Pressestimmen Dezember 2005

Junge Künste in Berlin

anlässlich des radiotages "junge künste in berlin" sind ein bericht über die saxophonklasse von johannes ernst und ein interview im kulturradio zu hören.

junge künste in berlin
radiotag kulturradio
13. dezember 2005 17.45 uhr
frequenz UKW 92.4 kabel 95,35

bitte beachten: der sendetermin kann sich aufgrund aktueller ereignisse verschieben.

Wenig schauen, wenig reden...

Seiji Ozawa gibt Unterricht, Konzerte und ein Beispiel für musikalische Ideen

Mehr als Seiji Ozawa kann ein Dirigent die Grenze zwischen dem Orchester und seinem Leiter kaum noch aufheben. Am Wochenende gab Ozawa drei Konzerte mit den Philharmonikern, und schon im Begrüßungsapplaus schien der Mann eher mit den Musikern verschmelzen als sich von ihnen abheben zu wollen. Nach der ersten Musik, Schönbergs kolossalem Instrumentaldrama "Pelleas und Melisande", wandelte Ozawa durch das Orchester, um einzelne Musiker für den Beifall herauszupräparieren. Und wie Japaner das gern tun, deutete er für jeden eine Verneigung an. Sähe das Protokoll nicht den Abtritt des Dirigenten durch eine eigene Türe vor, Ozawa wäre aus den Reihen der Musiker kaum mehr herausgetreten.

Über eine Bescheidenheitsformel geht dieses Verhalten hinaus. Am Samstag gab Ozawa im Kammermusiksaal der Philharmonie auch einen Workshop für Orchestermusiker der Eisler-Hochschule. Wieder verneigte sich der berühmte Mann, diesmal vor den Studenten. Und wieder ging er durch das Orchester - diesmal allerdings schon während des Dirigierens. Gewiss hatte Ozawa den jungen Musikern auch auf dem Pult stehend etwas zu sagen. Aber ein Redner ist er nicht, er zweifelt sogar am Nutzen der Sprache für das Musizieren. Will er sicher sein, dass eine musikalische Idee bei einem Musiker ankommt, dann geht er zu diesem hin.

Nun brauchen Ideen an sich eigentlich keine Nähe. Nur musikalische Ideen brauchen sie. Die musikalische Idee ist bei Ozawa immer eine körperliche Regung. Zunächst spielen die Studenten die Noten, die Beethoven auf dem Papier hinterlassen hat. Aber dass sie das "richtig" spielen wollen, ist ein künstlerisches Problem. Vom ersten Ton der Siebten Symphonie an ruft Ozawa immer wieder dazu auf, Töne etwas verzögert kommen zu lassen - später, aber richtig. In der Zeit, die zwischen dem notierten Moment und dem erklingenden Ton liegt, soll etwas geschehen: Hier kommt der Leib der Musiker ins Spiel. Dieses Ins-Spiel-Kommen des Leibes gibt der Musik Körper und Bedeutung.

Der 70-jährige Ozawa ist dabei selbst ein Muster an Beweglichkeit. Er hüpft herum wie ein Kobold und kichert. Aber weder das Kichern noch das Hüpfen noch das Verneigen zehren an seiner Autorität: Dieser Mann führt, weil er den Leuten etwas zu geben hat. Sein wichtigstes Anliegen: Die Studenten mögen der Musik Atem geben. Der Atem ist so etwas wie der Schwung des Körpers. Er verbindet die Musizierenden auch. "Nicht so viel schauen", sagt Ozawa einmal, "atmet lieber miteinander". Und dann befeuert er die Musiker nicht nur mit seinem Körper, der Leib selbst ergreift die Musik: Wie Ozawa in der Aufführung von Schönbergs symphonischer Dichtung nach Melisandes Tod mit beiden Armen den Klang des Orchesters auffängt, dabei fast in die Knie geht, um dann unter dieser Last den Auftakt zum Epilog zu geben, das ist ein ganz außerordentlicher, klanglich erfüllter Moment.

Seiji Ozawa
Seiji Ozawa

Was Ozawa den Studenten zu vermitteln suchte, das wussten die Philharmoniker zu verwirklichen. Was ist am Beethoven-Spiel in den letzten Jahren nicht alles erarbeitet worden, zu welchem Raffinement ist nicht vor allem die Artikulation gelangt! Unter Ozawa dagegen schien der alte, von Rousseau bis Barthes kultivierte Vorbehalt gegen das Entfremdende, Verstümmelnde der Artikulation wieder aufgerufen. Sein Beethoven setzte an der Sprache ausschließlich den Körper mit seiner Logik ins Recht. Dabei erschienen die musikalischen Formen schlüssig, der Klang hatte alle Kraft der Überredung. Natürlich war das naiv. Aber wer es gehört hat, wird für dieses Mal über das Naive nichts kommen lassen wollen (siehe Rousseau).


Berliner Zeitung_05.12.2005_Klaus Georg Koch