. d. Red.). Es war interessant, weil es genau das ist, womit sich heute alle Museen konfrontiert sehen. Es handelt sich um das, was man auf gut deutsch »public-private partnership« nennt: Ein Teil der Mittel wird uns von der Stadt zur Verfügung gestellt, und ein großer Anteil wird von Firmen finanziert.

Das hat sich stark von dem unterschieden, was sie in Frankreich im MNAM oder im MAAO gekannt haben, die beide staatliche Museen sind.

Ja und nein, weil ich im Musée National d'Art Moderne zum Zeitpunkt der Errichtung des Centre Pompidou angefangen habe, welches die erste öffentliche Kultureinrichtung in Frankreich war (Das Centre Pompidou hat seit seiner Eröffnung mehr Unabhängigkeit als die nationalen Museen, besonders bezüglich der Verwaltung seines Budgets; heute sind der Louvre und das Musée du Quai Branly, zukünftig Museum der afrikanischen, ozeanischen, asiatischen und amerikanischen primitiven Künste, das die Sammlungen des ehemaligen Musée de l'Homme und des Musée des Arts d'Afrique et d'Océanie umfassen und 2006 in Paris eröffnet werden wird, ebenfalls öffentliche Einrichtungen, Anm. d. Red.) und sich auf diesem Gebiet sehr innovativ zeigte, da es auch in den kommenden zwanzig Jahren noch ein Pilotprogramm in der Situation französischer Museen darstellte. Und als ich ans MAAO gekommen bin, war das gerade in dem Moment, als diese Modernisierungsprozesse der Verwaltung eingeführt wurden. Wir hatten schon ein unabhängigeres Finanzierungssystem, ohne pedantische Kontrolle. Letztendlich war es also nicht so anders, weil sich die Dinge überall weiter entwickeln.

Was mich an der Sache reizt, ist die Möglichkeit, an der Spitze einer Einrichtung zu stehen, die in Deutschland gewissermaßen Modellcharakter hat. Aber man darf sich nichts vormachen. Die Struktur an sich ist interessant, aber sie ist nicht auschlaggebend für unseren Erfolg. Unsere Stärke besteht darin, dass wir innerhalb dieser Struktur einen großen Sponsor haben, der viel Geld reinbringt. Und verglichen mit vielen Museen, welche unter Finanzierungsproblemen leiden, haben wir den Vorteil, über Mittel zu verfügen, die uns erlauben freie Hand zu haben.

Haben Sie den Eindruck, diesem deutschen Museum eine französische Note zu verleihen?

Ich würde mit ja antworten. Ich kann das wahrscheinlich schlecht definieren, aber ich würde die Frage bejahen. Die Deutschen haben sicher eine stärkere Tendenz zur Organisation als wir, während wir mehr Improvisationsvermögen besitzen: In diesem Sinne gibt es sicher einen Austausch, der, wie ich hoffe, fruchtbar ist. Ich weiß aber nicht, ob mir meine Mitarbeiter da zustimmen.

In dem Interview, das man auf der Internetseite des Museums lesen kann, sagen Sie, dass »das Publikum genug von ›Blockbuster‹-Austellungen hat, und vielmehr Lust hat, Entdeckungen zu machen und intellektuell stimuliert zu werden«. Dieser Ausstellungstyp ist in Paris seit einigen Jahren immer geläufiger. Wie steht es damit in Deutschland?

Dort ist es genauso; ich würde fast sagen, dass sich diese Entwicklung in Frankreich sogar ein wenig verzögert hat, was die staatlichen Museen und das Kulturministerium betrifft, welches über ein beachtliches Budget verfügt. Aber es ist das gleiche; man muss das Publikum anziehen, auch gerade deshalb, weil weniger Geld zur Verfügung steht. Ich glaube, dass man einen Mittelweg finden kann, indem man etwas macht, dass das Publikum anlockt und gleichzeitig intellektuellen Ansprüchen gerecht wird – und genau das versuchen wir zu tun.

Die Präsentation der ständigen Ausstellung des museum kunst palast bietet in der Tat eine originelle Herangehensweise an die Werke, die herkömmlichen Anordnungen entgegengesetzt ist: Werke aus sehr unterschiedlichen Epochen, sogar aus unterschiedlichen Kulturen werden Seite an Seite gezeigt. Was ist das Ziel, das sie mit dieser Herangehensweise verfolgen?

Es geht darum, den Blick zu erneuern. Wenn man die Werke immer in ihrem chronologischen Kontext zeigt, mit ihrer ganzen Geschichte, dann nimmt man ein wenig von der Poesie des Werkes selbst. Vom Prinzip auszugehen, dass die Leute ein Werk nur dann verstehen, wenn man ihnen den gesamten Kontext erklärt, die ganze Geschichte, ist bedauernswert, und es bräuchte mehrere Stunden an Vorträgen. Indem man unterschiedliche Werke nebeneinander stellt, macht man sie lebendiger. Und natürlich entspricht das auch kunstgeschichtlichen Realitäten: Man weiß zum Bespiel, dass Otto Dix sich auf Cranach bezog. Warum soll man sie dann nicht Seite an Seite ausstellen?

Persönlich habe ich diese Präsentationsweise als sehr viel lebendiger und ansprechender empfunden. Haben sie Resonanz vom Publikum bekommen?

Die Resonanz bestätigt, was Sie sagen, das funktioniert vor allem mit einem jungen Publikum, wohingegen es das ältere weniger mochte. Es gibt zum Beispiel Leute, die gerne immer die gleichen Werke am gleichen Platz und in den gleichen Räumen sehen wollen, denen folglich die aktuelle Präsentationsweise nicht besonders gefällt.

Als Spezialist für »nicht-westliche« zeitgenössische Kunst haben Sie die Ausstellung Africa Remix gezeigt, die erste, die ein so großes Panorama der zeitgenössischen afrikanischen Kunst geboten hat. Was für einen Platz nimmt die nicht-europäische zeitgenössische Kunst in den deutschen Museen ein?

Einen sehr kleinen. Aber ich bin nicht sicher, ob das in Frankreich besser ist. Es ist überall gleich, je nachdem was gerade in Mode ist. Im Moment sind zum Beispiel chinesische Künstler in Mode, und es gibt mehrere Ausstellungen. Aber für die anderen gibt es recht wenig, auch wenn einige offene und aufgeschlossene ethnographische Museen zeitgenössische Werke ausstellen.

Mir sind auch einige recht sonderbare Phänomene aufgefallen: Einige afrikanische Künstler hatten ihre erste Ausstellung schneller in Deutschland, in den Kunstvereinen (in Deutschland weit verbreitete lokale Organismen, deren Aufgabe die Förderung künstlerischen Schaffens ist und die Finanzierung und Ausstellungsmöglichkeiten etc. bieten, Anm. d. Red.), als in Frankreich. Das hat gewiss mit der Struktur zu tun, da die Kunstvereine kleine Einrichtungen sind, stets auf der Suche nach außergewöhnlichen Werken. Und es war ziemlich interessant zu sehen, dass Künstler aus dem frankophonen Afrika, von denen man annehmen könnte, dass sie wegen der Kontakte, der Geschichte et cetera in Frankreich ausstellten, hier ihren Durchbruch schafften. Es gibt also derlei Ereignisse, aber ich stelle immer noch ein großes Defizit in diesem Bereich fest.

Diese Ausstellung war in Deutschland eine Premiere; sie wird ab Mai im Centre Pompidou in Paris zu sehen sein. Ich glaube, auch das ist eine Premiere?

Ja, ganz genau, eine Premiere in Frankreich und vor allem in Paris, wo es in dieser Hinsicht kurioserweise ein richtiges Defizit gibt…

…ausgenommen der Ausstellungen, die Sie während Ihrer Tätigkeit in Paris organisiert haben, insbesondere der Ausstellung "Magiciens de la Terre"  im Jahr 1989, und zum Beispiel der Ausstellung der Fondation Cartier pour l'art contemporain, welche dem kongolesischen Maler Chéri Samba gewidmet war vom vergangenen Jahr. Das zukünftige Musée du Quai Branly möchte der zeitgenössischen Kunst einen bedeutenderen Platz einräumen. Scheint Ihnen dieses Museum der angemessene Ort dafür zu sein?

Das ist eine große Debatte, die sie selbst aufgeworfen haben, um sich rausreden zu können, indem sie sagten: »Wir sind dafür nicht der richtige Ort. Die zeitgenössischen Künstler anderer Kulturen müssten zum Beispiel im Centre Pompidou gezeigt werden.« Ich denke, dass man dort Gegenwartskunst zeigen kann, unter der Bedingung, dass man ein genau definiertes Konzept hat.

Was nicht heißen soll, um die Worte von Chéri Samba aufzunehmen, dass jeder afrikanische Künstler im Quai Branly vertreten sein muss. Es muss eine Art enge Kooperation bestehen, zum Beispiel mit dem Palais de Tokyo, wo wir Ausstellungen sehen konnten, die jungen afrikanischen Künstlern gewidmet waren. Vor allen Dingen darf dieses Museum kein Ghetto werden, aber umgekehrt finde ich es schwachsinnig zu sagen: »Wir wollen die Finger von der zeitgenössischen Kunst lassen, denn genau das ist dem, was man bei uns sieht, viel zu ähnlich.« Meiner Ansicht nach gibt es noch viele Ideen zu entwickeln.

Planen Sie, nach Frankreich zurückzukehren, um dort zu arbeiten?

Im Moment nicht. Ich habe gerade meinen Vertrag beim museum kunst palast in Düsseldorf um fünf Jahre verlängert. Es müsste sich schon eine außergewöhnliche Gelegenheit in Frankreich bieten, damit ich zurückkehre.

Und was sind Ihre Pläne?

Wir werden bald eine Ausstellung über Dubuffet und die Art Brut machen, dann eine über Antonin Artaud (französischer Schriftsteller, 1896-1948, Anm. d. Red.) als Schauspieler, mit seinen Zeichnungen, seinen Schriften und vor allem seinen Filmen, die wenig bekannt sind. 2006 soll eine Ausstellung über die Zero-Bewegung in den Fünfziger Jahren, die in Düsseldorf begonnen und sich fast überall ausgebreitet hat, (mit Künstlern wie u.a. Yves Klein und Jean Tinguely, Anm. d. Red.) folgen, und schließlich eine große Caravaggio-Ausstellung, bei der wir Werkstattbilder, also manchmal mehrere Versionen desselben Bildes ausstellen werden, um ein wenig die Rolle der Kunstgeschichte in Fragen der Authentizität aufzuzeigen.


Zusätzliche Informationen

Besuchen Sie den museum kunst palast, Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf. Neue Präsentation der ständigen Ausstellung ab dem 29. Januar 2005, die dem Konzept der vorangehenden Ausstellung folgt. www.museum-kunst-palast.de

Africa Remix, zeitgenössische Kunst eines Kontinents, Hatje Kantz Verlag, 2004. ISBN 3-7757-1471-5.  Die Ausstellung wird vom 24. Mai bis zum 15. August im Centre Pompidou in Paris zu sehen sein.

Künstlermuseum, Jean-Hubert Martin (Hg.), Stiftung museum kunst palast, 2002. ISBN 3-9808208-5-8. (Über die alte Anordnung der Sammlungen/ Betrifft die alte Sammlungspräsentation)

Das Musée des Arts Derniers, 105 rue Mademoiselle, 75015 Paris, zeigt regelmäßig Ausstellungen zum Thema zeitgenössische afrikanische Kunst. Aktuelle Informationen auf der Seite www.paris-art.com.

Vom 16. Juli 2005 bis zum 4. September 2005 im Forum Grimaldi in Monaco präsentiert die Ausstellung Arts of Africa gleichzeitig traditionelle afrikanische Kunst und Werke zeitgenössischer Künstler.

 

 

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