Pressestimmen November 2012

Verliebte beim Ballspiel

Erst denkt man: Großartig, ein Festival über den Zusammenhang von Sport und Neuer Musik – das führt zu Schweißausbrüchen, Schnappatmung, Ekstase, da werden tradierte Rituale aufgemischt. Doch dann ist zunächst alles wie immer: Beim Eröffnungskonzert des Festivals „Sportstücke“ im Konzerthaus halten Vertreter der ehrenwerten Berliner Gesellschaft für Neue Musik und der Musikhochschule „Hanns Eisler“ Begrüßungsreden, die förmlicher und staubiger sind als jedes diplomatische Protokoll. Was für ein Stimmungskiller. Die Rettung naht in Gestalt der jungen Musiker des Eisler-Sinfonieorchesters (Dirigent: Stefan Asbury). Das Thema ist ja auch spannend: dass Musik den Sport beflügelt, ist offensichtlich.

Sport und Neue Musik: ein Festival in Berlin.

Aber gilt das auch umgekehrt? Und ist es „sportlich“, wenn Haydn 107 Symphonien schreibt, wenn eine Wagneroper sechs Stunden dauert?

Wagner und Haydn kommen nicht vor an diesem Abend, auch sind die Stücke nicht wirklich „Neue Musik“. Anregend sind sie dennoch, denn sie reflektieren den Sport entweder assoziativ oder in der Form. Wie bei Charles Ives, der 1898 ein Footballmatch zwischen Yale und Princeton vertont hat. Die Musiker kämpfen noch mit einem typischen Jugendorchester-Problem: Das Schlagwerk draufgängerisch, die Streicher matt. Bei Claude Debussy haben sie sich warmgespielt, dessen flirrendes „Jeux – Poème Dansé“ (1912) evoziert ballspielende Verliebte, die Klangbalance schimmert fein austariert. Die barockisierenden Sätze von Strawinskys „Violinkonzert in D“ geht Solist David McCarroll mit leisem, aber geschmeidigem, suggestiven Strich an. Der programmatische Bezug zum Sport ist aber schwach ausgeprägt. Er liegt in der Virtuosität sowohl des Stücks als des Interpreten – was dann wohl auch Liszt oder Rachmaninow zu Hochleistungssportlern machen würde.

Verstörend ist „De Snelheid“ des Niederländers Louis Andriessen (1983): Scharfe Orchestereinwürfe, begleitet von einem aggressiv monotonen Klopfrhythmus, ein nervtötender Ohrwurm, eindimensional, eintönig, furchtbar. Bis man begreift: Gerade diese Beklemmung, dieser körperliche Abwehrreiz sind enorm physisch. Sie machen das Stück zum sportlichsten des Abends.

Der Tagesspiegel_30.11.2012_Udo Badelt

Horch mal, wie der Regen fällt

Christian Schmidt nähert sich einem Missverstandenen

An keinem anderen DDR-Komponisten wächst das Interesse in letzter Zeit so stark wie an Hanns Eisler. Das überrascht kaum, war er doch einer der hellsten Köpfe aus der Zweiten Wiener Schule, den immer der Wunsch trieb, der Musik einen gesellschaftlichen Sinn zu verleihen. Als die Musikhochschule „Hanns Eisler“ vor zwölf Jahren ihr 50. Gründungsjubiläum beging, stand ihr Patron zur Disposition. 2012 jährt sich zum 50. Mal der Todestag des Missverstandenen – und die HfM würdigt das Andenken mit einem Eislertag. Im Programm aus Konzerten, Lesungen und Vorträgen sollen Person, Komponist, Denker und Arrangeur vorgestellt werden. Rektor Stefan Willich spricht zur Eröffnung, Gisela May gibt sich die Ehre, die Musik besorgen Studierende.
Die Bühnenstücke, das sinfonische Werk, die Arbeiterlieder – all das muss am Gendarmenmarkt ausgespart bleiben. Und hinter das Wesen von Hans Eisler kommt kaum, wer anderthalbstündigen Festvorträgen lauscht. Aber zusammen mit den durchweg kammermusikalischen Häppchen – allen voran den berühmten „14 Arten, den Regen zu beschreiben“ – könnten sie Lust auf lehrreiche Entdeckungen machen.

- Hochschule für Musik Hanns Eisler, Fr. 9.11., 11-22 Uhr, Eintritt frei

Der Tagesspiegel_Ticketbeilage_8. november 2012

PAUKEN & Trompeten

Sentimentalitäten bitte abreagieren

„Entsetzliche Krachs“ habe er mit Arnold Schönberg gehabt, sagte Hanns Eisler einmal.
Gleichviel: Der 1898 in Leipzig als Sohn eines österreichischen Vaters geborene Eisler, der
zeitlebens die österreichische Staatsbürgerschaft behielt, zählt bis heute zu den
berühmtesten und wohl dankbarsten Schülern Schönbergs. Ende der zwanziger Jahre fing
er an, mit Bertolt Brecht und Ernst Busch zusammenzuarbeiten, 1933 musste Eisler
emigrieren, 1942 erreichte er die amerikanische Westküste. Nach vielen Jahren im Exil
kehrte Hanns Eisler kurz vor der Jahrhundertmitte nach Berlin zurück, wo er eine
Meisterklasse für Komposition übernahm.

Die Hanns-Eisler- Hochschule nimmt nun Eislers fünfzigsten Todestag im letzten
September zum Anlass, ihrem Namenspatron zu Ehren einen ganzen Reigen von
Veranstaltungen auszurichten, der diesem wohl viel Freude gemacht hätte: Nach der
festlichen Eröffnung am Freitag um 11 Uhr geht es zunächst los mit den Klavierwerken,
darunter die „Rachmaninov-Parodie“ und die „Kleine Musik zum Abreagieren
sentimentaler Stimmungen“.

Solcherart geläutert lässt sich die konzertante Aufführung der zwölftönigen Komposition
„Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben“ gewiss besonders gut aufnehmen: Eisler
widmete sie seinem einstmaligen Lehrer Schönberg zum 70. Geburtstag. „Eisler als
Arrangeur“, „Eisler im Exil“ oder die Frage „Wer war Hanns Eisler?“ stehen im
Mittelpunkt der Vortrags- und Konzerteinheiten danach – gegen 13 Uhr kommt
beispielsweise Eislers Sicht auf Bruckners siebte Symphonie zur Aufführung. Am frühen
Abend wird die große Gisela May in der Hochschule zu Gast sein, die immer wieder mit
Eisler zusammengearbeitet hat. Später werden dann Lieder gesungen, zum Beispiel jenes
von der „haltbaren Graugans“ oder das berühmt holpernde von der „Mutter Beimlein“ mit
dem Holzbein, an das sie so praktisch ihren Haustürschlüssel hängen kann.

Der Tagesspiegel_4. November 2012_Christiane Tewinkel